Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

1.100. Vom angesammelten Schatz

Freude: Ich habe einen Schatz angesammelt, um in den Krieg zu ziehen.

Vernunft: Eine schlechte Sache für den schlimmsten Zweck. Wieviel gewinnbringender wäre es für dich und andere, für die Bedürfnisse deiner Freunde und deines Landes und vor allem für die Bedürfnisse der Armen zu sparen! Das wäre in der Tat ein Schatz im wahrsten Sinne des Wortes, um den Himmel zu gewinnen. Aber jetzt dient er nur dafür, dich in die Hölle einzukaufen.

Freude: Mein Schatz erlaubt es mir, in den Krieg zu ziehen.

Vernunft: Schätze schwächen die Kräfte des Geistes, und Krieg schwächt die Menschen: Beides ist schädlich.

Freude: Mir ist ein großer Schatz für die Kriegsführung sicher.

Vernunft: Schätze bringen dem Besitzer in der Regel die Angst vor Verlust, und seinen Feinden die Hoffnung auf Gewinn und damit die Kühnheit zum Kampf. Wer zieht nicht eifrig in einen Krieg, der viel zu gewinnen und nichts zu verlieren verspricht? Wir lesen bei Horaz von einem mittellosen Soldaten, der kämpfte und siegte und, sobald er reich geworden war, wieder alles verlor. Wenn du die herausragendsten Beispiele zu diesem Thema betrachten willst, dann schau dir nur die Römer an, die über alle Nationen siegten, solange sie arm waren, aber zu verlieren begannen, als sie reich wurden. Als der Reichtum kam, verschwanden Siege und Tugenden, und sie wurden prompt durch Vergnügen und ausschweifende Lust ersetzt, die wohltuenden Begleiter des Reichtums, so daß die damaligen Dichter mit gutem Grund den Verlust der römischen Armut beklagten. Armut ist die beste Amme für alle Tugenden, und Opulenz, das Beste für jedes Laster.

Du hoffst, daß dein Schatz dir den Sieg bringt. Davor sollte man sich eher fürchten, denn der Reichtum hat viele Männer ängstlich und rückhaltlos gemacht, alle aufgeblasen und stolz, aber keinen wirklich mutig.

Freude: Ich habe aber einen großen Schatz gesammelt.

Vernunft: Und damit Sorgen und Neid geschaffen, Haß für deine Feinde und Begierde für die Diebe.

Petrarcameister - Vom angesammelten Schatz

Gleichsam als Ergänzung zu Kapitel 97 wird wieder das mehr und mehr um sich greifende Söldnerwesen geschildert. Der Feldhauptmann, der rechts in besonders phantastischer Kleidung hinter dem Tisch steht, gibt hier mit Hilfe seines Amtsmannes und seines Kämmerers den Sold aus. Es sind abenteuerliche Gestalten, die sich zum Tisch drängen. Erzählend schildert der Petrarca-Meister, wie gleich nach der Goldausgabe alte Schulden zwischen den Landsknechten bereinigt werden. Der Ritter, der hoch zu Roß aus der Menge der Söldner herausragt, wendet dem Treiben den Rücken zu. Er soll antithetisch (gegensätzlich) das mittelalterliche Rittertum verkörpern, das nicht um des Goldes willen in den Kampf zog.

Aus geistiger Sicht kann man die närrische Begierde mit der Narrenkappe erkennen, die zusammen mit dem aufgeputzten Ego unter dem Federhut und dem gelehrten und buchführenden Verstand, die fünf Sinne bedient, welche gern nach Reichtümern greifen und sich davon ernähren wollen. Der Ritter mit dem geöffneten Visier erinnert an die Vernunft, die sich hier natürlich in die offene Weite abwendet. Dagegen sieht man rechts eine enge Verstandes-Welt, die von dicken Mauern und getäfelten Wänden und Böden eingezwängt wird.

1.101. Vom Rachenehmen

Freude: Der Feind ist mir in die Hände gefallen, und so bietet sich mir jetzt die Gelegenheit zur Rache.

Vernunft: Nein, eher zu deiner Prüfung, ob du ein Sklave des Zorns oder ein Freund der Barmherzigkeit bist. Das würde ungewiß bleiben, wenn du nicht die Möglichkeit hättest, dich zwischen beiden zu entscheiden. Es glauben ja viele zu sein, was sie nicht sind. Aber nach der Prüfung wissen sie, was sie sind.

Freude: Der Feind ist tatsächlich in meiner Hand, ich kann mich rächen.

Vernunft: Einerseits gibt es da die Grenzen der Macht und anderseits die der Ehre. Nun mußt du abwägen, nicht, was du kannst, sondern was du tust. Hier wäre das Nichtkönnen manchmal besser, so daß du nicht alles kannst, was du willst.

Freude: Ich kann mich aber rächen, und nichts ist süßer als die Rache.

Vernunft: Nichts ist bitterer als der Zorn! Warum ihn irgendwer „süß“ genannt hat, das frage ich mich immer wieder. Wenn du etwas Süßes darin finden kannst, dann ist solche unkultivierte Süße eines Menschen unwürdig, nur für Tiere typisch, und das nicht einmal für alle, sondern nur für die besonders bissigen und wilden. Nichts ist weniger menschlich als Wüten und Brutalität. Hingegen sollte der Mensch nichts mehr sein Eigen nennen als Erbarmen und Sanftmut, denen nichts so entgegengesetzt ist wie die Rache und was immer der Mensch seinen Mitmenschen in ungezügelter Wut hart und gewaltsam zufügt. Wenn aber nun das Wort „Rache“ einmal so süß erscheint, dann will ich dir auch zeigen, wie du es zu großem Ruhm gebrauchen kannst: Denn die edelste aller Formen der Rache ist die Barmherzigkeit.

Freude: Es steht mir frei, mich zu rächen.

Vernunft: Viel befriedigender und viel schöner ist es, das Unrecht zu vergessen als es zu rächen. Es gibt kein edleres Vergessen als das Vergessen einer Kränkung. Dieses hat der größte Redner dem größten Heerführer als größtes Lob angerechnet, nämlich: „Cäsar pflegte nichts zu vergessen außer dem selbsterlittenen Unrecht.“ Warum sollte dieses Lob eines Einzelnen nicht für eine Vielzahl gelten?! Was hindert uns daran? Diesen Vorzug - einen von vielen - haben ja die geistigen Güter vor den materiellen: Wenn sie geteilt werden, nehmen sie nicht ab und verlieren sich nicht. Nimm also auch du diese höchst edle Meinung von Cäsar für dich in Anspruch! Sie wird dich viel berühmter machen als die Erinnerung an einen Kineas oder Charmadas. Denn diese stammt aus der Natur, aber die andere aus der Tugend.

Freude: Mich zu rächen ist mir eine Befriedigung.

Vernunft: Die Freude der Rache ist schnell vergänglich, die der Barmherzigkeit ist ewig. Hat man zwischen zweierlei Freuden zu wählen, dann sollte man doch jene vorziehen, die länger währt. So tue heute das, woran du dich ewig erfreuen kannst! Wahrlich, es gibt keine größere und beständigere Freude, als jene, die aus der Reinheit des Gewissens und der Erinnerung an gute Taten kommt.

Freude: Rache ist eine Frage der Ehre.

Vernunft: Barmherzigkeit ist viel ehrenhafter! Sie hat schon viele geehrt, aber die Rache noch keinen. Nichts ist unter Sterblichen so nötig und nichts so angemessen wie die Barmherzigkeit. Es gibt ja keinen, der nicht sündigte, und so gibt es auch keinen, der die Barmherzigkeit nicht nötig hätte. Wenn Barmherzigkeit verweigert wird, wer soll dann die vielen Knoten von Verbrechen und Schuld lösen? Oder die zerrissene Gemeinschaft der Menschen wieder heilen? Die Menschen werden immer weiter gegeneinander streiten, und der Zorn Gottes wird immer weiter mit ihnen sein. Es wird kein Ende von Streit und Bestrafung geben, noch werden die Waffen ruhen oder Gottes Donnerschläge aufhören. Übe also Barmherzigkeit und zügle dein Gemüt! Behandle deine Mitmenschen so, wie du behandelt sein willst und wie du es von Gott erwartest! Es ist eine Unverschämtheit, den Herrn um Barmherzigkeit zu bitten, die du deinem Mitknecht verweigerst. Der Prediger, unser geistiger Lehrmeister, ruft entrüstet: „Der Mensch hegt gegen andere Menschen seinen Zorn, aber bittet Gott um Heilung?! Für den Mitmenschen, der doch seinesgleichen ist, hat er keine Barmherzigkeit übrig, aber für seine eigenen Sünden bittet er um Gnade!“

Freude: Ich mache keinen Schaden, sondern räche mich nur.

Vernunft: Welchen Unterschied macht es, ob du zuerst oder zuletzt beleidigst? Es ist nicht recht, in sich selbst zu billigen, was man in einem anderen verurteilt. Willst du dich dem Zorn, den du am Feind verurteilst, selber hingeben? Und im Verhalten dem gleich werden, dessen Gesinnung du ablehnst? Und willst sein Schlechtestes dir zu eigen machen?

Freude: Ich will mich doch nur rächen, und erlaubt ist es ja.

Vernunft: Weder sollst du es wollen, noch ist es durch irgendein Gesetz erlaubt. Verteidigung ist erlaubt, aber Rache ist verboten. Es steht geschrieben: „Wer sich rächen will, wird die Rache Gottes erfahren.“ Und an anderer Stelle, wie ich mich erinnere: „Die Rache ist mein, spricht der Herr, und ich werde ihnen zur rechten Zeit das Recht geben, das ihnen zusteht.“ Erwarte also diese Zeit, und laß Ihn dich rächen, der des Beleidigers und des Beleidigten Herr ist! Denn unter Knechten gilt des Herrn Richterspruch für alle gleich. Hast du also noch etwas Edelmut in dir, etwas Sorge um die Vollkommenheit deines Verhaltens, dann wünsche dir lieber, daß sich der Herr nicht rächt, und bitte Ihn, dem zu vergeben, der dich beleidigt hat: So wirst du das Verbrechen deines Feindes in deine Erlösung verwandeln.

Freude: Mir steht aber der Sinn danach, mich zu rächen.

Vernunft: Laß den Zorn verfliegen und dich von der Zeit beraten! Zügle dein Ungestüm und handle nicht voreilig. Der Zorn wird verschwinden oder sich legen. Oft reicht eine kurze Stunde, um eine wütende Welle zu beruhigen.

Freude: Ich werde mich trotzdem rächen.

Vernunft: Durch eine einzige Tat wirst du bei vielen Anstoß erregen. Ein einziges Unrecht hat oft schon unzählige Feinde geschaffen.

Freude: Ich werde mich aber rächen.

Vernunft: Damit wirst du dir mehr schaden als dem Feind. Ihm schadest du vielleicht an Körper und Vermögen, aber dir an Seele und Ehrlichkeit.

Freude: Ich werde mich rächen.

Vernunft: Wie oft wurde schon durch Rachedurst das Unrecht verdoppelt! Oft war es die einzige Rettung eines Beleidigten, seinen Zorn zu verbergen. Und oft brachte es ihm schon große Gefahr, seine Beschwerde mit einem stummen Kopfschütteln zu verraten.

Freude: Ich kann aber meinen Feind zugrunde richten.

Vernunft: Es ist wohl besser, einen Freund zu gewinnen, als einen Feind zu beseitigen, aber das Vorzüglichste ist beides zugleich, und das erreicht man nicht besser als durch Nachsicht, obwohl man fähig wäre, sich zu rächen. So ist doch die Sanftmut das geeignetste Mittel, um alle Feinde zu beseitigen. Hätte der weise alte Herennius daran geglaubt, dann hätte sich das gerade siegreiche Heer der Samniten nicht dem römischen Joch beugen müssen, und ihr Feldherr Pontius wäre der Axt des Henkers entkommen.

Freude: Ich fühle aber den Stachel der Rache in mir.

Vernunft: Dann widerstehe ihm mit heilsamen Gedanken und allen Beispielen, die dein Herz sanfter stimmen können, vor allem aber dadurch, daß du daran denkst, wie kurz und ungewiß das Leben ist! Diese Mahnung Senecas, der ich zustimme, scheint mir das wirksamste Mittel zu sein, um den Zorn zu besänftigen. Ihm tritt der von mir schon erwähnte geistige Lehrmeister zur Seite, denn was sonst meinte er mit den Worten: „Denke an das Ende von allem und laß ab von der Feindschaft!“ So ist es: Nichts nährt Feindschaften mehr, als den eigenen Zustand zu vergessen. Zweifellos ist der, dessen Tod du beschließt, dem Tod geweiht und wird bald, vielleicht schon heute sterben. Doch könntest du, ohne daran zu denken, ihm im Tod noch vorangehen. So warte nur eine kleine Weile: Die Zukunft bringt, was du wünschst und was du fürchtest. Darüber hinaus ist dem Feind der Tod, den du ihm wünschst, auch ohne deine Bösartigkeit schon vorbereitet. Was nützt es also, den schnellen Lauf des Schicksals noch zu beschleunigen und deine todgeweihten Hände mit dem Blut eines Todgeweihten zu beflecken? Es ist nicht nur bösartig, sondern auch überflüssig, durch deine Gottlosigkeit die eilig nahende Zeit herbeizuholen, die du selber durch deine Frömmigkeit so gern abwehren oder aufschieben möchtest und doch nicht kannst. Bedenke, wieviel ruhiger und ehrenvoller es wäre, wenn dein Feind heil und unverletzt bliebe, und du unbefleckt und unschuldig, anstatt beide blutbefleckt zu sein und in Bosheit von dieser Erde zu scheiden!

Freude: Mich quälen aber die Stiche der rachsüchtigen Begierde.

Vernunft: Sieh dich vor, daß du ihnen nicht nachgibst! Begegne diesen Stichen mit der Erinnerung an jene, die nicht nur nachsichtig mit ihren Feinden, sondern auch freundlich und großzügig waren. Und dagegen stelle dir jene vor Augen, die ihre Feinde in Stücke hackten und, immer noch vor Wut lodernd, sogar die empfindungslosen Leichen schändeten. Entscheide dann, wie du lieber sein möchtest. Bedenke nicht nur ihre Taten, sondern auch ihre Worte, denn Grausamkeit besteht zuerst aus Worten. Grausam ist der Fuß, grausamer die Hand, doch am grausamsten die Zunge. Oft übertraf die Zunge den Zorn des Geistes, dem die Hand nicht gewachsen war. Doch die Zunge ist nicht nur der beste Indikator für Grausamkeit, sondern auch für Mäßigung. Deshalb leihe deine Ohren den Worten Hadrians, die ich kürzlich erwähnt habe (als er Kaiser wurde, sagte er zu einem Mann, den er als Todfeind betrachtete: „Nun bist du mir entkommen.“), aber auch die von Tiberius, der angeblich zornig wurde, als er erfuhr, daß sich eines seiner Opfer namens Carnulius das Leben genommen hatte, so daß er ausrief: „Carnulius ist mir entkommen!“ Oh welch brutales Wort, das, wenn man so sagen darf, noch brutaler ist als sein Sprecher! Welche Marter der Hinrichtung erwartete er wohl von seinem Feind, als er sich im Gefängnis eigenhändig umbrachte? Wie du siehst, haben also zwei Kaiser von unterschiedlichem Charakter das gleiche Wort so ganz verschieden gebraucht. Hadrian sagte zu dem Feind, der lebendig war: „Du bist mir entkommen.“ Und Tiberius sagt zu dem, der tot war: „Du bist mir entkommen.“ Der eine schenkte seinem Feind das Leben, der andere mißgönnte ihm den Tod. Nun wähle, welchen Ausspruch man dir lieber zuschreiben soll: Die sanften Worte eines wahren Fürsten oder die eines unmenschlichen Henkers? Ich weiß sehr wohl, daß die Aufforderung hierzu leichter ist als die Tat, und sehe schon, was man alledem entgegenhalten könnte: Schwerer falle es, bei selbsterlittenem Unrecht milde zu sein, als wenn es anderen geschieht. Das Schwerere ist es, das gebe ich zu, aber es ist das Gute. Und daß alle Tugend mit dem Guten und zugleich Schweren zu tun hat, dürftest wohl auch du nicht bestreiten. Doch den wahren Liebhabern der Tugend fällt auch das Schwere leicht.

Freude: Bei mir steht fest: Ich räche mich.

Vernunft: Dann siegt der schlechtere Teil. Widerstehe ihm, solange du kannst, entreiße ihm den Sieg, bevor er ihn ausnutzen kann, und richte die niedergestreckte Sanftmut wieder auf! Gedenke, daß du ein Mensch bist! Viele hat es gereut, Rache geübt zu haben, aber Barmherzigkeit noch keinen.

Freude: Ich habe Rache geübt!

Vernunft: Du hast es vorgezogen, von einem Feind besiegt zu werden. Und der Feind, der den Sieger besiegt hat, ist der Zorn.

Petrarcameister - Vom Rachenehmen

Rudolf Schottlaender schreibt: Schon Petrarca selbst macht die Einschränkung, daß „nicht einmal allen Tieren, sondern nur den besonders bissigen und wilden“ die „Rache süß“ erscheine. Im Bild fungiert links der edle Löwe, der den wehrlos am Boden liegenden Menschen verschont, während der Ritter, dessen Burg links oben im Hintergrund zu sehen ist, den um Gnade flehenden Bürgersmann, den er am Genick gepackt hat, sogleich erstechen wird.

Aus geistiger Sicht können wir wieder das Ego auf dem stolzen Roß sehen, das sich von solchen Rachegelüsten und -taten ernährt, anstatt die Zügel zu ergreifen. Während sich ein wildes Tier nur wehrt, wenn es körperlich angegriffen und verletzt wurde, ist dieses Ichbewußtsein in seiner Illusionsblase viel verletzlicher und schlägt auch bei kleinsten geistigen Angriffen unbarmherzig zurück, um sein illusionäres „Selbstwertgefühl“ zu erhalten. Das Ganze geschieht hier am lebendig-blühenden Ufer eines großen Sees bzw. dem Meer der Ursachen, aus dem ein Berg mit der materiellen Burg ragt, die sich das Ichbewußtsein in dieser Welt der Körperlichkeit errichtet hat. Dahinter findet man noch viele weitere große Berge, auf denen dann andere ihre Burgen errichten.

Meister Eckhart schreibt: Die Neigung zur Sünde ist nicht Sünde, aber sündigen wollen, das ist Sünde, zürnen wollen, das ist Sünde. (Reden der Unterweisung IX)

1.102. Von der Hoffnung auf Sieg

Freude: Ich hoffe auf den Sieg im Krieg.

Vernunft: Hoffnung ist jederzeit trügerisch, aber am allermeisten im Krieg, wo nichts mit Vorauswissen getan wird und alles überraschend kommt. Es war wohl ein Mann, der sich tiefgründig mit Kriegsdingen auskannte, der gesagt hat: „Nirgends weniger als im Krieg entsprechen die Ergebnisse den Hoffnungen der Menschen.“

Freude: Ich hoffe auf den Sieg.

Vernunft: Mehr Nutzen hättest du vom Frieden! Derselbe Heerführer soll auch gesagt haben: „Besser und sicherer ist ein gewisser Frieden als ein erhoffter Sieg.“

Freude: Ich werde im Krieg siegreich sein.

Vernunft: Und was ist, wenn du besiegt wirst? Diese Hoffnung auf den Sieg hat schon viele ins Verderben gestürzt. Ohne diese trügerische Hoffnung auf Sieg würde wohl niemand freiwillig in die Schlacht ziehen.

Freude: Ich werde als Sieger aus dem Krieg zurückkehren.

Vernunft: Du sprichst von der Zukunft, weil sich alle Hoffnungen auf die Zukunft richten. Aber kommende Dinge sind immer zweifelhaft.

Freude: Ich werde aber als Sieger aus dem Krieg zurückkehren.

Vernunft: Oh Dummheit menschlicher Hoffnung! Vielleicht wirst du weder als Sieger noch als Besiegter zurückkehren. Du versprichst dir, zurückzukehren und dir deinen Weg durch die Schwerter zu bahnen, nachdem du blind den Trompeten des grimmigen Kampfes gefolgt bist.

Freude: Ich hoffe wirklich, Sieger zu sein.

Vernunft: Aber ein anderer erhofft das Gegenteil! Einer von beiden muß sich irren, oder auch alle beide. Es kommt wirklich oft vor, daß die Führer beider Parteien ihren erlittenen Wunden unterliegen. Erinnern wir uns nur an den letzten Krieg zwischen den bösartigen Brüdern in Theben, und auch den ersten, der nach der Vertreibung der Könige in Rom stattgefunden haben soll, als Brutus, der Konsul, den Sohn des Königs Superbus bis in die Höllenregionen verfolgte. Wenn du das Leben verlierst, gibt es keinen Sieg. Und wenn das Leben erhalten bleibt, war der Kampf oft unentschieden. In beiden Fällen wurde den Gegnern die Hoffnung auf den Sieg genommen. Daß zumindest einer auf diese Weise benachteiligt wird, ist sicher, sobald du in den Kampf ziehst. Woher weißt du, daß du nicht derjenige sein wirst, der um den Sieg gebracht wird, den du zu gewinnen glaubst?

Freude: Ich werde den Krieg gewinnen.

Vernunft: Wie der Sieg immer auf der Kippe steht, so ist er auch traurig und blutig. Das ist der Preis, den du bezahlen mußt, um etwas zu gewinnen, indem du das Leben gefährdest. Was dein Blut kostet, ist teuer erkauft, und noch teurer, was dein Leben kosten kann. Sogar eine siegreiche Armee kann ihren Führer verlieren, und du kannst sterben, obwohl deine Soldaten siegreich waren. Und was soll ich über die Verbrechen des Sieges sagen? Das Elend der Besiegten ist geringer als die Sünden der Sieger. Und wenn nichts elender ist als die Sünde, dann ist der Besiegte nicht elender als der Sieger, dessen Schaden viel größer ist.

Freude: Ich werde aber gewinnen.

Vernunft: Kurz gesagt, es bleibt zweifelhaft, ob du gewinnen wirst oder nicht, und auch ob es besser war, zu gewinnen, falls du wirklich etwas gewonnen hast.

Petrarcameister - Von der Hoffnung auf Sieg

Rudolf Schottlaender schreibt zu diesem Bild: Dargestellt sind die Beispiele für unentschiedenes Ende durch Wechselmord, die Petrarca aus der Antike anführt. Polyneikes, hinten links, ist, von der Lanze seines Bruders getroffen, bereits niedergesunken. Sogleich aber wird auch Eteokles, rechts, den der Lanzenwurf des Polyneikes ebenso ins Herz getroffen hat, vom Pferd stürzen. Vorn stehen, enger zusammengerückt, die römischen Todfeinde einander gegenüber. Hier sind die Positionen vertauscht: während rechts der junge Tarquinius dem Tode schon näher ist, wird links den alten Brutus das bittere Ende Sekunden später ereilen.

Aus geistiger Sicht sieht man, wie paradox das Ichbewußtsein ist. Es will sein Leben vom Tod anderer ernähren. Doch man sieht hier deutlich, daß es auch selbst stirbt, wenn es andere tötet. Und das geht auch gar nicht anders, weil es in Wahrheit nur ein ganzheitliches Bewußtsein gibt, daß sich durch die Illusion von „Ich“ und „Andere“ im Spiel der Gegensätze abzutrennen versucht und wie eine im Licht schillernde Seifenblase für sich selber leben will, während die Blasen ringsherum zerplatzen.

1.103. Vom Sieg

Freude: Ich habe doch gesiegt.

Vernunft: Dann hüte dich davor, nicht von Zorn, Stolz, Grausamkeit, Wahnsinn und Wut überwältigt zu werden. Dies sind die Gefährten des Sieges und die unsichtbaren, schrecklichen Feinde der Sieger, durch deren Hände schon viele Sieger eine schändliche Niederlage erlitten haben. Bis jetzt hat dich die Schicksalsgöttin Fortuna noch nicht gebeten, Rechenschaft über eine lange und komplizierte Reihe von Geschehnissen abzulegen. Und auch jetzt treibst du noch viele Geschäfte mit ihr. Doch sie ist eine mächtige und unnachgiebige Gläubigerin, die es gewohnt ist, ihre Kredite mit hohen Zinsen einzutreiben.

Freude: Ich habe einen großen Sieg errungen.

Vernunft: Der Sieger in einer Schlacht ist oft der Besiegte im Krieg.

Freude: Ich habe aber gesiegt.

Vernunft: Wie oft haben die Karthager gesiegt, wie oft die Gallier und andere Völker! Wie oft wurden dagegen die Römer besiegt! Hinschauen aber muß man auf die Ergebnisse der Dinge, besonders solcher, die sich bewegen und nicht stehenbleiben.

Freude: Jedenfalls habe ich gesiegt.

Vernunft: Wenn auch die Beendigung des Krieges sicher ist, so bleibt doch das Ergebnis zweifelhaft: Wenn das Glück aus solchem Leiden kommt, dann kommt auch das Leiden aus solchem Glück.

Freude: Ich habe einen großen Sieg errungen.

Vernunft: Nichts ist so groß, daß man sich nicht doch darüber beklagen könnte. könnte. Oft zählt der siegreiche Feind insgesamt mehr an Toten und Verwundeten. Wenn du es nicht glaubst, frage Xerxes und die Thermopylen!

Freude: Das Los eines großen Sieges war mir beschieden.

Vernunft: Ein großer Sieg ist selten mit kleinen Kosten verbunden. Der größte Historiker sagte über den größten Krieg, der je geführt wurde: „So wechselhaft waren die Geschicke des Krieges und sein Ausgang so ungewiß, daß diejenigen, die letztendlich siegten, dem Untergang am nächsten waren.“

Freude: Ich habe klar gesiegt.

Vernunft: Es gibt keinen klaren Sieg, solange ein bewaffneter Feind überlebt. Und wenn du ihn unterwirfst, werden sich andere erheben, und es wird bestimmte Siege geben, die sozusagen von der Saat des Krieges gesät werden. Mit dem Schwert niedergeschlagene Feindschaften wachsen schnell nach. Krieger werden wiederbelebt und schließen sich wieder den Kampflinien an. Nicht nur, wie es Cassius in seiner Einbildung am Tage seines Todes widerfahren war, daß ihm seine ermordeten Feinde so schrecklich erschienen, daß es diesen tapferen Krieger, der den Feind zu Lebzeiten nie fürchtete, in die Flucht trieb. Sondern wirkliche Krieger mit echten Waffen in den Händen, die den Platz jener einnehmen, die man schon besiegt glaubte.

Freude: Ich habe gesiegt, und nun bin ich vor dem Feind sicher.

Vernunft: Du Narr! Solange es andere Menschen gibt, wird es auch Feinde geben. Du hast gelesen, daß es Rom nach unzähligen Triumphen in der Eroberung der Welt trotzdem nicht an Feinden mangelte. Dennoch hoffst du, daß du jetzt ohne einen Feind sein wirst?! Wenn du friedlich wärst, hättest du vielleicht keinen Feind, aber niemals, wenn du den Krieg suchst.

Freude: Ich bin der Sieger.

Vernunft: Gib acht, daß du nicht getäuscht wirst. Der Sieg ist nur für diejenigen nützlich, die ihn zu nutzen wissen. Verwende ihn also nicht so, wie Maharbal es Hannibal empfohlen hatte, sondern wie Hanno, der der bessere Mann war, der Republik geraten hat: „Frieden ist der wahre Nutzen und Ertrag des Sieges, und das sollte der Zweck von jedem geführten Kampf sein.“

Freude: Der Sieg ist mein.

Vernunft: Wer weiß, ob er dir nicht bloß zugefallen ist, um dir wieder zu entfliegen?!

Petrarcameister - Vom Sieg

Walther Scheidig schreibt zu diesem Bild: „Ich habe doch gesiegt“ triumphiert die Freude in diesem Kapitel, das eine direkte Fortsetzung des vorangehenden bildet. Inmitten von Erschlagenen steht gepanzert der Sieger und schickt den fliehenden Feinden Hohnworte nach. Seine Gestalt ist insofern befremdlich, als er ausgesprochene Reiterpanzerung trägt und doch kein Roß hat. In der zeichnerischen Darstellung ist das Halten des Schwertes mit der rechten Hand recht wenig überzeugend, während andererseits die Gestalten der Erschlagenen mit ihren jähen Verkürzungen vorzüglich gezeichnet sind und gar nichts vom Modellhaften haben.

Aus geistiger Sicht sieht man das gepanzerte Ego nicht auf seinem hohen Roß sitzen, sondern im Wahn des Krieges und Todes versunken. Und doch muß es den Feinden hinterhersehen, weil es als Ichbewußtsein niemals die Macht hat, alle Feinde zu besiegen. Vielleicht meint der Künstler auch, wie wenig wir das geistige und weltliche Schwert wirklich im Griff haben, um den großen Sieg zu gewinnen, denn solange der Eigennutz auf Kosten anderer gesucht wird, bleibt jeder Sieg zweifelhaft. Man sieht auch gut, wie im Hintergrund all die Tore zu den Wohnhäusern geschlossen sind, in denen sich das Ichbewußtsein gern einschließt und von anderen abtrennt.

1.104. Vom Tod des Feindes

Freude: Ich freue mich über den Tod meines Feindes.

Vernunft: Sich über den Tod eines Feindes oder überhaupt über den Tod eines Menschen zu freuen, ist vielleicht einem Unsterblichen erlaubt, falls es einen solchen gibt. Aber auf den Tod eines anderen zu hoffen, der dir auch passieren könnte, noch bevor er ihm passiert, oder dich darüber zu freuen, daß der Tod deinen Feind erreicht hat, der auch dich treffen muß, ist nur dumme Hoffnung und vergebliche Freude.

Freude: Ich freue mich aber über den Tod meines Feindes.

Vernunft: Bald wird sich jemand anderes über dich freuen.

Freude: Ich freue mich, daß mein Feind tot ist.

Vernunft: Wenn du deinen eigentlichen Zustand erkennen könntest, würde sich kein Mensch jemals über den Tod eines anderen freuen. Hast du jemals zwei Männer gesehen, die zur Hinrichtung geführt werden und sich dabei über den Tod des anderen freuen? Sie wissen doch genau, daß sie die gleiche Art des Todes erwarten, und freuen sich nicht, weil sie ihren eigenen Tod im Tod des anderen erkennen.

Freude: Der Tod meines Feindes bereitet mir aber Freude.

Vernunft: Was meinst du, wie oft schon der ersehnte Tod eines Mannes dazu gedient hat, denjenigen auszulöschen, der darum gebetet hat? Und wie vielen wurde dann bewußt, daß dessen Tod vergeblich war und wünschten sich sein Leben zurück, nachdem sie erkannten, daß sie sich ihre eigene Vernichtung gewünscht hatten? Denn die Leidenschaften der Menschen sind so extrem: Was immer du willst, das willst du unbedingt, und das soll auch Cäsar über Brutus gesagt haben. Du willst immer zu viel, und dein brennendes Verlangen läßt dich nicht warten. Was auch immer du willst, du willst es hier und jetzt, was nicht nur böse Wünsche verursacht, sondern auch Vergiftung, Mord und was immer der Mensch gegen andere Menschen plant - eine Kreatur, die seiner eigenen Art gegenüber äußerst bösartig ist. So wünschst du dir viele Dinge, die du fürchten würdest, wenn die Vernunft deine Gedanken beherrschen könnte. Die Vielfalt deiner Wünsche ist ein Zeichen deines schlechten Urteilsvermögens. Und die Intuition, das Richtige zu tun, kehrt erst zurück, wenn deine unheilsamen Leidenschaften durch unglückliche Erfahrungen bestraft werden.

Freude: Ich freue mich, daß mein Feind tot ist.

Vernunft: Wenn dein Feind unbedeutend war, ist es eine Schande, sich über seinen Tod zu freuen, und auch überflüssig, ihn zu beklagen. Wenn er edel war, ist es richtig und anständig, Mitgefühl zu haben, nicht nur für den Menschen, sondern vor allem für seine Tugend, die jeden Tag weniger Wohnstätten findet. So beklagte Metellus Macedonicus den Tod des jüngeren Scipio, Cäsar den des Pompeius und Alexander den des Darius.

Freude: Ich freue mich wirklich über den Tod meines Feindes.

Vernunft: Wie kannst du dich über den Tod eines Menschen freuen, den du lieben solltest, nicht als Feind, sondern als deinen Mitmenschen, der vom selben Schöpfer erschaffen wurde, der auch dich erschaffen hat?

Freude: Ich freue mich aber, daß mein Feind tot ist.

Vernunft: Du scheinst den allgemein bekannten Rat des Weisen nicht gehört zu haben oder ihn zu verachten: „Freue dich nicht über den Tod deines Feindes, denn du weißt, daß wir alle sterben müssen, und keiner will, daß jemand sich über seinen Tod freut.“ Was als Ratschlag und als Lebensregel sehr vernünftig ist.

Petrarcameister - Vom Tod des Feindes

Die Ausdeutung der Zeichnung des Petrarca-Meisters bereitet Schwierigkeiten. Als Stutzer, mit einem Kranz geschmückt, steht der in der Mitte, der sich des Todes seiner Feinde freut. Mit Trommler und Pfeifer hinter sich scheint er fröhlich Umzug zu halten. Er weist nach rechts auf einen toten Feind, der von der Hand eines Mörders gefallen ist. Mit düsterem Gesicht, eng in seinen Mantel gehüllt, steht der Mörder rechts von der Gruppe. Nach links deutet der Triumphierende in ein Sterbezimmer, wo ein alter Mann stirbt, wohlversehen mit der geistlichen Wegzehrung. Seine Seele entflieht, vom Teufel unangefochten, dem Körper. Der Petrarca-Meister hat einen Gegensatz in den beiden Todesarten gesucht: rechts der jähe Mord, links das wohlvorbereitete Sterben. Diese Gegensätzlichkeit ist aber nichtssagend in bezug auf die These dieses Kapitels. Höchstens könnte ausgedrückt sein, daß die Freude über einen jeden Tod, sei's Mord, sei's seliges Sterben, des Menschen unwürdig ist. In ihrem dramatischen Aufbau ist die Zeichnung ein Meisterwerk. So eine Gestalt wie den finster blickenden Mörder wird man außerhalb des Schaffens des Petrarca-Meisters in seiner Zeit nicht wieder finden.

Soweit beschreibt Walther Scheidig das Bild. Aus geistiger Sicht können wir das aufgeputzte stolze Ego sehen, daß mit seiner Trommel über den Tod seines Feindes jubiliert, und dahinter den Verstand mit dem Flötenspiel der Gedanken. Rechts am Rand der haßerfüllte Zorn, der den Tod wünscht. Und in der Mitte könnte die Vernunft mit dem Siegerkranz und Tränen des Mitgefühls in den Augen erwachen. So könnte angesichts der allgemeinen Vergänglichkeit in dieser Welt das höhere und ganzheitliche Bewußtsein dämmern, um die Lösung der weltlichen Probleme nicht im Tod, sondern im Leben zu suchen. Und das sogar im ewigen Leben, in Anbetracht der ewigen Seele, die aus dem alten Mann aufsteigt.

1.105. Von der Hoffnung auf Frieden

Freude: Ich erhoffe mir Frieden.

Vernunft: Es wäre besser, den Frieden zu bewahren, als darauf zu hoffen. Nur Dummköpfe verachten das, was da ist, um sich zweifelhaften Hoffnungen hinzugeben.

Freude: Ich erhoffe mir aber den Frieden.

Vernunft: Hättest du ihn nur inniger bewahrt und ihn gar nicht erst gehenlassen, statt ihn nun zu erhoffen! Vielleicht hat dich auch nur deine Ungeduld zu dieser Hoffnung geführt, weil du dessen überdrüssig wurdest, was du mit Freude hättest genießen können?

Freude: Ja, ich erhoffe den Frieden.

Vernunft: Diese Hoffnung auf Frieden hat schon viele ruiniert, und eine unerwartete Katastrophe hat den erhofften Frieden vertrieben. Davon wurden sie getroffen, weil sie unvorsichtig träumten. Wären sie wach gewesen, hätten sie nicht verletzt werden können.

Freude: Ich hoffe trotzdem auf Frieden.

Vernunft: Warum hoffst du so lange darauf, etwas zu erreichen, was doch in deiner Hand liegt? Wer wirklich bereit ist, aufrichtig nach Frieden zu suchen, wird diesen auch finden. Aber für jene, denen „Frieden“ nur ein süßer Name ist, entpuppt er sich oft als bittere Pille. Solche Friedenssucher stehen dem Frieden im Weg. Denn unter euch Menschen gibt es vier große Hindernisse für den Frieden: Gier, Neid, Zorn und Stolz. Schicke diese ins ewige Exil, und ewiger Friede wird sein!

Freude: An meiner Hoffnung auf Frieden ist kein Zweifel.

Vernunft: Zwischen Friedenshoffnung und Frieden kann vieles Geschehen. Ein unbedachtes Wort oder eine leichtfertige Geste hat schon oft den Frieden gestört, ja, die Friedensverträge und Friedensversprechen selber wurden oft mit Waffen gebrochen, und die Hoffnung auf Frieden hat die Gemüter erregt und den Krieg verschärft. So wird angestrebte Freundschaft ohne Wahrhaftigkeit sozusagen zum Wetzstein für den Haß.

Freude: Wir reden über Frieden, und es wird Frieden geben.

Vernunft: Über den Frieden wird oft vergeblich geredet. Und manchmal sind solche Gespräche über den Frieden sogar gefährlich, wie es den Führern der Gallier und der Punier geschah, so daß über die Gallier Camillus und über die Punier Scipio mit Gewalt herrschte.

Freude: Nach dem Kriegsende wird der Frieden hergestellt.

Vernunft: Wieviel nützlicher wäre es gewesen, wenn vor Kriegsbeginn der Frieden gesichert worden wäre! Wieviel Elend und Tod hätten durch einen rechtzeitigen Frieden verhindert werden können! Aber ihr werdet, wie widerspenstige und ungezogene Kinder, nicht ohne Prügel lernen: Im Frieden strebt ihr nach Krieg, im Krieg nach Frieden, und ihr fangt nicht einmal an, den Frieden kennen und lieben zu lernen, wenn ihr nicht vom Krieg bedrängt werdet. Du beklagst die Tatsache, daß der Frieden weg ist, aber du verachtest ihn ebenso leichtfertig, wenn er zurückkehrt. So mußt du ihn immer wieder verlieren, bis du schließlich lernst, seinen Segen nicht gering zu schätzen, dich nicht nach Problemen zu sehnen und dann nicht mehr so töricht und wütend zu handeln, was eine Schande ist, die sich immerzu wiederholt. Deshalb muß es einem sehr oft gesagt werden, und das heißt: Man muß schon sehr oft ordentlich verprügelt werden, um überhaupt etwas zu lernen.

Freude: Auf den Krieg wird der Frieden folgen.

Vernunft: Es wäre besser gewesen, wenn Frieden vorhergegangen wäre und den Weg zum Krieg verhindert hätte. Nichts ist absurder, als sich freiwillig dem Unheil auszusetzen, weil es Hoffnung auf Heilung gibt. Medikamente sind doch als Hilfsmittel für Krankheiten geschaffen, nicht als deren Ursache. Für einen Kranken ist es natürlich, sich Gesundheit zu wünschen. Wenn sich aber ein Gesunder eine Krankheit wünscht, weil es dann die Hoffnung auf Gesundung gibt, dann ist das Wahnsinn.

Freude: Es wird Frieden geben.

Vernunft: Frieden hat die seltsame Angewohnheit, schreckliche Veränderungen in den Städten zu bewirken. Frieden an sich ist das Beste, aber er ist umgeben von der schlimmsten Art von Gefährten, ungerechten Gesetzen, ausschweifenden Manieren, heimlichem Haß und offener Tyrannei. Denke daran, was der Weise einst im Bürgerkrieg vorhersagte, und er hatte sich nicht geirrt: „Es ist zwecklos, zum Himmel zu beten, daß der Krieg enden möge: Wenn der Frieden kommt, wird auch ein Tyrann mitkommen.“ Daher wird von tapferen Männern die Freiheit des Kampfes einer Tyrannei des Friedens vorgezogen.

Freude: Ich habe jetzt Frieden.

Vernunft: Und doch bleibt es ein Krieg.

Petrarcameister - Von der Hoffnung auf Frieden

Rudolf Schottlaender schreibt zu diesem Bild: Der Palmenzweig, das Symbol des Friedens, wird von dem von links herantretenden Ritter aus der Baumkrone gebrochen. Der Baumstamm, genau in der Mitte, dient dem wie mühsam gezähmt erscheinenden, prächtig geschmückten edlen Roß als Halt. Im Hintergrund Gebäude, die gleichsam für die nach Frieden sich sehnenden Bewohner stehen.

Aus geistiger Sicht können wir sehen, wie das gepanzerte Ego das Visier öffnet und von seinem stolzen Roß absteigt. Auf diesem Tierwesen ist das Ichbewußtsein lange Zeit gegen andere geritten und nun soll es unter dem Baum des Friedens überwunden werden, so daß es nicht mehr für Kriegszwecke gebraucht wird. Ähnlich sollte sich auch der Reiter „abrüsten“, wenn es um wahren Frieden geht. Denn die Gefahr besteht natürlich immer darin, daß sich das Ego zum tyrannischen Friedensbeschützer aufspielt, so daß es doch nur darum geht, den Eigennutz zu beschützen. Dazu sagt das Sprichwort: „Wer glaubt, daß die Pharmaindustrie für die Gesundheit arbeitet, der glaubt auch, daß die Rüstungsindustrie für den Frieden arbeitet.“ Daran glauben heutzutage viele Menschen. Und man muß schon genau hinschauen, welche Motivation hinter dem Wunsch nach Heilung und Frieden steckt. Der Egoismus wird weder das eine noch das andere lange bewahren können. Und um diese egoistische Art von Freude geht es auch hier im Text von Petrarca.

1.106. Von Frieden und Waffenstillstand

Freude: Ich habe Frieden.

Vernunft: Ein großer Segen, wenn er echt und dauerhaft ist. Doch in Wirklichkeit ist er keines von beiden. Es ist nicht ungewöhnlich, sondern alltäglich, daß sich der Krieg unter dem Deckmantel des Friedens versteckt, und daß der Frieden, so echt er auch erscheint, Tag für Tag unter der Unbeständigkeit menschlicher Gedanken leidet, die sich ebenso eifrig bekriegen wie Feinde.

Freude: Der Frieden ist gewonnen.

Vernunft: Aber verloren ist der Kampf um Vorsicht und Zügelung, der zuverlässige Schutz der Städte. Dafür wurden Trägheit und gefährliche Sorglosigkeit gewonnen. In vielerlei Hinsicht ist der Frieden dem Krieg vorzuziehen. Aber in diesem Fall hat der Krieg seine Vorzüge, weil er die Menschen vorsichtiger und bewußter macht. Die römische Stärke hätte wohl niemals nachgelassen, wenn der punische Krieg fortgesetzt worden wäre. Doch der punische Frieden war der Ruin der Stadt Rom, eine bleibende Lehre für alle Städte, daß der (unvorsichtige) Frieden nicht immer das Beste für Nationen und Reiche ist. Was der Beste aller Männer, Scipio Nasica, hoch und heilig versichert hat, daß dies zu Recht behauptet wurde. Und alle Gelehrten werden zugeben, daß er die Wahrheit gesagt hat.

Freude: Ich habe Frieden.

Vernunft: Dann gebrauche ihn maßvoll! Ein stolzer und sorgloser Frieden ist tödlicher als ein (achtsamer) Krieg. Manch ein Soldat war sicher inmitten von Schwertern. Aber sobald er im Frieden ein Bürger wurde, fiel er unter Waffengewalt und versäumte den Kampf. Und was soll ich über den moralischen Verfall und die Korruption der Menschlichkeit sagen? Viele, die im Krieg die Besten waren, wurden im Frieden die Schlechtesten, als hätten sie mit ihrer Rüstung ihre Tapferkeit abgelegt und mit dem Bürgerkleid alle Laster angezogen, die es gibt. So ändert sich die innere Neigung mit der äußeren Kleidung. Obwohl Tausende von Männern als Zeugnis dafür angeführt werden könnten, werden zwei Beispiele mehr als genug sein: Sulla und Marius. Den Ersten kann man in Anbetracht der Geschichtsschreibung weder genug loben noch genug tadeln: Im Gewinnen von Siegen hat er sich dem römischen Volk als ein tapferer Scipio gezeigt, aber im Austoben von Grausamkeit als ein Hannibal. In ähnlicher Weise wurde über den Zweiten geschrieben, daß es schwer zu sagen ist, ob er im Krieg ritterlicher oder im Frieden bösartiger war, wenn man seine Tugenden zusammen mit seinen Lastern betrachtet. Obwohl er sein Land mit Waffengewalt tapfer beschützt hatte, unterminierte er es mit jeder Art von Verrat, sobald er das Gewand eines Bürgers anlegte, und zerschmetterte es schließlich mit Waffengewalt wie einen Feind.

Freude: Ich freue mich aber, daß Frieden über mein Land gekommen ist.

Vernunft: Wenn nun aber dieser Frieden das Beste im Menschen zerstören und das Schlechteste ernähren würde? Bedenke die bekannten Zeilen des satirischen Dichters, die viel über Hannibal sagen und was den Tugendverfall des antiken Roms verursachte: „Wir erleiden jetzt die Katastrophen des langen Friedens. Der Luxus, tödlicher als jeder Feind, hat seine Hand auf uns gelegt und rächt eine eroberte Welt.“ Ich frage dich, gibt es einen wünschenswerten Frieden, so daß er tapferen Männern nicht zuwider wäre, wenn er von Unzucht und Ausschweifung begleitet wird? Für jemanden, der sorgfältig darüber nachdenkt, kann es keinen Frieden geben, auch wenn die äußeren Waffen niedergelegt wurden, solange die Köpfe der Menschen im heimtückischen inneren Krieg von Lastern und Zügellosigkeit beherrscht und moralische Werte verbannt werden, Hurerei regiert und die Tugend am Boden liegt.

Freude: Der Frieden ist fest gesichert.

Vernunft: Und damit fühlen sich auch Begierden und Zügellosigkeit sicher, die nicht weniger gefährlicher sind als die Gefahren des Krieges und nicht nur den Körper, sondern vor allem den Geist angreifen. Daher war die Rüstung für viele glücklicher als das Bürgerkleid, das Feldlager sicherer als das Schlafzimmer, Trompetensignale besser als einschläfernde Musik und Tageslicht heilsamer als das Nachtleben. Es gibt Menschen, die nicht sicherer als im Krieg sind, wie Julius Cäsar über sich und seine Truppen sagte: „Ich bekenne, daß ein Frieden, der keine Laster mit sich bringen würde, die größte Gunst des Himmels und ein unvergleichliches Gut wäre. Aber er kommt selten ohne diese traurige Begleitung.“

Freude: Ich habe aber einen Waffenstillstand geschlossen.

Vernunft: Damit hast du dem Feind Zeit gegeben, um seine Kräfte zu sammeln und dann stärker auf dich einzuschlagen.

Freude: Ich habe den Waffenstillstand.

Vernunft: Ein Waffenstillstand kann sehr tückisch sein. Viel Unheil ist bereits durch solche Tücken geschehen, das durch feindlichen Verrat angerichtet wurde, und auch die Geschichte erzählt von vielen Beispielen, wie Waffenstillstände benutzt wurden, um Kriegslist zu treiben und jene zu besiegen, die im Krieg unbesiegbar waren.

Freude: Ich habe aber einen Waffenstillstand mit dem Feind.

Vernunft: Eine heimtückische Zeit, in der man weder dem Frieden noch dem Krieg vertraut, sondern unbehaglich zwischen beiden schwankt, weil Stolz den Frieden verhindert und Angst den Krieg behindert. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, in der Luft zu hängen oder zu fallen: Es ist ein Zeichen von Müdigkeit, sich Zeit zum Verschnaufen zu erbitten. Aber es bleibt ein Elend und Wahnsinn, weder Frieden noch Krieg ertragen zu können.

Petrarcameister - Von Frieden und Waffenstillstand

Rudolf Schottlaender schreibt zu diesem Bild: Der Friedenstempel im Renaissancestil soll wahrscheinlich an das antike Rom erinnern. Für diese Deutung spricht, daß dem Petrarca-Meister unzweifelhaft durch Vermittlung von Sebastian Brant ein von diesem 1502 herausgegebener illustrierter Vergilband, enthaltend das Lehrgedicht „Vom Landbau“ (Georgica), vorgelegen hat. Vergil spricht (III, 10ff.) von einem Marmortempel, den er in seinem heimatlichen Mantua dem Augustus als dem Friedensfürsten und zugleich sich selbst als dem Dichterfürsten dereinst errichten wird. Auf dem Bild wollen der Krieg, dargestellt als gepanzerter Ritter, jedoch mit gesenktem Schwert, und der Friede, ein bekränzter junger Mann mit einer Fanfare in der Hand, den Tempel öffnen, in der offenkundigen Absicht, den Waffenstillstand zu schließen; die schwergerüsteten Reiter beiderseits im Hintergrund lassen erkennen, daß der Friede noch nicht gesichert ist.

Aus geistiger Sicht können wir das Ego einerseits als Kriegsherr in Rüstung mit dem stolzen Federschmuck und anderseits als Friedensbote mit der Fanfare und dem stolzen Siegerkranz sehen, wie sie den Tempel der Macht bzw. Gottes mit eigener Hand und Kraft öffnen wollen. Denn beide streben natürlich mit eigennützigen Interessen um die Herrschaft. Doch soll es angesichts des Krieges in dieser Welt wirklich eine Einigung zu wahrhaftem Frieden geben, dann müßten sie ihren Stolz mit Siegerkranz, Fanfare und Rüstung ablegen und den Eigenwillen überwinden und die Vernunft siegen lassen, um in den göttlichen bzw. ganzheitlichen Friedenstempel einzugehen, dessen Tore sich dann auch von selbst öffnen.

Meister Eckhart sagt: Denn so viel bist du in Gott, soviel du in Frieden bist, und so viel außer Gott, wie du außer Frieden bist. Ist etwas nur in Gott, so hat es Frieden. So viel in Gott, so viel in Frieden. Wieviel du in Gott bist, wie auch, ob dem nicht so sei, das erkenne daran: ob du Frieden oder Unfrieden hast. Denn wo du Unfrieden hast, darin mußt du notwendig Unfrieden haben, denn Unfriede kommt von der Kreatur und nicht von Gott. Auch ist nichts in Gott, das zu fürchten wäre; alles, was in Gott ist, das ist nur zu lieben. Ebenso ist nichts in ihm, über das zu trauern wäre… (Reden der Unterweisung XXIII)

1.107. Vom Papsttum

Freude: Ich habe das Papsttum erreicht.

Vernunft: In der Regel flieht man vor dem Sturm und sucht einen sicheren Hafen, aber du fliehst vor dem Hafen und suchst freiwillig den Sturm. Du bist ein seltsamer Seemann.

Freude: Ich habe das Papsttum erlangt.

Vernunft: Ist das nicht eine sehr schwere Verantwortung? Erscheint dir die Sorge um eine Seele nicht schwer genug? Jetzt willst du allein die Sorge für alle und all ihre Lasten übernehmen! Du mußt starke Schultern oder einen starken Ehrgeiz haben, der dich ermutigt, ein so gefährliches Risiko einzugehen.

Freude: Ich bin zum Papst aufgestiegen.

Vernunft: Sei vorsichtig auf dem Weg, den du wählst! Es gibt zwei Straßen, die beide immer mühseliger werden, aber eine von ihnen führt auch direkt ins Elend. Welchen Weg du auch gehst, du solltest das Elend oder zumindest den Verlust der Freiheit erkennen. Wenn du also sagst, daß du „aufgestiegen“ bist, bist du in Wirklichkeit abgestiegen und einer von denen, über die der Prophet spricht: „Die mit Schiffen zum Meer hinunterfahren, um auf dem großen Wasser Geschäfte zu machen, sie steigen nicht zum Himmel hinauf, sondern fahren hinab in die Tiefe. Und ihre Seele schmachtet im Sturm und in vielen Gefahren. Sie wurden verwirrt und taumelten wie Betrunkene, und all ihre Weisheit wurde verschlungen.“

Freude: Ich bin aber zum höchsten Thron des Pontifikats aufgestiegen.

Vernunft: Je größer der Ozean, je stärker die Winde und desto gefährlicher der Sturm!

Freude: Ich wurde zum Papst der römischen Kirche ernannt.

Vernunft: So wie Rom größer ist als andere Städte, so wird auch die Last deiner Arbeit größer sein. Manche werden dich lieben, manche werden dich verehren, manche werden dich beschützen und dir beistehen, manche werden Seide vor deinen Füßen ausrollen und deine Schimmel mit Gold anspannen. Manche werden auch Wein und Köstlichkeiten mitbringen und vor dir ausbreiten, eine Art des Dienstes, von dem die alten Päpste nie gehört haben! Und es wird andere geben, die ihre eigenen Pflichten vernachlässigen, ihre Augen auf dich heften, dich eifrig beobachten und dich so gerecht wie einen Gott beurteilen. Das heißt, sie werden deine Taten kritisieren, deine Worte verdrehen, deinen Ruf zerstören, dein Leben zermürben und alles Unrecht, dem sie begegnen, dir zuschreiben, der einzigen Quelle allen Übels. Das Volk wird dich als die einzige Ursache aller Zwietracht und Bosheit nennen, und sie werden fragen: „Wie kann der Leib der Kirche gesund sein, wenn das Haupt krank und schwach ist?“ Ich frage dich: Ist ein goldener Becher, ein Bett aus purpurner Seide oder eine edelsteinbesetzte Mitra den Preis für deinen Frieden und deine Ehre wert?

Freude: Ich bin aber zum Papst gewählt worden.

Vernunft: Drehe es, wie du willst: In einem Amt, das heutzutage so begehrt ist, ist alles eitel oder mühselig, so daß einige hohe Päpste, die von der Trägheit ihres Amtes besiegt wurden, nicht ohne Grund ihren Feinden keine andere Strafe wünschten als dieses fragwürdige Glück. Kurz gesagt, das Papsttum ist, wenn es ordnungsgemäß geführt wird, die größte Ehre, die größte Hingabe, der größte Dienst und die größte Mühe. Aber falsch geführt, ist es die größte Gefahr für die eigene Seele, das größte Übel, das größte Elend, die größte Schande und in jeder Hinsicht ein gefährliches Unternehmen.

Freude: Ich sitze auf dem päpstlichen Thron.

Vernunft: Du wirst nicht lange dort sitzen. Das Leben der Menschen ist kurz, das der Könige kürzer und das der Päpste am kürzesten. Das erdrückende Gewicht verzehrender Sorgen verkürzt die Lebensspanne eines Papstes, der dieses höchste Amt nicht erlangt hätte, wenn er nicht schon besorgt gewesen wäre.

Freude: Ich bin das Oberhaupt der Kirche.

Vernunft: Je höher man steigt, desto tiefer der Fall. Selten steigt man gefahrlos und ohne große Anstrengung wieder hinab. Achte darauf, vorsichtig hinabzusteigen, damit du dich nicht als einer von vielen wiederfindest, von denen es heißt, daß sie hoch gestiegen sind, damit ihr Sturz um so verderblicher wird. Niemand bezweifelt, daß ein Sterblicher schließlich von jedem Gipfel wieder herabsteigen muß. Der Unterschied besteht darin, daß das, was für gerechte und weise Menschen ein allmählicher Abstieg ist, sich für alle anderen als Untergang und Verderben herausstellt. Der karthagische General, der im Sterben gesagt haben soll „Jeder Aufstieg muß im Abstieg enden.“, sprach dies sicherlich nicht zu Unrecht.

Freude: Ich regiere die päpstliche Festung.

Vernunft: Die ersten Päpste strebten nach dem Martyrium. Heute fühlen sie sich zu Vergnügungen berufen und buhlen um das Amt, das fast jeder begehrt. Wer sucht heute ein Bistum wie Rom oder einer anderen Stadt aus anderen Gründen als Macht und Reichtum? Gegen alle Gebote der Gerechtigkeit trachten solche Männer danach, andere zu beherrschen, nicht zu dienen, und was ein Sakrileg und eine unsagbare Schande ist: Große Einkünfte, Vorzugsrechte und Gewinne werden oft mit großen Geschenken erkauft, in der Hoffnung auf eine reichere Priesterschaft. Was für eine schreckliche Perversion der Werte! Früher wurden Männer gezwungen, Verantwortung zu übernehmen, aber dazu haben sie heute keine Freiheit mehr. Denn der Ehrgeiz brennt so heftig, daß keine christliche Bescheidenheit mehr zu sehen ist, sondern die Glut und der Eigensinn der Heiden, die hinsichtlich ihrer verschiedenen Ämter so groß waren, daß bei Julius Cäsar zu lesen ist: Er verfolgte seine Kandidatur für das Amt des Pontifex maximus indem er auf verschwenderischste Art Bestechungsgelder austeilte. Und als er an die ungeheure Verschuldung dachte, die er dadurch angehäuft hatte, soll er seiner Mutter am Morgen der Wahl, als sie ihn küßte, erklärt haben, daß er nur als Pontifex zurückkehren kann. Er irrte sich auch nicht, denn er kehrte als Pontifex zurück. Dies zeigt deutlich, daß er seine Wahl mit großer Aggressivität verfolgte, nicht mit ruhiger, vernünftiger Überzeugung. Er war entschlossen zu siegen, zu sterben oder ins Exil zu gehen, die einzigen Optionen, die jemandem offenstanden, der seit seiner Kindheit das Ziel der Herrschaft verfolgte. Daher hielt er es für eine persönliche Beleidigung, daß die Macht über die ganze Welt jemand anderem als ihm, Cäsar, gehören könnte oder irgendein Teil des Landes von einem anderen mitregiert würde. Ich sehe jedoch nicht ein, warum ein Christ, dessen Aufgabe es ist, seinem Herrn zu dienen und das Joch zu tragen, das Papsttum nicht nur mit verschwenderischster Bestechung, sondern auch mit schändlicher Schmeichelei und Lüge erlangen will, was für Menschen unwürdig ist, aber heute so verbreitet, daß es der einzige Weg nach oben zu sein scheint.

Freude: Ich bin der römische Papst.

Vernunft: Dann wirst du Diener der Diener genannt. Paß nur auf, daß du nicht der Herr der Herren sein willst. Erinnere dich an deine priesterliche Berufung, erinnere dich an deine Pflichten und erinnere dich an deinen Herrn, der auf niemanden mehr zornig ist, als auf seine Priester, die Unrecht tun.

Petrarcameister - Vom Papsttum

Schon Petrarca hält in seiner Betrachtung von 1366 mit der Kritik nicht zurück: „Die ersten Päpste strebten nach dem Martyrium. Heute fühlen sie sich zu Vergnügungen berufen und buhlen um das Amt, das fast jeder begehrt.“ Der Petrarca-Meister gibt unter dem Anschein von Achtung und Ehrfurcht eine sehr respektlose Darstellung des Papsttums. Er zeigt den Papst vom Rücken und zeichnet, wie in dem prunkvollen Gemach zwei Kardinäle die dreifache Krone auf das Haupt des Kirchenvaters senken, während der Weihrauch flammt und schwelt. Im Angesicht des Thrones, aber auf viel tieferer Ebene, stehen ein Fürst und ein Patrizier mit trotzig ineinander verschränkten Armen, absichtlich jede devote Handbewegung vermeidend. Hinter dem Rücken des Papstes aber kniet ein Tonsurierter in pontifikaler Kleidung, der zum Stuhl des Papstes aufblickt und dabei die Schwurfinger hebt. Als Schwur hinter dem Rücken ist die Darstellung nur als ein Abschwören oder Gegenschwören zu deuten.

Soweit beschreibt Walther Scheidig dieses Bild. Und aus geistiger Sicht lesen wir auch hier im Text von Petrarca, wie sehr sich das Ego freut, wenn es nicht nur die weltliche Herrschaft, sondern sogar die geistige übernehmen kann, die eigentlich der höheren Vernunft des Menschen zusteht. Gleiches läßt sich auch im Bild erkennen, wie das Ego von den Sinnen und vom Verstand in seiner prachtvollen Burg aus dicken Wänden und Säulen zum Papst erhoben und gesegnet wird. Doch hinter seinem Rücken strebt schon der nächste nach diesem Amt. Denn solange das Ego als ein abgetrenntes Ichbewußtsein herrscht, kann es keine ganzheitliche friedliche Herrschaft geben. Entsprechend sieht man auch, wie die weltlichen Herrscher mit Stolz, Neid und Gier auf die äußerliche Pracht und den übertriebenen Protz der Kirche schauen.

1.108. Vom Glücksgefühl

Freude: Ich bin glücklich.

Vernunft: Vielleicht denkst du, daß dich Papsttum, Imperium, Macht und Reichtum prinzipiell glücklich machen können. Aber darin irrst du dich. Sie machen dich nicht glücklich oder unglücklich, aber sie entlarven und offenbaren dein Wesen, und wenn sie etwas bewirken, dann bringen sie eher Elend als Glück, weil sie voller Gefahren sind, die die Wurzel des menschlichen Elends bilden.

Freude: Ich bin glücklich.

Vernunft: Oh Bedauernswerter, der in so vielen Übeln sein Glück erhofft!

Freude: Ich bin glücklich.

Vernunft: Vielleicht nach deiner Meinung, die, weil sie falsch ist, nichts zu deinem Glück, aber viel zu deinem Elend beiträgt, weil die Unwissenheit über das eigene Elend das größte Elend von allen ist.

Freude: Ich bin glücklich.

Vernunft: Der Große Pompeius sagte dies von sich selbst inmitten der Schwerter seiner Henker. Aber wenn du ein wenig tiefer gräbst, wirst du feststellen, daß er in Wahrheit nie glücklich war, nicht einmal, als er in der Blüte seines Lebens stand und äußerst glücklich erschien.

Freude: Ich bin aber glücklich.

Vernunft: Bist du glücklich und im Leben? Ein wirklich ungewöhnlicher Reisender, ein erstaunlicher Läufer, der auf diesem steinigen und schwierigen Wegen glücklich ist, der immer zwischen tausend Gefahren hin- und hereilt, ohne zu wissen wohin. Und du bist glücklich, wo aus meiner Sicht noch niemand wahrhaft glücklich war oder jemals sein wird. Denn welcher Mensch, frage ich dich, ist jemals im Elend wahrhaft glücklich? Daher ist niemand glücklich, bis er aus diesem Tal des Elends herauskommt.

Von allen Sterblichen werden oft nur zwei als wirklich glücklich bezeichnet. Der bekannteste von ihnen war Quintus Caecilius Metellus Macedonicus, der sowohl von den Historikern als auch von der allgemeinen Meinung als glücklich angesehen wird. Das Glücksprädikat trifft jedoch nur im allgemeinen auf ihn zu, weil ich weiß, daß es durch bestimmte Berichte herabgewürdigt wird, die von den schweren Ungerechtigkeiten berichten, die er erlitten hat, deren Ursache in seinem schlechten Charakter gesucht wird. Das falsche Glück eines anderen war dagegen offensichtlicher, denn egal wie glücklich Sulla gewesen sein soll, die Gewalt seines Lebens und Todes beweisen sein Unglück. Auch Alexander der Große und Julius Cäsar hatten tatsächlich viel Glück, aber trotzdem war ihr Leben ständig gestört und turbulent und daher nie ganz glücklich. Sie starben beide eines gewaltsamen Todes, ersterer mitten in seinen Kriegen, letzterer plötzlich nach seinem Sieg, der eine durch Gift, der andere durch das Schwert. So wurde auch der kriegerische Ruhm der beiden Scipios durch das schändliche Exil für den einen und den schändlichen und ungerächten Tod für den anderen gemindert.

Es würde zu lange dauern, die Schicksale aller anderen zu erzählen. Daher schließe ich mit dem zweiten der oben Erwähnten, nämlich Augustus, dem Kaiser, der fast allen als glücklicher Mann erschien, weil er der besten Monarchie vorstand, ununterbrochenen Frieden, ein langes Leben, ein angenehmes Ende und, was noch wichtiger war, mehr als alles andere unerschütterliche Stabilität des Verhaltens und des Geistes genoß. Wer würde leugnen, daß er überaus glücklich war? Doch diejenigen, die all dies genauer studiert haben, bestreiten, daß er glücklich war. Die äußere Pracht seiner Herrschaft wurde durch die inneren Bedingungen seines häuslichen Lebens und Vermögens auf andere Art ausgeglichen: Das Fehlen natürlicher männlicher Nachkommen, der vorzeitige Tod seiner Adoptiv- und Enkelkinder und, schlimmer als der Tod, die Verschwendung um ihn herum, der Verrat abscheulicher Männer, die Intrigen von Mitgliedern seiner eigenen Familie gegen ihn, die Hurerei seiner einzigen Tochter, die er so sehr liebte, und seiner Enkelin, und schließlich ein ungeliebter Erbe, ein Nachfolger, der mehr aus Notwendigkeit als durch Urteil gewählt wurde, unwürdig seiner und des Reiches.

Wenn also keiner von diesen glücklich war, zeige mir einen anderen, der glücklich ist, mit dem du glücklich bist, oder sei selbst ohne einen Zweiten glücklich, oder höre diesen allzu wahren Satz, den ich hier wiederhole: Vor seinem Tod ist kein Mensch glücklich.

Freude: Ich bin im Herzen glücklich.

Vernunft: Ich ahne, von was für einem Glück du sprichst: Entweder bist du glücklich in deiner Illusion, welches Glück, wie gesagt wurde, gleichbedeutend mit Elend ist, oder du bist glücklich wegen der Tugend und der Rechtschaffenheit deines Geistes, die an sich kein vollkommenes Glück, sondern nur ein Weg zum Glück sind. Schließlich, wenn ich diese Dinge abwäge, komme ich nicht umhin, mich zu fragen, von welcher Art des Glücks viele träumen und es anderen versprechen, oft Menschen, die in vielen Dingen sehr scharfsinnig, aber in dieser Hinsicht völlig blind sind. Ob das Glück einen Berg von Ehrungen erfordert, endlos und dauerhaft, und wie viele Dinge einem Menschen in diesem Leben fehlen, kann jeder für sich selbst entscheiden, wobei er auch erkennt, daß selbst die Dinge, die man besitzt, unsicher und zerbrechlich sind. Oder ob, wie andere meinen, die Tugend allein das Glück sichert (und ich bestreite sicherlich nicht, daß diejenigen, die in der Tugend leben, die sie als glücklich definieren, dem Glück am nächsten sind), aber jeder muß dieses mühselige Leben ertragen und ewig gegen die Versuchungen ankämpfen. Der Mensch ist vielen schweren Gefahren ausgesetzt und niemals sicher vor deren Wirkungen bevor er stirbt. Ob sie es nun wissen oder nicht, sie sind alle als gleichermaßen unglücklich anzusehen. Denn es gibt in der Illusion kein wahrhaftes Glück, kein Glück ohne Freiheit von Gefahr.

Freude: Ich betrachte mich aber als glücklich.

Vernunft: Damit hast du die Antwort. Wenn Illusion die Menschen glücklich machen würde, dann wären nur sehr wenige unglücklich. Daher besteht die Möglichkeit, daß dein Glück illusorisch und damit nur von kurzer Dauer ist. Niemand hat sich jemals lange über eine Illusion gefreut. Denn nur die Wahrheit ist von Dauer. Illusion ist schwach und wertlos und löst sich wie Rauch oder Schatten in den Händen derer auf, die danach greifen. Doch früher oder später werden die Schatten aufhören, die falschen Freuden werden ans Licht gebracht, und der wahre Lohn des menschlichen Glücks wird den Träumen ein Ende setzen. Bis dahin versuche, aus den Beispielen zu lernen, die ich dir gerade gegeben habe. Versuche von diesen Männern zu erfahren, wer sich selbst für glücklich hielt, wer von anderen so angesehen wurde, wo sie alle jetzt sind, was ihr Zustand ist und was sie von ihrem kurzlebigen Glück halten. Sie selbst werden schweigen, aber die Wahrheit wird sprechen und bezeugen, daß diejenigen, die (in der Welt) als glücklich galten, die Elendsten von allen waren.

Petrarcameister - Vom Glücksgefühl

Schon Petrarca verwendet den Begriff der Seligkeit nicht im religiösen Sinne des Mittelalters, sondern meint irdische Seligkeit durch Macht und Reichtum. So faßte dann auch Brant die Seligkeit auf und gab dem Petrarca-Meister einen König zu zeichnen, der sich inmitten seiner Schätze seines Glückes rühmt. Der Weise jedoch, der vor ihm steht, deutet nach draußen, wo Kleobis und Biton in äußerster Demut sich vor einen Wagen gespannt haben, um ihre Mutter, die Hera-Priesterin Kydippe, zum Heiligtum der Göttin zu ziehen, als Pferde fehlten. Petrarca bringt dieses Beispiel in seinem Text nicht. Brant hat wieder auf sein „Narrenschiff“ zurückgegriffen, wo im Kapitel „Von Verachtung der Armut“ der reiche König Krösus als Beispiel angeführt wurde. Ihm hatte der weise Solon beschieden, daß niemand vor seinem Ende glücklich sei. Sind somit die beiden Hauptgestalten im Bild gedeutet, dann erklärt sich auch die Szene im Hintergrund. Eben auf Kleobis und Biton hatte Solon den Krösus hingewiesen. Sie hatten durch ihr Liebeswerk Seligkeit erlangt, Seligkeit freilich im Sinne der griechischen Philosophie, denn sie waren als Jünglinge in einen Schlaf versunken, der zu ihrem Tode wurde. Ob die Darstellung von Kleobis und Biron in der Umgestaltung, die ihr der Petrarca-Meister gab, verständlich war, steht dahin. Er selbst hat, wohl um der Angabe gerecht zu werden, daß Kydippe eine Priesterin gewesen sei, zwei Pilger oder Mönche zu ihr in den Wagen gesetzt. Damit hat er die Deutung nur noch erschwert.

Soweit beschreibt Walther Scheidig das Bild. Aus geistiger Sicht sehen wir rechts zunächst den weltlichen König, der sein Glück in persönlich angehäuften Reichtümern und entsprechender Macht sieht und in seiner Schatzkammer steht. Der Weise als höhere Vernunft weist wohl daraufhin, daß wahres Glück bzw. die reine Seligkeit nicht in der Trennung, sondern nur in der Ganzheit jenseits aller Gegensätze zu finden ist. Das Beispiel von Kleobis und Biton zeigt, wie das Brüderpaar durch ihre große körperliche Kraft und ihre selbstlose Hingabe an ihre Mutter durch den Segen der Göttin bzw. Mutter Natur wieder ganzheitlich mit ihrer Mutter, der Kraft der Natur und der Macht der Göttin vereint werden, wie rechts im folgenden Bild zu sehen ist:

Kleobis und Biton

Der Petrarca-Meister geht vermutlich aus christlicher Sicht noch einen Schritt weiter und setzt noch zwei Männer in den Wagen, um auch die väterliche bzw. geistige Dimension anzudeuten, die in dieser Ganzheit zum reinen Glück nicht fehlen sollte. Darin könnten sich auch die beiden Brüder im Spiel der Gegensätze widerspiegeln, denn praktisch ziehen wir uns ja selbst im körperlichen Wagen der Natur, der von unserer Mutter stammt, wie Pilger durch diese Welt. Und wenn dann schließlich von Tod gesprochen wird, dann geht es vor allem um das Sterben des eigenwilligen Ichbewußtseins, das die natürliche Ursache für die illusorische Trennung in Mein und Dein oder Gut und Böse und damit für alles Elend in dieser Welt ist. Ohne dieses Sterben des illusorischen Bewußtseins kann es kein wahres Glück geben.

Wir preisen das Sterben in Gott, auf daß er uns versetze in ein Sein, das besser ist als Leben: ein Sein, in dem unser Leben lebt, darin unser Leben ein Sein wird. Der Mensch soll sich willig in den Tod geben und sterben, auf daß ihm ein besseres Sein zuteil werde… (Meister Eckhart, Predigt 9)

1.109. Von der Hoffnung

Freude: Niemand kann mir die Hoffnung nehmen, egal was passiert.

Vernunft: Niemand kann sie dir nehmen, aber nach und nach schwindet die Hoffnung von selbst und wird von unerwarteten Ereignissen verzehrt.

Freude: Ich hoffe auf viele Dinge.

Vernunft: Daraus folgt, daß du auch viele Dinge fürchten mußt, weil es ohne Furcht keine Hoffnung gibt.

Freude: Ich hoffe auf Gutes.

Vernunft: Deshalb fürchtest du das Böse. Solche Hoffnung ist ein Gegensatz zur Angst und entspringt einer gegensätzlichen Quelle. Wenn du also anfängst, auf etwas zu hoffen, dann mußt du das Gegenteil befürchten.

Freude: Ich hoffe auf glückliche Dinge.

Vernunft: Aber unsichere Dinge, und dafür das Sichere zu vernachlässigen, ist bloßer Wahnsinn. Wer auf das hofft, was er nicht hat, der vergißt, was er hat.

Freude: Warum soll ich nicht auf etwas Besseres hoffen?

Vernunft: Was ist, wenn du auf problematische oder sogar unmögliche Dinge hoffst, die niemals sein können? Was ist, wenn sich dieses Bessere, das du dir vorstellst und erhoffst, als Schlimmeres herausstellt, wenn nicht sogar als das Schlimmste?

Freude: Es ist doch gut, mit Hoffnung zu leben.

Vernunft: Du solltest treffender sagen, mit Hoffnung zu sterben. Wer nur an die Zukunft denkt, für den schwindet das Leben der Gegenwart dahin. Wenn du nur in die Ferne schaust, siehst du nicht, was direkt vor deinen Augen ist, und wer sich darauf konzentriert, morgen zu leben, der lebt heute nicht, weil die erhofften Anfänge noch nicht da sind. Alle Hoffnungen sind Erwartungen eines zukünftig Guten, das gegenwärtig fehlt. Folglich muß der Hoffende unter etwas Schlechtem leiden, diesbezüglich er auf Besserung hofft.

Freude: Aber Hoffnung ist süß.

Vernunft: Das habe ich schon oft gehört, aber ich verstehe das Wesen dieser Süße nicht. Denn wenn die Hoffnung süß ist, dann müßte doch das Fehlende süß sein. Wer das sagt, dem fehlt es zweifellos an Geschmack.

Freude: Hoffnung ist herrlich.

Vernunft: Doch hoffen heißt auf der Lauer liegen, besorgt und gequält zu sein, und somit bedeutet langfristige Hoffnung langfristiges Leiden. Nichts ist ermüdender für den Geist, nichts fördert vorzeitiges Altern mehr. Ein weiser Mann betrachtet seine verlorenen Hoffnungen oft als Segen und freut sich, von endlosen Wünschen und eitlen Erwartungen befreit zu sein und bereit, das Wenige zu genießen, das er hat.

Freude: Möge das Schicksal entscheiden, aber ich genieße es zu hoffen.

Vernunft: Hüte dich davor, daß dir das Erhoffte Kummer bereitet, denn es könnte dir leid tun, es gewünscht, erhofft und hoffnungsvoll verfolgt zu haben. Viele, die von gespannter Erwartung geplagt lebten, wurden ruiniert, als sich ihre Hoffnungen erfüllten. Und viele sind umgekommen, als ihre erklärten Hoffnungen nach langem Warten Erfolg hatten, den sie besser nicht so früh erlebt hätten.

Freude: Niemand kann mir die Hoffnung nehmen!

Vernunft: So kann dir auch niemand deine Trägheit und Mühe nehmen. Du hast doch das alte Sprichwort gehört: „Erwartung bedeutet große Mühe.“

Freude: Gutes zu erwarten ist angenehm.

Vernunft: Aber auch irreführend, zweifelhaft und sorgenvoll. Wer das leugnet, der hat noch nie auf etwas gehofft. Doch die Menge derer, die sich selbst betrügen, ist riesig. Bei allem, was sie tun, nähren sie ihre Hoffnung, ihre Leichtgläubigkeit weist nichts zurück, sie sind leicht zu beeinflussen und zu allem bereit. Ich behaupte, es zeugt von großer Wahnhaftigkeit und Leichtsinn, jede Hoffnung, die sich bietet, anzunehmen und für erreichbar zu halten. Weise und Erfahrene sind damit sehr vorsichtig.

Freude: Inzwischen habe ich große Hoffnung.

Vernunft: Du sagst „inzwischen“, was meiner Meinung nach bedeutet, bis deine Hoffnungen dich enttäuscht haben. Denn das ist die Gewohnheit: Du hoffst zwanghaft und gibst die Hoffnung nie auf, bis sie dich verläßt. Bemerkenswerterweise bist du sogar dann immer wieder bereit, sie zu umarmen, wenn sie zurückkehrt. Und wenn sie sich nähert, scheinst du ihre alten Tricks zu vergessen und sie, die mit neuen Tricks bewaffnet ist, in die tiefsten Winkel deines Herzens zurückzuholen.

Freude: Ich werde meine gute Hoffnung bis zum Ende nicht aufgeben.

Vernunft: Was ist, wenn sie dich schon lange vorher aufgegeben hat? Rufst du sie dann zurück? Wirst du ihr nachlaufen? Oder wirst du auf ihre Rückkehr warten? Geh und versuch es, solange dir nichts süßer erscheint, als getäuscht zu werden. Ich versuche nicht, dir deine Hoffnung zu nehmen, an der du so hartnäckig festhältst. Ich erinnere dich lediglich daran, daß dies keine „gute Hoffnung“ ist. Denn eine Hoffnung, die das Gute nur vorgibt, ist nicht gut, sondern nur eine, die wirklich zum Guten führt. Selbst die übelsten Menschen können auf Gutes hoffen und tun es auch. Aber die wahre Hoffnung bezieht sich auf das wahre Gute. Wer diese Hoffnung hat, sollte sie bewahren und bis zum Ende nicht gehenlassen. Er sollte diese Hoffnung mit ihren Schwestern des Glaubens und der Nächstenliebe vereinen. Nur diese Hoffnung ist gesegnet, süß, wahrhaftig und glücklich. Sie täuscht nicht und verwirrt nicht, sondern führt zum Besten und erheitert den Geist dessen, der mit guter Vorahnung hofft. Doch du willst auf das wahre Gute hoffen, ohne es dir zu verdienen, oder suchst das wahre Gute in unheilsamen Dingen, und deshalb verdienst du es, daß deine Aussichten traurig sind, noch bevor sie sich verwirklichen, und trauriger, wenn sie es tun.

Freude: Meine Gedanken sind menschlich, und ich spreche von dem, was die Menschen das Gute nennen.

Vernunft: Über diese Eigenschaft hatten die Gelehrten der Vergangenheit eine große Debatte, die immer noch andauert und in jedem Zeitalter weitergehen wird, wobei einige nur ein einziges Gutes sehen und andere viele gute Dinge.

Freude: Überlassen wir das den Philosophen. Ich hoffe auf die Dinge, die gewöhnliche Menschen gut nennen.

Vernunft: Dann hoffst du auf dein Unglück, das dich entweder durch Verzögerung quält oder mit der Last deiner Wünsche erdrückt. Du hast dich also um das gekümmert, was der Körper braucht, hast dich gegen den Feind gewappnet und dem Joch des Glücks unterworfen, dieser launischen und harten Herrin. Aber viele dieser Dinge können zum Schaden und Ruin deiner Seele beitragen, denn was die Seele bejubelt bringt ihr oft auch Leid.

Freude: Ich habe den Anker der Hoffnung ausgeworfen und werde davon nicht abgehen.

Vernunft: Doch bei aufziehendem Sturm kappen die Seeleute oft den Anker, wenn sie ihn nicht lichten können, fahren ohne ab und lassen ihn zurück, denn in diesem Fall gilt nicht, was der Dichter über einen ruhigen Ozean sagte: „Die Schiffe festgemacht durch die festen Zähne der Anker.“ In den großen Stürmen auf See macht der Anker nämlich nicht fest, sondern behindert das Schiff und verursacht Schiffbruch. Und, bei Jupiter, in den großen Stürmen menschlicher Angelegenheiten ist es nicht anders, wo hartnäckige Hoffnung schon viele ins Verderben gezerrt hat, die sicherlich unversehrt davongekommen wären, wenn sie sich losgerissen und ihre Hoffnung aufgegeben hätten. Oft muß der Anker der Hoffnung gelichtet oder, wenn er steckengeblieben ist, mit Gewalt herausgezogen werden, und wenn das nicht möglich ist, sollte er abgeschnitten und im Fluß der Dinge zurückgelassen werden, damit du frei bist, das Schiff deines Lebens mit der Vorsehung als Lotse in den Hafen der Erlösung zu steuern.

Freude: Ich hoffe, alles wird gut.

Vernunft: Ja, das Leben der Sterblichen vergeht zwischen guten Hoffnungen und schlechten Gewinnen.

Petrarcameister - Von der Hoffnung

Der Begriff der Hoffnung ist der antiken Philosophie fremd. Wenn die Freude spricht: „Niemand kann mir die Hoffnung nehmen!“, dann kann die Vernunft nur zustimmend den Hoffnungsgedanken im Sinne der christlichen Religion entwickeln: „Aber die wahre Hoffnung bezieht sich auf das wahre Gute. Wer diese Hoffnung hat, sollte sie bewahren und bis zum Ende nicht gehenlassen. Er sollte diese Hoffnung mit ihren Schwestern des Glaubens und der Nächstenliebe vereinen.“ In diesem Sinne ist das Bild des Petrarca-Meisters zu verstehen. Rechts stehen ein Greis und eine Nonne, die ihre Hoffnung auf Gott setzen. Sie heben ihre Herzen zum Himmel, wo die Hand des Herrn segnend aus den Wolken ragt. Der breitspurige Patrizier aber wehrt ab und hält nichts von solchem Tun. Er weiht sein Herz dem irdischen Reichtum, den er errungen hat, dem schönen Haus mit den Prunkgefäßen im Fenster, mit den Pferden im Stall und dem wohlbesetzten Weinkeller.

Soweit beschreibt Walther Scheidig dieses Bild. Aus geistiger Sicht erkennt man gut, wie sich unser Ichbewußtsein zwischen der hoffnungsvollen Liebe bzw. Begierde zu weltlichem Besitz und der Hoffnung auf das göttliche oder ganzheitliche Leben entscheiden kann. Das eine ist der Weg der Anhaftung an das Eigentum von Körper, Haus, Hof, Knechten, Pferden (was heute Autos sind), Reichtümern und sinnlichen Genüssen. Das andere ist der uralte Weg der Loslösung oder auch Erlösung durch reine Liebe mit Weisheit und Vernunft, auf dem sich das anhaftende Ichbewußtsein in ein ganzheitliches, freies und reines Bewußtsein verwandelt bzw. stirbt und auflöst.


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