Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

2.50. Vom Sohn, den ein Fremder gezeugt hat

Schmerz: Was aber noch schlimmer als der Tod ist: Der Sohn, den ich für meinen eigenen hielt, ist der Sohn eines fremden Mannes!

Vernunft: Wenn du an den Vater aller Menschen denken würdest, würdest du dem Ratschlag des Komödiendichters (Terenz) folgen und erkennen, daß es nichts Menschliches gibt, was dir fremd ist.

Schmerz: Lange Zeit habe ich den Sohn eines anderen ernährt, als wäre er mein eigener.

Vernunft: Den eigenen Sohn zu ernähren ist naturgemäß, und den eines anderen zu versorgen ist Nächstenliebe, die dich im nachhinein nicht ärgern, sondern erfreuen sollte.

Schmerz: Aber der Sohn, den ich mein Eigen nannte, ist nun der eines anderen.

Vernunft: Damit hat sich für dich ein Weg von großem und einzigartigem Verdienst eröffnet, um ihn in Zukunft weiter so zu ernähren, was Gott lieb und wohlgefällig sein wird. Wie undankbare Kinder die Versorgung durch ihre Eltern nicht achten, als wäre es ihr Naturrecht, so ist es auch ein Übel, einen Sohn nur zu lieben, weil man ihn selber gezeugt hat, und nicht, weil er von Gott geschaffen wurde. Du kannst dir also in jeder Hinsicht vor Gott und den Menschen große Verdienste durch die unmoralische Übertretung eines anderen erwerben.

Schmerz: Ich ernähre aber einen fremden Sohn.

Vernunft: Du hast ihn bisher als Sohn ernährt, also ernähre ihn weiter, und wenn nicht als Sohn, dann als Bruder. Denn alle Menschen, die sind, waren und sein werden, haben nur einen Vater und Herrn. Deshalb sei nicht so überheblich und verachte das heilige Band der Natur oder zerbricht es mit Neid und Haß, denn wir alle sind Brüder.

Schmerz: Ich hörte, daß der Sohn, von dem ich dachte, daß er von mir gezeugt wurde, nicht mein ist.

Vernunft: Sei vorsichtig mit dem, was du hörst und wem du glaubst! Viele werden von bösartigen Absichten getrieben, um listig falsche Gerüchte zu erfinden. Andere sprechen leichtsinnig und verantwortungslos gleicherweise über das, was sie wissen und auch nicht wissen, aufgrund der Verlockung der Sprache und der ungezügelten Geschwätzigkeit. Darüber hinaus ist jede Entscheidung über Blutsverwandtschaft generell schwierig.

Schmerz: Ich hörte aber, daß der Sohn, von dem gesagt wurde, daß er mein war, der eines anderen ist.

Vernunft: Warum glaubst du eher anderen als deiner Ehefrau, die von dieser Sache mehr weiß als alle anderen? Sie hat dir doch mit Sicherheit den Sohn geschenkt, den dir jetzt andere mit aller Kraft wegnehmen wollen.

Erinnere dich an die Geschichte aus den Zeiten deiner Eltern: Es war ein Edelmann, dessen Frau ebenso schön wie hochgeboren war, aber von zweifelhaftem Ruf hinsichtlich ihrer Keuschheit. Sie gebar ihm einen hübschen kleinen Jungen. Doch eines Tages, als ihn die Mutter auf dem Schoß hielt, bemerkte sie, daß ihr Mann tief beunruhigt war und seufzte. Als sie ihn fragte, warum er seufze, sagte er mit einem weiteren Seufzer: „Ich würde die Hälfte meines Landes hergeben, nur um genauso sicher zu wissen, daß der Junge mir gehört, wie du weißt, daß er dir gehört.“ Unbewegt im Gesicht und im Herzen antwortete sie: „Das muß nicht so viel kosten. Gib mir nur hundert Morgen Weide, wo ich mein Vieh weiden lassen kann, und ich selbst werde dich diesbezüglich beruhigen.“ Als er antwortete, daß dies für sie offensichtlich unmöglich sei, rief sie einige Edelleute, die in der Nähe waren, und nachdem sie ihm sein feierliches Versprechen entlockt hatte, hob sie den Jungen hoch und fragte: „Ist er wirklich mein?“ Und als ihr Ehemann zustimmend nickte, streckte sie die Hand aus und überreichte ihm den Jungen mit den Worten: „Nimm ihn! Ich gebe ihn dir. Und jetzt gehört er ohne jeden Zweifel dir.“ Die Anwesenden brachen in Gelächter aus, stimmten der Frau in allem zu und verurteilten den Mann.

Verdächtigungen und Klagen werden von solchen Männern nur allzuoft gehegt. Sie stürzen sich in die Ehe, wild und achtlos, als würde die rechte Zeit für sie nie kommen, Ehemänner zu werden, und als wäre dies der einzige Weg, ein richtiger Mann zu sein. Dann verbringen sie, versunken in Vergnügungen oder besser, im reinen Wahnsinn, die ersten Tage ihrer Ehe im Lärm von Zechen und Tanzen, inmitten von Hochzeitsritualen und Spielen, mit Liedern, Pfeifen und Trommeln. Und den Rest ihres Ehelebens verbringen sie mit Mißtrauen und Streitereien. Das alles ist völlig widersinnig. Denn man sollte etwas so Gefährliches wie die Ehe weder (egoistisch) begehren, noch eine unauflösliche Ehe fürchten, noch etwas so Schönes hassen, die heiligsten Gesetze im Haus Gottes und der Menschen öffentlich mit üblem Argwohn beschmutzen und die engsten Bindungen dieses Lebens zerstören!

Schmerz: Aber meine Frau selbst hat gestanden, daß er nicht mein ist!

Vernunft: Das erzählst du mir, als wäre es ein Einzelfall, aber es passiert täglich. Manche Ehefrauen geben es zu Lebzeiten zu, manche im Sterben, und manche Frauen verlangen, daß es ihren Ehemännern nach ihrem Tod mitgeteilt wird.

Schmerz: Meine Frau selbst hat mir gegenüber zugegeben, daß er nicht mein Sohn ist!

Vernunft: Auch Olympias gab es Philipp gegenüber zu, ein großartiger Mann, der einen großartigen Sohn verlor. Wir lesen jedoch nicht, daß es Tränen, Seufzer oder Anschuldigungen gab. Doch höre auch die folgende Geschichte, die vielleicht lächerlich klingt, aber nicht ohne Sinn ist: Man sagt, daß nicht weit vom Ufer des Ozeans gegenüber der britischen Küste vor nicht allzu vielen Jahren eine Frau lebte, die zwar arm war, aber gut aussah und gern fremdging. So hatte sie zwölf kleine Jungen von ebenso vielen Männern, jeder ein Jahr älter als der andere. Als die Stunde ihres Todes nahte, ließ sie ihren Ehemann an ihr Bett rufen und sagte: „Dies ist nicht die Zeit, dich länger zu täuschen. Keines dieser Kinder gehört dir, außer dem ältesten, denn im ersten Jahr unserer Ehe lebte ich noch keusch.“ Zufällig saßen in diesem Moment alle zwölf Jungen auf dem Boden um das Feuer und aßen, wie es im Land üblich war. Der Ehemann war schockiert, und die Jungen hörten besorgt zu, als sie begann, von jedem seinen Vater zu nennen. Der Jüngste, der drei Jahre alt war, legte das Brot und die Rübe aus seinen Händen und breitete zitternd vor Aufregung wie zum Gebet die Arme aus und rief: „Bitte Mutter, gib mir einen guten Vater!“ Und als sie am Ende ihrer Liste einen berühmten und wohlhabenden Mann als Vater des Jüngsten nannte, nahm er sein Essen wieder in die Hand und sprach: „Alles gut (Gott sei Dank!), ich habe einen guten Vater!“

Petrarcameister - Vom Sohn, den ein Fremder gezeugt hat

Die bildliche Darstellung zur Klage des Schmerzes besteht aus zwei fast symmetrischen Gruppen. Rechts ist das Sittenbild aus der Gegenwart, links ein Historienbild nach Brants gelehrten Angaben gezeichnet. Eine Mutter in bürgerlicher Tracht hält dem Vater, der als Patrizier dargestellt ist, sein Kind entgegen. Doch dieser wehrt mit beiden Händen ab und wendet sein Gesicht. Damit illustriert der Petrarca-Meister allgemein den immer wiederkehrenden Zweifel der Väter in Übereinstimmung mit den Worten Petrarcas, der einen Mann zu seiner Frau sagen läßt: „Ich wollte den halben Teil meiner Herrschaft darum geben, damit ich so sicher wüßte, daß dies mein Kind ist, wie du weißt, daß es dein ist!“ Das links gezeichnete Geschichtsbeispiel ist von Petrarca gegeben. Olympias offenbart ihrem Gatten, dem König Philipp von Mazedonien, daß auch ihr Sohn Alexander nicht sein Sohn ist. Auf dem Drachen der Sünde, der zur Frau hin bleckt, reitet der kleine Alexander daher. Im Gegensatz aber zu dem bürgerlichen Vater rechts zeigt König Philipp keine Erregung oder gar Abscheu, sein Blick ruht mit einem gewissen Wohlgefallen auf dem sympathisch gezeichneten künftigen Welteroberer.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht steht wohl die Frage: Welchen Sohn bzw. Nachkommen akzeptiert ein zeugender Vater als Geist von der gebärenden Mutter als Natur? Links kann man den herrschenden Ego-König mit Krone und Zepter sehen, der das heranwachsende Ichbewußtsein als Seinesgleichen zur Nachkommenschaft akzeptiert, obwohl es auf dem Drachen der Sünde bzw. des Teufels reitet, und es nicht sein wahrer Sohn ist, das heißt, kein reines, sondern illusorisches Bewußtsein. Entsprechend zischt der Drachen mit dem Schlangenschwanz gegen die Natur, die nicht immer macht, was das Ego will und deshalb gern als untreu und feindlich betrachtet wird. Dem gegenüber steht rechts der reiche Patrizier, der seinen wahren Sohn ablehnt, den ihm Mutter Natur geboren hat und anbietet, und das vermutlich auch aus egoistischen Gründen. Dieser wahre Sohn wäre aus geistiger Sicht das Christus-Kind als eine ganzheitliche Vernunft mit dem Heiligen Geist, den das Ego als trennendes Bewußtsein nicht annehmen will. Denn er wurde vom großen Vater gezeugt, und deshalb kann ihn das stolze Ego nicht akzeptieren, weil es sich getrennt von ihm als eine eigenständige Person betrachtet, die diesen wahren Sohn nicht bewußt gezeugt hat und auch nicht zeugen kann. Und das ist auch der Grund, warum es die Vernunft so schwer mit uns als Vertreter des Schmerzes hat. Und noch schwerer sind diese Gleichnisse heutzutage zu verstehen, weil wir mittlerweile auch einen körperlichen Vaterschaftstest kennen, während damals die Vaterschaft noch eine geistige Frage von Vertrauen und Glauben war, die auf verschiedenen Bewußtseinsebenen beantwortet werden konnte. Deshalb wurde wohl auch die väterlich-geistige Abstammung über die mütterlich-körperliche gesetzt, und darum geht es hier auch Petrarca im Text und dem Petrarca-Meister im Bild.

2.51. Vom verlorenen Bruder

Schmerz: Ich habe meinen Bruder verloren.

Vernunft: Darin sehe ich noch keinen Grund, warum du so traurig sein solltest. Denn wie Ovid wahrheitsgemäß sagte: Wahre Liebe ist selten unter Brüdern!

Schmerz: Ich habe aber meinen Bruder verloren.

Vernunft: Es wäre doch möglich, daß du gleichzeitig einen Bruder und einen Feind in der Familie verloren hast. Dann erkenne, was du verloren hast: Eine böse Geisel, die sich unter einem guten Namen verborgen hatte!

Schmerz: Mein Bruder ist gestorben.

Vernunft: Vielleicht ist derjenige gestorben, der gehofft hat, daß du sterben würdest, und der alle deine großen Taten zu behindern versuchte. Denn die Eifersucht eines Bruders hat schon viele daran gehindert, großen Ruhm zu erlangen.

Schmerz: Ich habe trotzdem einen Bruder verloren.

Vernunft: Oder hast du eine schwere Last für deine heranwachsenden Kinder verloren, und einen lebenslangen Rivalen für dich, ein Hindernis für deinen Ruhm und natürlich für dein Erbe? Kein Feind ist gefährlicher als ein eifersüchtiger Bruder.

Schmerz: Aber ich habe einen sanften und freundlichen Bruder verloren.

Vernunft: Trotzdem war er sterblich! Tugend ist kein Schutz für den Körper. Sie ist eine wahre Zierde für den Geist und verschafft unsterblichen Ruhm, aber sie kann diesen vergänglichen Körper nicht aus der Macht des Todes befreien. Die Tugend drängt ihn oft sogar vor seiner Zeit in den Tod. Entsprechend der Natur gehen gute und schlechte Menschen gleichermaßen zugrunde. Nur sterben die Guten gewöhnlich schneller, und die Bösen bleiben länger, aber niemand ist unsterblich.

Schmerz: Mein guter und glorreicher Bruder ist gestorben.

Vernunft: Dein Bruder ist gestorben, aber sein Ruhm, seine Tugend und seine Seele bleiben. Alle anderen menschlichen Errungenschaften zerstreut und zerstört der Tod mit beständigem Ansturm. Umarme daher die ersteren, als wären sie die Kinder deines Bruders, und laß diese unsterblichen Güter den sterblichen Verlust ersetzen! Und wenn er leibliche Kinder zurückgelassen hat, ist es auch deine Pflicht, sie wie deine eigenen zu behandeln.

Schmerz: Ich habe meinen besten Freund verloren.

Vernunft: Dann hättest du öfters bei ihm sein sollen. Wenn du dies nicht getan hast, ist es nicht sein Tod, der dich verletzt, sondern deine Nachlässigkeit. Der Tod hat sein Recht ausgeübt, doch du hast deines vernachlässigt.

Schmerz: Der Tod hat mich verspottet. Ich hätte nicht gedacht, daß er so früh sterben würde.

Vernunft: Alles, was geschieht und unerwünscht ist, scheint zu früh zu geschehen. Doch wenn es erwünscht ist, scheint es immer zu spät zu kommen.

Schmerz: Ich hätte wirklich nicht geglaubt, daß er sterben könnte.

Vernunft: Übertriebene Liebe glaubt alles! Sie glaubt, daß sie alles erhoffen und erwarten kann, und meidet und verwirft alle bitteren Gedanken und alles, was dieser Vorliebe nicht gefällt. Wer verliebt ist, stellt sich alles als ewige Freude vor. Du wußtest doch, daß dein Bruder geboren wurde, und hättest also wissen können, daß er sterblich war. Wenn du jetzt seinen absehbaren Tod als unerwartet betrauerst, machst du einen großen Fehler, und wenn dir sein Tod unvorhersehbar oder unzeitgemäß erschien, machst du den nächsten Fehler.

Schmerz: Ich wußte, daß er sterblich war, aber dachte nicht, daß er wirklich sterben würde.

Vernunft: Das klingt nicht besonders klug! Aber so ist deine Vorstellung: Du bist sterblich, aber glaubst es nicht wirklich, obwohl du jeden Moment sterben könntest und eines Tages sterben mußt. Es ist in der Tat das unveränderliche Gesetz deiner Natur, daß du niemals etwas anderes als sterblich sein kannst. Doch obwohl du unaufhörlich stirbst, wendest du deine Sinne von der Wirklichkeit ab, und deinen Verstand von dem, wie alles endet. Das ist ein allgemeines Übel, als wollte man die Augen vor dem Licht verschließen, damit man die Sonnenstrahlen nicht sieht. Als ob es sowohl für die Sonne als auch für die Augen schädlich wäre, gesehen und erkannt zu werden. Und als ob etwas weniger wirklich wäre, wenn es nicht gesehen würde, und weniger wahr, wenn es nicht bekannt wäre!

Wer ist so blind, das nicht zu sehen, und so dumm, es nicht zu verstehen? Die Schwäche deiner Sinne oder deines Verstandes schützt dich nicht vor der Wahrheit der Dinge. Dazu bist du weder schwach noch dumm, und deshalb gibt es keine Entschuldigung dafür, daß du ein unglaublicher Heuchler bist und überaus raffiniert darin, dich selbst zu betrügen. Du studierst eifrig nutzlose Dinge und wagst es nicht, das Notwendige zu erkennen. Aber das ist vergeblich, weil es sich auch deinen geschlossenen Augen aufdrängt, in deinen Verstand eindringt, der sich gegen dieses Wissen wehrt, und deine Erinnerung wachrüttelt, die es vergessen will. So passiert jeden Tag viel im Leben der Menschen, was dich zwingt, über Dinge nachzudenken, an die du nicht denken willst, und was solche fadenscheinigen Argumente in deinem Kopf oder in der Öffentlichkeit hervorruft. Alles in allem muß gesagt werden, daß nur der Tod (als Erfahrung allgemeiner Vergänglichkeit) die Hirngespinste der Menschen zerstreuen kann.

Schmerz: Ich wußte natürlich, daß mein Bruder sterblich und dem Untergang geweiht war, aber bedaure trotzdem, daß er nun tot ist.

Vernunft: Das Handeln der Menschen ist oft so unsinnig. Warum weinst du, weil er gestorben ist? Was nützen diese Tränen ihm, dir oder sonst jemandem? Selbst wenn wir davon ausgehen, daß der Tod ein Übel ist, was die Weisen verneinen, so wird doch jeder zustimmen, daß es sinnlos ist, etwas Unvermeidliches zu beweinen. Und wenn wirklich irgendetwas anderes als die Leiden des Geistes als beklagenswert angesehen werden kann, dann sollte man eher weinen, wenn es droht, und nicht, wenn es vorüber ist. Was auch dem König (David) nicht verborgen blieb, den ich bereits erwähnte.

Schmerz: Ich bin tief betroffen vom Tod des Besten aller Brüder.

Vernunft: Niemand ist tiefer betroffen als ein Vater. Wende das, was über den Tod eines Sohnes gesagt wurde, auf den Verlust deines Bruders an. Und was über diese Beiden gesagt wurde, wird auch für den Tod eines Freundes hilfreich sein, ein gleichgroßer Verlust, der aber dennoch zu ertragen ist. Denn alles, was eine schwere Last zu sein scheint, muß mit dem gleichen Mut ertragen werden, auch wenn es schwer erscheint und man glaubt, davon überwältigt zu werden.

Schmerz: Ich habe den Liebevollsten aller Brüder verloren.

Vernunft: Es wäre schlimmer gewesen, wenn du einen Bruder voller Haß verloren hättest! Denn so süß es gewesen war, daß dich jemand geliebt hatte, so süß sind jetzt die Erinnerungen, die dein liebender Bruder dir hinterlassen hat.

Schmerz: Ich habe den liebsten Gefährten verloren, den ich seit meiner Kindheit hatte, und nun bin ich allein.

Vernunft: Wir sind nicht allein, wenn wir mit Tugend und Ehrlichkeit leben. Der Tod selbst kann dich nicht davon abhalten, das Bild deines Bruders tief in deinem Herzen zu tragen. So ist weder dein Bruder fort noch bist du allein.

Petrarcameister - Vom verlorenen Bruder

Seinen Holzschnitt teilt der Petrarca-Meister wieder in eine Gegenwartsschilderung und in ein Geschichtsbild. Schlicht und sympathisch zeichnet er im Vordergrund einen Landsknecht, der an der Leiche seines toten Bruders trauert. Als Geschichtsbeispiel ist, wie es in den Bildern zum „Glücksbuch“ nur selten der Fall ist, ein Thema aus dem Leben Jesu gewählt worden. Maria und Martha trauern am offenen Grab ihres Bruders Lazarus (Joh. 11.1). Ihre Verzweiflung ist besonders groß, weil sie gehofft hatten, daß Jesus helfen würde, den kranken Bruder zu heilen. Doch Jesus war ausgeblieben und kam erst nach dem Tod, um dann freilich den Toten wieder zum Leben zu erwecken. Im Bild ist der Zeitpunkt unmittelbar vor der Ankunft Jesu dargestellt. Es zeugt von der Überlegung des Petrarca-Meisters, wenn er nicht die Auferweckung dargestellt hat, sondern die klagenden Schwestern und den gelassen heranschreitenden Jesus. Die Auferweckung selbst hätte über die Trauer der Geschwister „Ich habe meinen Bruder verloren!“ nichts ausgesagt. - Eine kompositionelle Schwäche ist es, daß sich zwischen die Gruppe des Heilandes mit den Jüngern und die der Klagenden am Grab die lange Hausmauer und dazu noch ein recht eigenwillig geformter Baumstamm schieben.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht sollten wir natürlich auch ein geistiges Prinzip in dem toten Bruder betrachten, der an die höhere Vernunft erinnert, die in uns wie tot und verloren sein kann, so daß nur noch der begriffliche Verstand „besteht“, wie der Landsknecht neben seinem Bruder steht, der tot am Boden liegt. Ja, dieser Tod ist etwas Trauriges und Schmerzliches, weil er auch den Verstand vergänglich macht und diesen allein und verlassen in der Welt „dastehen“ läßt. Dagegen sieht man im Hintergrund, wie das Licht von Christus als Führer der Apostel in unser körperliches Haus kommen kann, und zwar nicht über die steinigen bzw. materiellen Wege der Welt, sondern auch direkt durch die stärksten Mauern. Und man sagt, dieses Licht des Heiligen Geistes bzw. der ganzheitlichen Vernunft kann den Tod überwinden und das ewige Leben gewähren. Entsprechend könnten wir im Körperhaus, wo die Vernunft im irdischen Grab liegt, die beiden Schwestern als innerlich wirkende Natur sehen (Luk. 10.41), die zusammen mit dem demütig gebeugten Verstand beten, um die Vernunft mit dem Licht des Christus-Bewußtseins wiederzubeleben.

2.52. Vom Tod eines Freundes

Schmerz: Ich habe einen Freund verloren.

Vernunft: Wenn du, wie es sein sollte, die Tugend deines Freundes geliebt hast, dann geht sie gewiß nicht zugrunde, noch stirbt sie. Deshalb wird wahre Freundschaft als unsterblich bezeichnet, weil sie weder durch verschiedene Meinungen unter Freunden noch durch den Tod aufgelöst werden kann. So besiegt die Tugend Zwietracht und Laster, doch die Tugend selbst wird niemals besiegt.

Schmerz: Ich habe einen Freund verloren.

Vernunft: Alle anderen Dinge, die du verlierst, hast du nicht mehr. Aber Freunde und Liebe hast du mehr denn je, wenn du sie verloren zu haben scheinst. Denn was (körperlich) da ist, kann empfindlich, um nicht zu sagen überdrüssig und sogar überheblich stolz sein, so daß es Anstoß an Kleinigkeiten nimmt. Doch die Erinnerung an deine Freundschaft ist angenehm und lieb, hat alle Bitterkeit verloren, aber nichts von ihrer Süßigkeit.

Schmerz: Ich habe meinen allerbesten Freund durch den Tod verloren.

Vernunft: Wenn du dich über eine verlorene Annehmlichkeit beschwerst, dann sprichst du über deinen Besitz, nicht über Freundschaft. Und wenn es um den Verlust häufiger Gesellschaft geht, dann bedenke, wie wenig dein Leben in der Gesellschaft von Freunden verbracht wird und wieviel Zeit den Gesprächen mit Fremden und endlosen Ängsten und Sorgen gewidmet wird, sowie für allerlei Mühe, Nichtstun oder Geschäfte, seien es fremde oder eigene, und auch für das vielgestaltige Joch der unersättlichen Notwendigkeiten, von der dich kein Grad an Wohlstand befreien kann. All dies beraubt dich der gewünschten Gesellschaft. Wie oft ist der Kontakt zu Freunden nur spärlich, wie viele kurze und hastige Momente, wie viele schmerzliche Abschiede, wie viele verschobene Wiedersehen, welche Hindernisse, welche Unterbrechungen, welche Fallstricke! Wenn du dich an diese und ähnliche Schwierigkeiten des Lebens erinnerst, die dich von einer Freundschaft abhalten, wirst du erkennen, wie wenig dir der Tod genommen hat. Und so kannst du auch erkennen, was das Fundament für eine dauerhafte und stabile Freundschaft ist, welches der Tod nicht angreifen kann. Von Cicero hast du ja gehört, daß sich Laelius damit tröstete, daß sein Freund Scipio in lebhafter Erinnerung noch bei ihm lebt, und daß weder der Ruhm noch die Tugend seines toten Freundes gestorben sind. Was hindert deinen Scipio daran, so für dich zu leben? Aber ihr, weil ihr keine Scipios und Laelis sein könnt, keine wahren Menschen sein wollt und das Ganze nicht erreichen könnt, ihr gebt die Hoffnung auf und verachtet das Ausgeglichene, als ob in der Tugend, wie auch in der Poesie das Ganzheitliche weder von den Göttern noch von den Menschen geduldet wäre!

Schmerz: Der Tod hat mir meinen Freund geraubt.

Vernunft: Der Tod kann den Körper deines Freundes rauben, aber nicht die Freundschaft und den Geist. Diese unterliegen weder Tod noch Schicksal, sondern der Tugend, der einzigen menschlichen Errungenschaft, die wirklich frei ist und dem, den sie regiert, Freiheit gewähren kann. Und ein Freund wäre auch nicht so wertvoll, wenn man ihn so leicht verlieren könnte.

Schmerz: Ich wurde ohne einen Freund zurückgelassen.

Vernunft: Wenn du Freundschaft richtig pflegst, wird es dir nicht an alten noch an neuen Freunden mangeln. Und diese Meinung kann dir sogar Freunde unter deinen Feinden verschaffen. Nichts trug mehr zur Versöhnung zwischen Cäsar Augustus und Herodes bei, als die Tatsache, daß Herodes, der einer der besten Freunde seines Feindes gewesen war, freimütig zugab, Augustus aufs äußerste gehaßt zu haben. Und Augustus hielt ihn seiner Liebe würdig, weil er die Freundschaft mit solcher Aufrichtigkeit gepflegt hatte. So groß ist die Herrlichkeit der Tugend und der Freundschaft, daß sie sich sogar an einem Feind erfreut und dich zwingt, den zu lieben, der dich haßt.

Schmerz: Der Treueste meiner Freunde ist gestorben.

Vernunft: Dann verankere ihn in deinem Gedächtnis, wo er heimlich immer bei dir sein und niemals ganz sterben wird. Wenn er dich aber auf andere Weise als durch den Tod verlassen hat, dann hast du keinen Freund verloren, sondern nur die Illusion von Freundschaft.

Petrarcameister - Vom Tod eines Freundes

Der Begriff des Freundes, der in der griechischen und römischen Sage eine bedeutsame Rolle gespielt hat, scheint Sebastian Brant und dem Petrarca-Meister weniger geläufig. Außerstande, mit einem Sittenbild aus ihrer Gegenwart den Begriff des Freundes und der Freundestreue zu illustrieren, mußten wieder historische Beispiele herangezogen werden. Petrarca hatte Laelius und Scipio Africanus minor genannt. Laelius habe nach Scipios Tod nicht um den Freund getrauert, weil er in seiner Erinnerung ständig am Leben geblieben sei. Brant selbst hatte dieses Beispiel des Petrarca schon in sein „Narrenschiff“, in das Kapitel „Von wahrer Freundschaft“ übernommen und gab es nun dem Petrarca-Meister weiter. Ein wenig mühsam hat der Künstler die Angaben verarbeitet. Die römische Flotte, mit der Laelius und Scipio gegen Karthago fuhren, ist mit mehreren großen Segelschiffen und Galeeren dargestellt. Im Vordergrund, räumlich nicht sehr überzeugend von den Schiffen getrennt, sitzt Laelius als römischer Krieger gepanzert auf einem Stein und klagt - trotz des Textes - um den toten Scipio, der vor ihm liegt. Neben dem Toten sind Krone, Schild und Schwert unversehrt gezeichnet. Damit soll erklärt werden, daß Scipio nicht im Kampf starb, sondern tot aufgefunden wurde. In einer Lücke zwischen den Schiffen wird der Blick auf eine mittelalterliche Stadt frei. Dort ist ein Greis inmitten der Flammen eines Scheiterhaufens dargestellt, ein anderer Greis trauernd vor ihm stehend. Dem gedanklichen Inhalt des Kapitels nach könnte Achill an der Leiche seines Freundes Patroklos dargestellt sein. Kleidung und Alter der Personen wären dann verfehlt worden.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man im Vordergrund sehen, wie eine übliche Freundschaft auf gedanklich-sinnlicher Ebene von Parteifreunden, die nur für die gleiche weltliche Sache gekämpft haben, mit dem Tod in Trauer und Schmerz zerbricht und endet. Denn das Bewußtsein verliert auf dieser Ebene durch den Tod seine Macht, seinen Schutz und seine Waffen in der Welt, wie im Bild mit Krone, Schild und Schwert dargestellt wurde. Entsprechend sieht man dahinter die Körperschiffe mit ihrer angriffslustigen Besatzung auf dem Fluß des Lebens, getrieben vom Wind der Begierde oder vom Rudern der Gedanken, wie sie getrennt voneinander dahintreiben und wahre Freundschaft nur schwer möglich ist, ohne gegenseitig anzustoßen. Auf dem „anderen Ufer“ könnte man die altgereifte Weisheit mit dem Turban sehen, wie sie erkennt, daß der Geist des Freundes im Feuer nicht mit dem Körper verbrennt. Und das Ganze geschieht vor dem Hintergrund der Natur mit den Häusern und Burgen, die sich der Geist in dieser Welt errichtet, um darin zu wohnen.

2.53. Von der Abwesenheit des Freundes

Schmerz: Ich bin traurig über die Abwesenheit meines Freundes.

Vernunft: Das kommt oft vor. Aber wer gelernt hat, den Tod eines Freundes zu ertragen, sollte seine Abwesenheit leichter ertragen. Denn was der Tod nicht zerbrechen kann, kann auch eine zeitweilige Abwesenheit nicht zerbrechen.

Schmerz: Mein liebster Freund ist abwesend, wie meine rechte Hand und mein rechtes Auge.

Vernunft: Auch wenn sie alle abwesend blieben und nie wiederkommen würden, sage ich, es ist nichts, was ein Mensch nicht ertragen könnte. Denn irgendwann werden sie alle zurückkommen, und du wirst wieder ganz sein.

Schmerz: Mein Freund ist abwesend, der die Hälfte von mir ist!

Vernunft: Auch Horaz nannte Virgil die Hälfte seiner Seele, ein Satz, der von vielen anderen aufgegriffen wurde und seit langem sprichwörtlich ist. Aber selbst wenn dein Freund nicht nur natürlich (bzw. geistig), sondern auch bürgerlich (bzw. körperlich) dein Besitz wäre, in welcher Hinsicht würde seine Abwesenheit der Freundschaft schaden, abgesehen von der Tatsache, daß er nicht bei dir ist, wo immer du bist, um bei dir zu sitzen, mit dir zu gehen und mit dir über triviale oder ernste Dinge zu sprechen, obwohl er dann eigentlich auch nur das macht, was er in seiner Abwesenheit macht. Doch wenn du nichts anderes sehen kannst als das, was vor deinen Augen steht, und dich nur an dem erfreuen kannst, was (körperlich) anwesend ist, dann ist dein Sehvermögen sehr kurzsichtig und dein Genuß ebenso begrenzt.

Schmerz: Ich bin betrübt und sehne mich nach meinem süßen Freund, der abwesend ist.

Vernunft: Und doch betrübt dich meist nur das Bittere und nicht das Süße! So höre jetzt, was die Ohren gewöhnlicher Menschen kaum erfassen können. Es ist schwer zu beschreiben, wie sensibel und heikel die körperliche Anwesenheit von Freunden manchmal sein kann. Oft kränken Kleinigkeiten, und du wünschst hinweg, was du am meisten liebst und dir herbeigewünscht hast, und zwar nicht nur deine Freunde, sondern auch Familie und Kinder, die dich oft von ernsthaften Studien und wichtigen Geschäften abhalten. So gibt es nichts Bitteres an der Abwesenheit, was wehtut, außer deiner Sehnsucht, die, wie du selbst zugibst, auch mit süßen Gefühlen verbunden ist.

Schmerz: Die Abwesenheit meines geliebten Freundes beunruhigt mich.

Vernunft: Ich muß sagen, daß dies der Weiblichkeit entspricht und all denen, die auf weibliche Weise lieben und sinnliches Vergnügen suchen. Aber auch für diese gilt, was Vergil sagt: „Obwohl abwesend, einer vom anderen, hört sie ihn, und er sieht sie.“ Wenn dem so ist, warum kann ein Freund seinen abwesenden Freund nicht auch hören und sehen? Es sei denn, man will behaupten, daß die Augen der Wollust reiner sind als die der Tugend, oder daß eine unzüchtige Liebe mehr Würde hat als eine keusche (reine) Liebe, die nichts beschränken kann und deren wahrhafter Geist sich nach Belieben ausbreitet, ungehindert durch Entfernung oder andere Beschränkungen.

Dazu solltest du auch das Mittel der Korrespondenz in Betracht ziehen, denn ich kenne keine „Anwesenheit“, die willkommener wäre als ein Brief. Marcus Cicero war in Rom, als er an seinen Bruder Quintus schrieb, der als Prokonsul in Asien diente: „Wenn ich deine Briefe lese, scheine ich dich zu hören, und wenn ich dir schreibe, scheine ich mit dir zu sprechen.“ Und Cicero ermahnt ihn, nach strahlendem Ruhm zu streben, und sagt wenig später, daß es für ihn am besten sei, sich in all seinen Worten und Taten vorzustellen, sein Bruder sei an seiner Seite. So schrieb auch Epikur, ich weiß nicht, ob aus Athen oder von anderswo, einem Freund: „Mach alles so, als ob Epikur dich beobachten würde.“ Aber ich bin sicher, daß Seneca in Kampanien war, als er Briefe an seinen Lucilius schrieb, der sich damals in Sizilien aufhielt, und ihn bat, mit ihm zu studieren, mit ihm zu speisen und mit ihm spazieren zu gehen, was er unmöglich hätte tun können, außer in seinem Geist, der nicht die Hilfe von Augen oder Ohren, Händen oder Füßen erfordert.

Schmerz: Meine Augen sehnen sich aber ängstlich nach meinem abwesenden Freund.

Vernunft: Ich kann nicht leugnen, daß diese Abwesenheit deinen Augen etwas von ihrer Freude nimmt. Aber sie beraubt weder deinen Geist noch deine Augen, wie ich zuvor erklärt habe, vorausgesetzt, deine Freundschaft ist wahrhaftig. Dazu lesen und bewundern wir auch die Zeilen von Virgil, in denen er über Evander und seinen Sohn Pallas spricht. Der alte Mann hatte Pallas dazu gebracht, Aeneas im Krieg gegen Turnus beizutreten, und als er sich von seinem Sohn verabschiedete, schreibt der Dichter: „Zitternd stehen die Mütter an den Wänden und folgen mit den Augen der Staubwolke.“ Als ob seine Augen alles mit angesehen hätten. Und auch Cicero teilte seinem Freund Balbus, der unter Cäsar in Gallien diente, in einem bestimmten Brief mit, daß er ihn nicht nur im Kopf, sondern auch vor Augen habe.

Schmerz: Mein Freund ist aber abwesend.

Vernunft: Manchmal erkennt man einen Freund erst, wenn er abwesend ist. In der Freundschaft wie auch in anderen Dingen stumpft der Überfluß den Geschmack ab, und Mangel schärft ihn. Und wenn der Meister der Liebe (Ovid) sagt, daß eine Trennung nützlich ist für Liebende, deren ganzes Vergnügen aus der Anwesenheit stammt, warum sollte dasselbe nicht auch für Freunde gewinnbringend sein, deren Freude ganz in der Tugend liegt, die daher keine Unannehmlichkeiten durch Abwesenheit erfährt, wenn sie überall anwesend ist? Deshalb solltest du nicht der Sehnsucht erliegen, sondern den Freund im Geist umarmen, den dir weder die Entfernung noch der Tod nehmen kann.

Schmerz: Ich finde aber die Abwesenheit meines lieben Freundes schwer zu ertragen.

Vernunft: Ertrage es einfach und stärke die schwächeren Teile deines Geistes mit allgegenwärtiger Tugend. Vielleicht kann dir dann die bittere Abwesenheit, die du jetzt beklagst, deinen Freund teurer und seine (geistige) Anwesenheit um so süßer machen.

Petrarcameister - Von der Abwesenheit des Freundes

Zu dem Thema des Verlassenseins von Freunden schuf der Petrarca-Meister ein Bild, das vor allem durch die seelische Stimmung der Gestalten spricht. Vor der Front einer Kirche, den Rücken zum Gebäude, sitzt an einem Tisch verlassen ein älterer Mann. Er hat den Kopf aufgestützt und ist in trübe Gedanken wegen der abwesenden Freunde versunken. Die Freunde, an die er denkt, sind dargestellt, als ob sie von ihm fortgingen. Einer wandert als Pilger davon, der andere mit dem kurzen Schwert und der Mütze mag ein Bauer sein, der die Fremde suchen muß. Im Hintergrund ist dann im Gegensatz zu dieser Darstellung der Verlassenheit die freiwillige Einsamkeit gekennzeichnet. Der Ritter in der Waldschlucht hat seine Sache nur auf die eigene Tapferkeit, auf seine Waffen und auf sein starkes Roß gestellt. Die beiden Nonnen, die von der kleinen Waldkapelle kommen, haben freiwillig die Trennung von ihren Angehörigen und Freundinnen gewählt. - Im Ganzen gesehen ist das Bild einer der seltenen Versuche des Petrarca-Meisters und der Künstler des frühen 16. Jahrhunderts überhaupt, seelische Vorgänge direkt durch den Stimmungsgehalt auszudrücken. Dürers drei Stiche „Melancholie“, „Hieronymus“ und „Der Ritter“ sind die Meisterwerke dieser Art. Der Verlassene des Petrarca-Meisters steht nicht unwürdig neben Dürers Arbeiten.

Soweit schreibt Walther Scheidig zum Bild. Aus geistiger Sicht können wir einen alten Mann bzw. altgewordenen Geist an einem leeren Tisch sehen, der den Mantel festhalten will, der neben ihm liegt, eine tote Hülle, wo einst sein lebendiger Freund an seiner Seite saß. All die geistigen und körperlichen Wesen, die er als seine Freunde betrachtet hatte, verlassen ihn und gehen ihre Wege zurück in die Natur: Der Bauer als sein sinnliches Körperbewußtsein, der Pilger als sein gedanklicher Verstand, der geachtete Ritter auf dem stolzen Roß als sein mächtiges Ichbewußtsein und vor allem auch die beiden Nonnen, die als innerliche Gesundheit und Heilung wie Martha und Maria von einer heilsamen bzw. heiligen Quelle kommen. Ein geflochtener Zaun trennt ihn vom Hintergrund der weltlichen Natur und eine dicke Mauer mit bemalten Fenstern von der heiligen Kirche, in der man den göttlichen bzw. ganzheitlichen Geist finden könnte, der keine Trennung und keine „Abwesenheit“ mehr kennt.

2.54. Von schwerem Schiffbruch

Schmerz: Ich bin in einen schweren Schiffbruch geraten.

Vernunft: Du erzählst vom Schiffbruch auf See, aber sagst nichts über den Schiffbruch des Geistes, der doch in Wirklichkeit viel schwerer und häufiger ist. Hier tobt der Sturm deiner Leidenschaften und Begierden mit wechselnden Winden in die aufgeblähten Segel der Wünsche und Hoffnungen, die dem Ruder des Verstandes nachlaufen. Die beständigen Anker in der Tiefe hast du verloren, und so treibt es dich durch alle Meere und in die Brandung aller Küsten. Das ist der Schiffbruch, in den du gekommen bist. Beseitige die Begierde, und du hast die Reise selbst oder zumindest die Gefahren der Reise weitgehend beseitigt! Die Begierde treibt arme Menschen nicht nur auf die Schiffe, sondern auch in die Felsen und in den Tod. So starben fast alle, die zur See fuhren und im Meer umkamen, zuerst in ihrem Geist und ertranken in der Welle der Habgier, bevor sie in den Wogen des Ozeans starben. Das Begehren kommt selten ohne Eile: Was es will, das will es sofort, und es haßt Verzögerung und zusätzliche Aufwände als Begleiter von Verzögerungen. Das ist der schnellste Weg zur Zerstörung und die Hauptursache für häufigen Schiffbruch.

Schmerz: Ich werde von einem großen Schiffbruch beunruhigt.

Vernunft: Du hast (auf dem wilden Meer des Lebens) gelernt, zu Gott zu beten, feierliche Gelübde abzulegen und viele Versprechen zu geben, die du jetzt am Ufer vertrauensvoll einhalten solltest, auch wenn sie aus Angst entstanden. Denn Gott wird nicht ungestraft verspottet, und er haßt alle, die ihre Versprechen brechen.

Schmerz: Ich habe einen schrecklichen Schiffbruch erlitten.

Vernunft: Niemand beklagt sich über einen Schiffbruch außer dem, der ihm entkommen ist. Daher freue dich, daß du gerettet bist und gelernt hast! Die Erinnerung an überstandene Gefahren ist meist köstlich, wie es umgekehrt bitter ist, sich an das Ende von Wohlstand zu erinnern. Aber wieviel hättest du vorher dafür gegeben, die Tritonen des Meeres, die schäumenden Wasserberge und die aus den Wellen aufsteigenden Ungeheuer zu sehen? Jetzt hast du in den Winternächten vor dem Feuer grauenhafte Geschichten zu erzählen, die neugierige Zuhörer verblüffen und deine ängstliche Familie in Staunen versetzen. Du weißt nun, was ein „poetischer Sturm“ ist (von dem auch Juvenal spricht). Und du verstehst nun sicherlich die ungläubigen Zweifel an dem, was du kaum für möglich halten konntest, bevor du die Angst vor dem Tod oder dem Verlust deiner Güter erlebt hast.

Schmerz: Ich habe wirklich einen schlimmen Schiffbruch erlitten.

Vernunft: Nichts lernt man ohne Leiden! Wenn du das weißt, laß es dir eine dauerhafte Lehre sein und beschließe nie wieder, dein Leben den Winden anzuvertrauen.

Schmerz: Ich habe einen düsteren Schiffbruch erlitten.

Vernunft: Wenn dies dein erster Schiffbruch war, dann hüte dich vor einem zweiten! Wenn es dein zweiter war, dann schweige lieber, denn wir kennen ja den Ausspruch des Mimen-Autors Publilius: „Wer zweimal Schiffbruch erleidet, der beschuldigt Neptun zu Unrecht.“

Schmerz: Diesem schrecklichen Schiffbruch bin ich nur knapp entkommen.

Vernunft: Ich verstehe nicht, warum es schlimmer sein sollte, im Meer zu sterben als an Land, wenn man doch irgendwann sterben muß, oder warum es wünschenswerter sein sollte, Nahrung für Würmer zu werden als für Fische. Doch nachdem du herausgeschwommen bist, achte nun darauf, dein Leben nicht noch einmal zerbrechlichen Rudern oder morschen Planken anzuvertrauen. Du irdisches Wesen, lerne die Erde zu erleiden und eher an den Himmel zu denken als an das Meer!

Petrarcameister - Von schwerem Schiffbruch

Hier ist dem Petrarca-Meister eine vorzügliche Darstellung des Schiffbruchs gelungen. Die bewegte See, die vollen, zum Teil schon zerrissenen Segel, die nahe Klippe, das alles bildet eine Situation der höchsten Not. Die Mannschaft springt ins Wasser, ihre Bewegungen dabei sind gut beobachtet. Der Schiffsherr hat sich mit seiner Frau auf das oberste Deck gerettet. Die Menschen im Wasser versuchen, die nahe Klippe zu erreichen. Im Gegensatz zu fast allen Darstellungen schwimmender Menschen im 16. Jahrhundert (z.B. bei Cranach) ist hier die Haltung der Schwimmer überzeugend. Auch die Einzelszenen, wie ein Schwimmer den Baum am Ufer schon erreicht hat, wie ein anderer sich an seinen Rücken klammert, sind packend erzählt. Die beiden Männer, die ungerührt auf der Klippe in Sicherheit sitzen, sind die „Klugen“, die Petrarcas Worte beherzigen: „Du irdisches Wesen, lerne die Erde zu erleiden und eher an den Himmel zu denken als an das Meer!“

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht denken wir hier an eine ernste Lebensgefahr oder eine schwere Krankheit im Alter, wenn das Körperschiff der Elemente zu zerbrechen und unterzugehen droht. Dazu sieht man im Bild, wie die Besatzung in verschiedene Richtungen strebt. Einerseits vom Hauptmast aus auf das hohe Hinterdeck, um sich dort als „Schiffsherr“ oder „Eigentümer“ hoffnungsvoll am Mast festzuhalten. Anderseits auf das Vorderdeck, von wo die Besatzung ins Wasser bzw. Meer des Lebens springt und zum Riff schwimmt, um sich dort an dem festzuhalten, woran das Schiff zerbrochen ist. Das ist eine wundervolle Symbolik, und dazu sitzen noch zwei Männer bzw. Geistwesen auf dem Felsen und schauen in gegensätzliche Richtungen. Der Jüngere scheint zu beten und seinen Blick nach hinten auf das Meer zu richten, wo die anderen Schiffe unterwegs sind, um vielleicht von ihnen gerettet zu werden. Und der Ältere schaut nachdenklich nach vorn und könnte einen Stein in der Hand halten, vielleicht sogar den „Stein der Weisen“, auf dem er nun in Sicherheit sitzt. So wechseln sich auch auf dem ganzen Weg Alt und Jung wellenartig ab: Ein Junger schaut auf dem Vorderdeck nach Rettung, ein Alter beugt sich unter dem zerrissenen Segel über die Reeling, ein Junger springt kopfüber, ein Alter sitzt förmlich im Wasser mit erhobenen Händen vor dem Bug, ein Junger schwimmt halb untergehend, ein Pärchen von Jung und Alt hält sich am Leben der Natur fest, ähnlich dem Pärchen auf dem Hinterdeck, und ein Alter und ein Junger sitzen auf dem Felsen.

»Ich sage zu Gott, meinem Fels: Warum hast du mein vergessen? Warum muß ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt? (Psalm 42.10)«

»Vor dem HERRN bebte die Erde, vor dem Gott Jakobs, der den Fels wandelte in einen Wassersee und die Steine in Wasserbrunnen. (Psalm 114.8)«

2.55. Vom Feuerbrand

Schmerz: Ich bin nur knapp einem Feuerbrand entkommen.

Vernunft: Beklagst du das Schicksal, daß du entkommen bist? Es wäre eher Alcibiades zu beklagen, der dem Feuer, das seine Feinde angezündet hatten, nicht entkommen konnte. Und wenn du dich auch aus dem Feuer der Erde gerettet hast, wer könnte das Feuer des Himmels verhindern? Mögen der römische König Tullus Hostilius und der römische Kaiser Carus darauf antworten, denn, wenn wir den allgemeinen Überlieferungen glauben dürfen, wurde der Erste der beiden von einem Blitz getroffen und in seinem königlichen Palast verbrannt, und der andere starb auf gleiche Weise in seinem Lager am Fluß Tigris.

Schmerz: Ich habe all mein Hab und Gut verloren und bin dem Feuer bloß und nackt entronnen.

Vernunft: Sage mir, ob auch Bias, wie ihn alle nennen (oder laut Seneca Stilbo genannt), so etwas gesprochen hat, als ihm in seiner brennenden Geburtsstadt Vorwürfe gemacht wurden, weil er keine seiner Güter aus der Stadt getragen hatte? Als er dazu gedrängt wurde, antwortete er: „Ich trage alle meine Güter mit mir.“ Gut gesagt, egal ob der eine oder der andere oder beide es gesagt haben, obwohl solche Worte immer edler klingen, wenn sie von dem kommen, der sie zuerst gesagt hat. Aber auch ohne Personenangabe ist die Wahrheit der Aussage offensichtlich. Denn die wahren Güter bleiben im Herzen und können ihrem Besitzer (der Seele) weder zu Lebzeiten noch nach dem Tod weggenommen werden. Sie wohnen im Geist, wo weder die Hand des Schicksals noch die des Todes sie erreichen können. Du bist gesund und munter, aber betrauerst den Verlust von etwas, das, wenn es wirklich deins war, auch jetzt noch bei dir sicher wäre. Glaube mir, wahre Güter können nicht vergehen. So ist die wahre Tugend noch kostbarer als das Gold, die wie das Gold vom Feuer nicht verzehrt, sondern durch das Feuer gereinigt wird.

Schmerz: Ein mächtiges Feuer hat mich bedroht.

Vernunft: Ein gewisser Caeculus verdankte seinen Ruhm dem göttlichen Feuer. Bei Vergil ließen die Flammen um das Haar von Julius den ersten Hoffnungsschimmer für die bisher zweifelhafte Erlösung aufkommen. Die brennende Flamme auf dem Haupt des Servius war nicht nur ein poetisches, sondern ein historisch belegtes Vorzeichen seiner Königswürde. Es ist auch eine bekannte Tatsache, daß die Gründer des Römischen Reiches den Flammen von Troja entkommen sind. Sogar die Heilige Schrift sagt uns, daß Elia in einem Feuerwagen aufgestiegen ist (2.Kön. 2.11) und daß Gott selbst „in einer Feuerflamme erschien“ (2.Mose 3.2). Daher ist es auch nicht ungerechtfertigt, daß Freudenfeuer in euren Städten gewöhnlich ein Zeichen von Fröhlichkeit sind. Aber für dich ist das Feuer ein Grund zur Trauer!

Schmerz: Ja, denn mein Haus ging plötzlich in Flammen auf.

Vernunft: In der Antike brannte der Tempel der Diana, das damals schönste Bauwerk. Auch der Tempel in Jerusalem brannte, der Gott im Himmel geweiht war, und sogar der Feind bedauerte, daß er in Brand gesteckt worden war. In der Neuzeit wurde der Lateran, diese Bastion der Religion und wichtigstes Schmuckstück der Welt, zweimal von Flammen verzehrt - für mich ein offensichtliches und klares Zeichen des Zorns Gottes, keineswegs erstaunlich, aber äußerst erschreckend. Und schließlich, ganz zu schweigen von kleineren Städten wie Sagunt, Numantia, Korinth und unzähligen anderen. Ja, selbst Rom, wurde oft von Feuer bedroht und fast zerstört. Karthago brannte einmal, Troja wurde zweimal von Flammen verzehrt. Ganze Städte haben gebrannt, und wir glauben, daß irgendwann die ganze Welt brennen wird: Aber du beklagst dich darüber, daß dein kleines Haus von einem Feuer ergriffen wurde, das dazu bestimmt ist, Himmel und Erde zu verzehren!

Schmerz: Ich bin wirklich nur knapp diesem Feuer entkommen.

Vernunft: Wenn du entkommen bist, warum trauerst du dann? Wärst du nicht entkommen, dann würdest du schweigen. Doch ihr, die ihr nichts als lebendige Asche seid, weint über erkaltete Asche!

Petrarcameister - Vom Feuerbrand

Das Bild von dem Brandunglück in einem herrschaftlichen Haus berührt seltsam. Scharen von Zuschauern, Patriziern, Rittern mit ihren Frauen stehen in dem Hof, zeigen einander die einzelnen Vorfälle des Unglückes, aber keiner hilft beim Retten von Menschen oder Habe. Auch ist von Löschversuchen nichts zu sehen. Die Darstellung des Brandes wird durch viele Einzelzüge, die einander ergänzen, zu einem umfassenden Bild: Die beiden Alten, die nur das nackte Leben gerettet haben, die Mutter, die mit dem Kind flüchtet, der entsetzt aus dem Fenster springende Mann. Dazu das für die Verwirrung bezeichnende Stilleben im Vordergrund, wo wertloses Küchengerät gedankenlos gerettet worden ist und nun neben Wäschebündeln und Körben mit Kostbarkeiten herumliegt. Auch der Alte, der mit Mühe einen Polstersessel aus der Gefahr schleppt, gehört zu den Verwirrten, die Wertloses davonschleppen und das Beste zurücklassen.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kennen wir heute den Begriff „Burnout“ als einen geistigen Schiffbruch nur allzugut. Was dann brennt, ist der Geist selbst in feuriger Leidenschaft, und wie es in einem solchen Körper aussieht, kann man symbolisch in diesem Bild erkennen. Im Zentrum stehen unsere Urgroßeltern als Adam und Eva bzw. Geist und Natur, wie sie von Gott geschaffen wurden, aber in großer Aufregung. Denn ringsherum hat sich viel „Hausrat“ angesammelt nebst einem begierigen Treiben, um diesen „persönlichen Besitz“ zu erhalten, wie der Greis bzw. gealterte Geist „seinen Sitz“ rettet, bis zu der Vorstellung von „mein Leben“ oder „mein Kind“. Natürlich kann man darüber streiten, was davon wirklich wichtig ist, und auch diesen Streit sehen wir in den zwei Gruppen der Gaffer und Quatscher rechts und links, die an unsere Gedanken im Spiel der Gegensätze erinnern, die neugierig alles beurteilen, loben und tadeln, aber wenig hilfreich sind, wenn es um das Löschen des „Burnouts“ und das wahre „Überleben“ geht.

2.56. Von schwieriger Arbeit

Schmerz: Ich bin erschöpft von großen Schwierigkeiten.

Vernunft: Ohne Schwierigkeiten gibt es keinen Ruhm. Die Tugend wohnt nirgendwo außer in der Höhe. Sie ist nicht leicht zu erreichen, und der Weg nach oben ist holprig, hart und steinig.

Schmerz: Ich werde von so viel Arbeit geplagt.

Vernunft: Die Arbeit ist das Reich der Tugend, und die Ruhe das Reich der Freuden. Ohne Arbeit ist nichts lobenswert, nichts herausragend. Aus diesem Grund war die Arbeit die Grundlage für den Ruhm des Herkules. Und auch Odysseus wurde vor allem durch seine Arbeit bekannt. Egal wie schlau, wäre er untätig gewesen, er wäre unbekannt geblieben. Arbeit zeichnete die Führer des Zeitalters von Romulus aus, wie Scipios und Camillus, oder auch die Fabianer, Curii, Fabricius und Metellis. Es war die große Arbeit, die der Große Pompeius vollbrachte, auch Hannibal und Julius Cäsar. Arbeit brachte den Catos und Marius Ruhm. Die Mühen der Kriegsführung gaben Papirius Cursor und Pescennius Niger ihre Größe. Nicht zu schweigen von den Philosophen und Dichtern, deren ganzes Leben nichts als eine vorzügliche und geliebte Arbeit ist. Und was soll ich über die Handwerker sagen, deren Ruhm, wie auch immer er aussehen mag, nur durch große Anstrengung erlangt werden kann, die Fleiß von morgens bis abends erfordert, wie du sicherlich weißt. Demosthenes, so heißt es, pflegte sich oft darüber zu beschweren. Doch tatsächlich kann es eine lohnende Herausforderung für diejenigen sein, die wirklich wichtige Dinge tun, weil solche Aufgaben den Geist schärfen und entwickeln. Schau dir nur alle Arten von Menschen an, und du wirst feststellen, daß dort, wo viel Ruhm herrscht, auch viel Arbeit ist. So müssen im Allgemeinen die Liebhaber der Tugend auch die Arbeit lieben, ohne die es ihnen unmöglich ist, den gewünschten Ruhm zu erlangen.

Schmerz: Ich bin müde von der nie endenden Arbeit.

Vernunft: Harte Arbeit bringt nichts, wenn sie nicht beständig ist, genauso wie der durch harte Arbeit verdiente Ruhm nur als großartig gilt, wenn er ewig ist.

Schmerz: Ich werde von zu viel Arbeit überfordert.

Vernunft: Was zu viel oder zu wenig ist, hängt vom Arbeitenden selbst ab. Für einen Faulen ist jede Arbeit zu viel, aber nicht für einen Fleißigen.

Schmerz: Ich werde aber von viel Arbeit geplagt.

Vernunft: Du wärst nicht geplagt, wenn du ein Mann wärst, denn dann würden dich deine Aufgaben fördern und entwickeln. Möchtest du den Unterschied zwischen (nützlicher) Arbeit und (wollüstigem) Vergnügen wissen? Dann vergleiche Sardanapalus mit Alcides, Sergius Orata mit Atilius Regulus und Apicius mit Gaius Marius.

Schmerz: Die Arbeit verzehrt mich.

Vernunft: Arbeit ist für viele ein Heilmittel, denn sie reinigt und erlöst jene, die von Trägheit ergriffen wurden. Es ist offensichtlich, daß sie den Geist heilt, das Aufkommen von Lastern verhindert und diejenigen herausreißt, die darin Wurzeln geschlagen haben. Kurz gesagt, die Schriftsteller nennen als Ursachen für die Tugend der Alten, die im Laufe der Jahrhunderte vorbildlich waren, einerseits die Arbeit und andererseits die Armut als wünschenswerte Leiden des Körpers, welche die Leiden des Geistes heilen.

Schmerz: Meine Arbeit ist aber so hart.

Vernunft: Tugend ist hart, und Arbeit ist hart. Wollust ist weich, und Trägheit ist weich. Gleiches zieht Gleiches an, und Gegensätze stoßen sich ab.

Schmerz: Mein Schicksal ist zu mühselig!

Vernunft: Du bist undankbar, dich nicht geehrt zu fühlen! Weißt du nicht, daß mitten in der Nacht die gottergebenen Jungfrauen aus ihren warmen Betten aufstanden und im Kühlen wachten, um ihre Gebete darzubringen, während die Ehebrecher wollüstig in ihren Vergnügungen schwelgten? Und während der Soldat im Lager wacht, um sein Land zu verteidigen, der General in seinem Zelt, um seine Macht zu erhalten, und der Gelehrte vor seinen Büchern, um die Ehre der Weisheit zu erreichen, schläft der Wüstling in seiner Kammer mit den Huren. Wer noch einen Funken vernünftige Scham hat, wird keinen Moment zögern, den besseren Weg zu erkennen.

Schmerz: Ich werde aber von der großen Arbeitslast niedergedrückt.

Vernunft: Sei guten Mutes! Wenn der Grund für solche Arbeit ehrlich ist, ist auch deine Arbeit ehrlich, und du wirst zusammen mit anderen Hervorragenden in Erinnerung bleiben. Wer nach Ruhm strebt, muß einen schwierigen und steilen Weg erklimmen, während der Weg zum Faultier bergab geht und leicht erscheint. Mit einem Wort, wer geboren wurde, wurde zum Arbeiten geboren, und hier nehme ich nicht einmal die Kinder von Königen aus. Arbeit und Tugend, das sind deine Künste, nicht Müßiggang und Wollust, die den Menschen, der sich ihnen widmet, schnell erniedrigen, seine menschliche Natur verderben und in ein Tier verwandeln.

Schmerz: Ich bin erschöpft von harter Arbeit.

Vernunft: Ein und dieselbe Arbeitslast ist schwer für den Faulen und leicht für den Fleißigen. Ertrage sie mit mutigem Geist! Erhebe dich und vergleiche deine kleinen Schwierigkeiten mit dem großen Ziel! Viele haben sich durch Arbeit weiterentwickelt, viele durch ihren Fleiß, aber keiner durch Schlafen.

Petrarcameister - Von schwieriger Arbeit

In den Tröstungen der Vernunft kommt wieder einmal der Humanist Petrarca zu Wort, wenn er, in Abkehr von den Gedanken des Feudalismus und auch oppositionell zur kirchlichen Auffassung von der Arbeit als einer Strafe Gottes nach der Vertreibung aus dem Paradies, die Arbeit als eine Tugend preist… - Von den vielen Beispielen, die nun Petrarca noch gibt, hat der Petrarca-Meister ganz abgesehen. Er hat die Arbeit in einem Bild seiner Zeit dargestellt. Das Gewölbe mit dem Warenlager eines Kaufmannes, der Fernhandel treibt, bildet den Rahmen. Im Hof mühen sich die Arbeiter mit Knebeln und Hebeln beim Verpacken der Warenballen. Im Gewölbe sitzt bei seinen Waren, auch bei seinen Büchern und seiner Geldtruhe, der Kaufmann. Schreibzeug, Brille, Messer, Schere, Rechenbrett sind zur Hand. Wie die Arbeiter ist auch er in seine Arbeit vertieft. Aber der Petrarca-Meister hat auch Sinn für die Klage des Schmerzes über ein Zuviel an Arbeit. Sehr kühn reißt der Künstler über dem Haupt des geplagten Kaufmanns das enge Gewölbe auf und läßt einen Wunschtraum sehen. Da sind Felder und ferne Dörfer, Bäume, Wiesen, Wolken und Vögel, da spaziert einer so frank und frei mit dem Speer über der Schulter seines Weges, wie es sich der geplagte Kaufmann wünscht. Mit der Überschneidung dieses Rundbildes durch den Kopf des Kaufmannes sagt der Petrarca-Meister, daß Kopf und Bild zusammengehören. Auch durch die Art, wie er ohne jeden Versuch einer architektonischen Begründung das Gewölbe bei diesem Bild verschwinden läßt, zeigt er klar, daß hier kein realer Sachverhalt, sondern eine Idee gezeichnet ist. Auf die schöne Komposition, in der die visionäre Landschaft links und die Stadtansicht mit der rauchenden Esse einander entsprechen, soll noch ausdrücklich hingewiesen werden.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir hier den Händler bzw. Handelnden in seinem Körperhaus sehen, dessen Gewölbe von starken Säulen gestützt wird. In diesem Haus sind jede Menge Waren angesammelt, all unsere Erinnerungen mit den Verdiensten aus Sünden und Tugenden, die sich der Händler eingehandelt und damit persönlich angeeignet hat. In Indien würde man von Karma sprechen, das durch das Greifen nach den Früchten der Taten entsteht und angesammelt wird. Entsprechend sieht man rechts vor dem Hintergrund der Körperstadt, wie der gealterte Geist mit dem Verstand den Seelenwagen bepackt und die Ladung fest verzurrt, so daß nichts verlorengeht. Davor stehen die „Nichthandelnden“, die dem Treiben einfach nur zuschauen, was aus geistiger Sicht eigentlich das große Ziel wäre, also ein reines Bewußtsein, das nicht wie Adam und Eva nach den Früchten greift und damit auch nichts ansammelt. Oder wie Laotse sagt: „Tue nichts und alles ist getan!“ Dieses „Nichthandeln“ sollte man aber nicht mit Faulheit, Schläfrigkeit oder Trägheit verwechseln, im Gegenteil, es ist ein vollkommen waches bzw. erwachtes Bewußtsein reiner Tätigkeit. Und man sagt, der Weg zu diesem „freien und ungebundenen Bewußtsein“ in der Natur, wie es auch der Händler in seiner Vision sieht, ist die leidige und schwere Arbeit in dieser Welt, um das Angesammelte auszuwirken und abzubauen, und natürlich am besten, ohne dabei Neues anzusammeln.

2.57. Vom harten Weg zu Fuß

Schmerz: Ich muß mit meinen eigenen Füßen einen harten Weg gehen.

Vernunft: Würdest du es vorziehen, es wären die Füße eines anderen? Würdest du auch mit den Händen eines anderen arbeiten wollen, mit seinen Augen sehen, mit seinen Ohren hören, mit seinem Gaumen schmecken und mit seiner Nase riechen? Was ist an dieser einen Sache so besonders, daß es dir gefallen sollte, mit den Füßen eines anderen zu gehen?

Schmerz: Ich muß zu Fuß ohne Pferd reisen.

Vernunft: Bist du etwa auf einem Pferd in diese Welt gekommen, oder wirst du sie reitend verlassen? Warum beklagst du dich dann, ohne Pferd durch diese Welt reisen zu müssen? Deine Geburt war doch so bescheiden, und dein Tod wird noch bescheidener sein. Wie stolz gehst du den kurzen Weg zwischen diesen beiden! Und wie schnell werden diese beiden Tore völlig vergessen, und du erinnerst dich nicht mehr, woher du kommst oder wohin du gehst.

Schmerz: Ich bin gezwungen, einen weiten Weg zu gehen.

Vernunft: Ich gebe zu, daß Zwang eine harte Sache ist. Aber nur wer will, läßt sich auch zwingen, und Widerwille und Klagen verstärken die zwingende Notwendigkeit, während ein geduldiger und zustimmender Geist die Stacheln des Schicksals abstumpfen kann. Du möchtest nicht gezwungen werden? Dann tue von selbst, wozu du gezwungen wirst! Du möchtest, daß der lange Weg kurz ist? Dann gehe freiwillig!

Schmerz: Ich würde gerne reiten, aber ich muß zu Fuß gehen.

Vernunft: Ist es nicht der Gipfel des Wahnsinns, die Gabe der Natur an dich für ein vierbeiniges Tier einzutauschen? Ohne zu wissen, wie lange das Schicksal dir diese Hilfe des Tieres gewährt, was viele tun, die sich auf ein gemeines, widerspenstiges und vergängliches Pferd verlassen und es versäumen, ihre eigenen Füße zu benutzen? Ich frage mich, was man solchen Leuten anderes wünschen sollte als die Gicht der Reichen, nämlich nutzlose Füße und viele Pferde.

Schmerz: Ich werde einen langen Weg zu Fuß gehen müssen.

Vernunft: Doch nur so kannst du gehen, wie du willst. Niemand anderes wird dich ans gewünschte Ziel führen, niemand anderes wird dich aufhalten, abschrecken, abwerfen oder in einen Abgrund stürzen. Du mußt dich nur um den Weg und das Gehen kümmern, und nicht um irgendeinen, der dich trägt. Du brauchst dein Pferd nicht zügeln, anspornen, tränken, füttern, auf Stroh betten, striegeln, einölen und seine Hufe pflegen. Du mußt dein Pferd abends nicht einsperren, morgens wecken und ständig aufpassen, wie das Tier mit anderen zurechtkommt. So kannst du wenigsten nachts ruhig schlafen, während die Reiter auch da noch Sorgen haben.

Schmerz: Ich gehe lange Wege zu Fuß.

Vernunft: Doch wahrscheinlich läufst du in Schuhen. Die heiligen Väter wanderten barfuß durch die Wüste, und die Apostel, diese Boten des allmächtigen Gottes, reisten durch alle Regionen der Welt, einer nach Osten, andere nach Westen, Norden oder Süden. Sie fuhren selten zu Wasser und nur dann, wenn es die Lage eines Ortes erforderte. Aber wo, frage ich, ist zu lesen, daß sie auf Pferden ritten, außer der Apostel Johannes? Und selbst er ritt nicht mehr als einmal und nur ein kleines Stück als er, wie Clemens schrieb und die Kirchengeschichte uns erzählt, in frommer Eile ritt, um die Seele eines gefallenen Jünglings zu retten. Wie konnten sie auch reiten, wenn ihr Meister zu Fuß ging? Nur einmal bestieg er einen Esel, und zwar kurz bevor er das Kreuz besteigen mußte!

Und wenn dir diese Beispiele zu heilig und unerreichbar sind, dann denke daran, daß die römischen Legionen bekanntlich fast nur zu Fuß unterwegs waren, als sie die Welt eroberten, wobei jeder Soldat nicht nur seine Rüstung und Waffen, sondern auch Brot und Proviant für viele Tage trug, sowie die Pfähle für ihre Verschanzung, um das Lager vor nächtlichen Angriffen zu schützen, sobald sie feindliches Gebiet betreten hatten. Auch Cicero bezieht sich gern auf die römischen Soldaten, und nachdem er festgestellt hat, daß für die tapferen Männer aller Nationen ihre Waffen keine lästige Ausrüstung, sondern eine Art Kleidung sind, lobt er besonders die Römer, die ihre Waffen nicht nur als eine Form der Kleidung, sondern als ihre eigenen Schultern und Arme betrachten. Nur mit all dieser Ausrüstung fühlten sie sich ordentlich angekleidet. Hier ist auch das moderne Vokabular irreführend, und du solltest beachten, daß viele Textpassagen in den römischen Geschichtsbüchern deutlich darauf hinweisen, daß sich der Begriff „Militär“ üblicherweise auf Fußsoldaten bezog, im Unterschied zu den Reitersoldaten, obwohl beide Arten Krieg führten.

Die Erinnerung an ihre Mühsal sollte dir ohne Waffen und schweres Gepäck große Erleichterung und Trost bieten, auch wenn du auf einem harten, aber sicheren Weg gehst, im Gegensatz zu denen, die bewaffnet und beladen weite Wege voller Gefahren gingen. Denn wenn es darum geht, Not zu ertragen, gibt es nichts Hilfreicheres als die Erinnerung, daß viele andere tapfere Menschen dasselbe erlitten haben. Jeder tapfere Mensch wird sich schämen, nicht das ertragen zu können, was unzählige andere ertragen haben, ein Gedanke, der nicht nur für schwierige Aufgaben nützlich ist, sondern auch für körperliche Schmerzen, die uns als die elendesten aller Qualen erscheinen, bis zum Tod selbst.

Schmerz: Ich muß aber zu Fuß einen langen und harten Weg gehen.

Vernunft: Um einen harten Weg zu erleichtern und einen traurigen Geist aufzuheitern, gibt es nichts Schöneres, als sich um das Edle und Sanfte zu kümmern, das im Herzen eines guten und wohlgebildeten Menschen wohnt und ihn auf allen Wegen begleitet. Wenn du diese willkommene Gesellschaft eines angenehmen und redegewandten Freundes findest, dann erscheint der Weg einfacher und die Entfernung kürzer. Viele Menschen freuen sich so sehr über angenehme Gespräche, daß sie die Strapazen der Reise kaum noch bemerken und sogar bedauern, wie schnell ihre Begegnung vergangen ist, obwohl der Weg lang war, und sie fühlen sich, als wären sie nicht gegangen, sondern geritten. So lautet auch einer der bekanntesten Sprüche aus den Mimen von Publilius: „Ein gesprächiger Weggefährte ist so gut wie eine Kutsche.“

Petrarcameister - Vom harten Weg zu Fuß

Die Leiden der „kleinen Leute“ werden vom Petrarca-Meister in besonders überlegten Zeichnungen geschildert, die seine Vertrautheit mit diesen Nöten erkennen lassen. Zu der allgemeinen Klage über den harten Weg stellt der Künstler den Boten dar, der seinen Lebensunterhalt mit den Füßen verdienen muß. Es ist ein alter Mann, der sich müde am Bildstock an der Wegscheide niedergelassen hat, einen Schuh ausgezogen hat und bekümmert die durchgelaufene Sohle betrachtet. Hinter ihm ist ein anderer unfreiwilliger Wanderer unterwegs: Ein Bettler, der hinkend von Ort zu Ort humpelt. Frei und rüstig dagegen wandert der Pilger mit dem langen Stab über der Schulter seinem fernen Ziel zu. Er ist nicht um des Broterwerbes willen unterwegs, kommt er heute nicht, so kommt er später. Der Bildstock im Vordergrund, das Sühnekreuz daneben, das von den Gefahren der Landstraße zeugt, die kleine Stadt mit ihren Wehrbauten und Türmen hinter den baumbestandenen Gräben und Wällen vermitteln einen Eindruck von Frieden und Behaglichkeit, durch den der Kummer des Boten noch unterstrichen wird.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man auf dem Bild einige Wege zu Gott erkennen, die sich verworren durch die Natur ziehen, wie es auch in der Bibel heißt: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! (Röm. 11.33Dazu steht hier offenbar die große Frage, was es bedeutet, auf „eigenen Füßen zu gehen“. Nach links führt ein leidvoller Weg über dem Kreuz von Krankheit und Tod in die einsame Natur zu einem hohen hell erleuchteten Berg, den der einfüßige Bettler mit der Krücke auf seinem „rechten Fuß“ geht, an dem sich der Schuhriemen löst. Nach hinten führt ein „Pilgerweg“ entlang der üblichen Wegweiser durch ein helles Feld in die Stadt hinab mit den Häusern, Burgen und Kirchen, der von einem leichtfüßigen Pilger mit hoffnungsvoll erhobenem Haupt gegangen wird, der auf seinem verdrehten bzw. verkehrten „linken Fuß“ zu tanzen scheint. Und ein müder Wanderer sitzt mit Wanderstock und Hut an einer Wegkreuzung und betrachtet nachdenklich den durchgelaufenen Schuh von seinem „linken Fuß“, ein altgewordener Geist in einem verbrauchten Körper, der wohl schon viele Wege durch die Welt gegangen, aber immer noch nicht angekommen ist. Hinter ihm steht eine Bildsäule, die man als geistigen Wegweiser betrachten könnte. Nach links geht es über das Steinkreuz in das irdische Leiden und Sterben. Nach hinten auf den Wegen der Welt in die hoffnungsvolle Körperstadt, die uns helfen soll. Nach rechts geht es zur Kreuzigung am Kreuz dieser Welt und zur himmlischen Auferstehung, aus welcher Richtung auch das helle Licht kommt, das dieses Bild erleuchtet. Und nach vorn sieht man eine leere reine Tafel. Die Kunsthistoriker vermuten, daß hier im Laufe der Reformation unliebsame Symbole ausgeschnitten worden. Aber vielleicht soll es auch ein Spiegel sein, in dem sich der Betrachter dieses Bildes selbst erkennen kann und welchen Weg er geht.

2.58. Von einem unfruchtbaren Jahr

Schmerz: Ich bin besorgt wegen eines unfruchtbaren Jahres.

Vernunft: Dann wird dir ein fruchtbares Jahr um so willkommener sein. Alles erkennt man am besten, indem man es mit seinem Gegenteil vergleicht.

Schmerz: Meine Felder haben meine Erwartungen enttäuscht.

Vernunft: Nicht die Felder haben dich getäuscht, sondern dein gottloser und habgieriger Verstand. Ihr unverschämten Narren erwartet, daß alles nach euren Wünschen geschieht, und dann verurteilst du die Natur, wenn sie dir nicht gehorcht. Wenn sie es wagt, ihren eigenen Gesetzen zu folgen und nur einmal den unersättlichen Abgrund deiner Habgier nicht erfüllt, dann erscheint sie dir ungewöhnlich, geizig und ungerecht. Dazu sind deine Erwartungen weder gerechtfertigt noch bescheiden, sondern mehr Ausgeburten einer überheblichen Begierde. Du redest dir ein, daß du immer bekommen wirst, was du willst, und wenn du es nicht bekommst, dann beklagst du einen Verlust. Deine Felder haben sich ihrer Natur gemäß verhalten, und du gemäß deiner. Doch in der Natur wechseln sich Fülle und Dürre ab, während deine Habgier beständig bleibt. Du bist ein äußerst voreingenommener Beobachter: Während du die Fülle dankbar und nüchtern annehmen und die Dürre geduldig und mutig ertragen solltest, verachtest du das eine und beklagst das andere, so daß dich das erste aufbläht und das zweite enttäuscht.

Schmerz: Meine Felder, die eine bessere Ernte versprachen, haben mich getäuscht.

Vernunft: Du ermüdest die Erde mit deinen Ochsen und Hacken und den Himmel mit deinen Wünschen und Gebeten. Die treibenden Winde, der fruchtbare Regen, die Kraft der Samen und die Schönheit der Sprößlinge, die Pracht des Landes, die Trockenheit des Winters, die Feuchtigkeit des Frühlings, die Sonne des Sommers und die Reife des Herbstes, sie alle erwecken deine gierigen Hoffnungen. So wie die Flamme trockenes Holz verzehrt und der Wind den losen Staub verweht, so erweckt und steigert jeder Gewinn deinen gierigen Geist, und jeder Verlust, nicht nur von Gütern, sondern sogar von einer schwachen Hoffnung, verwirrt und bedrückt ihn. Ihr armen Geschöpfe solltet eure verwirrten Gefühle beherrschen, eure grenzenlosen Gelüste zügeln und eure von tausend Erfolgen getäuschten leichtgläubigen Hoffnungen zurückhalten! Wie siehst du Himmel und Erde? Es gibt keine Fülle außer von Gott. Sterbliche sollten Ihm das Tun überlassen, sehen, was Er getan hat, und es preisen. Laß diesen Arbeiter arbeiten, und verweigere Gott nicht den Respekt, der jedes Handwerk beherrscht. Es ist eine Schande für das irdene Gefäß, sich über seinen himmlischen Töpfer zu beklagen. Vielmehr solltest du Ihm mit Stimme und Verstand für alle Dinge danken, der im Bewußtsein aller Bedürfnisse und Wünsche nicht unwissend einigen hilft und andere enttäuscht. In jedem Fall ist Er barmherzig, und in jedem Fall konsequent in Seinem Ratschluß über die Menschensöhne, wie über Ihn geschrieben steht. Vertraue daher nicht auf deine Felder, sondern auf den Herrn und tue Gutes! Wohne in seinem Land, und du wirst von seinen Reichtümern ernährt werden. Erfreue dich am Herrn, und er wird dir die Bitten deines Herzens erfüllen, die nicht gierig oder ungerecht sein können, sobald du anfängst, dich am Herrn zu erfreuen. Befiehl deinen Weg dem Herrn und vertraue auf ihn, und er wird es tun. Wirf deine Sorgen auf den Herrn, und er wird dich stützen. Warum kümmerst du dich, der von Gottes Hand geformt wurde, um nichts anderes als die Erde? Liebst du nur die Erde? Ignoriere diese heiligen Worte nicht, wie du es gewohnt bist! Sehne dich nicht danach und bete nicht um Wind, Regen und günstiges Wetter! Setze deine Hoffnungen nicht auf die Erde, sondern auf Ihn, der auf die Erde blickt und sie erzittern läßt, der aus dem härtesten Stein eine sprudelnde Quelle schöpft, und der dich wegen deinem kleinen Stück Land so enttäuschte, damit du deine Hoffnung auf Ihn setzen sollst, der frei von jeder Täuschung ist!

Schmerz: Ein Großteil meines üblichen Wohlstands ist weg.

Vernunft: Er wird nur verlagert, wenn man die mehr als üppigen Ernten der vergangenen Jahre bedenkt oder was die kommenden Jahre bringen werden. So klein deine Ernte auch ist, sie reicht für ein bescheidenes Leben. Die Habgier wächst mit dem Gewinn, und je mehr man bekommt, desto ärmer wird man. Wohlstand ist eine großartige Mutter und eine großartige Amme, aber auch ein großartiger Anstifter zum Laster. Laß dir doch von deinem Übel ein wenig nehmen, denn je weniger du davon hast, desto weniger hast du Stolz, und desto weniger Verlangen. Dazu kommt noch, daß deine Ernte, so wie sie ist, von vielen anderen immer noch als reicher Segen angesehen würde und daß du sie selbst sogar als reichlich und genügend einschätzen würdest, wenn du an Sparsamkeit und Mangel gewöhnt wärst. So viel zählt die Gewohnheit, und so groß ist ihre Macht, wenn es darum geht, Dinge einzuschätzen. Ist es dann ein Wunder, daß die Menschen mäßige Gewinne verachten, wenn sie an unnötigen Wohlstand gewöhnt sind, der wie ein Sturm jede Mäßigung überwältigt?

Schmerz: Ein ungewöhnlicher Mangel hat mich heimgesucht.

Vernunft: Oft bringt ungewöhnlicher Mangel die stärksten Menschen hervor, und Überfluß die weichen. Diese beiden bringen sie nicht nur hervor, sondern produzieren sie tatsächlich und stärken oder verweichlichen besonders diejenigen, die anderswo geboren werden. So begann Asien, die Gallier zu verweichlichen, bevor es die Römer taten, und Babylon verweichlichte Alexander und Capua Hannibal. Andererseits stärkte das trockene und steinige Ligurien den römischen Charakter und schärfte ihn wie ein Wetzstein. So wirst auch du, der den Überfluß hatte, durch den Mangel gestärkt. Laß dich von deinen Feldern in Sparsamkeit belehren! Was deine vielen Bücher nicht können, wird die ausgedörrte Erde tun. Was etwas Nützliches lehrt, ist nicht zu verachten. So lerne, richtig zu leben! Lerne, obwohl du schon älter bist. Lerne, obwohl du nicht lernen willst. Lerne, obwohl du es haßt zu lernen!

Petrarcameister - Von einem unfruchtbaren Jahr

Von der Klage des Schmerzes über die Unfruchtbarkeit dieses Jahrs nimmt der Petrarca-Meister scheinbar keine Notiz. In seiner Darstellung ist das Jahr nicht unfruchtbar, und das Getreide rechts im Mittelgrund steht prächtig. Ein Alter mit der Sichel schickt sich an, die Ernte zu beginnen. Auch der Grummetschnitt (später Heuschnitt) im Vordergrund, an dem der Bauer mit Frau und Tochter arbeitet, scheint nicht schlecht zu sein. Doch ist es nicht die eigene Ernte, die die Bauern einbringen. Links im Hintergrund vor dem Weinberg steht mit befehlender Geste ein Vogt, das kurze Schwert der Bauern an der Seite, der den Arbeitenden Anweisungen erteilt. Hält man das Bild mit dem folgenden zusammen, wo sich der Bauer gegen den Vogt zur Wehr setzt, dann hat der Petrarca-Meister wohl doch die Klage über die Unfruchtbarkeit des Jahres dargestellt, aber die Klage von Seiten des Bauern: Es ist unfruchtbar für ihn, dieses wie alle Jahre, weil er nicht für sich selbst arbeitet.

Soweit schreibt Walther Scheidig voll sozialistischer Hoffnung. Und man muß natürlich hinzufügen, daß auch im Sozialismus die Bauern in einer Genossenschaft arbeiten mußten. Aus geistiger Sicht steht dann die Frage: Was ist in Wahrheit fruchtbar für mich selbst? So können wir im Vordergrund des Bildes eine Bauernfamilie sehen, Vater Geist und Mutter Natur mit Sohn und Tochter. Der Sohn erntet das Gras als Nahrung für das Tierwesen und der Vater den Weizen als Nahrung für das Menschwesen, während die weibliche Seite das Heu zusammenrecht und unter der weltlichen Sonne wendet, damit der Bauer „sein Heu ins Trockene bringt“. Und für den Weizen sieht man im Hintergrund neben dem umzäunten Bauernhaus mit der Scheune als Symbol für die eigene Körperlichkeit noch einen Knecht, der vermutlich die Körner drischt und von den äußeren Schalen befreit, was an die Kraft des Denkens bzw. Verstandes erinnert. Damit könnte der Mensch körperlich als Tierwesen und geistig als Mensch leben. Doch warum ist diese Ernte nie beständig und genug, so daß sich der Schmerz beschwert? Die Antwort könnte man links an dem Weinberg finden, vor dem der Vogt bzw. Gutsverwalter steht und den Zugang für die Bauernfamilie versperrt und verwehrt. Die Arbeit und Ernte im Weinberg Gottes ist ein biblisches Gleichnis für den Erwerb des göttlichen Reiches, und gewöhnlich ist es unser Ego, das uns hier zurückhält, weil wir nicht für Gott, sondern für uns selber arbeiten wollen. Auf dieser Bewußtseinsebene erscheint auch der Weinberg noch fruchtbar und voller Reben, aber in höheren Ebenen ist er „verwahrlost“, verdorrt und abgestorben. Denn dahin kann sich das eigennützige Ichbewußtsein nicht erheben und bildet sozusagen einen Zaun um diesen Weinberg, wie auch im Bild zu sehen ist. Und was es in seiner Blase im Bauernhaus ansammelt ist irdisch und vergänglich und in diesem Sinne nur fruchtbar für Illusionen und führt nicht zur Wahrheit. Denn durch das Anhäufen von Illusionen, mögen es auch noch so viele sein, kommt man der göttlichen Wahrheit auf dem Gipfel des Berges nicht näher, und darum ist auch diese Ernte nie beständig und genug.

2.59. Von einem bösen und stolzen Gutsverwalter

Schmerz: Ich muß einen unverschämten Gutsverwalter ertragen.

Vernunft: Nur unverschämt und kein Dieb? Dann bist du noch gut dran.

Schmerz: Ich habe einen wirklich bösen Gutsverwalter.

Vernunft: Ertrage ihn mit Gleichmut! Ein Gutsverwalter ist immer gut, es sei denn, er ist der Schlimmste (der Teufel).

Schmerz: Ich ärgere mich über einen harten Gutsverwalter.

Vernunft: Du würdest dich mehr ärgern, wenn er weich und schwach wäre. Härte ist der zweite Name der Bauern! Sie arbeiten mit starken Ochsen, handhaben harte Pflüge, harte Hacken und Harken, bestellen die harte Erde und sind selbst hart. Wenn dein Gutsverwalter ebenso hart ist, dann ist er doch ein guter Verwalter.

Schmerz: Ich kann aber diesen lästigen Verwalter nicht ausstehen.

Vernunft: Du mußt entweder deinen Gutsverwalter ertragen oder selbst dein Gutsverwalter sein und in der unkultivierten Wildnis leben. Jede dieser Entscheidungen hat seine Schwierigkeiten.

Schmerz: Ich habe einen sturen und unerträglichen Gutsverwalter.

Vernunft: Nichts davon sollte dich überraschen. Sobald man Land bekommt, muß man mit verschiedenen Schwierigkeiten, Dürre und der Arroganz des Gutsverwalters rechnen. Als du mit deinem Landbesitz prahltest (in Kapitel 1.57), sagte ich dir: Als die Gerechtigkeit diese Welt verließ, blieb sie zweifellos am längsten bei den Bauern. Doch wenn die Menschheit jemals wieder auferstehen sollte, dann denke ich, daß sie die letzten sein werden, die sie wiederfinden. Denn sie folgten den Ungerechten, die vorausgingen, und sind die allerschlimmsten aller Menschen geworden.

Schmerz: Ich habe einen überaus harten Gutsverwalter.

Vernunft: Die Wahrheit selbst sagt, daß die Erde Dornen und Disteln für die Menschheit hervorbringen wird (1.Mose 3.18). Es versteht sich also von selbst, daß die Bauern härter sein müssen als alle Dornen und Disteln zusammen.

Schmerz: Ich habe einen völlig nutzlosen Gutsverwalter.

Vernunft: Entweder lerne, seine Nutzlosigkeit zu ertragen oder deinen Hunger zu erdulden. Ein Wechsel des Herrn bringt nichts, denn sie sind alle gleich gemacht, nur daß der nächste oft noch schlimmer als der vorherige ist.

Schmerz: Ich habe einen Gutsverwalter, der ein Dieb ist.

Vernunft: Jetzt sagst du endlich das, was ich zu Beginn schon vermutet hatte. Denn sie alle sind dem Stehlen so verfallen, daß ihnen das Wenige, das sie auf diese Weise erhalten, süßer erscheint als alles, was sie durch ehrliche Arbeit erlangen. Aber auch das muß man aushalten, und es hat wenig Sinn, dies bei deinem Gutsverwalter zu bedauern, weil es allen gemeinsam ist. Und ungeachtet der Tatsache, daß der Dichter die Bauern die Letzten sein läßt, die von der Gerechtigkeit übrigbleiben, wie ich bereits zweimal gesagt habe, so war doch auch der erste Mensch, der aus dem Samen von Menschen gezeugt wurde, ein Bauer, der zum Mörder seines eigenen Bruders wurde. Es scheint also, daß die Bauern schon immer die allerschlimmsten Leute waren. Wenn du daran denkst, wirst du nicht mehr überrascht sein, daß es hier auch Diebe gibt.

Schmerz: Durch die Schuld meines Gutsverwalters liegen die Felder brach und verlassen.

Vernunft: Das passierte immer schon, auch vielen Menschen, die viel angesehener waren als du, darunter Anaxagoras und Archytas, die meiner Meinung nach beide diese Tatsache bedauerten, sich aber nicht darüber aufregten.

Petrarcameister - Von einem bösen und stolzen Gutsverwalter

Der Petrarca-Meister stellt sich bewußt auf den Bauernstandpunkt und versteht unter dem Hofmeister den Vogt des Herrn. In dem reichen und sehr reizvollen Bild erzählt er, wie dieser Vogt in stutzerhafter Landsknechtskleidung mit einem bewaffneten Knecht auf den Bauernhof gekommen ist. Wie immer ist die Sympathie des Zeichners durchaus auf der Seite des Bauern, der zum Knüppel greift, um sich der nichtsnutzigen Burschen zu entledigen. Bauersfrau und Kind sehen vom Fenster aus zu, die Frau angsterfüllt, das Kind neugierig. - Von den Reizen, die die Kunst des Petrarca-Meisters über der Bildfläche ausbreitet, wenn Bauernhof und ländliches Leben das Thema ist, wurde schon bei verwandten Darstellungen ausführlich gesprochen.

Soweit schreibt Walther Scheidig zum Bild. Aus geistiger Sicht können wir im Bauern mit Familie, Haus, Hof und Tieren das Körperbewußtsein im natürlichen Körper sehen, das hier seine Unzufriedenheit über das herrschende Ichbewußtsein als stolzer Stutzer und seinem Knecht, dem begrifflichen Verstand, mit „schlagenden Argumenten“ zum Ausdruck bringt. Das kennt wohl auch jeder, wenn der Körper Hunger hat und entsprechend unzufrieden oder sogar böse wird, weil der Verwalter mit dem Verstand nicht fähig war, genügend Nahrung in dieser Welt zu „organisieren“. Obwohl man auf dem Bild in der reichhaltigen Natur keinen hungernden Bauern vermuten würde, aber wer weiß, was das Ego mit dem begrifflichen Verstand alles vom Bauern bzw. Körper forderte, so daß sich das Körperbewußtsein wehrt und zurückschlägt. Denn wir kennen ja alle die Unersättlichkeit des Egos, je stolzer, desto unersättlicher, und mit dem Verstand versucht es, seine Gier zu sättigen, so daß wir uns nicht zu Unrecht als Diebe in der Natur betrachten sollten. Besser wäre wohl ein vernünftiges Miteinander…


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