Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

2.110. Von sexueller Wollust

Schmerz: Ich bin vor brennender Lust entflammt.

Vernunft: Diese Lust entsteht durch die Trägheit, die wiederum von Völlerei kommt. Wen wundert es, daß die Tochter in die Fußstapfen ihrer Eltern tritt? Völlerei und Sexualtrieb habt ihr Menschen sicherlich mit den Tieren gemeinsam. Die Weisen stimmen darin überein, daß diese beiden dein Leben äußerst tierhaft machen, und obwohl es schlimmere Übel gibt, welche die Menschheit befallen, ist keines tierischer.

Schmerz: Ich werde von dieser Lust überwältigt.

Vernunft: Und wohin wird sie dich führen, wenn nicht zur Sterblichkeit von Geist und Körper, zum Brandzeichen der Schande, zu notorischer Erniedrigung und Reue, die so spät kommt, daß sie kaum noch Nutzen bringt? Geh hin und folge deinem Verführer, der dich zu einem solchen Ende führen wird! Oder denke an die zahllosen Beispiele, so erbärmlich berühmt sie auch sind, die nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Städte und Königreiche betreffen, die dir aus eigener Erfahrung, vom Hörensagen und insbesondere aus deiner Lektüre sehr vertraut sein müssen, und ich glaube, du wirst diesem üblen Laster niemals wieder deine Hand reichen. Höre dir nur an, was die gelehrtesten Männer darüber geschrieben haben. Cicero sagt: „Sinnesbegierde ist eine höchst verführerische Geliebte, die den Geist fast vollständig von der Tugend abwendet.“ Und auch Seneca stellt fest, daß dieses Laster zu meiden ist, weil es uns umarmt, um uns zu ersticken, genau wie Straßenräuber, die Reisenden auflauern und sie verführen, um sie zu töten. Wer an dieser Pestilenz leidet, wird es auch sehr hilfreich finden, die brillanten Ratschläge zu berücksichtigen, die Masinissa Scipio Africanus an Livius richtet: „Besiege dich selbst! Verderbe nicht viele gute Eigenschaften durch einen Fehler und verwirke damit die Gunst, die durch so viele Dienste erworben wurde, durch einen Fehler, der in keinem Verhältnis zu seiner Ursache steht.“ Dies ist leichter zu erreichen, wenn du sorgfältig über die Tierhaftigkeit, Unreinheit, Vergänglichkeit und Nützlichkeit der sexuellen Zügellosigkeit nachdenkst, und daß die lange Schande einer flüchtigen Stunde oder die Versuchung eines Augenblicks mit vielen Jahren Buße oder sogar ewiger Verdammnis bestraft werden könnte.

Petrarcameister - Von sexueller Wollust

In drei Verführungsszenen hat der Teufel die Hand im Spiel. Er enthüllt dem lüsternen Greis die Reize der modisch aufgeputzten Dirne, er rückt das junge Paar im Bett näher aneinander, und er weist dem Magister mit seinem Mädchen draußen am Waldrand den Weg ins Waldesdickicht. - Petrarca hat in seinen Betrachtungen dagegen den Teufel nicht genannt, er spricht vielmehr von der Verknüpfung der Laster untereinander: Fraß mache Trägheit, Trägheit mache Unkeuschheit, ein Laster komme zu dem anderen.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man hier drei Formen des Teufels sehen, der im Ichbewußtsein praktisch in allen Arten der weltlichen Liebe anwesend ist: In der käuflichen Liebe des Reichen in Form des borstigen Teufels mit bedrohlichen Hörnern und Reißzähnen, beim Seitensprung des Gelehrten im Wald in Form des Drachenteufels als gefallener Engel am Baum der Erkenntnis und sogar im Ehebett des jungen Paares als gieriges Tierwesen mit „elfenartigen Flügeln und langen Fühlern“. Das bedeutet praktisch, daß auf dieser Ebene des trennenden Ichbewußtseins nur eine vorübergehende Verbindung von Männlich und Weiblich bzw. Geist und Natur erlangt werden kann, um das vergängliche Leben zu erhalten und in einer „natürlichen Evolution“ fortzupflanzen und weiterzuentwickeln, wie die Stufen in das Körperhaus andeuten könnten. Aber vielleicht gibt es auch eine „geistige Evolution“, die nicht nur eine vergängliche Verbindung, sondern eine ewige Vereinigung sucht, um die tiefverwurzelte natürlich-geistige Sehnsucht zu stillen und diesen tierischen Drang zu erfüllen und in diesem Hochgefühl vollkommen zu verschmelzen. Und man sagt, das läßt sich durch ein höheres Bewußtsein einer ganzheitlichen Vernunft verwirklichen, die über das Ichbewußtsein hinausgeht und sogar das ewige Leben erreichen kann.

2.111. Von überheblichem Stolz

Schmerz: Ich bin stolz.

Vernunft: Worauf kannst du als Erde und Asche stolz sein? Wie kannst du dich, niedergedrückt und bedrängt von einer Menge Übel, voller Stolz erheben? Selbst wenn du alle deine Übel loshättest und dich erheben könntest, getragen von den Flügeln deiner Tugenden, würde nur dieses eine Laster alles verunreinigen. Denn nichts ist Gott verhaßter als überheblicher Stolz. Er verursachte den erbärmlichen Untergang des herrlichsten Geschöpfes, das sich nun als Sünder stolz erheben will. Wenn es ihm schon wegen dieser einen Sünde so ergangen ist, was glaubst du, wird dann mit dir geschehen, wenn dieses Laster nur der Gipfel eines Berges anderer Laster ist?

Schmerz: Der Stolz treibt mich.

Vernunft: Darf ich fragen warum? Bist du nicht sterblich und wirst jeden Tag hinfälliger? Bist du nicht ein Sünder, tausend verschiedenen Gefahren ausgesetzt und dem ungewissen Tod unterworfen? Hast du dein Elend vergessen? Kennst du nicht Homers berühmtes Sprichwort: „Die Erde ernährt nichts Elenderes als den Menschen.“ Ich würde gern wissen, was dich so sehr zu Stolz ermutigt, angesichts der Schwäche deines Körpers, der Vielzahl von Krankheiten, der Kürze des Lebens und der Blindheit deines Geistes, der ewig zwischen vergeblichen Hoffnungen und unvergänglichen Ängsten schwankt, sowie angesichts der Vergeßlichkeit in Bezug auf die Vergangenheit und die Unwissenheit in Bezug auf Gegenwart und Zukunft, oder angesichts der Hinterhältigkeit deiner Feinde, des Todes deiner Freunde, der anhaltenden Widrigkeiten oder des flüchtigen Wohlstands? Für dich sind sie nichts anderes als die Leitern, die zum überheblichen Stolz führen, von dem du dann ins Verderben fällst. Für andere Gefahren, denen der Mensch ausgesetzt ist, gibt es eine Entschuldigung, wenn auch nicht immer gerechtfertigt, aber für Stolz und Neid gibt es keine.

Schmerz: Es tut mir leid, daß ich so stolz bin.

Vernunft: Die eigene Sünde zu bedauern ist der erste Schritt zur Erlösung. So wie sich der Stolz übermütig erhebt, so soll sich die Demut erleiden und sich demütig unterwerfen, was für dich einfacher wird, wenn du deine Augen allseits achtsam auf dein (reines) Selbst richtest. Wenn du das tust, halte ich es nicht für notwendig, vielerlei Sprüche aus Büchern zusammenzutragen, die gegen dieses Laster geschrieben sind. Es genügt, diesen Weg zu gehen, und der Stolz wird sofort verschwinden, sobald du einen guten Willen hast, dich ins Innere zurückzuziehen und sozusagen deinem Banner zu folgen.

In Bezug auf deine gegenwärtige Krankheit sollte ich noch Folgendes hinzufügen: Hochmut ist das Leiden der Elenden und Narren! Denn das müssen sie auf jeden Fall werden, um stolz zu sein, was sie sonst nicht wären. Das Buch der Weisheit sagt aus gutem Grund, daß nur die Unwissenden und Unglückseligen überheblich stolz sind (Weis. 15.14 nach Vulgata). Wenn sie die Grenzen ihres Verstandes erkennen könnten, würden sie sich der Schwäche ihres niederen Zustandes sicherlich bewußt sein. Und du kannst in demselben guten Buch lesen: „Heute König, morgen tot! Und wenn der Mensch tot ist, dann fressen ihn Schlangen, wilde Tiere und Würmer. Daher kommt aller Hochmut: Wenn ein Mensch von Gott abfällt und sein Herz von seinem Schöpfer weicht. Denn Hochmut kommt aus der Sünde… (Sir. 10.12)“ Der Rest ist bekannt, und wenn du achtsam genug bist, wirst du erkennen, daß ein überheblich stolzer Mensch ein Monster ist.

Petrarcameister - Vom überheblichen Stolz

Die Klage des Schmerzes über das Laster der Selbstüberheblichkeit nimmt der Petrarca-Meister zum Anlaß, um eine kleine Bilderzählung aus seiner Zeit zu schaffen. Im Bürgerhaus sitzt die Tochter fleißig am Spinnrad. Die Hausfrau muß weinend zusehen, wie sich ihr hoffärtiger Mann zum Ausritt rüstet. Er hat das Barett aufgesetzt, das Schwert umgeschnallt und putzt nun seine Schuhe. Hinter der klagenden Frau steht wohl die zweite Tochter, sie ist Nonne und sieht in statuarischer Ruhe dem Aufbruch des Vaters zu. Ein Bettler, der vor der Tür sitzt, die Schale für milde Gaben neben sich, flucht in höchster Erregung dem Mann, der seine Familie ins Unglück bringt. Im Hintergrund reitet dann der Hoffärtige stolz und geputzt aus. Er bespeit einen Bettler, der ihn, auf seinen Stock gestützt, um eine milde Gabe angesprochen hat. - In Kontrasten hat der Petrarca-Meister das Laster, seine Ursachen und seine Folgen dargestellt. Im Vergleich von Vater und Töchtern werden die Ursachen gezeigt, die im Abwenden von Fleiß und Glauben bestehen. Der Bettler neben dem Hoffärtigen dagegen läßt die Folgen erkennen: „Was du bist, war ich. Was ich bin, wirst du.“

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir Mutter Natur sehen, die über den Geist weint, der zwar Vater ihrer Töchter ist, aber sich nun in seinem Körperhaus stolz über die Natur erhebt und als Ichbewußtsein abtrennt, um etwas Eigenes zu sein. Die eine Tochter erinnert an das fleißige Tätigsein im Auswirken des angesammelten Karmas, sozusagen um „den Faden weiterzuspinnen“, und die andere an die weltliche Entsagung, um kein neues Karma anzusammeln. Beides verläßt das stolze Ego und reitet überheblich mit seinem Federhut und dem Schwert der Trennung bzw. Unterscheidung auf seinem Tierwesen durch die Natur zu seiner Ego-Burg und verachtet aus Hochmut die Demut und Armut, die ihn vor dem Baum des Lebens bittet, das Eigentum hinzugeben. Und damit ist die reine Armut im Geist gemeint (Matth. 5.3), die weder auf einem eigenen Tierwesen reitet noch ein eigenes Körperhaus besitzt, also eine ganzheitliche Vernunft, welche die Gegensätze von Gut und Böse, Mein und Dein sowie Geist und Natur überwinden und wieder vereinen kann, so daß es weder persönliches Eigentum noch eine Person gibt, die vom Ganzen bzw. von Gott abgetrennt wäre. Eine ganz andere Armut ist die Bedürftigkeit eines Bettlers, der durch sein Ichbewußtsein von dem abgetrennt ist, was er begehrt und sich von der Welt wünscht. Das wäre dann der Bettler im Körperhaus, der durch die Trennung vom Ganzen bzw. von Gott in leidvolle Armut fällt und sogar um sein Leben betteln muß, aber irgendwann auch erwachen und die Ursache seines Leidens erkennen kann.

2.112. Vom Fieber

Schmerz: Ich brenne im Fieber

Vernunft: Die Hitze wird zu gegebener Zeit enden, oder wird zu tödlicher Kälte. So oder so wird es gut.

Schmerz: Ich werde von Fieber bedrängt.

Vernunft: Jede Bewegung gegen die Natur hat mehr Ungestüm als Dauer und dient als Gegenkraft zur Heilung. Entweder reinigt es den Körper oder befreit die Seele.

Schmerz: Ich habe aber Fieber.

Vernunft: Du wirst es nicht lange haben. Freue dich auf eine baldige Heilung oder Befreiung. Beides ist sehr gut!

Schmerz: Ich leide an Fieber.

Vernunft: Du wirst dich bald erholen. Die Natur kämpft mit dem Tod. Achte einfach auf den Ausgang des Duells. Die Stunde ist nah, und du wirst entweder von dieser Krankheit oder von allem befreit.

Schmerz: Ich brenne im Fieber.

Vernunft: Es ist weniger schlimm, wenn der Körper verbrennt als der Geist. Über Letzteres hast du dich in den vorhergehenden sieben Beschwerden beklagt. Vielleicht ist dieses fieberhafte Brennen des Körpers sogar heilsam für deinen Geist, auch wenn es schwer zu ertragen ist. Wäre es nicht gut, daß dich ein kurzer Vorgeschmack des Leidens an die ewige Strafe erinnert, damit du dich bemühst, diese unendliche Bitterkeit zu vermeiden, indem du einige endliche Stunden unangenehmer Bitterkeit erträgst und daraus lernst, diesem Leiden zu entkommen, das weder Ärzte, noch Kräuter heilen können, kein Heilungstag und nicht einmal der Tod.

Schmerz: Ich bin im Fieber entflammt.

Vernunft: So wird das Futter für die Würmer gekocht. So laß dich nun für all die Tiere braten, die sonst für dich gebraten werden, und lerne aus deinem Leiden! Denn aus dem Leiden kommen oft die Heilmittel. Ein kleiner gegenwärtiger Schmerz kann dich vor großen zukünftigen Schmerzen warnen und somit ebenso nützlich wie lästig sein. Gesegnet sei das kurze Feuer, das zur Ursache ewiger Erfrischung wird!

Schmerz: Ich werde aber vom Fieber geplagt.

Vernunft: Damit kannst du jetzt den Wert der Gesundheit besser einschätzen! Denn ihr undankbaren Menschen schätzt Gottes Gaben nicht, es sei denn, sie gehen euch verloren oder werden euch genommen.

Schmerz: Ich werde aber von einem qualvollen Fieber geplagt.

Vernunft: Ihr zwei könnt nicht lange zusammenleben, denn kein Feuer brennt ewig. Entweder verläßt dich das Fieber, oder du verläßt das Fieber.

Petrarcameister - Vom Fieber

Petrarca kommt nun wieder auf die körperlichen Leiden zurück, nachdem die Kardinallaster untersucht worden sind. Bei dem Thema des Fiebers kontrastiert der Petrarca-Meister die aus Überfeinerung erwachsenden Plagen mit dem heilsamen, naturnahen Leben. Der kranke, reiche Mann liegt im Bett im Zimmer mit Marmorfußboden. Er wird wohl betreut: Die Hausfrau legt dem von Fieberschauern erfaßten Kranken noch eine große Pelzdecke über. Sorgfältig ist auch das Fenster zu Häupten des Bettes gegen Zug verhängt. Der Arzt ist gekommen und besieht den Urin, um seine Diagnose zu stellen. Währenddessen sitzt der alte Bauer draußen im Freien an der Quelle, trinkt frisches Wasser aus seiner Flasche und ist gesund und munter.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man den altgewordenen Geist auf seinem Karma-Bett im Körperhaus sehen, der nun innerlich verbrennt, was er als „körperlich Reicher“ im Laufe seines Lebens an „Karma-Brennstoff“ persönlich angesammelt hat. Mutter Natur selbst hüllt ihn dafür in die wärmende Decke der Körperlichkeit, um diese heilsame Erfahrung zu machen. Und der Verstand sucht als Arzt nach der Ursache dieses Leidens im „reinigenden Wasser des Lebens“, schaut dazu nach oben ins Licht und könnte sich auf diesem Weg zum göttlichen Licht bzw. Bewußtsein einer ganzheitlichen Erkenntnis erheben. Demgegenüber können wir links in der Natur den „geistig Armen“ sehen, der nichts angesammelt hat, was verbrannt werden müßte, und nun mit seinem Pilgerstab die Quelle des reinen Bewußtseins erreicht hat, die überall in der Natur sprudelt. Hier angekommen, setzt er sich zufrieden nieder und trinkt dieses Wasser des ewigen Lebens, aus dem auch der Baum des ewigen Lebens wächst. So verschmilzt er förmlich mit der Natur, und Körper und Seele sowie Geist und Natur werden wieder ein Ganzes bzw. Göttliches.

2.113. Von Koliken und Ohnmacht

Schmerz: Ich leide an Koliken.

Vernunft: Dann beginne zu hoffen, denn es gibt nichts Traurigeres, als sich zu fürchten. Wie das Ende der Freude praktisch der Anfang des Schmerzes ist, so muß das Ende des Schmerzes der Anfang der Freude sein. Das ist das Gesetz der Gegensätze, so daß eines aus dem anderen am Ende seines Gegenteils entsteht.

Schmerz: Ich werde von Koliken gequält.

Vernunft: Ich gestehe, dazu gibt es nur den bitteren Trost, daß man keine schlimmeren Schmerzen erleiden kann.

Schmerz: Ich leide unerträglich unter Koliken.

Vernunft: Wer leidet und sich fürchtet, ist doppelt unglücklich. Aber für dich schwindet zumindest die Furcht als zweiter Teil des Unglücks. Denn was könnte jemand fürchten, der auf den Tod hofft, der sonst mehr als alles andere gefürchtet wird?

Schmerz: Ich werde sehr von Koliken gequält.

Vernunft: Lerne zu sterben, während du lebst! Versuche, häufig zu erfahren, was du nur einmal erleben kannst, dann wirst du das, was du oft geübt hast, sicherer bewältigen. Dazu mußt du nichts Neues lernen, denn der Schmerz der Koliken ist dem Tod sehr ähnlich. Tatsächlich ist der Tod sogar kürzer und leichter, so daß derjenige, der die Koliken mutig ertragen hat, den Tod um so mutiger ertragen wird, wenn nicht noch andere Ängste dazukommen.

Schmerz: Ich werde von Koliken zerrissen.

Vernunft: Unerträgliche Schmerzen verheißen dein Ende. Niemand braucht lange, um zu sterben.

Schmerz: Aber der Schmerz macht mich schwach.

Vernunft: Mit einem kurzen tiefen Seufzer machst du den langen fieberhaften Schmerzen ein Ende.

Schmerz: Ich merke, wie ich in Ohnmacht falle.

Vernunft: Das merkt man praktisch kaum, weil es so plötzlich kommt, und wenn es geschieht, raubt es dem Verstand seine Kräfte.

Schmerz: Ich fange an, ohnmächtig zu werden (und das Körpergefühl zu verlieren).

Vernunft: Glücklich ist der Mensch, der ohne Körpergefühl tun kann, was getan werden muß. Doch man sagt, daß es so schwer ist!

Schmerz: Ich werde oft ohnmächtig.

Vernunft: Dann kehrst du auch oft vom Tod zurück.

Schmerz: Ich erfahre oft einen todesähnlichen Ohnmachtsanfall.

Vernunft: Den man doch nicht mehr als einmal erleben kann, denn niemand stirbt mehr als einmal. Welche Art des Todes gewünscht werden sollte, wurde vor langer Zeit von einer Gruppe gelehrter und bedeutender Männer diskutiert. Unter ihnen war Julius Cäsar, ein großer Mann, Herrscher und Denker, der Berichten zufolge unter plötzlichen Ohnmachtsanfällen litt. Er antwortete, er fände einen plötzlichen und unerwarteten Tod am erstrebenswertesten, eine Meinung, die im Hinblick auf wahrhafte Tugend und Religion gefährlich erscheinen mag. Denn jeder wahrhaft Weise, Tugendhafte und Religiöse sollte so leben, daß für ihn nichts plötzlich und unerwartet kommen kann. Doch falls einem solchen Geist so etwas passiert, dann schadet ihm die Schnelligkeit des Geschehens nicht, und es kann dem Körper nützlich sein.

Petrarcameister - Von Koliken und Ohnmacht

In seinem Bild kontrastiert der Petrarca-Meister nicht nur Arm und Reich, sondern auch zwei verschiedene Heilverfahren. In einer wohlausgestatteten Bürgerstube mit Butzenscheiben in den Fenstern sitzt im Vordergrund der alte Vater mit Pelzmantel und Mütze in einem Polstersessel. Ihn hat die Kolik befallen, vielleicht nach dem Schlaftrunk, auf den die große Kanne vor dem Bett hindeuten könnte. Nun bemühen sich seine Angehörigen um ihn: Die Tochter bringt ihm ein Kissen, die Frau warme Decken am Kamin. Auch der Arzt ist schon gerufen worden und steht nun hinter dem Kranken bereit, um mit dem Instrument, das er im Arm hält, ein Klistier zu verabreichen. - Ganz anders wird der Kranke behandelt, der links im Hintergrund in der Fensterbank liegt und sich in Schmerzen krümmt. Ihn besprengt eine Nonne mit einem Wedel mit Weihwasser, um den Teufel, der in seinen Eingeweiden wühlt, in die Flucht zu schlagen. Der dabeistehende Mann trägt die Tracht eines Bauern oder Handwerkers, womit gesagt wäre, daß die Angehörigen dieser Stände, wenn sie krank werden, keinen Arzt haben können, sondern auf recht zweifelhafte Hilfe angewiesen sind.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man rechts den altgewordenen Geist des Ichbewußtseins sehen, der in seinem „Karma-Polster-Sessel“ im Körperhaus sitzt. Mutter Natur gibt ihm die wärmende Hülle, und ihre Tochter könnte das körperliche Gefühl und vor allem das Wohlgefühl darstellen, nach dem der Geist greift. Hinter dem Ichbewußtsein steht der begriffliche Verstand mit den Mitteln, um das körperliche Wohlgefühl zu erhalten. Die Koliken im Bauch erinnern aus geistiger Sicht an etwas Unverdautes, das man festhalten und nicht loslassen will, und so sitzt der Geist auch in seinem Sessel fest. Entsprechend steht auch die körperliche Hülle im Bild zwischen dem Problem und dem offenen Feuer der Reinigung mit seinem hellen Licht. Auf der linken Seite könnte man den Geist sehen, wie er auf seiner Bank am Fenster der natürlichen Gegensätze auf seinem Kissen der Gefühle liegt, leidet und ohnmächtig wird. Dann sorgt sich der Bauer als Körperbewußtsein mit seiner heilenden „Behandlung“ um den Körper und die Nonne als Christusbewußtsein mit dem heilenden „Weihwasser“ um den Geist. Diese beiden stehen auch bildliche auf einer anderen Ebene, aber immer noch nicht auf dem Grund von Allem.

2.114. Von Schmerzen am ganzen Körper

Schmerz: Mein ganzer Körper schmerzt.

Vernunft: Alles ist gut, solange der Geist als Wirt in diesem Körper nicht schmerzt, sondern gesund und munter aus der leidigen Hütte entkommen kann, was auch immer mit ihr geschieht.

Schmerz: Ich werde von bösen Schmerzen geplagt, die meinen ganzen Körper heimsuchen.

Vernunft: Die Stoiker sagen in Bezug auf alle menschlichen Dinge, daß das einzig Gute die Tugend ist. Obwohl andere anders denken, halte ich diese Sichtweise für richtig und eines Menschen würdig. Folglich sind es allein die Laster, die diesem Guten entgegenwirken und böse genannt werden. Deshalb sollte der körperliche Schmerz, egal wie stark (und soweit er kein Laster ist), nicht als bösartig angesehen werden.

Schmerz: Ach, ich bin elend und gequält, und du schwätzt von Philosophie!

Vernunft: Du bezeichnest dich zu Recht als elend, wenn du der Meinung bist, daß die Weisheiten des menschlichen Lebens nur Geschwätz sind.

Schmerz: Diese schallenden Weisheiten sind gut für Schulen und durch Bücher berühmt geworden. Aber auf der Folterbank im Krankenbett, wenn man todkrank ist, helfen sie mir nicht. Sie sind leichter zu sagen und aufzuschreiben, als praktisch zu beweisen.

Vernunft: Sie helfen wohl in Trauer, Krankheit und Tod. Aber sie helfen nicht jedem, weil sie nicht in jedes Herz eindringen können. Sie können auch denen nichts nützen, die daran nicht glauben.

Schmerz: Ach, ich werde gequält, und du redest nur.

Vernunft: Deine Schmerzen müssen entweder langwierig oder sehr stark sein. Das erste erfordert mäßige Geduld für lange Zeit, und das zweite erfordert übermäßige Geduld, aber nur für kurze Zeit.

Schmerz: Ich leide unter unerträglichen Schmerzen!

Vernunft: Wenn deine Schmerzen unerträglich sind, werden sie auch kurz sein. Weine nicht länger: Der Schmerz muß dich verlassen, oder du verläßt ihn. Halte deine Tür für beides offen! Und denke in der Zwischenzeit daran, daß es edel und männlich ist, die Gefahren des menschlichen Lebens tapfer zu ertragen.

Schmerz: Schön gesagt, das gebe ich zu. Aber ich glaube nicht, daß das möglich ist.

Vernunft: Es liegt nicht an der Unmöglichkeit, etwas zu erreichen, sondern an der Schwachheit der Menschen, die viele dazu bringt, die Tugend aufzugeben. Wenn alles Schwere als Unmögliches verworfen wird, stirbt die Tugend, weil sie gleichsam aus Schwierigkeit besteht, und zwar als Ehrlichkeit.

Schmerz: Wir sind Menschen und keine Götter. Unsere armen sterblichen Körper sind nicht in der Lage, die Kraft des Schmerzes zu ertragen.

Vernunft: Ich leugne nicht, daß der menschliche Körper sterblich ist, aber er ist nicht so schwach, daß er keine Kraft hätte, um alle Widrigkeiten zu ertragen, vorausgesetzt, die Schwäche des Geistes ist nicht viel größer als die des Körpers. Diese geistige Schwäche ist es, die das für Menschen unwürdige Wehklagen und das verweichlichte Gejammer verursacht. Und ich frage dich, warum will es dir unmöglich erscheinen, daß Menschen auch heute noch tun können, was die Alten in der Vergangenheit tun konnten und getan haben?

Schmerz: Ach, ich werde in brennendem Schmerz wieder auf die Geschichte verwiesen, kaum hier und jetzt oder gar meiner selbst bewußt, und aufgefordert, mich mit der Erinnerung an die Taten der Alten zu beschäftigen!

Vernunft: Bringt denn die Erinnerung an diese großen Männer, die tapfer ähnliches Elend wie du erlitten haben, nicht Trost und wohltuende Erleichterung in harten Zeiten großer Not?

Schmerz: Das mag sein! Aber du drängst mich, den herausragendsten Männern nachzufolgen, was ein großartiger Ratschlag ist, aber viel zu hochgegriffen für mich und jenseits der menschlichen Macht.

Vernunft: Warum sagst du „jenseits der menschlichen Macht“? Ich spreche über das Verhalten von Menschen, nicht von Göttern, und schlage Beispiele für menschliches Handeln vor.

Schmerz: Ich gebe zu, daß du über Menschen sprichst, aber über wenige Auserwählte, die von so großer und herausragender Seltenheit sind, daß ihre Zahl gegen Null geht. Ich für meinen Teil kann keinen großen Unterschied zwischen einem Phönix („der aus der Asche aufersteht“) und einem Chimaira („brennenden Stein“) erkennen und stimme denen zu, die sagen, daß der Chimaira gar nicht existiert, auch wenn manche denken, es sei ein Berg in Sizilien.

Vernunft: Als hätte ich dir vorgeschlagen, einen Phönix nachzuahmen und nicht eine Reihe Männer, die durch ihre Seltenheit um so würdiger sind, daß du versuchst, ihnen nachzufolgen. Wer es versäumt, solch seltenen Männern zu folgen, kann kein so seltener Mann werden!

Schmerz: Ich verstehe. Du willst, daß ich einer der wenigen werde. Aber ich bin einer von vielen!

Vernunft: Ich würde es vorziehen, wenn du niemand wärst, statt einer von vielen. Ich weiß zwar nicht, was besser ist, nicht zu sein oder unwissend zu sein, aber ich bin mir sicher: Einer von vielen zu sein heißt, einer der Unwissenden zu sein.

Schmerz: Und ich weiß, daß es nichts Schlimmeres gibt, als gar nichts zu sein.

Vernunft: Dann weißt du wohl noch nicht, wie schlimm es ist, etwas zu sein, aber nicht das zu sein, was du sein solltest?

Schmerz: Du redest, als ob das, was einem zufällig passiert, zwangsläufig allen passieren müsse, und willst es allgemein auf alle anwenden.

Vernunft: Für mich ist das ein schlechtes Argument. Tugend geschieht nicht zufällig, sondern vollkommen bewußt und freiwillig. Sie kann nicht durch Zufall gewonnen werden, nur durch Anstrengung. Ich wende auch nicht auf alle an, was der Zufall einem gegeben hat, sondern wende auf einen an, was die Tugend vielen gegeben hat. Ich würde es gerne auf alle anwenden, aber ich ermüde schon bei einem.

Schmerz: Aber nicht jeder ist zu allem fähig (Non omnia possumus omnes)!

Vernunft: Das ist nicht nur ein poetischer Ausdruck, sondern auch ein pastoraler. Aber ich weiß, daß du etwas kannst, was nicht jeder kann. Und ich hoffe, daß du dazu bereit bist.

Schmerz: Warum bedrängst du einen armen Kerl wie mich? Reicht es nicht, daß mich die Schmerzen quälen?

Vernunft: Ich versuche, dir eine Atempause zu verschaffen und den Peiniger zu vertreiben. Aber nur, wenn du mir hilfst und zur Hand gehst, denn ich kann es nicht alleine.

Schmerz: Na wunderbar! Was meinst du, soll ich tun? Kann ich mich vielleicht dafür entscheiden, den Schmerz nicht zu fühlen, den ich fühle, oder das Übel zu verleugnen, das ich auf bösartigste Weise erlebe?

Vernunft: Das Erstgesagte kann ich nicht verlangen, weil es gegen die Natur wäre. Und zum Zweitgesagten kann ich dich nicht zwingen, denn es wird weder durch Natur noch durch die Wahrheit verhindert, sondern allein durch deine Unwissenheit.

Schmerz: Lieber Gott! Welchem Zweck dient diese „Unwissenheit“, wie du sie philosophisch nennst? Ich weiß ganz genau, daß dieser Schmerz kein Leiden des Geistes, sondern des Körpers ist. Und ich weiß, daß dieser Schmerz etwas anderes ist als Betrug. Schmerzen zu haben ist etwas anderes als betrogen zu werden. Was diese Dinge betrifft, kannst du mir nichts Neues beibringen. Sie sind für mich erschöpfend genug, ohne daß du noch etwas hinzufügen mußt. Schmerz an sich ist eine Krankheit, und ich brauche keinen Rat, wie ich ihn erkennen kann, sondern wie ich ihn aushalten und, was noch besser wäre, ihn loswerden kann. Ich weiß genau, was Schmerz ist, und wünschte bei Gott, ich wüßte es weniger genau!

Vernunft: Auch ich weiß, daß Schmerz etwas Schweres ist, unbarmherzig, schrecklich, bitter, traurig, der Natur feindlich und den Sinnen zuwider. Aber auch etwas, das mit Hilfe der Tugend, ich will nicht sagen „süß gemacht werden kann“, wie es Epikur im inneren Kampf ausdrückte, aber sich besänftigen und mindern läßt. Wenn der Geist mit wahrer Tugend bewaffnet ist, kann die eigentliche Auswirkung des Schmerzes weniger stark oder in gewisser Weise sogar unwirklich werden.

Schmerz: Bewaffnet oder nicht, ich fühle extreme Schmerzen und kann dir sagen, daß es ein wirklich großes Übel ist!

Vernunft: Ich hatte mir eine andere Antwort erhofft.

Schmerz: Um noch einmal auf die Feinheiten zurückzukommen: Große Worte erfreuen die Ohren, aber nur wahre Worte die Seele. Doch was wäre, wenn der Schmerz des Körpers größer wird als die Geduldfähigkeit des Geistes?

Vernunft: Und was wäre, wenn keine der Freuden, Sorgen und Qualen des Körpers den Kräften eines standhaften und entschlossenen Geistes gewachsen ist? Was wäre, wenn der Geist in jedem Kampf die Oberhand behielte und, solange er nicht von sich aus die Flucht ergreift, sondern mit ganzer Entschlossenheit und beherztem Mut kämpft, immer als Sieger hervorgehen würde?

Schmerz: Aber was, wenn der unerträgliche Schmerz durch eine abscheuliche Krankheit noch schlimmer wird, ekelerregend und beschämend? Was, wenn Lepra diesen erbärmlichen und verwesenden Körper heimsucht? Wie hilft mir deine Rede in diesem Fall?

Vernunft: Sie wird dir in der Tat sehr helfen, wenn du es nicht ablehnst. Denn sie zeigt dir dein wahres Selbst, das zwar alles sehen kann, aber sich selbst nicht sieht. Sie erinnert dich daran, daß dein leidender Körper aus Erde gemacht und sterblich ist, nicht erhaben und nicht ewig. So solltest du es auch in keiner Weise außergewöhnlich oder erschreckend finden, wenn die Fäulnis als eine natürliche Eigenschaft der Erde ihren Lauf nimmt. Sofern du nicht dagegen rebellierst, zielen der Geist und die höheren Mächte des Menschen auf Glückseligkeit und Ewigkeit ab. Es ist nur seine niedere Substanz, die dem Tod und allen Arten des Leidens ausgesetzt ist. Lepra, Epilepsie oder jede andere Krankheit, die vielleicht noch abscheulicher oder schlimmer als diese ist, sollte dich dazu bringen, inbrünstig darüber nachzudenken, daß in deinen Topf des Elends genau das herabkommt, wozu ihn der ewige Töpfer ursprünglich gemacht hat. Dein irdenes Gefäß wurde ermahnt, nicht gegen Ihn zu murren, auch wenn es einem „zur Ehre und einem anderen zur Unehre (Röm. 9.21)“ gemacht wurde, aber alle sind sehr zerbrechlich und sterblich.

Schmerz: Ist es also dein Rat, daß ich die Lepra ohne Murren oder Stöhnen ertragen soll?

Vernunft: Ja, dies ist mein Rat, und wenn du mir zeigen kannst, daß Murren und Stöhnen für dich hilfreich sind und deine Krankheit lindern, werde ich umkehren und dich genau das tun lassen bzw. dazu ermutigen. Aber solange Empörung und Klagen nichts bewirken, außer dein Leiden zu vergrößern, was nützt es, die Krankheit des Körpers mit einer Krankheit des Geistes noch zu verstärken und dich mit deinen Tränen noch unglücklicher zu machen, und Ihn noch feindlicher, der die Nöte der Menschheit von oben sieht, deine Geduld schätzt und sie mit einem Heilmittel oder anderen Segen belohnt? Ist es nicht ein kleiner Trost bei jeder Art von körperlicher Krankheit? Und vor allem bei Lepra, die du beklagst und nur eine an der Körperhülle sichtbare Krankheit ist, die vielleicht die Hautfarbe betrifft, nicht aber das Wohlbefinden und Funktion der Sinne und Organe, wie wir wissen und auch Augustinus behauptete, dem die gelehrten Ärzte nicht widersprechen? Und auch wenn die Krankheit die Haut durchdringt, die Gliedmaßen und Organe verstümmelt und die Eingeweide durchbohrt - wie es im Fall von Plotin, dem großen Platoniker, geschah und nachzulesen ist - kann sie doch niemals den Geist überwältigen, solange er es nicht zuläßt. Einem gesunden Geist wird das Äußere des Körpers ebenso wenig bedeuten, wie einem kräftigen und gesunden Wirt die von Wind und Wetter vernarbte Außenwand des Wirtshauses. Darüber hinaus entfernt die Lepra den Erkrankten gewöhnlich aus dem allgemeinen Umgang mit Menschen, den zu vermeiden dann niemand etwas einzuwenden hat und dessen Hilfe man auch nicht benötigt. All das läuft auf Folgendes hinaus: Indem Lepra den Körper mit vielen Problemen plagt, befreit sie den Geist von vielen Problemen.

Schmerz: Ach, wie kann ich einem glauben, der das Schlimmste lobt?

Vernunft: Das Schlimmste von allem sind nicht die körperlichen Probleme, sondern die geistigen Probleme und Krankheiten. Ich lobe daher auch nicht die Lepra. Ich lobe die Selbstbeherrschung und Geduld und empfehle, das dir zugewiesene menschliche Los ohne Groll und allzu viel Klagen zu ertragen, was du in vielem mit Kaisern und Philosophen teilen würdest, wie mit Konstantin und Plotin, den ich gerade erwähnt habe. Und schließlich solltest du deine Augen auf den Herrn im Himmel gerichtet halten, der nicht die Lepra, sondern die Laster haßt. Denn er ist der Richter der Engel und der Menschheit, von dem geschrieben steht: „Weder werden die Gottlosen in deiner Nähe wohnen, noch werden die Ungerechten vor deinen Augen bleiben. (Psalm 5.6)“ Er fürchtete und floh auch nicht vor den Aussätzigen, sondern ging in ihre Häuser und suchte ihre Gemeinschaft.

Schmerz: Du überwältigst mich mit Worten, und der Schmerz mit seiner Gegenwart. In dieser Situation vertraue ich nicht deinen philosophischen Launen, sondern meinen Sinnen, und ich weiß, was sie mir sagen!

Vernunft: Erstens zerstören ein paar philosophische Launen, wie du sie richtig nennst und die ich weder entschuldige noch leugne, nicht die ernste Bedeutung der Philosophie als solche, die für unser Thema sowie für viele andere Probleme zweifellos der einzige Schutzwall für den Geist auf dieser Erde ist. Zweitens gibt es für die, die mich lieben, nichts Absurderes, als nach dem Wahren zu suchen und sich dabei auf das trügerische Urteil der Sinne zu verlassen. Die Wahrheit muß mit Intelligenz und Fleiß gesucht werden, nicht mit den Sinnen.

Schmerz: Ach, warum belästigst du mich und fügst meinem Schmerz noch Langeweile hinzu? Gib mir doch ein wirksames Heilmittel, denn weder du noch deine Philosophie werden mich jemals dazu bringen, nicht zu fühlen, was ich fühle!

Vernunft: Einem empfindlichen und entmutigten Patienten muß manchmal nachgegeben und erlaubt werden, was an sich schädlich, aber in seinen Augen angenehm ist, wenn er es wünscht. Ich gebe also zu: Wenn Lethargie, Leiden, Mißgeschick und Gebrechen Übel des Körpers sind - was die Stoiker treffender als „Nachteile“ bezeichnen -, kann der daraus resultierende Schmerz als Übel bezeichnet und angesehen werden und, wenn du es wünschst, auch als gewaltiges Übel, das dennoch durch Tugend überwunden werden kann. Hier sind wir unserem Freund Cicero zu Dank verpflichtet, der uns geholfen hat, weitere begriffliche Auseinandersetzungen zu vermeiden, denn er schreibt: „Ich leugne nicht die Realität des Schmerzes, denn welchen Nutzen hätte sonst der Mut? Aber ich sage, daß er durch Geduld überwunden werden kann, wenn nur ein gewisses Maß an Duldung vorhanden ist: Wenn das nicht möglich ist, warum verherrlichen wir dann die Philosophie, und warum rühmen wir uns in ihrem Namen?“ So schreibt Cicero (in Gespräche in Tusculum 2.14.33). Und noch vieles mehr, ob es nun ein Nachteil oder ein Übel ist, wird in seinen Tusculanen brillant untersucht, den fünftägigen Diskussionen in ebenso vielen Büchern. Aber ich wollte diese Passage für dich zitieren, weil sie bemerkenswert gut auf das zutrifft, was du gerade brauchst, insbesondere in Bezug auf Geduld und Geistesstärke, die dich, wenn sie beeinträchtigt oder verloren sind, zum Opfer von illusorischen Vorstellungen gewöhnlicher Menschen machen, so daß du dich in ungezügeltem Wehklagen suhlst, was eines Mannes nicht würdig ist.

Schmerz: Jetzt nähert sich deine Hand dem Grund meines Leidens. Doch zeige mir, wo ich etwas finden kann, das mir akzeptabler und schmackhafter erscheint als die versteinerten Meinungen brutaler Stoiker, auch wenn ich inzwischen mißtrauisch bin, noch irgend jemandem zu vertrauen! Ich bin gespannt auf ein Heilmittel und wiederhole mir immer wieder dein Zitat über das Aushalten von Schmerzen. Aber ich werde wohl nie genug Kraft dazu finden, weder mit der Hilfe von Cicero noch von sonst jemandem.

Vernunft: Ich mache dir für dein Mißtrauen keinen Vorwurf, im Gegenteil, ich lobe dich dafür. Niemand sollte seinem Verstand zu sehr vertrauen. In jeder Schwierigkeit mußt du eher auf die Hilfe von Gott als auf irgendeinen Menschen hoffen. Nicht, daß du glauben sollst, daß ein bewaffnetes Heer vom Himmel herabsteigen wird, um dir zu helfen. Gott bevorzugt niemals die Faulen und Trägen, dann lieber noch bösartige Menschen. Wenn du dich Seiner Hilfe als würdig erweisen willst, mußt du alles, was in dir steckt, aufwecken, sammeln und bewaffnen, um gegen den Feind zu kämpfen.

Schmerz: Ich glaube, das verstehe ich. Aber sage mir: Was sind die Waffen des Geistes, die du gerade erwähnt hast?

Vernunft: Gute Frage! Jetzt sehe ich etwas Hoffnung für dein Wohlergehen. Zu weinen, wenn es hart auf hart kommt, ist ein weibliches (natürliches) Wesen. Aber abzuwägen, sich zu bemühen, standhaft zu bleiben, und um Führung und Hilfe zu beten, das ist ein männliches (geistiges) Wesen und notwendig, um zu gewinnen. Und aufgrund der Vielfalt der Leiden sind auch die Waffen des Geistes und die Strategien der geistigen Kriegsführung vielfältig. So gibt es in der Philosophie kein nützlicheres und wertvolleres Thema, als sich damit zu befassen. Und das, so glaube ich, ist jetzt für dich gerade wichtiger, als zu wissen, was die Sterne tun, welchen Charakter Jupiter bei der Geburt anzeigt, was Saturn in Konjunktion mit dem Mars androht, welche Gewohnheiten Merkur als ewiger Bote von seinem Vater und seinem Bruder verkündet und auch von den anderen, denen er begegnet, was Regenstürme, Hitzewellen und Erdbeben verursacht oder was die hohe See zum Anschwellen zwingt. Aber du weißt nicht, was das feurige Fieber, Anschwellen, Beben und Schwachwerden im Geist der Menschen verursacht und welche geistigen Heilmittel das Fieber senken, die Schwellung zügeln, das Beben aufhalten und die Schwäche in geistige Stärke verwandeln! Aristoteles machte sich darüber lustig, wie Sokrates dies erreichen wollte, aber dann schien er seine Meinung geändert zu haben, weil er genau darauf so viel Mühe verwendete. All dieses Wissen ist in den vielen Büchern der Philosophie verstreut. Doch sie alle den Unwissenden hier anzubieten, wäre zu mühselig, und es gibt auch keine Abkürzung dafür. Der Wissende selbst braucht dann diese Texte nicht mehr, denn er muß nicht mehr belehrt, sondern nur noch erinnert werden.

Schmerz: Ich weiß, daß dies so ist. Aber ich habe dich nicht nach all diesen Dingen gefragt, sondern nur nach diesem: Daß du mir die Waffen gegen diesen Feind des Schmerzes erklärst, gegen den ich jetzt kämpfen muß.

Vernunft: Darauf kann ich nicht besser oder genauer antworten als Cicero, der die gleiche Frage gestellt hat wie du. Er fragte: „Was sind das für Waffen?“ Und antwortete sogleich: „Entschlossene Bemühung, Standhaftigkeit und innerliches Sprechen. (Tusculanen 51.4)

Schmerz: Bitte erkläre mir jedes einzelne von ihnen! Ich habe das alles schon oft gelesen, aber fürchte, mir ist es genauso ergangen wie vielen anderen, die glauben, alles zu verstehen, wenn sie es lesen, aber im Gespräch mit anderen feststellen, daß sie nichts verstanden haben. Also erkläre mir, wenn du willst, was „entschlossene Bemühung“ ist?

Vernunft: Das wird hinreichend deutlich, wenn man in Ciceros Text etwas weiterliest. Aber damit du nicht das Gefühl hast, umsonst gebeten zu haben, werde ich es dir auf andere Weise erklären: Geist und Körper sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Kein Körper ist stark genug und kein Geist kräftig genug, um sich nicht unter einer unerwartet schweren Last zu beugen. Du mußt dafür sorgen, daß sie gestärkt und gestützt werden, so daß keiner von der Last ganz überwältigt werden kann, sondern für seine Aufgabe unterstützt wird. Selbst die mutigsten Männer haben Angst erlebt, wenn plötzlich eine riesige feindliche Streitmacht angriff. Gib deinem Geist Raum zum Atmen, um sich zu sammeln und seine Kräfte auf die gegenwärtige Gefahr zu konzentrieren, und er wird dem angreifenden Feind mit Mut und Zuversicht entgegentreten. Athleten, die kurz vor einem Boxkampf stehen, spannen ihre Muskeln an und richten ihren Nacken auf die Belastung ein, die sie ertragen müssen, und nehmen so mit besseren Aussichten am Kampf teil. Die harten Schläge sind leichter zu ertragen, wenn sie mit Entschlossenheit erwartet werden. Wer das versäumt, kann ihnen leicht erliegen. In ähnlicher Weise muß der Geist immer dann, wenn eine bedeutende Schwierigkeit auftritt, entschlossen konzentriert werden. Wenn dies angemessen geschieht, wird der Geist aus allen Schwierigkeiten als Sieger hervorgehen. Andernfalls, wenn er unkonzentriert und unvorbereitet ist, wird er schon vom geringsten Übel leicht überwunden. Das ist die Bedeutung von Ciceros „entschlossener Bemühung“ (Contentio), die du vielleicht lieber „Achtsamkeit“ (Intentio) nennst, weil beide Wörter dasselbe bedeuten, denselben Ursprung haben und, wie du bei Cicero findest, gleichwertig verwendet werden, weil sie von ein und derselben Wurzel abstammen.

Schmerz: Ich verstehe und höre dir gerne zu. Was ist nun „Standhaftigkeit“?

Vernunft: Ich werde es dir sagen: Selbst in den tapfersten Köpfen findet sich ein Hauch von Mißtrauen, so daß Wahrheit und Illusion immer vermischt entstehen. Die Menge weitverbreiteter Irrtümer, welche die Festung des Geistes belagern, ist so groß, daß eine Beurteilung schwierig wird. So fällt der Geist öfters in eine Art Taubheit und beginnt daran zu zweifeln, was die gelehrtesten und ehrwürdigsten Menschen über die Tugend von Geduld und Ehrlichkeit sowie den Glanz des Ruhms gesagt haben. Und er glaubt, daß vielleicht andere Ansichten, die von der Mehrheit der Menschen getragen werden, zutreffender sind, die meinen: Das Beste ist die Abwesenheit von Schmerz, der Schmerz ist das Schlimmste von allem, und das Vergnügen ist das Ziel aller Güter. Dazu kommt noch, daß die ersteren Aussagen nur von wenigen stammen, während die letzteren Meinungen von fast allen Menschen geteilt werden und oft so laut ertönen, daß die wenigen Stimmen der Ermahnung nicht mehr gehört werden können. So bekommen die Wächter der Festung Angst, erschrecken und erwägen, die Verteidigung aufzugeben und die Flucht zu ergreifen. An diesem Punkt muß dem zweifelnden und schwankenden Geist eine standhafte Kraft zu Hilfe kommen, damit er nicht die alten Weisheiten aufgibt, wie einst Dionysius von Herakleia, der von Schmerz überwältigt die Schmerzregel verwarf, die ihm sein Lehrer Zeno gegeben hatte, und damit den Spott von seinem Mitschüler Cleanthes verdiente.

Man sollte sich also niemals fallenlassen, sondern dem Angriff standhalten, und unbeirrt bleiben und erkennen, was an den Dingen wahr und was schattenhaft ist. Man sollte keine Angst vor Gespenstern haben und sich nicht von ihrem Gebrüll bewegen lassen, sondern überzeugt sein, daß Schmerz nichts als Feigheit ist, eine Feigheit, die zusammen mit Schmerz, Tod und jeder Art von Not durch Tapferkeit überwunden werden kann. Wer fest und unerschütterlich an dieser Überzeugung festhält, kann um der Tugend willen tapfer ertragen, was andere bereits in Gedanken überaus erschreckend finden, und was niemals von einem Menschen erreicht werden kann, der die Herrlichkeit der Tugend nicht viel mehr liebt als den Glanz von Gold und Edelsteinen und Verlockungen der Wollust und allen anderen Begierden. Durch eine solche Standhaftigkeit des Geistes werden sowohl illusorische Meinungen als auch unnötige Ängste geschwächt und die Stiche des Schmerzes abgestumpft.

Auch Cicero beschreibt, wie der wankelmütige Soldat in der Schlacht seine Waffen wegwirft und flieht, sobald er den Feind erblickt hat, und sich damit selbst in Gefahr bringt, während dem Soldaten, der standhält, nichts dergleichen begegnet (Tusculanen 54.1). So wird ein ängstlicher Geist, der den Sinnen unterworfen ist, durch den bloßen Gedanken an Schmerz besiegt, während einer, der mit Tugend ausgestattet und bewaffnet ist, unversehrt daraus hervorgeht, ein Überwinder des Schmerzes, der kaum Unbehagen verspürt. Geduld erhöht nicht nur die Kraft des Geistes, sie verringert auch die Schwere des Schmerzes selbst, manchmal bis zur Nichtigkeit. Was erklärt, daß einige trotz der schrecklichsten Schmerzen ungerührt bleiben, und manche sogar fröhlich sind. Dies könnte nicht geschehen, wenn der Geist an den Sinnen anhaften würde und nicht von jener Ernsthaftigkeit und Standhaftigkeit durchdrungen wäre, von denen wir hier sprechen.

Schmerz: Ich glaube, das verstehe ich. So erkläre nun bitte was „innerliches Sprechen“ ist?

Vernunft: Das will ich dir sagen: Ein edler Geist verachtet sowohl Freude als auch Schmerz und wird an keinem von beiden anhaften. Und wenn er in Gefahr ist und sich vom Feind umzingelt sieht, greift er zu den Waffen, tritt kampfbereit vor und spricht vieles zu sich selbst und zu Gott. Diesen letzten Punkt kannte Cicero entweder nicht oder wußte nicht, wie er es richtig beschreiben sollte, nicht weil es ihm an Intelligenz mangelte, sondern an Gnade. Es gibt nichts Wirksameres als ein solches Sprechen, sowohl zur Bewahrung der Ehre als auch für das, worüber wir in Bezug auf das Konzentrieren von Kräften und dem gewünschten Erreichen von Zielen gesprochen haben. Es gibt Sprichwörter, die gegen die Verlockungen des Vergnügens verwendet werden können und andere gegen die Bedrohung von Schmerzen, die ein Kenner je nach Fall gegen solche Verlockungen oder Bedrohungen einsetzen kann, obwohl sie nicht die Tugend ersetzen. Da wir jedoch bereits viel davon besprochen haben, werde ich hier nur ein bemerkenswertes Beispiel anführen, das dir helfen wird, mehr Wissen über diese Angelegenheit zu erlangen.

Was hilft „innerliches Sprechen“ bei Schmerzen? Erinnerst du dich an die Worte, die Lucan benutzte, als der große Pompeius mit den Schwertern seiner Mörder konfrontiert wurde? Aber angesichts der Tatsache, daß dies eine Erfindung ist, damit der Dichter seinem Helden gerecht werden konnte, und er ihm diese mutigen Worte gab, die seines Standes würdig waren, werde ich ein anderes Beispiel nehmen, das ziemlich aktuell und sehr zutreffend ist. Wir begegnen noch heute vielen Menschen, die es mit eigenen Augen bezeugt haben. Es ist das Beispiel eines unerschütterlichen und unbesiegbaren alten Samniten, der auf Befehl dessen, über dessen Namen wir besser schweigen, nackt hinter einem Karren durch die Stadt geschliffen wurde. Danach wurde er den Henkern übergeben, die ihm mit weißglühenden Zangen die Gliedmaßen zerrissen. Die Bevölkerung weinte, als sie dieses erbärmliche und schockierende Schauspiel sah. Aber er sagte mit trockenen Augen und mit ernster und fester Stimme zu sich selbst: „Was wollen wir tun, meine Seele? Bitte gib nicht auf und sei nicht wütend oder ängstlich! Unser Leiden ist schwer, aber kurz und zweifellos hilfreich für unsere ewige Errettung. Unsere Qualen werden für den, der sie befohlen hat, schlimmer sein als für uns als Erleidende. Erhebe dich, meine Seele, gib alle Ängste auf und vertraue auf Gott! Das Ende ist nah.“ Ich kann dir nicht sagen, wie sehr diese Worte ihn und die Herzen derer, die sie hörten, getröstet haben, und wie sehr sie allen nicht nur Mitgefühl, sondern auch Festigkeit, Entschlossenheit, Gelassenheit und Geduld einflößten. So war es genau genommen nicht nur ein „innerliches Sprechen“, sondern auch ein äußerliches, weil es auch von vielen Menschen außerhalb gehört wurde. Doch diese und ähnliche Worte können bei anderen Gelegenheiten sozusagen stillschweigend gesagt werden. Vielleicht hat der alte Mann selbst noch andere so gesprochen, weil er oft auch schwieg und dann wieder aussprach, was ich gerade wiederholt habe. Dieses „innerliche Sprechen“ kann auch anders betrachtet werden, nämlich woher es kommt (aus dem Verstand oder der Vernunft) und nicht nur wohin, ob es inmitten der eigenen Schmerzen und Trübsal zu sich selbst oder zu Gott gesprochen wird. Dafür gibt es keine besseren Beispiele als erstens Hiob und zweitens Theodosius. Du hast sicherlich gehört, wie Hiob, der von der Hand des Herrn berührt und mit Wunden bedeckt war, frei und ungehemmt Gott anflehte und ihn in inbrünstig klagender Hingabe ansprach, und auch wie Theodosius mit einer bloßen Handvoll Männer, umgeben von zahllosen barbarischen Truppen, inbrünstig rief und zu Gott seufzte, als ob er anwesend wäre.

Schmerz: Ich habe es deutlich gehört und erinnere mich daran. An deinen Beispielen verstehe ich, was du meinst. Ich schulde Cicero nicht wenig Dank, von dessen drei kleinen Körnern ich drei riesige Ähren geerntet habe, und bei richtiger Kultivierung kann eine noch größere Ernte gesammelt werden.

Vernunft: So ist es in der Tat, weil die Worte gelehrter Männer fruchtbar sind und mehr enthalten, als man glaubt. Zumindest scheinst du vorerst die Schmerzen und Beschwerden vergessen zu haben, während ich mit dir sprach. Daraus folgt, daß die intensive Betrachtung des (innerlichen) Grundes, auf den sich der Geist vollkommen konzentriert, ohne sich um andere (äußerliche) Dinge zu kümmern, ein großartiges Heilmittel für jeden Schmerz und jede Not ist.

Schmerz: Es kann wohl sein, wie du sagst. Aber ich bin noch weit von dieser Freiheit des Geistes entfernt, von der du sprichst. Und ich habe große Zweifel, ob der Schmerz dadurch wirklich gelindert oder leichter ertragen werden kann, oder ob deine Worte nur den Geist beschäftigen und die Ohren erfreuen, aber nichts gegen den Schmerz tun.

Vernunft: Ich gebe zu, daß Worte den Körper nicht heilen können, es sei denn, wir glauben an die Beschwörungsformeln und Zaubersprüche der alten Frauen. Aber sie heilen die Krankheiten des Geistes, der, wenn er gesund ist, wiederum die Schmerzen des Körpers heilt oder zumindest lindert. Wenn Geduld nicht helfen würde, hätten die gelehrtesten Männer nicht so viel darüber gesprochen, noch hätte dein Verstand mit deinen Augen und Ohren so viele Argumente zu diesem Thema gesammelt. Was dich betrifft: Wie viele Bilder enthält dein Gedächtnis, wie viele Dinge hast du gesehen oder gelesen, und wie viele Geschichten hast du gehört, die dir nicht nur gezeigt, sondern auch bewiesen haben, daß es so ist, wie ich es sage? Und wenn es mir auch nicht gelungen ist, jedes Schmerzempfinden auszulöschen, was meiner Meinung nach möglich ist und schon oft erreicht wurde, habe ich dir zumindest die Kraft gegeben, deinen Schmerz zu besiegen und wie ein Mann zu ertragen.

Was hatte Gaius Marius, was du nicht hast? Er war ein ungebildeter Mann, mit großer Tugend und Kampfgeist begabt, aber aus Fleisch und Knochen wie du. Was hatten Mucius Scaevola und Pompeius mehr? Was hatten Zeno, Theodorus, Posidonius, Anaxarchus und zahllose andere mehr? Einige von ihnen waren Sklaven, aber von erstaunlich edlem Geist, die alle Arten von Folter erlitten, nicht nur mutig, sondern auch freudig. Und wenn du dich im Geist an deine eigene Zeit erinnerst, wirst du sogar Jungen und Mädchen finden, die lächelnd das erlitten haben, was du als erwachsener Mann nicht ohne Tränen und Gejammer ertragen kannst (vermutlich eine Anspielung auf den Kinderkreuzzug von 1212). Aber mir ist klar, daß ich über dieses Thema, das, wie man sagt, das Schwerste von allen ist, mehr gesagt habe, als du bisher gewohnt warst. So werde ich nun zum Schluß kommen, denn solange es keine Tugend gibt, um den Schmerz zu lindern, können auch noch so viele Worte nicht helfen.

Schmerz: Ach, du greifst mich von der einen Seite an und der Schmerz von der anderen. Ich weiß nicht, wem ich glauben soll.

Vernunft: Glaube dem Edelsten! Vielleicht findest du darin Hilfe, indem du dich an die größte und erhabenste Herrlichkeit der Welt erinnerst, an Ihn, der in sich selbst das Wesen von Gott und Mensch vereinte und für dich so viele qualvolle Schmerzen erlitt. Im Vergleich mit Ihm, sollte alles, was auch immer du zu ertragen hast, leicht und sogar süß und völlig befriedigend erscheinen. Betrachte dies sorgfältig, denn es ist das stärkste Heilmittel von allen, das selbst die alten Philosophen, die alles untersuchten, nicht finden konnten.

Petrarcameister - Von Schmerzen am ganzen Körper

Dieser Holzschnitt des Petrarca-Meisters fällt aus der gesamten Reihe der Illustrationen dadurch heraus, daß er aus zwei Stöcken zusammengesetzt ist, die unvermittelt nebeneinanderstehen. Beide Stöcke haben, getrennt gedruckt, in einem undatiert beim gleichen Verleger erschienenen Werk „Lanfrancus: Kleine Wundartzney“ als Illustrationen gedient. Es ist wahrscheinlich, daß sie für dieses oder für ein ähnliches Werk ursprünglich geschaffen worden sind und nur als Notbehelf im „Glücksbuch“ Verwendung gefunden haben. - Der links gedruckte Holzschnitt stellt einen Apothekergehilfen dar, der im Laboratorium Salbe reibt. Der rechte Schnitt zeigt einen nackten Mann mit gespreizten Beinen und seitlich gestreckten Armen, dessen Körper mit Geschwüren bedeckt ist. Die Gestalt ist von den Sinnbildern des Tierkreises umgeben, die so angeordnet sind, daß jedes Zeichen neben der Region des menschlichen Körpers steht, die es nach der astrologischen Lehre beherrscht. Nach solchen bildlichen Darstellungen richteten sich die Bader und die Kranken, besonders bei dem sehr beliebten und verbreiteten Heil- und Kurmittel des Aderlassens. Es galt als sehr schädlich, in einer Region zur Ader zu lassen, wenn der Mond in dem zugehörigen Tierkreiszeichen stand. Solche Bilder, die „Aderlaßmännchen“ genannt wurden, waren schon zur Zeit des Petrarca-Meisters als Holzschnitte sehr verbreitet. Die ihnen zugrundeliegende astrologische Heilkunst hat sich noch bis ins 18. Jahrhundert gehalten, wo volkstümliche Kalender Tag für Tag angaben, in welchem Zeichen Sonne und Mond standen. Hatte der Leser des Kalenders dann noch ein „Aderlaßmännchen“ zur Hand, so konnte er unschwer erkennen, wo zur Ader gelassen werden durfte und wo nicht. - Mit der Darstellung des „Aderlaßmännchens“ würde der Petrarca-Meister in einem Gegensatz zu Sebastian Brant stehen, der im „Narrenschiff“ im Kapitel „Von Beobachtung des Gestirns“ die Astrologie recht nachdrücklich verworfen hat. Auch diese Tatsache spricht dafür, daß dieser Doppelholzschnitt nicht zu den ursprünglichen, unter Sebastian Brants Redaktion entstandenen gehört.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man hier drei Bewußtseinsebenen der Heilung für körperliche Schmerzen erkennen: Rechts im Innenkreis auf der Ebene des Körperbewußtseins, soweit der Körper ein selbsterhaltendes und selbstheilendes System ist, wie auch jede kleinste Zelle. Links auf der Ebene des begrifflichen Verstandes, der in Anbetracht der äußerlichen Wirkungen, die er begreifen kann, angestrengt versucht, Heilmittel herzustellen. Dazu sieht man die „vielfältigen Behälter mit den Begriffen“ im Regal stehen und verschiedene Werkzeuge an der Wand seines Körperhauses hängen, in welchem er eingeschlossen ist und fleißig arbeitet. Sein Licht bzw. Bewußtsein dringt nur durch „bemalte Scheiben“ herein. Und doch dient er auch dazu, die „Heilsalbe“ zu gewinnen, mit welcher nicht nur der Körper, sondern auch der Geist zu einer höheren Ebene des Bewußtseins „heilsam gesalbt“ werden kann. Dazu können wir rechts den körperlich-geistigen Menschen im ganzen Kreis der Sterne sehen, sozusagen ein „kosmischer Mensch“, der ein ganzheitliches und damit auch heiles Wesen ist, was wohl die höchste Ebene der Heilung bedeutet, um jeglichen Schmerz zu überwinden, der im Spiel der Gegensätze durch Trennung entsteht.

2.115. Vom Wahnsinn

Schmerz: Ich fürchte, all dieser Schmerz treibt mich in den Wahnsinn.

Vernunft: Dann widerstehe mit guten und heiligen Gedanken! Manche Menschen ebnen dem Wahnsinn den Weg, indem sie ihren Leidenschaften nachgeben. Aus solchen unheilsamen Neigungen entsteht der Wahnsinn, wie aus heilsamen Neigungen die Tugend entsteht. Philosophen gehen davon aus, daß wiederholte Handlungen zur Gewohnheit werden.

Schmerz: Ich habe Angst, wahnsinnig zu werden.

Vernunft: Wenn es geistige Ursachen hat, dann mußt du dich wappnen, und die beste Schutzrüstung des Geistes ist die Tugend. Aber wenn es körperliche Ursachen sind, dann wende dich an die Meister des Körpers, die ihre Kunst beherrschen und Ärzte heißen, um behandelt und geheilt zu werden. Und für den Fall, daß es deinem Arzt am nötigen Wissen mangelt, wie bei vielen Krankheiten, dann verschreibe ich dir ein heilsames Mittel: Abstinenz und Verzicht auf alle Exzesse!

Wir wissen ja, wie die heiligen Väter in alten Zeiten ihren Körper mit Tugend stärkten und durch Zügelung von Wollust und Völlerei die Gesundheit von Geist und Körper förderten. Viele Menschen werden von ihrer Wollust zerstört, von ihren Lastern überwältigt, vom Schlaf begraben oder von Trunkenheit ertränkt. Und viele werden durch die zügellose Gier und wütenden Laster ihrer Exzesse in den Wahnsinn getrieben.

Schmerz: Ich fürchte, durch natürliche Neigung wahnsinnig zu werden.

Vernunft: Was die Natur zufügt, mag hart sein, aber es ist nicht leidvoll. Denn sie hat keine Schuld, welche die Wurzel des Leidens ist. Solange du mit Voraussicht handeln kannst, sorge dafür, daß dein Geist sicher ist (in Wahrheit gegründet bzw. unschuldig), falls du den Wahnsinn nicht vermeiden kannst. Wenn du mit Unschuld wahnsinnig wirst, dann wirst du auch unschuldig wieder daraus erwachen oder in Unschuld sterben. Kein Alter, keine Hingabe und keine Wachsamkeit bewahrt die Unschuld besser als der Wahnsinn, denn er gibt die Menschen zurück, wie er sie vorgefunden hat.

Schmerz: Ich habe Angst, wahnsinnig zu werden.

Vernunft: Hast du auch Angst vor den Helden, Fürsten und Königinnen, denen es genauso ergangen ist? Oder verachtest du Hercules, Ajax, Hekuba und Kassandra und lehnst den etwas anderen Wahnsinn von Lucretia und Empedokles ab?

Schmerz: Ich habe wirklich große Angst, wahnsinnig zu werden.

Vernunft: Viele, die zur Prophezeiung fähig waren, galten als Wahnsinnige, weil ein normaler Geist die Regionen nicht erreichen kann, die der unkontrollierte Wahnsinn eröffnen kann. Aus diesem Grund nennen die Griechen das, was du Prophezeiung nennst, „Mantik“, was von „Wahnsinn“ abgeleitet ist.

Schmerz: Ich fürchte aber die Macht des Wahnsinns.

Vernunft: Doch wir sehen auch, wie gesunde Menschen traurig und wahnsinnige fröhlich sind, getäuscht durch illusorische Meinung. Ja, sogar der Irrtum hat seine Freuden!

Schmerz: Mein Geist wird von Angst vor dem Wahnsinn gequält.

Vernunft: Einige haben sich vom mühsamen Arbeitsleben erholt, indem sie Wahnsinn vorgetäuscht haben. Und so gewährt auch wahrer Wahnsinn eine wahre Erholung.

Petrarcameister - Vom Wahnsinn

In dem Bild des Petrarca-Meisters, mit dem er die Klage illustriert „Ich fürchte, all dieser Schmerz treibt mich in den Wahnsinn“, wird die Richtung besonders deutlich, nach der hin Sebastian Brant den Künstler beriet. In der zeitgenössischen Kunst, so bei Lucas Cranach oder bei Hans Baldung Grien, war es durchaus üblich, die Besessenheit durch Teufel oder Hexen darzustellen. Hier und in anderen von Brant redigierten Bildern ist Besessenheit dagegen als Verfolgung durch antikische Rachegöttinnen dargestellt. Der Hinweis auf die Antike, wenn Sebastian Brant ihn nötig gehabt hatte, kam von Petrarca, der Hercules, Ajax, Hecuba, Kassandra, Lucrez und Empedokles als Unsinnige nannte, die von Furien verfolgt wurden. Als Vorbild für ihre Gestaltung mag Brant dem Petrarca-Meister die Illustrationen zu seiner Ausgabe von Virgils „Aeneis“, Straßburg 1502, hingestellt haben, wo ihre wichtigsten Attribute, Schlangenhaar, Schlangenpeitsche und Fackel, schon dargestellt waren. Unter der Hand des Petrarca-Meisters haben sie sich weit von diesen Vorbildern entfernt und sind nordisch-hexenhaft ausgefallen. Unheimlich sind die Plagen, die sie dem jungen Krieger bereiten: Sie setzen ihm die Schlangen zum Biß an die Brust, brennen ihn mit der Fackel im Gesicht und schlagen mit der Schlangenpeitsche auf ihn ein.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man sehen, wie das Ichbewußtsein mit seinem stolzen Federhut und dem Schwert der „Unterscheidung“ die vermeintliche Sicherheit seines begrifflichen Verstandes verliert und von den wahnhaften Furien der Begierde und das Hasses angegriffen wird. Die häßliche Haß-Furie vergiftet mit ihren giftschlangenartigen Gedanken das Herz, und die hexenhafte Gier-Furie treibt mit ihrer dreifachen Schlangen-Peitsche den Ego-Verstand in den Wahnsinn und entzündet das Feuer der Leidenschaft. Das Ganze geschieht vor dem mächtigen Baum der Erkenntnis von Gut und Böse auf der Seite der Begierde im halbdunkeln Wald der Natur, während die Haß-Furie zwischen dem Ichbewußtsein und dem Baum des Lebens steht. So verfolgen diese beiden Furien den Verstand im Wellenspiel von Begierde, Haß und Unwissenheit, das man auch in den drei Giftschlangen der symbolischen Peitsche gut wiederfinden kann, die in der Natur alles antreibt und bewegt. So verfolgen und bedrängen sie den Menschen mit Angst und Schmerz, solange er keine wahre Sicherheit in der höheren ganzheitlichen Vernunft findet, sondern von illusorischer Unwissenheit im Spiel der begrifflichen Gegensätze verblendet und umgetrieben wird. Wenn das Bewußtsein diese höhere Ebene der Vernunft erreicht, dann bekommt der Begriff „Wahnsinn“ einen ganz anderen Sinn, wie ihn auch die Vernunft von Petrarca an manchen Stellen im Text verwendet, denn man erkennt die Illusionskraft bzw. den „Wahn der Sinne“, was bereits ein großer Schritt in die geistige Freiheit ist.

2.116. Von der Angst vor Gift

Schmerz: Ich habe Angst vor Gift.

Vernunft: Dann halte dich vom Essen und Trinken mit anderen fern! Umgib dich mit vertrauenswürdigen Freunden, schließe deine Türen vor verdächtigen Personen, lehne trübe und dunkle Weine, Suppen und Saucen ab. Sei vorsichtig, nüchtern und iß langsam. Vermeide hastige Mahlzeiten, die vielen den Tod gebracht haben, sei es jetzt durch Gift oder auf andere Weise. Laß am Eßtisch deine Hand langsam, deine Augen schnell und deinen Geist wachsam und sich der Gefahr bewußt sein, und verlasse dich dabei nicht nur auf deine Augen und deinen Verstand, sondern auch auf die deiner Freunde. Große Gefahren werden durch große Wachsamkeit vereitelt, viel Unvorhergesehenes passiert dem, der unvorsichtig ist.

Schmerz: Ich habe Angst, vergiftet zu werden.

Vernunft: Du hast gerade ein umständliches Mittel gehört. Höre jetzt ein ganz einfaches: Sei arm, und du bist der Angst und der Gefahr, vergiftet zu werden, entronnen. Denn bescheidene Umstände unterliegen diesem Fluch nicht, sondern fördern Sicherheit und machen der Angst ein Ende. Sie sind die beste und wirksamste Medizin, die für jeden verfügbar ist und nicht weniger wirksam und praktikabel bei jenen, denen sie gegen ihren Willen aufgezwungen wurden, obwohl dies sicherlich weniger süß und etwas härter ist. Aber es reduziert das Anschwellen des Geistes, verringert den Neid, reinigt die Galle des Zorns, heilt die immer durstige Trinksucht und beseitigt die Ursache allen Übels. Denn deine Reichtümer sind voller Täuschung und voller Schrecken. Man sollte den Trinkbecher nicht weniger fürchten als das Schwert, und den Suppenteller nicht weniger als die Pfeile. Weder der Tisch noch das Haus noch die eigene Kammer sind frei von Gefahren, denn überall kann der Tod lauern. Virgil sagt dies über einen heftigen Sturm auf See, aber es passiert dir auch auf ruhigen Gewässern, die dir von deinen geliebten Schätzen gewährt werden. Aber die Armut, wie berüchtigt ihr Name im Volk auch ist, ist in jeder Hinsicht sicher. Sobald der Lärm und das Gejammer, das geistlose Leute darüber erheben, verflogen ist, stellt sich heraus, daß sie insgesamt begehrenswert, süß und erholsam ist. Ihr Sterblichen müßt lernen, aus irdenen Schüsseln zu essen und aus einfachen Gläsern zu trinken, wenn ihr sicher essen und trinken wollt. Denn Gifte werden in Bechern aus Gold und kostbaren Edelsteinen gemischt. Wie weit geht die Habgier? Sogar das Gift liebt Juwelen und Gold! Gegen diese Pest ist kein Gegenmittel, weder das des Königs von Pontus noch das eines anderen, wirksamer als die Armut.

Schmerz: Nun habe ich Gift getrunken und der Tod fließt in meine Eingeweide.

Vernunft: Wenn du einmal entschieden hast, sterben zu müssen, was die Entscheidung aller sein muß, die sich an ihre Sterblichkeit erinnern, dann frage ich dich, welche Rolle spielt es, ob du durch Durst oder durch Trinken stirbst, ob dein Blut fließt oder der Wein? Zumindest hast du für diese Todesart verschiedene große Vorbilder, wie Alexander, Hannibal, Philopoimen, Mithridates, sogar Kaiser Claudius Nero, Theramenes und Sokrates.

Petrarcameister - Von der Angst vor Gift

Gift und Giftmord, wie auch die Furcht vor Vergiftung haben in den deutschen Machtkämpfen des 15. und 16. Jahrhunderts keine Rolle gespielt. In italienischen Verhältnissen des 14. Jahrhunderts, aus denen Petrarcas Text entsprungen ist, war dagegen der Giftmord als Mittel zur Erlangung der Herrschaft sehr wohl bekannt. Der Petrarca-Meister war hier also besonders auf Hinweise Sebastian Brants angewiesen. Vielleicht ist gerade deshalb seine Darstellung kompliziert und unanschaulich ausgefallen. Brant hat die Erwähnung des Königs Mithradates im Text des Petrarca aufgegriffen und zum Bildthema gemacht. Mithradates wollte sich in Verzweiflung über die Empörung seines Sohnes gegen die Herrschaft vergiften. Doch wirkte das Gift nicht, weil er früher durch den Genuß von Enten, die Giftpflanzen gefressen hatten, gegen alle Gifte immunisiert worden war. Als er dies erkannte, ließ er sich von einem Kelten aus seiner Umgebung erstechen. - Der Künstler hat links den König gezeichnet, wie er von den vergifteten Enten ißt und dadurch gegen Gifte immun wird. Rechts wird der Selbstmord vorbereitet: Ein reich gekleideter Diener bringt in einem offenen Pokal einen Trunk, der mit Gift von einem Pferdehuf vergiftet worden ist, wie es der Turbanträger hinter dem Rücken des Dieners, doch mit dessen Wissen, auf den Pokaldeckel bringt. Im Mittelbild dann ist Mithradates an der Tafel dargestellt: Das Gift wirkt, er krümmt sich in Schmerzen, ohne jedoch den Tod zu finden. Nun greift der Kelte zur Lanze und ersticht ihn. - Man kann nicht sagen, daß die Bilderzählung leicht verständlich sei und die Furcht vor Vergiftung passend illustriere, so dramatisch das Mittelbild auch aufgebaut ist. Die Handlung der beiden Diener rechts von der Tafel sieht weit eher nach einer heimlichen Vergiftung aus. Auch ist zunächst nicht zu erklären, welche Rolle ein beschlagener Pferdehuf bei der Vergiftung spielen soll.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man das Ichbewußtsein als vermeintlichen König mit der Krone gegenüber dem Verstand als vermeintlichem Weisen mit dem Turban und auf seinem „Wohlfühlkissen“ in seinem Körperhaus am Tisch der Natur sitzen sehen, wo sich das Bewußtsein selbst gegenüber sitzt und sich sozusagen selbst spiegelt und sich von den Speisen der Natur ernährt. Mit dieser Nahrung, die es gern als etwas Totes zu sich nimmt, wie das gebackene Brot und das gebratene Hühnchen andeuten, kann es das körperliche Eigentum ansammeln, das ihm dann als Körperbewußtsein dient. Doch dieser Diener gibt nicht nur den Besitz an Reichtum wie den Pokal aus Gold und Edelstein, sondern auch den Becher des Leidens, der mit dem Gift vom Pferdehuf bzw. Teufel vergiftet ist. Und dieses Gift besteht vor allem aus der Trennung vom Ganzen bzw. Gott durch Begierde, Haß und Unwissenheit, so daß persönliches Eigentum entsteht und damit Vergänglichkeit und Tod, vor denen sich das Ichbewußtsein mit dem Verstand so sehr fürchtet. Interessanterweise sieht man aber auch rechts, wie der begriffliche Verstand mit dem Turban selber dieses Gift in den Deckel des Bechers gibt. Und auf der anderen Seite versucht er links, sich mit diesem Gift in kleinen Dosen abzuhärten und daran zu gewöhnen, wie es viele Menschen versuchen, um den drohenden Tod zu vermeiden. Doch scheint es nur vorübergehend zu gelingen, und am Ende verzweifelt und zerbricht der ichhafte Verstand an sich selber und wird sozusagen von seinem Spiegelbild des Ichbewußtseins getötet, das sich damit auch selbst tötet und so tot wird, wie es sich zuvor von Totem ernährt hat. Das geschieht, weil es durch den begrifflichen Verstand entsteht und deshalb auch wieder vergehen muß. Als Lösung dieses Problems könnte man über dem Ichbewußtsein die Hochzeitsgirlande der ganzheitlichen Vernunft erkennen, die zum wahren König werden sollte und in der mystischen Hochzeit die Gegensätze von Gut und Böse, Mein und Dein, Geist und Natur sowie Leben und Tod wieder vereinen und damit jede Trennung überwinden kann. Eine ähnliche Girlande sieht man auch links über dem Verstand, der die Stufen ins Körperhaus betrachtet und sich gegen das tödliche Gift immunisieren möchte, aber noch das Schwert der Unterscheidung trägt und mit dem Rücken zum reinen Licht bzw. Bewußtsein steht.

2.117. Von der Angst vor dem Tod

Schmerz: Ich habe Angst zu sterben.

Vernunft: Der Tod ruft nicht nach Angst, sondern nach Meditation. Wenn du diese erst jetzt beginnst und sie nicht seit deiner Kindheit mit dir aufgewachsen ist, oder wenn du sie nur gelegentlich und nicht immer pflegst, hast du nicht weise gelebt. Die folgenden überaus gewinnbringenden Zeilen von Horaz sollten tief in dir aufgenommen sein: „Inmitten von Hoffnungen und Sorgen, inmitten von Ängsten und Leidenschaften, sei dir bewußt, daß jeder Tag dein letzter ist.“ Damit du leben kannst wie der Mann, den er an anderer Stelle beschreibt: „Meister seiner selbst und freudig kann jener leben, der Tag für Tag sagen kann: Ich habe heute gelebt! Mag morgen der Vater den Himmel mit dunklen Wolken oder hellem Sonnenschein füllen.“ Dies ist gewiß das vollendete Leben, das die Philosophen preisen. Aber es ist nur sehr wenigen Menschen gegeben, so vollkommen zu leben.

Schmerz: Ich fürchte aber den Tod.

Vernunft: Dann hättest du dich auch fürchten sollen, geboren zu werden und zu leben. Denn der Eintritt in das Leben ist der Beginn des Todes. Das Leben selbst ist eine Reise in den Tod oder besser noch ein fortgesetzter Tod. Indem du lebst, gehst du entweder dem Tod entgegen oder, wie die Weisen meinen, du stirbst mit jeder verstreichenden Stunde. Warum solltest du also den Tod fürchten, wenn der Tod dein ständiger Begleiter im Leben ist und notwendigerweise geschehen muß? Das erste wird von den Gelehrten verstanden, und das zweite sogar von den einfachen Leuten, die wissen, daß alles Geborene sterben muß und alles Sterbende zuvor geboren werden mußte.

Schmerz: Ich habe trotzdem Angst vor dem Sterben.

Vernunft: Du bist ein vernünftiges und sterbliches Geschöpf und hast Angst zu sterben? Wenn du wirklich vernünftig wärst, könntest du meiner Meinung nach den Tod unmöglich fürchten, denn die menschliche Natur besteht aus diesen beiden, Vernunft und Tod. Das erste betrifft den Geist, das zweite den Körper. Nur ein Mangel an Vernunft kann Todesangst hervorrufen.

Schmerz: Ich fürchte aber den Tod.

Vernunft: Nichts, was durch die Notwendigkeit der Natur eintritt, sollte gefürchtet werden. Wer die natürlichen Dinge haßt oder fürchtet, muß die Natur selbst hassen oder fürchten. Es sei denn, er will glauben, daß er einen Teil von ihr annehmen und loben und einen anderen Teil ablehnen und verurteilen kann, was die schlimmste Unverschämtheit wäre, nicht nur zwischen Mensch und Gott, sondern auch zwischen Mensch und Mensch. Einen Freund mußt du entweder annehmen oder ablehnen wie er ist, damit du dich nicht als ungerechter Verehrer und Schiedsrichter der Freundschaft entpuppst, wenn du nur die Eigenschaften haben willst, die du magst.

Schmerz: Ich habe aber Angst vor dem Tod.

Vernunft: Wenn etwas Schlimmes am Tod ist, macht es deine Angst vor dem Sterben noch schlimmer. Und wenn nichts Schlimmes daran ist, ist deine Angst allein schon schlimm genug! Es ist reine Dummheit, ein Übel zu erfinden oder zu vermehren.

Schmerz: Ich fürchte schon den Namen „Tod“!

Vernunft: Nur die Schwäche der Sterblichen hat den Namen „Tod“ berüchtigt gemacht. Wenn der Geist stark ist, gibt es vor dem Tod nicht mehr Grund zur Sorge als vor jedem anderen Naturereignis. Warum fürchtest du dich mehr vor dem Sterben als vor dem Geborenwerden, Erwachsenwerden und Altern, vor Hunger und Durst oder Aufwachen und Einschlafen? Letzteres ist dem Sterben offenbar sehr ähnlich, so daß manche den Schlaf den Bruder oder ein Vorbild des Todes nennen. Und damit du nicht denkst, daß dies nur eine poetische Einbildung oder philosophische Metapher ist: Die Wahrheit selbst nannte den Tod seines Freundes einen Schlaf (Joh. 11.11). Hast du wirklich Angst, am Ende einmal das zu tun, was du jeden Abend gern tust? Es ist diese Art von widersprüchlichem Schwanken, über das sich die Gelehrten wundern und beklagen.

Schmerz: Diese Dinge mögen unter Philosophen gewöhnlich, beliebt und interessant anzuhören sein. Aber wenn es still wird, kehrt meine Angst zurück.

Vernunft: Nein, deine Angst hat dich nie verlassen. Wäre sie wirklich fortgegangen, würde sie nicht zurückkehren. Ohne Frage ist den gewöhnlichen Menschen eine gewisse Angst vor dem Tod angeboren. Aber einem Weisen steht es nicht zu, sich den gewöhnlichen Reaktionen von gewöhnlichen Menschen hinzugeben. Wie ich bereits sagte, darf er nicht in die Fußstapfen der Vielen treten, sondern in die der Wenigen.

Ich bin jedoch überrascht von dem, was du über die Philosophen sagst. Lernst du nicht von Seeleuten etwas über das Segeln, von Bauern über die Landwirtschaft und von Kriegern über die Kriegsführung? Aber den Rat der Philosophen, wie du dein Leben führen solltest, lehnst du ab. Du rufst den Arzt, um deinen Körper zu heilen, aber gehst nicht zum Philosophen, um deinen Geist zu heilen, obwohl Philosophen die Ärzte des Geistes und Lehrer der Lebenskunst sind, vorausgesetzt, es sind wahre Philosophen. Wenn sie falsch und nur vom bloßen Namen „Philosophie“ aufgeblasen sind, sollten sie nicht konsultiert und sogar gemieden werden. Denn es gibt nichts Wertloseres, Absurderes und leider auch nichts Reicheres in eurer Zeit, in der es auf das Schlimmste an weisen Menschen mangelt. Abgesehen von gewöhnlicher Klugheit bieten die heutigen Philosophen möglicherweise nichts, was du brauchst. Aber wenn du darin etwas findest, was sie der Weisheit der Alten entnommen haben, um dein Leiden zu lindern, dann lehne es nicht ab. Und sprich auch nicht wie die Analphabeten (die nicht selber lesen können) „Das habe ich von den Philosophen!“, sonst muß ich dir mit Cicero antworten: „Was du hier hast, ist wahr, auch wenn du es leider nur von Räubern bekommen hast.“

Denn wo um alles in der Welt willst du fischen oder jagen, wenn nicht dort, wo Fische und Wild leben, in den Gewässern und Wäldern? Wo willst du nach Gold graben oder Edelsteine sammeln, wenn nicht dort, wo sie zu erwarten sind, in den Adern der Erde und an den Ufern des Meeres? Wo bekommt man Ware, wenn nicht beim Händler? Wo bekommt man Statuen und Gemälde, wenn nicht beim Bildhauer und Maler? Und wo kann man die Lehren der Philosophie finden, wenn nicht bei den Philosophen? Obwohl diese Lehren in den Texten eingeschlossen sind, wo sie wie in Schatzkisten formuliert liegen, können sie doch von solchen Denkern ans Licht gebracht und weiter erläutert werden, präziser, klarer, plausibler und prägnanter. Die so umformulierten Aussagen gaben allen, die sie gehört hatten, die gleiche Hoffnung, aber nur sehr wenige konnten sie auch verwirklichen. Dies lag an dieser Kraft der „Ordnung“ und „Verbindung“, die Horaz so elegant in seiner Poetik lehrt, indem er es mit zeitgemäßen Begriffen wiederholt, um die Gedanken der Menschen besser zu erreichen. Auf diese Weise kann man den alten Geschichten, die jeder schon einmal gehört hat, so viel Charme hinzufügen, so viel Neues zu alten Dingen, so viel neuen Glanz zu alter Herrlichkeit und so viel Schönheit zu den altbekannten Wahrheiten. Das sage ich hier nicht, weil ich keine andere Stelle finde, sondern weil du mir die Gelegenheit dazu gegeben hast, damit du nicht nach Art des überheblichen Stolzes das, was du einmal gehört, aber nie verstanden hast, als abgedroschen und gewöhnlich abtust, wenn es noch einmal gesagt wird.

Schmerz: Ich akzeptiere das alles, weil ich weiß, daß du dich mit solchen Ratschlägen auskennst. Aber ich bin weit davon entfernt, davon beeinflußt zu werden, weil ich den Tod unvermindert fürchte.

Vernunft: Die Namen mancher Dinge haben durch menschliche Meinung oft eine größere Bedeutung als die Dinge selbst. Viele wirken aus der Ferne schrecklich, aber laden zum Lachen ein, wenn man ihnen begegnet. Unerfahrenen Menschen sollte man wenig glauben. Keiner dieser vom Tod Verängstigten kann etwas Verläßliches darüber sagen, was er selbst erlebt oder von jemandem gelernt hat, der es erlebte. Geh hin und frag einen Toten, und er wird schweigen, obwohl er derjenige ist, der die Wahrheit über den Tod kennt. Am meisten werden die plaudern, die den Tod am wenigsten kennen, und werden vergebliche Vorahnungen darüber machen, wovon sie keine Ahnung haben: Manche mit unverschämter Offenheit und andere mit gedämpfter Geheimhaltung. Der Tod als obskures und mutmaßliches Phänomen wird mit Argwohn betrachtet. Und im Zweifelsfall ist es ratsam, positiven Meinungen zu folgen und eher das zu akzeptieren, was den Geist glücklich anstatt traurig macht.

Schmerz: Meine Seele fürchtet den Tod.

Vernunft: Die Angst in Bezug auf dein Selbst ist unberechtigt, denn die Seele ist unsterblich. Die Angst in Bezug auf den Körper ist ein ungerechtfertigtes Zugeständnis an den Feind. Und die Angst in Bezug auf die Trennung zwischen Seele und Körper, ist sicherlich eine närrische Liebe, die ihr Gefängnis und ihre Ketten zu sehr liebt!

Schmerz: Mich quält aber die Todesangst.

Vernunft: Alle Narren haben Angst zu sterben. Das überrascht mich nicht, denn all ihr Glück liegt in ihrem Körper, der zweifellos durch den Tod ausgelöscht wird. Daher denken sie mit Zittern an das ihnen traurig erscheinende Ende des Körpers, denn es liegt in der Natur des Menschen, vor Unglück zurückzuschrecken. Für den Weisen, der sich um den Körper nicht mehr sorgt als um einen niederen Diener und jede Anstrengung, Liebe, Sehnsucht und Hoffnung immer als eine Angelegenheit des Geistes betrachtet, ziemt es sich, an den Tod seines Körpers zu denken, wie an eine Abreise am Morgen nach einer Nacht in einem häßlichen und ungemütlichen Gasthaus.

Schmerz: Ich kann nicht anders als den Tod fürchten.

Vernunft: Du müßtest keine Furcht vor dem Ende deines jetzigen Lebens haben, wenn du berechtigt wärst, ein anderes (und besseres) zu erhoffen oder beginnen zu wollen. Hier wurzelt deine Angst. All die vielen Gründe für die Angst vor dem Ende, die von der gewöhnlichen Menschenmenge behauptet werden, verschwinden mit der Aussicht auf dieses andere Leben.

Schmerz: Ich fürchte aber den Tod.

Vernunft: Solche Furcht entsteht aus einem Mangel an Voraussicht bezüglich der unvermeidlichen Notwendigkeit des Todes. Was geradezu beschämend ist, wenn es einem gelehrten und weisen Menschen widerfährt, besonders einem alten, der, um wahrhaft gelehrt und weise zu sein, alle Lebensphasen als eine einzige Meditation über den Tod betrachten sollte. Das war den Philosophen der Antike klar. Ist es etwa in der neuen Religion anders, welche die Spitze der Philosophie und wahren Weisheit ist?

Stell dir Menschen vor, die plötzlich zu einer langen Reise befohlen wurden. Nun sind sie besorgt und traurig und völlig damit beschäftigt, ihre kleinen Taschen zu packen, und beklagen, daß sie es so kurzfristig erfahren haben, und gehen empört davon und wollen oft murrend umkehren, weil sie dies oder jenes vergessen haben. Nun, es gibt wohl keine längere Reise als die des Todes und sozusagen keine schwerere, die von Räubern bedrängter, düsterer, furchterregender und unsicherer ist. Und selbst wenn dies alles nicht der Fall wäre, der Lebensweg läßt sich sicherlich nicht zurückgehen. Um so sorgfältiger sollte man sich vorbereiten, damit man nichts vergißt. Denn wenn man einmal abgereist ist, kann man nicht mehr das tun, was andere Reisende und Menschen auf dem Lebensweg können, und den Zurückgebliebenen vielleicht durch Briefe oder Freunde mitteilen, was man vergessen hat. Du kannst keine Nachricht mehr senden, noch stehenbleiben, abschweifen oder zurückkehren. Du mußt vorwärtsgehen, und die Rückkehr ist unmöglich. Bei Seneca sagt ein römischer Kommandant zu seinen Männern: „Soldaten! Dorthin zu gelangen ist unsere militärische Pflicht, aber nicht zurückzukehren!“ Und dein Kommandant sagt dir dasselbe. Weil man also gehen muß und nicht zurückkehren kann, und weil die Notwendigkeit der Abreise gewiß, aber die Stunde des Todes ungewiß ist, deshalb gibt es nur ein Heilmittel für deine Todesangst: Immer bereit zu sein in deinem Geist, zu antworten, wenn du gerufen wirst, zu gehorchen, wenn dir befohlen wird, und alles vorbereitet zu haben, um auf den ersten Befehl des Kommandanten bereitwillig die Reise anzutreten, die jeder unternehmen muß, sei er fröhlich oder traurig.

Dies vermindert die Angst und den Kummer vor dem Sterben, denn es macht dich nicht nur bereit zu gehen, sondern auch freudig bereit. Andernfalls kannst du unvorbereitet und achtlos erleben, was Cicero vor langer Zeit in einem seiner Briefe an Brutus vorhergesagt hat. Er schrieb: „Glaube mir, Brutus, du wirst völlig überwältigt sein, wenn du es nicht vorhersiehst.“ Das passiert jedem, der nicht vorhersieht, was kommen wird. Und wie die Vorsehung in allen Dingen notwendig ist, so ist sie vor allem in denen notwendig, die nur einmal passieren, und in denen ein einziger Fehler genügt, ein falscher Schritt, und es ist vorbei.

Schmerz: Jetzt fürchte ich den Tod noch mehr!

Vernunft: Was tief verwurzelt ist, läßt sich nicht einfach herausziehen! Wie ich bereits sagte, weiß ich, daß die Angst vor dem Tod den Sinnen angeboren ist, insbesondere den Instinkten der gewöhnlichen Menschen. Die Philosophen sprechen vom Tod weder schlecht noch gut, der als solches weder gefürchtet noch gewünscht werden sollte. Sie zählen ihn zu den gleichgültigen Dingen, die man als Gutes oder Böses erfahren kann, entsprechend deiner eigenen Beurteilung. Was auch dein Glauben bestätigt, der sagt, daß der Tod der Sünder am schlimmsten ist, aber der Tod der Heiligen höchst kostbar (Psalm 116.15).

Schmerz: Ich fürchte und hasse den Tod!

Vernunft: Ich wäre ratlos, einen wahren Grund für die Angst und den Haß vor dem Tod zu finden, die ihr Sterblichen empfindet, wäre da nicht die Tatsache, daß ich die Weichlichkeit eures Geistes nur zu gut kenne, die diese und andere Ängste und Schrecken fördert. Oder siehst du nicht, daß die Mehrheit der Sterblichen schon bei dem Namen „Tod“ erschaudert? Was ist das anderes, als die eigene Natur zu verabscheuen und das zu hassen, wozu man geboren wurde? Das ist eine tiefe Unwissenheit gegenüber den Mitmenschen und eine tiefe Undankbarkeit gegenüber Gott. Wie viele sind es, die das Wort willig hören, das ihnen ständig im inneren Ohr erklingt, ohne das sich kein Mensch jemals selbst erkennen kann? Denn was könnte er sich anderes denken, als ein sterbliches Geschöpf zu sein? Kann man über sich selbst nachdenken, ohne an den Tod zu denken? Aber du scheust dich, wenn der Tod sozusagen in deine Ohren eindringt, und wendest deine Gedanken ab und mißachtest, an was man erinnert werden sollte, auch wenn es dir nicht gefällt. Sieh nur, du weigerst dich, an den Tod zu denken, an den du schließlich doch denken und ihn erleiden mußt, und dessen Qual leichter zu ertragen ist, wenn du ihn vorhersiehst. Um so schrecklicher wird die Qual am Ende, denn alles Unerwartete und Plötzliche erschüttert den Geist.

Es ist ebenso töricht, etwas zu begehren, das man nicht haben kann, als zu versuchen, das zu vermeiden, was man nicht vermeiden kann. Beide werden um so törichter, je schädlicher das Begehren ist, und das schädlichste aller menschlichen Übel ist, Gott, sich selbst und den Tod zu vergessen. Diese drei sind so eng miteinander verbunden, daß man sie kaum getrennt betrachten kann. Oder kannst du an dich selber denken, ohne dir deines Anfangs und Endes bewußt zu sein? Dir ist sicherlich aufgefallen, wenn Menschen ihre Erbschaftsdinge regeln, daß kaum jemand zu sagen wagt „weil ich sterbe“, sondern „falls ich sterbe“, als wollten sie Zweifel an dem ausdrücken, was sicherer ist als alles andere. Sie sagen auch nicht direkt „sollte ich sterben“, sondern eher „sollte mir etwas Unvorhergesehenes passieren“. Was, frage ich, könnte dies sein, wenn nicht das Gleiche, was jedem Menschen zuvor passiert ist und allen passieren wird, die jetzt leben oder in Zukunft geboren werden? Für alle gibt es viele Arten des Lebens und viele Arten des Todes, aber nur eine Gewißheit, sterben zu müssen. Wie kannst du hoffen, dem zu entkommen, dem alle deine Vorfahren und sogar die mächtigsten Könige nicht entkommen konnten, noch jemals entkommen werden? Winde dich, wie du willst, es wird dir widerfahren wie jenen Kriegern, die im Kampf die Augen vor dem Schwert des Feindes schließen, als ob sie den tödlichen Schlag, den sie nicht sehen, auch nicht fühlen würden: Du wirst in Stücke gehackt, du wirst sterben, und du wirst es fühlen. Aber ob du dabei blind oder sehend bist, das liegt an dir.

Deshalb wünsche dir, gut zu sterben, was unmöglich ist, wenn du nicht gut gelebt hast. Ich wiederhole: Wünsche dies, strebe danach, tue alles, was du kannst, und überlasse den Rest Ihm, der dich ungefragt in dieses Leben gebracht hat. Doch wenn du gehen mußt, wird Er seine helfende Hand nicht ausstrecken, es sei denn, du bittest und betest darum. Aber wünsche niemals, nicht zu sterben, denn das ist nicht nur ein unverschämter und arroganter Wunsch, sondern auch ein wirkungsloser und eitler. Ihr Sterblichen solltet lieber lernen, euch dem unausweichlichen Joch der Naturgesetze zu unterwerfen, und wenn ihr euch selbst liebt, dann liebt auch euer Geborensein und strebt nicht dagegen. Denn es ist nicht recht, daß die Natur dir gehorcht, sondern du der Natur.

Schmerz: Ich habe lange, aber vergeblich versucht, mich von der Angst vor dem Tod zu befreien.

Vernunft: Ich bin überrascht, daß du langwierig versuchst, das zu überwinden, was ein kurzlebiger Gedanke hervorbringt. Es ist beschämend, sich so lange um eine kurze Gefahr zu bekümmern, vorausgesetzt, man darf das Sterben überhaupt eine Gefahr nennen, weil es doch natürlich und das Ende aller Gefahren ist. Ich sage, es ist beschämend für einen Menschen, für immer in Angst vor einem Moment der Krise zu leben und so viele Jahre in Angst und Spannung zu verbringen, wenn es darum geht, seinen letzten Atemzug zu tun.

Möchtest du das ultimative Heilmittel, das dich von der ewigen Angst vor dem Tod befreit? Dann lebe gut! Ein tugendhaftes Leben achtet (und durchschaut) den Tod, macht ihm oft sogar den Hof und macht all den schrecklichen Dingen ein Ende, die man fürchtet. Denn für einen aufrechten Menschen sind Mühsal, Kummer, Widrigkeiten, Schande, Gefängnis, Verbannung, Verluste, Krieg, Knechtschaft, Kinderlosigkeit, Armut, Alter, Krankheit und Tod nichts als eine Schule der Achtsamkeit, ein Übungsfeld der Geduld und eine Arena des glorreichen Sieges.

Petrarcameister - Von der Angst vor dem Tod

Petrarcas stoische Philosophie versagt angesichts der Todesfurcht. Er nimmt seine Zuflucht zum christlichen Glauben, weist auf das Elend des irdischen Lebens hin und weckt die Hoffnungen auf das Jenseits. Ihm gegenüber ist der Petrarca-Meister der bessere Renaissancemensch. Seine Gestalten zeigen keine Todesfurcht. Der Mann in Landsknechtstracht, die Frau als Bürgerin gekleidet, stehen nebeneinander. Der Mann drückt seine Verwunderung über das Kind aus, das sich unter dem Kleid der Mutter zu verbergen sucht. Es sieht nämlich, was die Eltern nicht sehen: den Tod, der die Mutter schon am Rockzipfel ergriffen hat; den Tod, der mit der Sense nach dem Vater zielt. - So macht der Künstler deutlich, daß Todesfurcht kindlich ist. Er sagt aber auch, daß kindliches Ahnungsvermögen schärfer ist als der Verstand der Eltern. Dem alten Totentanzthema hat er derart neue Züge abgewonnen. Wie in dem nur wenige Jahre später entstandenen „Totentanz“ Hans Holbeins des Jüngeren stellt auch er den Tod nicht als Gerippe, sondern als ein halbentfleischtes, menschenähnliches Wesen dar.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man Natur und Geist als ein verbundenes Ehepaar mit ihrem Kind sehen: Die Natur als gebärende Mutter vor der mächtigen tragenden Säule des Körperhauses, hinter der sich aber auch der Tod versteckt und hervorkommt, um ihr Kleid zu ergreifen, ihre Form und Gestaltung. Und Vater Geist als Ichbewußtsein mit dem stolzen Federhut und dem Schwert der Unterscheidung, der auch bildlich auf den „Beinen der Gegensätze“ steht. Das Kind wäre dann der kindische Verstand, der sich vor dem Tod fürchtet, ihn nicht anblicken will, sich unter dem Kleid von Mutter Natur versteckt und den vermeintlichen Schutz der Körperlichkeit sucht, den wir heute „objektive Realität“ nennen. Der Tod, der das körperliche Kleid der Natur angreift, erscheint als Totengerippe als Symbol körperlicher Vergänglichkeit mit den gefürchteten Giftschlangen, die mit ihrem Gift in den beiden vorhergehenden Bildern erklärt wurden. Der andere Tod, der den Geist angreift, erscheint als „Schnitter“ mit der scharfen Sense, um die Karma-Ernte an Sünde und Verdienst einzuholen. Doch dieses Todes ist sich das stolze Ego nicht bewußt, und richtet seine Aufmerksamkeit mehr auf die Natur und den körperlichen Tod. Kopf und Oberkörper des „Sensenmanns“ sind nur halb verwest und die Haare wehen im Wind, der das Körperhaus verläßt und nach oben ins Licht des Himmels zieht, im Gegensatz zur Dunkelheit auf der anderen Seite des Bildes. Hinter ihm kann man eine Stadt mit einem großen Tempel sehen, die an das himmlische Jerusalem im Jenseits erinnert. Damit steht er bildlich zwischen zwei Welten und herrscht sozusagen über diese Schwelle als ein Richter, wie wir zum Beispiel auch im Hinduismus den Totengott Yama als Richter und Gott der Gerechtigkeit kennen.

2.118. Vom freiwilligen Selbstmord

Schmerz: Ich begehre, Selbstmord zu begehen.

Vernunft: Deine ganze Beständigkeit ist entweder Angst oder Begierde. Erst hattest du weibische Angst vor dem Tod, und nun hast du ein menschenunwürdiges Begehren danach. Darf ich fragen, was der Grund deines plötzlichen Sinneswandels ist?

Schmerz: Ich werde gezwungen, selber Hand an mich zu legen.

Vernunft: Wenn du „gezwungen“ wirst, ist das kein „freiwilliges“ Handansichlegen mehr, auch wenn man es so nennt, weil ein gezwungener Wille zwar ein Wille, aber ganz gewiß kein freier Wille ist, und eigentlich auch gar kein „Wille“, wenn es „widerwillig“ geschieht. Dazu würde ich gerne wissen: Wer ist es, der dich dazu zwingt? Gegen deinen Willen können dir vielleicht gewalttätige Hände auferlegt werden. Aber du selbst kannst nicht Hand an dich legen, wenn du es nicht willst.

Schmerz: Schwere Gründe zwingen mich, den Tod zu wählen.

Vernunft: Ich stimme zu, sie müssen gewichtig sein, wenn sie dich zwingen. Aber sie könnten dich nicht zwingen, wenn du ein Mann wärst. Doch dein Geist scheint so schwach zu sein, daß er wohl von allem überwältigt werden kann. Laß uns sehen, ob ich nicht vorhersagen kann, was deine Gründe sind: Zorn, Empörung, Ungeduld, Selbsthaß und nicht zuletzt die Selbstvergessenheit. Denn hättest du daran gedacht, daß du ein Mensch bist, würdest du erkennen, daß alles Menschliche mit Gleichmut ertragen werden muß, damit du nicht wegen deines Hasses auf ein kleines Übel, falls es überhaupt ein Übel ist, bereit bist, dich ins größte Unglück zu stürzen.

Schmerz: Extremes Leiden zwingt mich, Hand an mich selbst zu legen.

Vernunft: Das Elend, das dich überwältigt, ist kein extremes Leiden, sondern die Verzweiflung. Für alle anderen Leiden gibt es ein Heilmittel, aber für dieses nicht. Was ist das extreme Leiden, das du meinst? Vielleicht Mühsal oder Armut? Das sind die motivierenden Ursachen, an die sich der Dichter (Virgil) erinnert, wenn er schreibt: „Die sich zum eigenen Tod verurteilten, ohne schuldig zu sein, und aus Abscheu vor dem Licht ihr Leben wegwarfen.“ Und fügt dann ihr zu spät gekommenes Bedauern hinzu: „Wie gerne würden sie jetzt oben im Äther sowohl Armut als auch harte Mühsal ertragen!“ Sind Armut und Mühsal wirklich so schwere Übel? All die guten und tapferen Männer haben sie ruhig ertragen, von denen wir an passender Stelle sprachen. Einige von ihnen wählten aus eigenem Antrieb die Armut und wurden so herrlich und reich für alle Ewigkeit. Und wir lesen von Sallust, daß Mühsal den Menschen eigen ist. Auch lesen wir in dem Buch über diesen heiligen und armen Mann, daß der Mensch zur Mühsal geboren ist. Aber du, das ruheloseste aller Geschöpfe: Im gleichen Moment, in dem irgendetwas deiner Abneigung oder deinen lüsternen Begierden zuwiderläuft, glaubst du, du hättest einen guten Grund, Selbstmord zu begehen. So verwöhnt und übereilt ist deine Genußsucht, daß dich die kleinste Sache nicht so sehr gegen das Schicksal, sondern gegen dich selbst erzürnt. Und du erhebst dich gegen Gott und lästerst, als ob alles, was dir dein Herr nicht sofort gewährt, ein schweres Verbrechen gegen dich wäre!

Schmerz: Überwältigt von großem Leiden entscheide ich mich zu sterben.

Vernunft: Oder aus Lebensmüdigkeit, was die wohlbekannte Krankheit aller Dummköpfe ist? Für den Weisen ist das ganze Leben angenehm. Er genießt es gern, wenn es glücklich ist, erträgt es geduldig, wenn es traurig ist, und hat Freude daran, geduldig zu sein, wenn die Umstände unangenehm sind, denn nichts ist glücklicher und süßer als die Tugend. Es ist die Tugend, die jeden Kummer lindert, das Gebeugte aufrichtet, das Harte weich macht und das Steinige und Mühsame glättet. So hören die Beschwerden auf, und so hören auch die Schwierigkeiten auf. Kurz gesagt, es gibt nichts Gelasseneres und Friedlicheres als das Leben eines Weisen. Denn all die Ängste und Qualen des Geistes, all die Wolken und Stürme, die das zerbrechliche Lebensschifflein gegen die Felsen treiben, sie alle kommen aus der Unwissenheit.

Schmerz: Ich habe mich entschieden zu sterben, weil ich die Krankheit nicht länger ertragen kann.

Vernunft: Deine Wahl ist töricht und voller Stolz. Überlasse alles, was deinen Körper betrifft, dem Herrn, der ihn erschaffen hat! Welchen Einfluß hast du auf dieses Gebäude, für das du kein einziges Stück Holz oder Stein geliefert hast, sondern das dir nur zur Verwendung überlasen wurde? Gewährst du dem Herrn keine Autorität, der nicht nur Fleisch, Knochen, Blut und Geist aus dem Nichts erschaffen hat, sondern auch Himmel, Erde, Meer und alles, was es gibt? Deshalb sage nicht: „Mein Körper wird von starken Schmerzen gequält!“ Du bist nicht der Herr deines Körpers. Du hast nur für kurze Zeit seine Nutzung verliehen bekommen, scheinst aber zu glauben, daß du der Besitzer dieses Lehmhauses bist. Du bist ein Bewohner, und Er, der alles gemacht hat, ist der Herr von allem.

Schmerz: Großer Schmerz zwingt mich dazu, mir den Tod zu wünschen.

Vernunft: Vielleicht wurde dir dieser Schmerz als eine Lektion geschickt, und so lästig er auch ist, er könnte nützlich sein. Und wenn er unerträglich wird, kann er sicherlich nicht lange dauern. Sei bereit für die Befehle, mit denen der Herr dich zurückruft. Aber antworte erst, wenn du gerufen wurdest, nicht vorher. Dein Tag ist festgelegt. Es ist so angeordnet, daß er weder vorgezogen noch verzögert werden sollte. Doch viele haben ihn im Voraus ergriffen und sich, um einer kleinen, kurzzeitigen Not zu entgehen, in eine große ewige Not gestürzt, aus der es kein Zurück mehr gibt. Diese Möglichkeit wurde auch von großen Autoren verteidigt, allen voran von Annaeus Seneca, der so beharrlich und häufig darauf zurückkommt, daß es mir scheint, er befürchtete, irgend jemand könnte denken, es sei nicht seine eigene Idee gewesen. Weshalb ich mich frage, wie so ein grausamer Gedanke jemals in den Kopf eines so hervorragenden Mannes kommen konnte. Um nicht zu weit abzuschweifen, erwähne ich hier nur, was er in einem Brief an Lucilius schreibt: „Aber wenn der Körper für den Dienst nutzlos ist, warum sollte man dann die leidende Seele nicht hinausführen?“ Und er schreibt weiter nach ein paar Sätzen: „Ich werde aus einem Haus fliehen, das zerbricht und ins Wanken gerät.“ Schlecht gesprochen, lieber Seneca! Du verdirbst viele gute Sprüche von dir mit diesem schlechten. Es gilt nicht zu fliehen, sondern zu warten! Laß dein Haus wanken und fliehe nicht, bevor es dich überwältigt hat.

Schmerz: Ich kann das nicht ertragen, was mir droht, und will lieber sterben.

Vernunft: Ein möglicher Tod von Feindeshand kann, wenn tapfer hingenommen, ohne Schändlichkeit sein, wohingegen dieser freiwillige Tod auf jeden Fall eine Schande ist, weil er dem Gebot des allmächtigen Herrn zuwiderläuft, gegen den nichts auf gute Weise geschehen kann.

Schmerz: Ich möchte lieber sterben als das erleben, was bevorsteht.

Vernunft: Es ist für einen Mann unangemessen, dem Doppelspiel von Glück und Unglück nicht direkt ins Gesicht sehen zu können. Es ist weibisch, die Augen in zitternder Angst abzuwenden. Was beunruhigt dich so sehr, daß du denkst, daß hier nur der Tod helfen kann? Ist es dein eigenes Schicksal, das deiner Lieben oder deines Landes? Die ersten beiden sind tatsächlich nur geringfügige Probleme, denn das Schicksal kann nichts zufügen, was die Tugend nicht überwinden kann. Die dritte Sorge ist in der Tat würdig und fromm, aber noch eine träge und kraftlose Hingabe. Denn die Versklavung des eigenen Landes (bzw. des eigenen Körpers) und das bedrohliche Gesicht der Tyrannei (bzw. des Egoismus) müssen bis zum Tod bekämpft werden und man sollte nicht davor fliehen. Denn das bedeutet, sich nicht wie ein Mann (ein Geistwesen) zu verhalten, sondern wie eine Frau (ein Naturwesen).

Dennoch zollt Seneca, in Übereinstimmung mit dem eigentümlichen Standpunkt, den ich zuvor dargelegt hatte, dem Tod von Cato große Anerkennung. Im Gegensatz zu Cicero, der sich damit begnügt, Cato zu entschuldigen, aber es unterläßt, ihn zu loben, wenn er sagt, daß Cato, der von Natur aus mit einem unglaublichen Ernst und unerschütterlicher Beständigkeit ausgestattet war, lieber sterben wollte, als das Gesicht eines Tyrannen zu sehen, was Brutus erblickte und entschied, daß Caesar als Tyrann getötet werden sollte, anstatt durch Selbstmord zu fliehen. Ich versuche nicht zu untersuchen, ob die Tat gut oder schlecht war. Aber es geschah so. Doch als Cicero Cato entschuldigt, vergißt er seine viel bessere Ansicht, die er Jahre zuvor im sechsten Buch seines Werkes „Vom Staat“ dargelegt hatte. Dort stellt er Publius Scipio Africanus Minor vor, der davon träumt, daß er im Himmel mit seinem Vater und Großvater spricht. Als er auf diese Weise von der Unsterblichkeit der Seele und der Glückseligkeit des jenseitigen Lebens erfährt, überkommt ihn der Wunsch zu sterben. Doch dann kritisiert sein Vater diese unnütze Sehnsucht mit den Worten: „So geht es nicht! Denn solange der Gott, dessen Tempel alles ist, was du siehst, dich nicht aus dem Gefängnis des Körpers befreit hat, kannst du dort keinen Zutritt erlangen. Denn dem Menschen wurde das Leben gegeben, damit er diese Kugel namens Erde bewohnen möge, die du in der Mitte dieses Tempels siehst… Deshalb mußt du, Publius, wie alle guten Menschen, diese Seele in der Obhut des Körpers lassen und darfst das menschliche Leben nicht aufgeben, es sei denn auf Geheiß dessen, von dem es dir gegeben wurde, damit du nicht den Anschein erweckst, als hättest du dich der Pflicht entzogen, die Gott den Menschen auferlegt hat.“ Ist diese Aussage von Cicero nicht ein Schuldbeweis für den von ihm entschuldigten Cato? Und wahrlich, wenn dir schon ein irdischer Kommandant befehlen würde, einen bestimmten Ort zu beschützen, würdest du es nicht wagen, ihn ohne Erlaubnis zu verlassen. Denn er würde es als schweren Ungehorsam ansehen, wenn du gegen ihn handelst. Was meinst du, wie dann der himmlische Herrscher reagieren würde, dem wir unendlich mehr Gehorsam schulden, weil Gott unendlich größer ist als der Mensch?

Vor nicht allzu langer Zeit lebte Stefano Colonna, ein Mann von altrömischer Tugend, der nicht nur in unserem Zeitalter berühmt wurde, sondern auch in zukünftigen berühmt sein wird. Als er von einer gewaltigen feindlichen Armee belagert wurde, die an Stärke überlegen war, übertrug dieser Colonna das Wächteramt eines Turms, den er für die größte Gefahrenstelle hielt, einem seiner Männer, auf dessen Treue er sich verließ. Doch dieser Turm wurde vom Feind untergraben und begann zu schwanken. Als er einzustürzen drohte, flohen seine Kameraden und ermahnten ihn, herabzusteigen und sich selbst zu retten, weil das Verbleiben keinen Nutzen mehr habe, sondern nur gefährlich und tödlich für ihn sei. Er aber sprach: „Ich werde nicht herabsteigen, es sei denn, er ruft mich zurück, der mich hierher befohlen hat!“ Als dies Stefano gemeldet wurde, kam er voller Sorge selbst geeilt, um ihn abzuberufen, und im gleichen Moment gaben die Fundamente des Turms nach, und er stürzte mit großem Lärm ein. So geriet der treue Wächter unter die Trümmer, aus denen sein Herr ihn nur mit Mühe befreien konnte, um ihn mit Kummer und Tränen zu begraben. Und Stefano ehrte sein Andenken, solange er lebte, und lobte oft seine Treue im Gespräch mit seinen Leuten.

Ich denke, du kannst den Kern dieser Geschichte erkennen. Du solltest ein ebenso treuer Wächter dieses Körpers sein, den Gott dir anvertraut hat, wie dieser Mann des Turms, der ihm von seinem Herrn anvertraut wurde. Dies bedeutet jedoch nicht, daß es mir verborgen blieb, daß Catos Tod zu seinen Zeiten gelobt und von vielen als glorreich angesehen wurde. Besonders bekannt ist die Bemerkung von Julius Cäsar, der damals als Sieger nach Utica eilte, wo Cato sich umgebracht hatte. Als ihm der Selbstmord gemeldet wurde, sagte er: „Cato beneidete meinen Ruhm, und ich beneide ihn!“ Zweifellos fand man etwas Bewundernswertes, um das man einen so großen und glorreichen Mann beneidete.

Schmerz: Was sollte mich also hindern oder davon abhalten, dem Beispiel eines solchen Gelehrten zu folgen, dessen Todesart vom Mächtigsten aller Menschen beneidet und von den Weisen entschuldigt und gelobt wurde, um den unzähligen Problemen des Lebens mit Hilfe eines freiwilligen Todes zu entgehen? Ich will sterben!

Vernunft: Laß dich nicht von leeren Hoffnungen täuschen! Es gibt andere, in der Tat von gleicher Beredsamkeit (obwohl dies hier unwichtig ist) und sicherlich mächtiger in ihrer Argumentation, die Catos Tod weder loben noch entschuldigen, sondern streng verurteilen. Unter ihnen Augustinus, einer der eifrigsten Wahrheitssucher, der argumentiert, der wahre Grund für Catos Selbstmord könne nicht gewesen sein, daß er und sein Sohn Caesars Herrschaft nicht ertragen konnten, weil Cato selbst seinem Sohn geraten habe, bei Caesar Zuflucht zu suchen und alle seine Hoffnungen auf Caesars Gnade zu setzen, worin er sich auch nicht täuschte. Wenn er es für schändlich gehalten hätte, unter Caesars Herrschaft zu leben, warum habe er dann seinen Sohn nicht zusammen mit sich selbst vergiftet oder erstochen oder durch eine andere Todesart vor derartiger Schande bewahrt? Manlius Torquatus wurde ja dafür gelobt, seinen eigenen Sohn getötet zu haben, der gegen den Befehl seines Vaters gekämpft und gesiegt hatte. Deshalb kann man nicht sagen, daß es beschämender wäre, sich einem stolzen Feind zu unterwerfen, als einen kühnen Feind zu besiegen. Und warum hielt Cato dann Caesar für würdig, das Leben seines Sohnes zu verschonen, aber für unwürdig, sein eigenes zu verschonen, und beneidete ihn? Kurzum: Augustinus entdeckt als einzigen Grund für Catos Selbstmord den Neid, den Caesar selbst nicht verschwiegen hat, wie wir gerade berichtet haben. Was hatte Cato zu befürchten? Warum hätte er diesen Herrscher nicht ertragen können, der ihn schon früher als Konsul aus der Kurie ins Gefängnis werfen ließ, was eine grobe und eklatante Beleidigung war, aber Cato tötete sich damals nicht? Warum sollte er es jetzt tun? Aus eitler Angst oder einer ungerechtfertigten Meinung über Stolz und Grausamkeit? Was war so erschreckend an Caesars Gesicht, um in den Tod zu fliehen? Er war der mildeste und barmherzigste Mann, nicht nur unter den Tyrannen, sondern auch unter den Herrschern seiner Zeit. Keiner von ihnen war mächtiger als er, aber viele waren grausamer.

Aus diesen Gründen sagt ein anderer Autor (Lactantius), hervorragend und von brillantem Verstand und Beredsamkeit: „Mir scheint, daß Cato nach einem Grund suchte, sich umzubringen, nicht um Caesar zu entkommen, sondern um der stoischen Lehre, der er folgte, nachzukommen und seinen Namen durch eine Großtat zu verherrlichen. Ich kann nichts Nachteiliges finden, was ihm hätte widerfahren können, wenn er gelebt hätte. Denn selbst während der Wut des Bürgerkrieges wollte Gaius Caesar in seinem Wohlwollen nichts anderes, als wie ein Mann erscheinen, der seinem Land gut diente, und beschützte zwei seiner besten Bürger, Cicero und Cato.“ Damit hast du neben dem Neid noch einen weiteren Grund für Catos Tod, nämlich törichte Eitelkeit, die beide gleichermaßen eines Catos unwürdig waren und kein ausreichender Grund für den freiwilligen Tod eines Mannes.

Schmerz: Ich möchte aber lieber sterben, als so zu leben.

Vernunft: Woher weißt du, daß dein Leben, das dir so traurig erscheint, vielen anderen nicht erstrebenswert, ja sogar beneidenswert wäre? Doch deine Ungeduld macht alles immer schlimmer.

Schmerz: Ich möchte aber sterben.

Vernunft: Die Ängstlichen sind ebenso schwer von ihrer Todesangst zu befreien, wie die Verzweifelten von ihrem Haß auf das Leben. Trotzdem läuft mein Heilmittel darauf hinaus: Das Leben gelassen ertragen und dem Tod mutig entgegensehen!

Petrarcameister - Vom freiwilligen Selbstmord

Gegen den Entschluß des Schmerzes „Ich begehre, Selbstmord zu begehen“ bleibt Petrarca bei der Verurteilung des Selbstmordes als unchristlich, wenn er auch viele Beispiele aus der römischen Geschichte für den Selbstmord edler Menschen anführt. In seinem Zwiespalt zwischen überliefertem Glauben und erworbener antiker Philosophie fällt Petrarca angesichts der Frage nach dem Tod geradezu in die mittelalterlich-scholastische Denkweise zurück. Er führt als Beispiel einen Stephan Columna an… Aus Petrarcas Text hat Sebastian Brant nur dieses Beispiel dem Petrarca-Meister zur Illustration gegeben. Rechts im Hintergrund stürzt der Treue vom Turm einer mittelalterlichen Stadt. Die Bibel, aus der er seine Gottergebenheit gewonnen hat, hält er noch in den Händen. Der Weise in der linken Bildhälfte, der in Flammen sitzt, die aus dem Erdboden quellen, und seine Schuhe fein säuberlich zur Seite gestellt hat, soll Empedokles sein. Er soll sich als Philosoph das Leben genommen haben, indem er sich in den Krater des Ätna stürzte. Sebastian Brant hat ihn im „Narrenschiff“ im Kapitel „Von mutwilligem Mißgeschick“ als Narren angeführt.

Empedokles in solch Narrheit kam,
Daß er sprang in des Ätnas Flamm'.
Hätt jemand ihn daraus befreit,
Der tät ihm Unrecht an und Leid.

Die zur Seite gestellten Schuhe sollen wohl auf die Narrheit dieses Todes hinweisen. - Der Edelmann, der sich im Vordergrund in sein Schwert stürzt, wird als Cato Uticensis zu deuten sein, der auch im 15. Kapitel des 1. Buches als Beispiel eines ehrenhaften Selbstmörders genannt und dargestellt war. In Petrarcas christlich gestimmtem Text zu dem vorliegenden Kapitel wird er nicht gelobt, weil seine Tugend, das Ende der römischen Republik nicht überleben zu wollen, heidnische Tugend war. - Im ganzen gesehen leidet das Bild daran, daß Brants Angaben zu fein waren und sich der bildlichen Darstellung entzogen. Die von Brant gewollte Differenzierung zwischen dem närrischen Selbstmord des Empedokles, der selbstmörderischen Treue des Gefolgsmannes des Stephan Columna und des heroischen Selbstmordes des Cato ist mit den Mitteln der bildenden Kunst nicht zu erreichen gewesen.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht ist dieses Bild schwer zu deuten. Wir könnten den Philosophen sehen, wie er sein Kleid rafft und in die Flammen des Ätna springt, um seinen Körper im irdischen Feuer der Vergänglichkeit zu verbrennen, aber seine Sandalen sozusagen als persönliches Andenken zurücklassen will, damit er nicht ganz aus der Welt verschwindet. So schaut er nun hinüber zur körperlichen Burg, die sich das Ichbewußtsein in der Welt gebaut hat, und sieht sich selbst, wie er mit Bart, Turban, wehendem Kleid und seinen Schriften in der Hand rücklings in den Abgrund fällt und wohl nicht in den Himmel zu den Göttern aufsteigt, wie er sich durch diese eigenwillige Tat erhofft hatte. Vielleicht zeigt er sich auch selbst seine Schriften oder eine andere Quelle höherer Weisheit. Damit wird wohl das Ichbewußtsein angesprochen, das mehr oder weniger in jeder Art des Selbstmordes lebendig und mitwirkend ist, und sich durch eine solche Tat mit der Vorstellung „Ich töte meinen Körper“ bezüglich der ewigen Seele noch verstärkt, so daß es als ein trennendes Bewußtsein der ganzheitlichen Gottheit nicht näherkommen kann. Ob sich der Herabstürzende auch auf die Geschichte von Stefano Colonna bezieht, ist unklar, denn man sieht weder einen einstürzenden Turm, noch die Feinde, die diesen Turm untergraben. Obwohl man darin eine sehr tiefgründige Symbolik sehen kann, wie der Verteidiger des Körperturms unter diesem Turm, der von der Zeit als Vergänglichkeit untergraben wird, sterben und begraben werden soll und als Ichbewußtsein nicht entkommen sollte. Was vielleicht der tiefste Sinn der Körperlichkeit ist. Entsprechend könnte man im Vordergrund Cato als eine andere Art des Selbstmordes erkennen, der seine Augen hinauf zum Göttlichen richtet und sich auf der Ebene einer höheren Vernunft in das Schwert der „Ent-scheidung“ bzw. ganzheitlichen Erkenntnis stürzt. Dazu hat er im Gegensatz zum Philosophen sein äußerliches Kleid abgelegt und opfert nun auch die lebendige Körperlichkeit, damit der befreite Geist aufsteigen kann. Petrarca äußert hier seine Zweifel sicherlich nicht zu Unrecht, ob vielleicht doch das Ego mit Neid und Eitelkeit noch mitspielt, was auch die abwehrenden Gesten seiner Hände andeuten könnten. Denn solange es noch irgendeine Trennung in Gegensätze gibt, wie zwischen Gut und Böse, Körper und Geist oder Leben und Tod, läßt sich das Ganzheitliche bzw. Göttliche sicherlich nicht erreichen.

2.119. Vom Tod

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Das kommt am Ende. Jetzt brauchst du den Tod nicht mehr zu fürchten oder dich danach zu sehnen, zwei Gemütszustände, mit denen du mich in früheren Gesprächen beschäftigt hast. Du mußt nicht länger leiden oder die Übel des Körpers oder des Geistes ertragen. Du wirst auch nicht mehr von lästigen Umständen, Krankheiten, Alter, menschlicher Täuschung oder den Höhen und Tiefen des Schicksals bedrängt. Wenn du dies alles als bösartige Übel betrachtest, kann doch das Ende aller Übel nur gut sein. Vorhin hast du dich über dieses und jenes Übel beklagt, und jetzt beklagst du das Ende aller. Du scheinst dir selbst zu widersprechen, indem du sowohl die Existenz als auch das Ende eines Übels beklagst.

Schmerz: Aber ich sterbe.

Vernunft: Damit sollst du den Weg deiner Väter gehen, diesen breiten und ausgetretenen Weg für alle. Würde es dir lieber sein, daß für dich allein irgendetwas anders wäre? Mach dich auf den Weg! Du mußt dir nun keine Sorgen mehr machen, dich zu verlaufen, denn du hast so viele Führer und Begleiter auf dieser Reise.

Schmerz: Ach, ich sterbe!

Vernunft: Wenn jemand Grund hat zu weinen, wenn er stirbt, sollte er sich schämen, daß er während seines Lebens jemals gelacht hat, denn genau das hatte er ständig vor und über sich, was ihn, wie er wußte, bald zum Weinen bringen würde. Zwischen seinem Lachen und diesem Weinen war niemals eine große Entfernung.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Menschen, die ihre eigene Natur beklagen, verdienen kein Mitleid! Du würdest nicht sterben, wenn du nicht sterblich wärst. Und wenn du es beklagst, sterblich zu sein, welchen Grund hast du dann zu weinen, wenn du aufhörst, das zu sein, was du nicht sein willst? Du hättest am Anfang weinen sollen, als du anfingst, das zu sein, was du nicht sein willst. Jetzt solltest du dich freuen, weil du anfängst, unsterblich zu sein.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: All diejenigen, die um dein Bett herumstehen, die du jemals gesehen hast, von denen du gehört oder gelesen hast, die du hättest kennen können und all die anderen, die entweder vorher geboren wurden oder noch geboren werden, an jedem Ort und zu jeder Zeit, sie alle haben diese Reise unternommen oder werden sie noch unternehmen. Stell dir den langen Zug deiner Vorgänger und Nachfolger sowie die große Zahl von Zeitgenossen vor, die zur gleichen Stunde mit dir abreisen. Schämst du dich nicht, deine persönliche Bestürzung darüber auszudrücken, was alle zu erleiden haben? Nicht einer ist unter ihnen, den du in dieser Hinsicht beneiden könntest.

Schmerz: Ich sterbe aber.

Vernunft: Dies zu vermeiden, käme dem Überwinden von allem Leid gleich, dem Abschütteln des Jochs sowohl des Schicksals als auch des Todes, zwei unermeßliche Güter in einem vereint, die kein Lebendiger mit noch so großem Wohlstand erlangen kann. Ich bitte dich, darüber nachzudenken, wie viele ernsthafte Sorgen und Probleme noch übrigbleiben würden, wenn du zwar nicht für immer, aber sagen wir für tausend Jahre leben könntest, im Vergleich dazu, daß du jetzt nur noch diesen letzten Tag hast? Das wird dir am besten gelingen, wenn du dich an dieses kurze, flüchtige und unsichere Leben und all die Mühsal und Lasten erinnerst, die du ertragen mußtest.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Oh ihr Sterblichen, wie beklagt ihr den Tod, als wäre das (persönliche) Leben etwas so Großes! Wenn es so groß wäre, dann wären es auch die Fliegen, Spinnen und Ameisen. Und wenn das Leben immer etwas Gutes wäre, dann müßte der Tod immer etwas Böses sein. Doch manchmal ist der Tod von großem Nutzen, da er die Seele von unerträglichem Leiden befreit und sie vor dem größten aller Übel rettet und bewahrt, dem Drang zur Sünde. Wenn dir allein die Tugend wichtig ist, dann kann man das Leben auch als eine Werkstatt betrachten, die unzähliges Elend hervorbringt. Und wer ihre Schließung bedauert, ärgert sich eindeutig darüber, frei von Elend zu sein, und muß wohl den Frieden hassen. Dagegen müßte jener, der es gerne ruhig und störungsfrei hat, das Ende dieses schmerzvollen Lebens herbeisehnen. Es gibt keinen anderen Weg, um Mühsal und Übel loszuwerden. Warum weinst du? Dein Tag ist da! Wenn er sich verzögern würde, solltest du dafür beten. Angesichts der Tatsache, daß die Macht des Schicksals so gewaltig und seine Angriffe so vielfältig sind, hast du vielleicht schon oft dafür gebetet.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Nein, du ziehst aus deinem irdischen und vergänglichen Haus in die himmlische und ewige Wohnung, und du hast deinen Fuß auf der Schwelle und reißt dich nur traurig und unwillig los und schaust ängstlich auf irgendetwas zurück, aber siehst nicht den Schmutz, den du zurückläßt, und glaubst nicht an die Glückseligkeit, die vor dir liegt. Nun, wenn das, was ich gerade gesagt habe und auch große Männer gesagt haben, wahr ist, und das vermeintliche Leben tatsächlich eine Art Tod ist, dann folgt daraus, daß das Ende, das Tod genannt wird, das eigentliche Leben ist.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Dein König hat dich aus deinem Gefängnis befreit und deine Fesseln zerrissen, die der himmlische Vater für Sterbliche gemacht haben wollte. Daß dies von Seiner großen Barmherzigkeit zeugt, wurde, wie du weißt, von Plotin verstanden und von den Weisen deiner Zeit bestätigt. Ich weiß also nicht, worüber du dich beschweren willst.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Dein König hat dich mit einer freudigen Nachricht gerufen. Aber so ist es: Was gegen den eigenen Willen geschieht, gilt nicht als Glück! Stimme zu, und du wirst anfangen zu begreifen, wie gut es dir geht, und verstehen, daß der Ausgang, den du jetzt fürchtest, dich aus dem Gefängnis und den Prüfungen dieses Lebens befreit. Du wirst die Segnungen des Todes voraussehen, wenn du stirbst, und wie der sokratische Schwan singen, der Prophezeiungen machen konnte und aus diesem Grund Apollo heilig war, und wenn nicht mit deiner Stimme, dann in deinem Geist. Es sei denn, du wirst von einer großen Last ungesühnter Sünden überwältigt, vor dem dich Gott bewahre! Ansonsten kannst du in deinem Geist aufrecht stehen, was wir von Kaiser Vespasian lesen, daß er auch körperlich im Stehen starb („Ein Imperator muß im Stehen sterben“, Sueton, Vespasian 24), falls du dich unwürdig fühlst, im Liegen zu sterben. Scheue dich nicht davor, so zu sterben wie er, nur weil er ein König war. Der Tod kennt kein Imperium und keine Könige, denn er ist der größte Gleichmacher von allen. Vielleicht gab es viele Dinge im Leben, die du niemals wie Vespasian getan haben könntest, aber nicht im Tod. Tatsächlich denke ich sogar, daß du ein wenig mehr göttliche Gnade hast als er, wenn du sie nicht abgelehnt hast, nicht weil du besser bist als er, sondern weil du in Bezug auf Gottes freiwillig gewährte Liebe glücklicher bist, die er den Großen verweigert und vor den Gelehrten verbirgt, aber den kleinen Kindern schenkt und den Einfältigen offenbart. So laß mich hier sagen, daß es für dich nützlicher und einfacher ist, aufzustehen. Vespasian versuchte dies mit körperlicher Kraft, die seine Krankheit erschöpft und der Tod ausgelöscht hatte. Aber um aufzustehen und dich zu erheben, brauchst du nur Geisteskraft, die zunimmt, wenn der Tod naht.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Warum zitterst du, wenn du in Sicherheit bist? Warum stolperst du auf ebenem Boden? Warum zögerst du auf freiem Weg? Ich werde dir nicht alles aufzwingen, was die Philosophen zu diesem Thema sagen, denn es gibt viele Dinge, die die Sorgen und der Zeitmangel eines Sterbenden verhindern. Daher solltest du alle Argumente der alten Philosophen tief in deinem Geist verwurzelt haben. Sie alle betonen dasselbe, daß es nur in seltenen Fällen eine Glückseligkeit gibt, die am Ende des Lebens stark genug ist, um alle Mittel gegen Widrigkeiten überflüssig zu machen. Ansonsten sei es immer heilsam und nützlich zu erkennen, daß der Tod keine zufällige Erfahrung ist, sondern eine natürliche und unvermeidbare Notwendigkeit. Cicero erinnert sich unter anderem am ersten Tag seiner oben erwähnten Gespräche in Tusculum an viele hilfreiche Argumente. Aber wenn du sie vorher nicht studiert hast, ist jetzt keine Zeit mehr, sie dir beizubringen. Das Wesentliche dieser Gespräche ist: Egal ob jemand in erbärmlichem Elend oder in bequemer Lage stirbt, der Zustand aller Menschen ist gleichermaßen den Pfeilen des Schicksals ausgesetzt, so daß ihnen der Tod die Übel raubt, aber nicht das Gute, was jeder scharfsinnige Beobachter menschlicher Angelegenheiten zweifellos erkennen kann, daß es wahr ist. Daher sollte das Kommen des Todes kein Schock sein, sondern eine Erleichterung, wenn man freudig darüber nachdenkt und die Ankunft des Boten oder Helfers des Befreiers wahrnimmt. Der Gestorbene wird wie auf ein Fenster zurückblicken, das es ermöglicht, aus den Schlingen dieser Welt und dem Gefängnis des Fleisches zu entkommen. In ähnlicher Weise kommt Ciceros Diskussion zu dem Schluß, daß es im Tod nichts Böses, sondern viel Gutes gibt, unabhängig davon, ob die Seele zugrunde geht oder weitergetragen wird. Dies mag in seinem Zeitalter eine subtile Argumentation gewesen sein. Heute gibt es daran keinen Zweifel mehr, weder bei den Philosophen noch im Volk. Ich glaube jedoch, daß auch Cicero, von dem ich so viel spreche, an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt hat, weil er diese Ansicht an vielen Stellen großartig darstellte, auch wenn er versuchte, den Zweifeln der Gesprächspartner seiner Zeit Rechnung zu tragen.

Kurzum: Du solltest glauben, daß deine Seele unsterblich ist, was nicht nur mit der Meinung deiner Religion übereinstimmt, sondern von hervorragenden Philosophen überall vertreten wird. Erwarte nicht, daß deine Seele stirbt! Es ist ihre Natur, daß sie nicht sterben kann. Glaube nicht, daß nach dem Tod kein Böses mehr droht, wenn es keine Seele gibt, die es erleiden könnte. Denn der Schöpfer der Seele ist sanftmütig, barmherzig und wohlwollend und verachtet nicht die Werke seiner Hände. Er ist allen nahe, die Ihn in der Wahrheit anrufen. Bete zu Ihm, setze alle deine Hoffnungen auf Ihn und atme deinen letzten Atemzug mit Seinem Namen auf deinen Lippen! Mutig aufbrechen und nichts fürchten: Die Natur ist die liebevollste aller Mütter und hat noch nie etwas Schreckliches geschaffen. Es ist menschlicher Irrtum, der den Tod so schrecklich macht, nicht seine Natur.

Wenn du etwas Großes und Hohes erreichen willst, dann ignoriere die niederen und unwissenden Stimmen der gewöhnlichen Menschen und ihre Taten, sondern schau auf zu denen, die als Vorbilder für den Weg zum wahren Ruhm dienen. Unter deinen Landsleuten findest du unzählige Beispiele von Menschen, die freudig und glücklich gestorben sind. Und wenn wir die Antike untersuchen, stoßen wir auf viele, die den Tod nicht nur tapfer erlitten haben, sondern sogar herbeiführten, was Cicero im Fall von Cato entschuldigt, aber Seneca lobt, wie wir bereits erklärt haben. Doch beide Meinungen erschienen uns nicht angemessen, vor allem letztere nicht, denn es ist weniger anstößig, einen Fehler zu entschuldigen, als ihn zu loben. Wir lehnten beides ab, denn so wie es lobenswert ist, dem Ruf zu antworten und respektvoll zu gehorchen, so ist das eigenwillige Verlassen des Wachpostens und Aufgeben seines Körpers ohne Befehl des Herrn Hochverrat, der mit grausamer Verbannung oder strenger Züchtigung bestraft wird. Ich wiederhole hier absichtlich, was ich zuvor gesagt habe, aber glaube, daß all diese Fragen in den vorangegangenen Diskussionen ausreichend erklärt wurden.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Damit zahlst du den Tribut des Fleisches, deine Schuld gegenüber der Natur, und du wirst dann frei davon sein. So tue freiwillig, was du sowieso tun mußt, was einer der Schriftsteller, die uns über den Tod ermahnen, treffend ausgedrückt hat: „Laßt uns alles wünschen, was nicht zu vermeiden ist! (Lucan)“ Nichts ist nützlicher als dies, weil es einfach keinen anderen Rat gibt, wenn es um zwingende Notwendigkeit geht. Was freiwillig getan wird, fällt leichter, und die Notwendigkeit hört auf, dich einzuengen, sobald sich die Bereitschaft dazugesellt.

Schmerz: Schau, ich sterbe!

Vernunft: Schau, der Herr wartet auf dich! Beeile dich, stolpere nicht, trödle nicht und lege deine Ängste ab! Du bist dir selbst nicht lieber als ihm. Wer ist mißtrauisch, wenn der Geliebte ruft? Vielleicht wirst du dich bald fragen, warum du dich vor dem Ersehnten so sehr gefürchtet hast. Jetzt, wenn du (vom sterblichen Leben) befreit bist, wirst du vieles wissen, was du auch mit aller Mühe niemals hättest lernen können, solange du hier gebunden warst. So sehe ich, daß für jene, welche die Geheimnisse aller Dinge erkennen wollen, nichts besser ist als der Tod. Nichts bringt sie schneller an ihr Ziel, denn der Verstand der Lebenden kann unmöglich den Schleier der Sterblichkeit durchdringen, der alles umhüllt. Was eigentlich das natürliche Verlangen der Menschen ist, besonders derer, die sich dem Studium gewidmet haben.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Nein, du gehst schlafen! Mir scheint, du hast dieses Leben satt und bist bereit, dich auszuruhen.

Schmerz: Ich sterbe.

Vernunft: Dann geh zur ewigen Ruhe! Jetzt fängst du endlich an zu leben. Ein guter Tod ist der Beginn des Lebens!

Petrarcameister - Vom Tod

Bei dem Thema des Todes bleibt Petrarca nun bis zum Ende des Buches stehen, und der Petrarca-Meister hat die Aufgabe, die vielfältigen Bedenken und Sorgen, die Petrarca an den Tod knüpft, im Bild darzustellen. Zur schlichten Klage „Ich sterbe“ zeichnet er das Sterben des Hohen und des Niederen. Ein König liegt auf dem Sterbebett, nackt wie zum Schlaf, doch mit der Krone als erklärendes Attribut auf dem Haupt. Sein Lager ist mit einer kostbaren Brokatdecke bedeckt. Die Vertreter der oberen Stände sind um ihn versammelt: rechts ein Patrizier mit Pelzschaube und großer Schulterkette, links vom Bett ein Fürst vom Typus Friedrichs des Weisen von Sachsen mit Drahthaube und Schulterkette, neben ihm ein Mann im Magisterhut und zu Füßen des Sterbenden die betende Nonne als Vertreterin des geistlichen Standes. In diese hohe Versammlung dringt brutal der Tod ein. Er tritt die Tür in Trümmer und weist seine Sanduhr vor. Von seinem Tritt fallen draußen die Türme der Königsburg ein. Nicht weniger brutal aber fällt der Tod auch den Bauern an, ihn knüppelt er draußen auf dem Feld mit dem Dreschflegel nieder.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir in das Körperhaus schauen, wo nun die nackte Seele als Ego-König bzw. „Ich sterbe“ auf dem Karma-Bett liegt, unter der Brokatdecke des persönlichen Reichtums. Rechts vom Bett sieht man zwei Paare von Männlich und Weiblich als Geist-Natur, die stellvertretend an die fünf Sinne erinnern, die sich nun langsam zurückziehen und von einem Vorhang verdeckt werden, der wie ein Kleid über sie fällt. Nur das Gefühl als Patrizier mit seiner Amtskette ist noch stark und argumentiert das sterbende Ichbewußtsein, das sich zu ihm wendet, mit dem Schmerz, wie er auch im Text von Petrarca spricht. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Bettes, könnte man dann die Vernunft mit dem begrifflichen Verstand hinter sich sehen, die ebenfalls argumentiert und zwischen dem Tod als eine Notwendigkeit und dem Leben als eine Erfahrung von Freude und Schmerz zu vermitteln versucht. Und im Vergleich zum vorletzten Bild, wo das Totengerippe noch relativ passiv als Symbol der Vergänglichkeit erschien, sieht man nun den Tod mit der Macht der Zeit als natürliche Gegenkraft zur Verkörperung des Bewußtseins mit größter Aktivität in dieses Körperhaus einbrechen, so daß die körperliche Ego-Burg einzustürzen droht, die das ganze Leben lang mühsam aufgebaut wurde, um die empfindliche Blase des trennenden Ichbewußtseins zu beschützen, das hier König sein wollte. Aus dieser inneren Schau der geistigen Welt öffnet sich links im Bild ein Fenster in die äußerliche Natur, wo man das Körperbewußtsein als „Bauer“ sehen kann, welches vor dem Hintergrund der abgezäunten Häuser und Burgen der Menschen auf seinem „Ackerfeld“ von der Aktivität des Todes „gedroschen“ wird. Wobei der Dreschflegel ähnlich wie die Sense an die Ernte von Verdienst und Sünde am Ende des körperlich-persönlichen Lebens erinnert. Zur Lösung dieses Problems der Vergänglichkeit können wir die betende Nonne zu den Füßen bzw. am Grund oder an der Wurzel der Seele erkennen, die an das Christusbewußtsein erinnert, also ein ganzheitliches bzw. göttliches Bewußtsein, daß nicht nur bildlich die beiden Seiten des Karma-Bettes, sondern alle Gegensätze zwischen Gut und Böse, Mein und Dein, Leben und Tod oder Sein und Nichtsein überwinden und lösen bzw. erlösen kann.


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