Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

1.30. Von mancherlei Spektakel der Römer

Freude: Ich erfreue mich an mancherlei Spektakel.

Vernunft: Zirkus und Theater vielleicht? Das sind zwei Orte, die für gute Sitten nicht berühmt sind. Ein Übelgesinnter, der dorthin geht, kehrt noch übelgesinnter zurück. Ein guter Mensch sollte diesen Weg vermeiden, denn wer aus Unwissenheit dorthin geht, riskiert seine Verunreinigung.

Freude: Ich mag aber Zirkus und Arena.

Vernunft: Während andere Unterhaltungen die Eitelkeit und Begierden fördern, so fördern diese vor allem die Grausamkeit und Unmenschlichkeit, die für einen guten Geist höchst unheilsam sind. Es ist auch keine Entschuldigung, daß sich einst die Römer als Blüte der Menschheit an diesen Dingen ergötzt haben. Denn diese Stadt, die sonst ein edles Vorbild war, beherbergte wohl nichts Verwerflicheres und in jeder Hinsicht Abscheulicheres, als dieses zügellose Verlangen nach öffentlichen Schauspielen. Als ob ihnen das Blutvergießen in den Bürger- und Länderkriegen nicht genug war und sogar in Friedenszeiten das Blut zu ihrer Unterhaltung fließen mußte. Manche werden vielleicht sagen, daß das Theater besser als die Kampf-Arena ist, denn dort sieht man nicht nur das einfache Volk, sondern auch die Senatoren und den Kaiser als Herren der Welt, die vom Schauspiel gefesselt werden, obwohl sie selbst Schauspieler für das Volk sind.

Ich werde dir etwas Wunderliches erzählen, was allgemein bekannt ist: Die Römer waren so vom Theater besessen, daß nicht nur die Frauen und Töchter des Kaisers der Öffentlichkeit ausgesetzt wurden und sich unter das Volk mischten, sondern sogar die Vestalinnen, diese Jungfrauen, deren Scham, Ruf und Ehre so unübertroffen waren, daß alles Unziemliche in Umgang, Gestik und Gespräch einer Strafe würdig war. Und doch lesen wir, daß auch diese Priesterinnen im unrühmlichen Theaterhaus ihre Plätze hatten, die ihnen von keinem geringeren als Kaiser Augustus persönlich zugewiesen wurden. Doch ein Irrtum wird nicht kleiner, wenn er von Großen begangen wird, im Gegenteil, seine Wirkung wird noch größer und sichtbarer.

Freude: Ich sehe aber gern den Theaterspielen zu.

Vernunft: Ein Spiel, bei dem man weder ehrlich handelt noch ehrlich zuschaut. Es ist schwer zu sagen, ob der Schauspieler oder der Zuschauer für diese Illusion verantwortlich ist. Die Schauspieler werden oft durch ihre Armut getrieben und die Zuschauer durch ihre Eitelkeit. Entsprechend gibt es auch in der Schuld einen großen Unterschied, soweit man aus Armut oder Eitelkeit handelt.

Freude: Ich schaue auch gern in den Kampf-Arenen zu.

Vernunft: Das ist in jeder Hinsicht eine unheilsame Belustigung für die Gesellschaft und für den Einzelnen. Dies ist leicht zu erkennen, wenn man die historischen Geschichten liest, wie diese Dinge entstanden sind, wieviel Geld und Mühe durch die Fürsten für diesen Wahnsinn verschwendet wurden, wie auch der Fleiß und die Arbeit des Volkes. Es ist schon schmerzlich, all diese eitlen und verrückten Spektakel aufzuzählen, wie tausende Paare von Gladiatoren immer noch nicht genug für diese Spiele waren, sondern noch Herden wilder Elefanten, Tiger, Löwen, Panther, Esel, Pferde und sonstiger Tiere von den Jägern aus aller Welt nötig waren, um in den römischen Kampf-Arenen zu dienen. Dazu kommt noch die Verschwendung an unvergleichlich luxuriösen Bauwerken, für welche die Marmorsäulen und -blöcke über Meer und Land mühevoll herangeschleppt wurden, um einem schnöden Spiel zu dienen. Sie wurden sogar von Meisterhand verziert und mit Blattgold überzogen.

Als Inbegriff dieses Wahnsinns sollte man Scaurus nennen, der für ein Schauspiel, das nur wenige Tage dauern sollte, 360 große Marmorsäulen für eine spektakuläre Theaterbühne heranschaffen ließ, wofür wohl ein Gerüst aus Holz und Seilen ausgereicht hätte. Es heißt, daß er mit diesem Theater manchen Tempel übertraf, der für die Ewigkeit gebaut war. Man sagt also nicht umsonst, daß er zuerst mit schwerer Arbeit die Bürger gequält und danach noch leichtfertigerweise die Sitten verdorben hat. So wurde er Anlaß und Vorbild für eine große Zeitverschwendung im Volk und eine große Geldverschwendung des Staates.

Noch erstaunlicher ist, daß dieser unsinnige Mißbrauch von späteren Generationen weiter überboten wurde, als Rom versuchte, mit Pracht und Prunk die Schönheit der ganzen Welt in den Schatten zu stellen. Historiker bestätigen: Sie hatten den Bauch der Erde geöffnet, um nach Marmor zu graben, Kalkstein abzubauen und verborgene Edelsteine zu finden, sie hatten Flüsse umgeleitet und in Rohre gezwungen, den tosenden Ozean mit großen Wellenbrechern gezügelt und die Tiefen des Meeres nach Schätzen abgesucht. Kurz gesagt, sie haben ihren Nachkommen den Weg des Wahnsinns eröffnet, die mit der Erwartung ihrer Vorfahren aufwuchsen, daß ihr Luxus niemals enden wird.

Der Schaden, der mit dieser Verschwendung dem Staat zugefügt wurde, vermehrte sich weiter im Volk, die in ihrer Begierde nach äußerem Spektakel die täglichen Aufgaben versäumten und nicht bemerkten, wie sie immer mehr von der Bedürftigkeit ergriffen und überwältigt wurden. Auf diese Weise steckten sich staatlicher und privater Wahnsinn gegenseitig katastrophal an. Dabei war der Verlust an Reichtum weniger schädlich als der Verlust an Sitte, weil damit die Begierde zur Gewohnheit und die Menschlichkeit (bzw. Vernunft) vergessen wurde.

Was erwartest du also von Zirkus und Theater? Schon die Tat von Romulus, dem ersten eurer Könige, war ein schlechtes Omen, als er während solcher Spiele die tugendhaften und jungfräulichen Sabinerinnen raubte, auch wenn damals diese Schmach noch in vielen Fällen durch eine ehrenhafte Ehe gelindert wurde. Doch später wurde daraus kein Weg zur Ehe, sondern zu mutwilliger Unzucht, Ausschweifung und Hurerei.

Kurzgefaßt: Ich möchte, daß du erkennst, daß solche Spektakel gern die Tugend angreifen und zerschlagen, geschweige von den Männern, die von solchem Wahn so besessen sind, daß sie sich sogar der Unzucht und des Ehebruchs rühmen. Durch diese Spektakel wurde schon der Ruf vieler Frauen verdorben, die von dort unverschämt und zweifelhaft nach Hause zurückkehrten, und die Tugend wurde damit nie vermehrt. Und damit nichts am Unheil fehle, kommt noch das Abschlachten der Leiber hinzu, nicht nur Einzelne, sondern ganze Massaker. Dann wandelt sich das Lachen schnell in Seufzer, wenn die Toten aus der Kampf-Arena getragen werden, und das Gebrüll der Anfeuernden in trauernde Klagen.

Du hast vielleicht auch gehört, wie Curio, der später im Bürgerkrieg in Afrika auf Cäsars Seite gestorben war, den Scaurus zwar an Reichtum nicht übertreffen konnte, aber an Einfallsreichtum. Er ließ ein Theater erbauen, das nicht aus Marmor wie das von Scaurus war, aber aus Holz und eine erstaunliche Drehbühne hatte. Mit diesem neuartigen Schauspiel eroberte er das ganze Volk, das in diesem Spektakel der eigenen Gefahr applaudierte. Man wird kaum glauben, das Curio mit dieser Drehbühne und einem illusionären Augen-Vergnügen die Meinung vieler tausend Römer so verdrehen konnte, daß er fast Kaiser geworden wäre. Man mag zwar sagen, daß dabei niemand sterben mußte, aber die Gefahr war groß, und anderorts ist es auch so geschehen. Ich will hier nicht alle jüngeren und älteren Unfälle anführen, bei denen viele ihren Tod fanden, sondern nur an das Spektakel erinnern, das unter Kaiser Tiberius in der Stadt Fidena gefeiert wurde. Dort brach das Amphitheater zusammen und begrub 20.000 Zuschauer unter sich. Das ist der Lohn am Ende solcher Spektakel.

Freude: Mich faszinieren aber solche Spektakel.

Vernunft: Entweder mit falscher Liebe oder wahrem Haß. Das erste ist für einen Mann unwürdig, das zweite für alle Menschen. Wer würde gern seinen Hals dem Schwert hinstrecken? Wer würde gern aus sprudelnder Wunde sein Blut verlieren? Wer würde nicht angesichts des Todes erbleichen? Was bringt euch der Besuch in der Schule solcher Grausamkeiten? Dafür braucht man keinen Lehrer, denn solche Übel lernt man schon schnell und mehr als genug im eigenen Hause. Wo soll das also hinführen, wenn die leicht verführbaren Leute in die Hände der Meister von Gewalt und Wahnsinn kommen? Viele, die mit freundlichem Gemüt geboren wurden, lernten die Grausamkeit durch solche Spektakel. Denn der menschliche Geist neigt schon genug zum Laster und sollte eigentlich nicht angeregt, sondern gezügelt werden. Ungezügelt bleibt er nicht ruhig, sondern rast sorglos dahin, wohin er gezogen wird. Viele Übel greifen durch die Ohren an, aber noch mehr durch die Augen. Durch diese beiden offenen Fenster dringt der Tod in den Geist ein. Nichts prägt sich mehr im Gedächtnis ein, als die Bilder, die von den Augen hereingetragen werden. Gehörtes geht schneller vorbei, aber die schrecklichen Bilder bleiben in dir, sogar gegen deinen Willen. Sie sind schwer zu vergessen, auch wenn du dich darum bemühst.

Wohin gehst du also? Welche Kraft zieht dich dorthin, um dich eine Stunde lang zu erfreuen, die dir so viel Trauer bringt, und um nur einmal etwas zu sehen, was du tausendmal bereuen mußt? Der Anblick, wie ein Mann mit dem Schwert getötet oder von den Zähnen und Klauen wilder Tiere in Stücke gerissen wird oder Ähnliches, was den Wachenden betrübt und den Schlafenden erschreckt - ich weiß nicht, was ihr daran Angenehmes empfindet. Es ist doch so bitter und traurig. Ich sehe wahrlich kein größeres Zeichen für den Wahnsinn der Menschen als dieses bittersüße und nutzlose Vergnügen, das dich zum Tod treibt, angezogen von niederen Sinnesreizen und vom Fluß des Grauens (dem Styx) betäubt. Es scheint mir fast, du folgst einem Gelübde im Leben, alle deine Wünsche, Unternehmungen und Taten gegen dich selbst zu richten.

Petrarcameister - Von mancherlei Spektakel der Römer

Auch für die Illustrierung der Zirkusvergnügen der Römer, wie sie Petrarca beschreibt und verurteilt, fehlte Sebastian Brant und dem Petrarca-Meister die Vorstellung. Es gab in der damaligen Kulturwelt keine Zirkusse nach römischem Vorbild. So zeichnet der Petrarca-Meister einen Turnierplatz mit Königspaar und höfischem Gefolge und läßt vor ihren Augen Menschen und Tiere miteinander kämpfen. Phantasiegeschöpfe und reale Wesen sind wunderlich gemischt: hier kämpft eine Elefant mit einem Drachen, dort ein Wiesel mit einem Hahn-ähnlichen Phönix. Der Löwe hat einen Stier zum Gegner, ein Mann ringt mit einem Bären, eine halbnackte Frau greift ein Wildschwein an. Die phantastischen Tiere, aber auch Löwe und Elefant, sind nach Vorlagen aus den weitverbreiteten Musterbüchern gezeichnet, so daß sie deutlich unlebendiger wirken, als die einheimischen Tiere, wie Bär, Wildschwein und Stier, die man beobachten konnte. Die unerschöpfliche Erzählergabe des Petrarca-Meisters spricht vor allem aus der reichen Differenzierung der winzigen Gestalten der Zuschauer. Da sieht man, in drei Rängen nach Stand und Würden geordnet, Frauen, die vor dem blutigen Gemetzel das Gesicht verhüllen, sowie junge und alte Blasierte, die ihre Langeweile überdeutlich zur Schau stellen. - Soweit spricht der Kunsthistoriker Walther Scheidig zu diesem detailreichen Bild.

Nun, auch zu diesem Thema scheint die Menschheit in den letzten zweitausend Jahren keinen wesentlichen Zuwachs an Vernunft gewonnen zu haben. Auch heute heißt es noch:

Im deutschen Fernsehen wird gemordet, getötet, gemetzelt und gestorben, was das Zeug hält. Gefolterte, geschändete Frauen, aufgehängte, durchbohrte Leiber, explodierende Autos, gezückte Pistolen, tropfendes, sickerndes, fließendes Blut... Das öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen ist ein einziges Schlachtfeld... Kaltblütiger oder mysteriöser Mord, Serien-, Frauen- oder Ritualmörder... Ängste vor der eigenen Sterblichkeit werden ausgeschlachtet... Intensive Darstellung von Gewalt bewirkt ein Abstumpfen... Fernsehkommissare als Priester der Industriegesellschaft... Wir ergötzen uns an stellvertretender Schuld... (Deutschlandfunk 2016)

Diesen „Wahnsinn“ stellt auch der Petrarca-Meister in seinem Bild dar und versucht offenbar, auch die Hintergründe auf symbolische Weise zu verdeutlichen. So kann man mindestens vier Ebenen erkennen, die auch das innere Wesen eines Menschen betreffen. Die oberste Ebene könnte die rein geistige sein, mit König und Königin, ihren Kindern und Ministern. Darunter sieht man die Ebene des Verstandes, der Gefühle und Erinnerung mit den reichen Frauen und Männern, dem Weisen, dem Gelangweilten, dem stolzen Ritterpaar und den keuschen Jungfrauen, die im Text als Vestalinnen auftauchen. Als nächstes käme die sinnliche Ebene, mit den Bauern und dem Volk, die dem Spektakel der Natur am nächsten sind, das im Vordergrund als ein Kampf verschiedenster Gegensätze dargestellt wird. Das ganze endet in einer muskulösen Frau, die von grünen Pflanzen umgeben wird und an Mutter Natur erinnert. Sie kämpft gegen ein Wildschwein, das vermutlich den Wahn der Menschen symbolisiert, der in Text und Bild deutlich beschrieben wird. Diametral gegenüber von Mutter Natur sieht man einen Drachen, der gewöhnlich ein Symbol für unseren wahnhaften Egoismus ist. Er berührt mit seinem Schwanz demonstrativ eine Dame aus dem Publikum und wird von einem Elefanten verfolgt, der mit seinem trompetenhaften Rüssel die Vernunft darstellen könnte, die auch im Petrarca-Text die Hauptrolle spielt.

Und wie Mutter Natur auf der einen Seite als Frau erscheint, so sieht man auf der anderen Seite den Geist in Gestalt eines Mannes, der mit den wilden Bären-Kräften der Natur ringt. Auf diese Weise kann man auch über die anderen Gegensätze nachdenken, von denen die Natur sehr viele zu bieten hat. Das Wiesel und der stolze Gockelhahn, der auch eine Mischung aus Hahn und Drache und damit ein Symbol für das stolze Ego sein könnte, erinnern uns an das Paar der Schwertkämpfer aus dem vorherigen Bild. Der Löwe als König der Tiere und der Stier, der oft zum Ochsen wird, sind ein klassisches Paar, das zum Beispiel auch in der indischen Fabelsammlung des Panchatantra eine zentrale Rolle spielt, welche auch damals in Europa schon verbreitet war. Und schließlich erscheint noch das Menschenpaar, das sich gegenseitig tötet, wie auch der Wahn für solche Mordspektakel einem menschlichen Selbstmord gleicht, der zumindest unsere Sinne und den Geist abstumpft und nicht lebendiger macht. So gibt es wohl nichts Schlimmeres, als äußerlich lebendig, aber innerlich dunkel und tot zu sein. Das Ganze ist wunderbar und genial gezeichnet. Dieser Kampf ereignet sich tagtäglich äußerlich und innerlich im Menschen, und Mutter Natur wünscht sich nichts sehnlicher, als daß wir endlich daraus lernen.

1.31. Von einem schnellen Pferd

Freude: Ich liebe ein schnelles Pferd.

Vernunft: Als ein wildes und unruhiges Tier, das stets unzufrieden und unersättlich ist.

Freude: Ich reite gern so ein Pferd.

Vernunft: Auf einem feurigen Pferd zu reiten, ist nicht viel besser, als auf einem tobenden Ozean zu segeln. Kein Tier ist seinem Herrn gegenüber ungestümer. Nicht umsonst sagen die Pferdetrainer: „Ein Pferd hat zwei Fehler: Einerseits ist es zu gutmütig, und anderseits ist es zu eigenwillig.“ Welche Kreatur mit solcher Stärke und Schnelligkeit würde sich anderen für wenig Nahrung unterwerfen, ließe sich mit Riemen und Seilen zähmen, mit Eisen und scharfen Nägeln beschlagen und mit spitzen Dornen anspornen, oder würde einen schwergepanzerten Reiter tragen, wie auch den engen Stall und harte Knechtschaft erdulden? Anderseits fühlt es sich auch frei, folgt seinem eignen Willen und verhält sich oft wie ein Feind zu seinem Herrn. Wenn es laufen soll, läuft es nicht, wenn es stillstehen soll, beißt es zornig auf den Zaum, wenn es schnauben soll, döst es, und wenn es ruhig sein soll, schnaubt es. Das soll das treue und dienstbare Tier sein, von dem so viele Geschichten erzählt werden - edel, königlich, wünschenswert und liebenswürdig - das man für einen hohen Preis kauft und mit ängstlicher Sorgfalt pflegt?!

Aber tatsächlich ist es ein Tier, das kein weiser Mann kaufen würde, wenn er die Nachteile mit den Vorteilen verglichen hätte. Denn kein Weiser würde ein Tier unterhalten, daß nicht weiß, wenn es ruhen oder arbeiten soll. Für das eine ist es zu feurig und für das andere zu geduldig. Mal ist es ungestüm, mal lustlos, mal frech, mal ängstlich, mal wild und mal träge. Es erschrickt vor einer Fliege oder einem Schatten, gehorcht seinem Herrn nur bedingt und kann ihm mancherlei Gefahr bringen. Wer könnte seine Sturheit, die bissigen Zähne, die ausschlagenden Hufe, das Wiehern und seinen Widerstand gegen das Aufsitzen und Reiten ertragen? Wahrlich, so viele Stimmungen ein Pferd hat, so viele Gefahren gibt es für den Reiter.

Freude: Ich bin aber fasziniert von Pferden.

Vernunft: Das ist nicht weiter erstaunlich, denn schon große Männer wurden von dieser Faszination bis zur Absurdität ergriffen. Wer hat noch nichts von Alexander aus Mazedonien gehört, der für sein geliebtes Pferd ein Grab errichtete und eine Stadt danach benannte, obwohl es an Fähigkeiten und Eifer nichts Besonderes hatte? Noch wunderlicher war die Vernarrtheit von Augustus, der seinem Pferd zwar keine Stadt, aber ein prächtiges Grab gewidmet hat, das dessen Tapferkeit und Verstand wahrlich nicht angemessen war. So wurde auch der Hengst von Kaiser Julius von ihm selbst oder von einem anderen als Marmorstatue vor dem Tempel der Venus zur Vergötterung aufgestellt. Und Antoninus Verus, der Julius Cäsar an Reichtum und kaiserlicher Macht fast gleichkam, aber an Alter und Ruhm geringer war, ließ wirklich eine Kopie seines geliebten Pferdes in Gold anfertigen. Über die vorzügliche Nahrung und Ausstattung zu den Lebzeiten des Pferdes will ich nicht weiter reden, aber besonders skandalös war, daß er es auf dem Hügel des Vatikans begraben ließ, wo so viele heilige Knochen ruhen. Man will es nicht glauben, aber es ist wahr. Als der Dichter Vergil davon erfuhr, beschrieb er, wie die Seelen solcher Pferdenarren auch in die Unterwelt der Pferde fallen werden.

Diese Narrheit wird nicht kleiner, wenn sie von so bedeutenden Persönlichkeiten gepflegt wird, sondern erscheint noch größer. Und damit niemand denkt, daß dies nur ein Wahnsinn der Antike war, möchte ich auch an ein Beispiel aus unserer Zeit erinnern. Er lebt noch, ist nicht sehr alt und wohnt unter euch hier in Italien. Ich muß ihn nicht nennen, ein mutiger Mann von enormem Reichtum, dem es nicht an Klugheit und Urteilsvermögen mangelt. Doch dieser Mann legte sein geliebtes Pferd, als es krank wurde, auf ein goldenes Bett mit Seidenkissen. Und weil er selbst von Gicht befallen war, nicht laufen konnte und die Ärzte ihm Ruhe verordneten, ließ er sich entweder von seinen Dienern tragen oder wurde auf ein anderes Pferd gehievt, um von seinen Ärzten begleitet zwei- oder dreimal täglich sein krankes Pferd zu besuchen und mit ängstlichen Seufzern neben ihm zu sitzen. Er streichelte es sanft mit seiner Hand und tröstete es mit beruhigenden Worten. Was soll ich noch sagen? Kein Aufwand wurde gescheut und keine Therapie unversucht gelassen, um seinem kranken Freund zu helfen. Vielleicht nennt die Nachwelt dies ein Märchen, aber es ist wahr und vielen Menschen bekannt. Dieser tapfere Mann kümmerte sich um sein Pferd wie um sich selbst, und als es starb, trauerte er darum, als hätte er seinen eigenen Sohn verloren.

Freude: Ich reite aber gern.

Vernunft: Manchmal ist es nützlich, schnell zu sein. Es hilft gegen Trägheit und ist ein Zeichen des Adels. Ich will auch nicht leugnen, daß es im Volk als ehrbar gilt, auf einem hohen Roß zu sitzen und alle zu überragen, nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit starken Schultern oder stolzgeschwellter Brust. Anderseits ist ein feuriges Roß auch mühsam und sogar gefährlich für seinen Herrn. So wünscht man sich oft, lieber zu Fuß durchs Land zu gehen und frei zu atmen, und tauscht die Gefahren auf dem hohen Roß gern mit Schlamm und Staub unter den eigenen Füßen ein. Es mag sein, daß schon manche durch ein Pferd vor dem Tode gerettet wurden, aber viele wurden auch schon abgeworfen, mit Hufen getreten oder im Sturz von ihrem Gewicht erdrückt.

Ohne Pferde hätte es auch viele Kriege nicht gegeben, viele Invasionen in fremde Länder, und manche Schlacht wäre uns erspart geblieben. Doch wie es in der Natur die Stürme und in der Geschichte den Julius Cäsar gab, und es fraglich ist, ob es ohne Stürme oder Cäsar besser gewesen wäre, so gibt es natürlich auch bezüglich der Pferde ein Für und Wider in Gefahr und Nutzen. Es ist sicherlich auch kein Zufall, daß in Thessalien, wo zuerst die Pferde gefangen und gezähmt, Gold- und Silbermünzen geprägt und die Meere mit Schiffen erkundet wurden, auch der Kriegsgott Mars geboren wurde, der die Erde über viele Jahrhunderte mit dem Blut der tapferen Männer tränkte.

Freude: Weißt du nicht, wie sehr die Dichter meine Ansichten unterstützen, wenn sie das Wesen und Verhalten von edlen Pferden beschreiben?

Vernunft: Das mag sein, aber erschrecke dich auch nicht vor den Worten des hebräischen Propheten, wenn er sagt: „(Die Stolzen müssen beraubt werden und entschlafen, und alle Krieger müssen die Hand lassen sinken.) Von deinem Schelten, Gott Jakobs, sinkt in Schlaf Roß und Wagen. (Du bist erschrecklich. Wer kann vor dir stehen, wenn du zürnest? - Psalm 76.7)

So bedenke beide Sprüche, nicht nur die angenehmen vom Dichter Virgil, auch die unangenehmen des Propheten.

Petrarcameister - Von einem schnellen Pferd

Der Petrarca-Meister gibt ohne direkte Stellungnahme ein Bild vom höfischen Leben seiner Zeit. In den Fürstenhöfen wurden damals Rennpferde gehalten, und zu Festlichkeiten fanden Rennen statt, bei denen die Sieger mit Schwertern, Rüstungen und ähnlichen Preisen bedacht wurden. Der Künstler zeichnet den Sattelplatz, wo ein Herr im Begriff ist, aufzusitzen. Der Herold bläst in die Posaune und verkündet dann den Namen des Reiters. Doch hat hier der Petrarca-Meister nicht an ein Pferderennen, sondern an ein Turnier gedacht, für das Reiter und Roß gepanzert und geschmückt sind. Dagegen scheinen im Hintergrund zwei Reiter die Schnelligkeit ihrer Pferde zu messen, die knappe Kleidung wäre dazu passend. Lebendig und anschaulich sind die Knechte gezeichnet, die die Pferde vor oder nach dem Rennen mit Bürsten und Tüchern behandeln. Das steife und unlebendige Pferd rechts im Hintergrund geht auf Petrarcas Text zurück, der von den Denkmälern spricht, die die Herrscher des Altertums ihren Lieblingspferden errichtet haben. - So beschreibt Walther Scheidig dieses Bild.

Nun, aus heutiger Sicht muß man eigentlich nur das Wort „Pferd“ mit „Auto“ austauschen, und man merkt, daß sich auch hier die Menschheit in tausend Jahren nicht wesentlich verändert hat. Wenn damals in den großen Städten der Pferdemist auf den Straßen zunehmend ein Problem wurde, so haben wir heute den „Mist“ der Autos in der Luft. Und wie damals viele Menschen in ihr Pferd vernarrt waren, so ist es heute ihr geliebtes Auto. Natürlich ist es nicht grundsätzlich schlecht, Pferde oder Autos zu lieben. Das wäre sogar vollkommen, wenn man alle Wesen so lieben könnte. Aber man liebt und achtet vor allem das eigene Pferd oder Auto, mit dem man sich persönlich identifiziert. So wird die Liebe zur leidvollen Leidenschaft und neigt wie immer zu unvernünftiger Übertreibung und Anhaftung, das große Problem, das Petrarca unermüdlich anspricht und sagt: „Ne quid nimis“ - „Nichts im Übermaß!“

Diese Übertreibung hat auch der Maler im Bild in Gestalt des aufgeputzten Herrn mit dem aufgeputzten Pferd dargestellt, deren Pracht vom Herold hinausposaunt wird. Der Herr erscheint stolz und so auch sein Roß, das sich wild aufbäumt. Herr und Herold tragen Sporen an ihren Schuhen, womit man Pferde antreibt und hetzt. Und wie damals Petrarca im Pferd das Symbol für ein gehetztes Leben sah, so kann man heute das Auto an diese Stelle setzen. Diese Hatz wird vermutlich auch im Hintergrund durch die beiden wetteifernden Reiter dargestellt. Dahinter befindet sich ein Wald, wo die Pferde ruhig und frei in der Natur leben. - Vielleicht ist das die tiefere Botschaft des Malers im Gegensatz zu einem Leben hinter dicken Mauern und in engen Ställen. Daran soll uns vermutlich auch der geschmückte Pferdehintern erinnern, der uns links unten entgegenschaut...

Das Problem, warum der Mensch keine Ruhe findet und immer auf der Jagd ist, ist wohl schon sehr alt. Und über das Ichbewußtsein hinaus, daß uns gewöhnlich antreibt, kannte man auch damals einen noch viel tieferen Grund, zu dem Meister Eckhart sagte:

Wisset, alle Kreaturen jagen und wirken von Natur aus zu dem Ende, Gott gleich zu werden. Der Himmel liefe nimmer um, jagte oder suchte er nicht nach Gott oder einem Gleichnis Gottes. Wäre Gott nicht in allen Dingen, die Natur wirkte noch begehrte nichts in irgendwelchen Dingen; denn, sei‘s dir lieb oder leid, du wissest es oder wissest es nicht: heimlich im Innersten sucht und strebt die Natur nach Gott. (Predigt 40)

1.32. Von der Jagd mit Hunden und Greifvögeln

Freude: Ich mag auch Hunde.

Vernunft: Nun verstehe ich die Freude des bartlosen Jünglings, von der Horaz spricht: „Er ist glücklich mit Pferden und Hunden auf den sonnigen Wiesen des Campus Martius.“ Doch sei vorsichtig, daß die nachfolgenden Zeilen nicht von dir handeln: „Er neigte sich weich wie Wachs dem Laster zu, ohne auf gute Ratschläge zu hören, ohne Heilsames anzusammeln, mit Geld verschwenderisch, hochmütig, voll ungezügelter Begierden und ständig neuer Wünsche.“ Ich fürchte, daß du diesen Weg gehst und deine Freude in vergänglichen Kleinigkeiten suchst.

Freude: Ich mag nicht nur Hunde, sondern auch Falken.

Vernunft: Ja, dieser Unsinn fehlte noch. Das Herumrennen ist noch nicht genug, du willst auch noch fliegen.

Freude: Du machst dich über mich lustig. Ich möchte nicht fliegen, aber ich erfreue mich der fliegenden Geschöpfe.

Vernunft: Doch sie werden deine Freude verachten und wegfliegen, dich ignorieren und undankbar ihre Ohren verschließen, wenn du sie rufst. Was willst du nun ohne Flügel tun? Deine Freude wird einfach wegfliegen. Und selbst wenn sie zurückkehrt, ist sie niemals sicher. Du rufst begierig nach ihr und verpaßt das Bessere im Leben. Du beugst dich zurück, richtest deinen Blick in die Wolken und klagst um deine närrische Freude, als gäbe es nichts Nützlicheres im Leben. Bequem und untätig genießt du es, der Sklave deines Greifvogels zu sein.

Die Natur hat dir zwei Hände gegeben. Mit der einen hältst du die Zügel und mit der anderen die Krallen des Falken. Somit sind beide nutzlos gebunden, und der Vogel hat dich handlos gemacht, so daß du nichts Vernünftiges mehr tun kannst. Du stehst noch vor Tagesanbruch lärmend auf und rennst kopfüber aus dem Haus, als wäre der Feind vor der Tür, und verschwendest den ganzen Tag an Seen, in Wäldern und auf der Heide, die von deinen wilden Rufen und tierischem Geheul erklingen. So vergeudest du deinen Atem, der für Größeres verwendet werden sollte, den kostbaren Atem, den deine Vorväter benutzten, um die Feinde im Kampf zu erschrecken und die Gerechtigkeit im Frieden zu schützen. Und abends sitzt du zu Hause, als hättest du Großes gewonnen, und sprichst darüber, wie gut dieser Vogel geflogen ist, wie gut er die Beute ergriffen hat, wie viele Federn er in Schwanz und Flügeln verloren hat, und wie viele noch übrig sind. Ist das deine ganze Kunst, deine ganze Glückseligkeit und alles, was du zum Dank für Gott, deinem Schöpfer, und das Vaterland mit deinen Eltern und Freunden zu bieten hast? Das Kreischen deines Falken oder Habichts in den Wolken, das zerrupfte Stück ihrer Beute, der Schweiß und Staub und die abendliche Geschichte deines verlorenen Tages? Dafür bist du immer bereit und stark, aber wenn es um die ernsten Dinge geht, bist du müde und schwach. Die Geschichten von Livius, die Reden von Cicero und sogar die Heilige Schrift bezeichnet ihr als zu lang und zu schwer, ohne euch zu schämen. Wer könnte da ruhig bleiben? Wer könnte es ertragen, dich so leben und handeln zu sehen, der doch für Höheres geboren wurde?

Freude: Mir gefallen aber Hunde und Greifvögel.

Vernunft: Wir haben ja gehört, daß viele Fürsten und berühmte Männer in ihre Pferde und Hunde so sehr vernarrt waren, daß sie wie Kaiser Hadrian nicht nur für Pferde Gräber errichteten, sondern auch für Hunde. Außerdem baute er sogar eine Stadt an der Stelle, wo er erfolgreich einen Bären gejagt und mit eigener Hand getötet hatte. Er jagte sogar Löwen, aber die Vögel liebte man damals nicht besonders, so daß Virgil Marcellinus sogar einen Verwandten von Augustus verspottete, weil er als Junge einen Vogel gehalten hatte.

Freude: Ich gehe aber gern auf die Jagd.

Vernunft: Dies erzählte man früher vor allem von den Römern. Heute sind es mehr die Franzosen, was nicht nur durch ihre Taten, sondern auch durch manche Dichter bewiesen wird, die sich dafür rühmen. Ich will nicht weiter von den Königen sprechen, die ihr ganzes Leben mit dem Jagen verbracht hatten und, wenn gerade kein Krieg war, auf die Jagd nach Wild gingen, um damit gegen ihre Müdigkeit und Alterung anzukämpfen. Das ist schon eine seltsame Angewohnheit für gelehrte Könige, die den höheren Künsten nicht abgeneigt waren. Doch man sagt, das war ihre angeborene Gewohnheit, und so sei es. Ich hoffe aber die Italiener wollen den Franzosen diesen Ruhm nicht streitig machen und versuchen, in dieser Narrheit mit ihnen zu wetteifern.

Wenn du es genau betrachtest, ohne dich selbst zu belügen, wirst du erkennen, daß dies ein Sport des niederen Adels ist, die durch innere Erstarrung und der damit verbundenen Feigheit von den wirklich großen Aufgaben im Leben abgelenkt werden und deshalb in der schamlosen Jagd ihre Selbstbestätigung suchen. Zu ehrlicher Arbeit sind sie nicht fähig, und so durchstreifen sie die Wälder, aber nicht, um dort als Einsiedler zu leben, wofür sie ebenso ungeeignet sind wie für öffentliche Ämter, sondern um die Wildtiere mittels ihrer Hunde und Greifvögel zu jagen. Irgendwie scheinen sie sich mit ihnen verwandt zu fühlen, sonst würden sie so etwas sicherlich nicht tun. Ob sie nun darin ihr Vergnügen suchen oder einfach nur ihre Zeit vertreiben wollen, in beiden Fällen handeln sie unvernünftig, auch wenn sie damit ihr Ziel erreichen. Falls sie davon aber Ruhm, Weisheit und wahren Adel erwarten, werden sie enttäuscht sein. Denn ich frage dich, welche Ehre ist es für Fürsten oder sonstige freigeborene Herren, einem solchen Wahn zu dienen? Sie haben nur eine Entschuldigung: Seit sie den höheren Künsten und Lehren, die ihre Vorfahren ehrten, den Krieg erklärt und ihnen entsagt haben, hatten sie keine andere Zuflucht als solche feindlichen Beschäftigungen. Vielleicht schämen sie sich wenigstens, wenn sie in die Vergangenheit schauen und sich mit ihren Vorfahren vergleichen. Du kannst überall lesen, wie Platon Philosophie studierte, Homer Gedichte schrieb, Tullius Reden vortrug und Caesar Triumphe errang. Aber ich denke, du wirst nirgendwo lesen, daß diese großen Männer auf die Jagd gingen.

Petrarcameister - Von der Jagd mit Hunden und Greifvögeln

Der Petrarca-Meister weicht in diesem Bild erheblich vom Text des Petrarca und auch von den Anschauungen des Mittelalters ab. Petrarca hatte als Italiener kein besonderes Verhältnis zur Jagd, nur vom Jagen mit dem Falken wußte er einiges zu sagen. In Deutschland waren dagegen zwei Stände maßgeblich an der Jagd interessiert: die Herren und die Bauern. Die Bürger in den Städten mögen weniger davon gespürt haben, was die Jagd in der Beziehung zwischen Adel und Bauern bedeutete. Denn die Jagd war ein Privileg der grundbesitzenden Herren, das schon seit Jahrhunderten von den Bauern leidenschaftlich bestritten wurde. Einerseits dünkte sie das Wild eine Gabe Gottes, die dem gegeben war, der sie, wie die Frucht auf dem Felde, zuerst hegte und dann gewann. Anderseits war die Jagd der Herren eine Quelle unzähliger Verwüstungen ihrer Felder und schwerer Frondienste als Treiber. Freie Jagd war denn auch immer eine Forderung aufständischer Bauern in Deutschland des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts.

Zu dieser Forderung aber nimmt der Petrarca-Meister in seinem Bilde Stellung, indem er nicht die Herren, sondern die Knechte bei der Jagd darstellt. Der Bärenjäger rechts, der Wildschweinjäger in der Mitte und der Hirschjäger links erlegen ihr Wild selbst und treiben es nicht einem Herrn zu. Die Falkenjagd im Hintergrund ist dagegen als höfische Jagd dargestellt. Diesen tierquälerischen „Sport“ überließ der Petrarca-Meister den Herren.

Die Illustration des Petrarca-Meisters gibt sich demnach als Wunsch- oder Zukunftsbild zu erkennen, ähnlich dem, das die Bauern über Kaiser und Papst setzt. Zugleich gibt der Künstler einen Überblick über die Jagdarten der Zeit: vorn links den Vogelsteller mit einer Eule als Lockvogel, hinten rechts die Jagd auf Wasservögel mit Netzen, fernhin die Abgrenzung weiter Waldbezirke. Auch hier ist der Petrarca-Meister durchaus sachkundig; so stellen zwar die Hunde den Bären, gehen ihn aber nicht an, während sie sich dagegen mutig auf das Wildschwein stürzen. - Soweit spricht der Kunsthistoriker Walther Scheidig zu diesem Bild.

Nun, der Wunsch nach der Freiheit im Jagen wurde auch in der DDR nicht gewährt, und in kürzester Zeit gab es auch im „Arbeiter- und Bauernstaat“ viele eigennützige Privilegien für die Machthaber. Der angeborene Stand schützt also noch lange nicht vor dem ungezügelten Wahn. So muß man wohl die Frage nach der Motivation stellen, warum man andere Wesen töten will. Das Töten aus Freude am Töten und der Jagd nach Trophäen, um das eigene Ego aufzubauen, ist hier sicherlich ein klarer Ausdruck von verlorener Vernunft. Darüber hat sich vermutlich auch der Petrarca-Meister seine Gedanken gemacht, und er wäre kein Meister, wenn er über die bloße Illustration von Jagdszenen hinaus keine höhere Botschaft aufgezeigt hätte.

So sieht man in der Bildmitte in einem eingezäunten Bereich die Jagd mit Hunden und langen Lanzen auf Tiere wie Hirsch, Eber und Bär, die auf diese Weise für erfahrene Jäger zumindest eine ebenbürtige Herausforderung sind und kein völlig unwürdiger und hinterlistiger Mord. Entsprechend führen aus diesem Bereich drei Tore zu drei weiteren Arten der Jagd, die dann vermutlich die Abwege zum unwürdigen Jagd-Wahn verdeutlichen.

Vor dem unteren Tor sieht man die hinterlistige „Hüttenjagd“ mit Lockvogel und Leimrute, bei der sich der Jäger in einer getarnten Hütte versteckt. Dazu wird das Haßverhalten vieler Vögel auf andere Vögel wie zum Beispiel Eulen benutzt, um sie anzuziehen und einzufangen. So kennt man auch heute noch das Sprichwort: „Auf den Leim gehen...“ Das heißt, der Haß auf andere wird zum eigenen Schaden. Oben rechts hinter dem Tor sieht man die Jagd mit Netzen auf Wasservögel, oben links die Jagd mit Falken und dazwischen das Treiben von Fasanen und Schnepfen in Fangnetze. Auch hier kann man darüber nachdenken, ob diese Arten der hinterlistigen Jagd eines vernünftigen Menschen würdig sind.

Darüber hinaus bringt dieses Bild sicherlich auch eine geistige Ebene zum Ausdruck, wie auch Petrarca sagt, daß der Mensch zu Höherem geboren wurde. Hier spielt offenbar der große Baum eine wichtige Rolle, dessen Wurzeln verdeckt im vorderen Teil des Bildes liegen, wo es bei der Jagd um Begierde, Haß und Täuschung geht, die wir auch als die drei großen Gifte für das geistige Wachstum kennen. Der mittlere Teil des Stammes befindet sich im Bereich der „relativ vernünftigen“ Jagd und ist optisch mit dem Rücken des Bären verbunden. Aus geistiger Sicht kann man in diesem Bereich das Töten der Leidenschaft in Gestalt des Wildschweins mit zwei Hunden sehen, das Bezwingen des stolzen Ichbewußtseins in Gestalt des stolzen Hirsches mit fünf Hunden und das Beherrschen der körperlichen Kräfte in Gestalt des Bären mit sechs Hunden. Die Jäger mit den Lanzen und dem Jagdhorn erinnern uns an die Vernunft, die hier die führende Rolle spielen sollte, und die Hunde an die treibenden Prinzipien der Natur. Dabei könnten die zwei Hunde für das Spiel der Gegensätze stehen, die fünf Hunde für die fünf Sinne und die sechs Hunde für die fünf Sinne mit den Gedanken oder den drei Paaren, wie sie auch im Bild zu Kapitel 1.24 erscheinen. Auffallend ist noch der springende Hase im Zentrum des Bildes, der oft als Symbol der Angst verwendet wird, die natürlich ein grundlegendes Prinzip ist, das mehr oder weniger in jedem Menschen wirkt und ihn zum Handeln treibt. So ist der Hase auch nicht zufällig unter dem Hirsch gezeichnet, weil vor allem die Angst als Ursache für übertriebenen Stolz und Egoismus wirkt...

An der Krone des Baumes sieht man, wie die drei Geistesgifte der Wurzel ihre Zweige austreiben. Die ganze Krone neigt sich nach links und erscheint auf der rechten Seite relativ vertrocknet, wo man im Hintergrund eine Reihe niedriger Häuser an einem Teich mit Netzen erkennt, in denen sich die Wasservögel verfangen sollen, die dort vom Himmel herabkommen. Diese Symbolik erinnert uns an das häusliche Leben, das den Geist in die alltäglichen Sorgen verfängt und daran hindert, zum Höheren aufzusteigen. Links daneben sieht man zwei Treiber mit langen Ruten, die vielleicht symbolisch die Gedanken in ein Netz treiben, wo sie keinen Ausweg mehr finden und in Schubladen, Definitionen und Kategorien gefangen werden. Weitere Fangnetze sind im Hintergrund dargestellt, die mit der Krone des Baumes zu verschmelzen scheinen.

Und daneben sieht man zwei stolze Reiter auf ihrem Pferd, die mit ihren Greifvögeln andere Vögel in der Luft jagen, welche dann zu Boden stürzen und von den Jagdhunden gepackt werden (wie links hinter dem Zaun). Auch hier kann man aus geistiger Sicht den stolzen Egoismus sehen, der mit selbstsüchtigen Gedanken alle anderen Gedanken jagt und tötet, die sich höher erheben wollen, um seine engstirnige Illusionswelt zu beschützen. Darin sieht wohl auch der Maler die größte Gefahr, weshalb sich auch der dazugehörige Zaun links neben dem Tor langsam aufzulösen scheint.

So könnte man dieses Bild auf das innere menschliche Wesen spiegeln, womit sicherlich noch nicht alle Details erklärt sind, wie zum Beispiel die seltsame Form zwischen Bär und Stamm, die vielleicht irgendein Lockmittel darstellt.

1.33. Von vielen Dienern

Freude: Ich bin von vielen Dienern umgeben.

Vernunft: Du solltest sagen, belagert...

Freude: Wirklich, ich meine viele Diener.

Vernunft: Du sprichst von Feinden, denen du nicht entkommen kannst, die in die verborgensten Winkel deines Hauses blicken, über dein Privatleben tratschen und emsig dein Haus bestehlen, womit sich nicht einmal die Ritter plagen müssen, wenn ihre Burg belagert wird. Du mußt deine Feinde kleiden, ernähren und in die innersten Räume lassen. Das ist ein harter und gefährlicher Kampf ohne Frieden und Waffenstillstand, denn die feindliche Armee steht unter deiner eigenen Flagge und innerhalb deiner Mauern.

Freude: Ich habe aber viele Diener.

Vernunft: Wer viele Diener hat, hat viel Streiterei und Zwietracht im eigenen Haus, und du mußt entweder ein gequälter Zuschauer oder ein unermüdlicher Schlichter sein. So bist du zwischen Angeklagten und Anklägern gefangen und dienst deinen Dienern als Richter.

Freude: Ich halte viel von Dienern.

Vernunft: Ein Diener ist das neugierigste Wesen, wenn es darum geht, sich einzumischen, aber das nachlässigste, wenn es darum geht, zu gehorchen. Er wird alles wissen, was du tust oder denkst, aber was du ihm befiehlst, wird er vergessen.

Freude: Ich habe nun einmal viele Diener.

Vernunft: Weniger sind oft mehr, weil die Menge selten treu ist. Außerdem beschäftigen sich viele Diener vor allem gegenseitig. Und wenn es für Fleißige eine Schande ist, sich vor der Arbeit zu drücken, so ist es ein Erfolg für Faule, die sich in der Menge gut verstecken können.

Freude: Ich habe trotzdem viele Diener in meinem Haus.

Vernunft: Wo viele Diener sind, ist viel äußere Unruhe mit wenig Nutzen und keine innere Vertraulichkeit. So viele Zungen der Diener, so viele Ausrufer mit Trompeten. So viele Ohren und Augen, so viele Löcher in deinen Wänden, durch die selbst die behütetsten Dinge schnell entweichen. Der Geist eines Dieners ist ein undichtes und unzuverlässiges Gefäß, das nichts behält. Was man auch immer hineinfüllt, läuft zur gleichen Stunde wieder aus.

Freude: Es sind nun einmal viele Diener.

Vernunft: Das bedeutet viel schlangenmäßiges Zischeln, viele giftige Zungen und das schleichende Gift, das den häuslichen Frieden angreift, aber auch viele große und hungrige Bäuche, trockene Kehlen, Betrieb auf den Gängen, Unruhe in deinem Schlafzimmer, verschwindende Vorräte und unmäßige Verschwendung. Es ist schon schwierig, wenige Diener gut zu beherrschen, aber viele zu beherrschen, ist praktisch unmöglich.

Freude: Ich habe gern viele Diener.

Vernunft: Für dich wäre es besser, allein zu sein. Nichts ist schlimmer, als das Mittelmäßige durch Vielzahl zu erhöhen. Wenige Diener sind schon anstrengend, aber viele sind unerträglich.

Freude: Sie haben mir treuen Dienst versprochen.

Vernunft: Ja, schön wäre es, wenn ein Versprechen und dessen Erfüllung immer eins wären. Doch die Erfahrung lehrt, daß es dazwischen gewöhnlich große Unterschiede gibt. Wenn die Diener etwas versprechen, rufen sie sogar Gott zum Zeugen und beteuern, niemals zu lügen oder zu betrügen. Aber verlaß dich darauf, und du bist verlassen. Es wäre schon etwas Großes, wenn sie ihren Herrn nicht mißbrauchen oder verletzen würden, dem sie versprochen haben, treu zu dienen. Aber ihnen reicht das Versprechen zu dienen, und darüber hinaus behaupten sie noch, zu allen Diensten fähig zu sein. Doch wenn es um die Erfüllung geht, wissen sie sehr wenig und wollen nichts tun, außer essen, schlafen und ihren Begierden zu folgen. Niemand ist demütiger und bescheidener als ein Diener, der seinen Dienst antritt, niemand ist frecher und untreuer, als ein Diener, der sich eingelebt hat, und niemand ist feindlicher und gehässiger, als ein Diener, der sich bald verabschieden will.

Es ist unglaublich und schwer zu ertragen, wie stolz und arrogant sie im Hause ihres Herrn sein können, obwohl sie ihm treuen Dienst versprochen haben. Oft ergreifen sie selbst die Herrschaft und verhalten sich wie Tyrannen. Und als wären sie dazu berufen, so verschwenden und veruntreuen sie nicht allein den Reichtum ihres Herrn, sondern bereichern sich am Eigentum anderer wie gierige Räuber. Selbst wenn sie durch Reue oder Not gezwungen sind, sich an ihr Versprechen der Dienerschaft zu erinnern, dienen sie mit Überheblichkeit, Beschwerden und Murren. Deshalb sollte man sich nicht nur weigern, sie dafür zu bezahlen, sondern am besten ganz auf sie verzichten. Denn was sie im Haus ihres Herrn nur heimlich tun, das tun sie mit ihren Zungen öffentlich, sobald sie aus dem Haus treten, als wären sie Feinde ihres Herrn, den sie mit scharfen Waffen bekämpfen müßten. Und falls sich einer solcher Verleumdungen enthält, dann selten wegen der Liebe zu seinem gegenwärtigen Herrn, sondern aus Furcht vor dem nächsten, um nicht allzuviel Argwohn zu erregen, daß dem neuen Herrn ähnliche Übel drohen. All dies zeigt, daß es viel besser ist, auf solche Diener zu verzichten, soweit deine Augen noch nicht von der Angst getrübt sind und du es sehen willst.

Freude: Ich bin aber von allen Seiten von Dienern umgeben.

Vernunft: Wie gesagt, das sind nur dem Namen nach Diener, aber in Wirklichkeit gefährliche und unheilsame Feinde. Doch deine Eitelkeit wird dich nicht ohne sie leben lassen, und in dieser Hinsicht erfreust du dich an deinem eigenen Unglück. Dafür begehrst du Reichtum, durchsuchst Land und Meer und hortest und verschwendest Gold, damit die Armee deiner Feinde täglich wächst und kraftvoller wird. Doch du glaubst es wohl nicht und folgst der gewöhnlichen Meinung der Reichen, wenn sie glauben, durch ihre Mittelmäßigkeit das luxuriöse Leben der königlichen Paläste von Persien und Lydien wenigstens mit der Anzahl von reichgekleideten und üppig ernährten Dienern zu übertreffen.

Freude: Viele Diener kümmern sich um mich.

Vernunft: Ja, sie bedrücken und bezwingen dich mit ihrem scheinbaren Dienst. Sie binden dich mit klirrenden Ketten, so daß man dich mit gutem Grund fragen kann: „Was hast du getan, armer Kerl, daß du so viele Hüter brauchst?“

Freude: Überall umgeben mich Diener.

Vernunft: Damit hast du keine Hoffnung mehr auf Erlösung und Heil. Sich hartnäckig am eigenen Unglück zu erfreuen, ist Wahnsinn, der in Verzweiflung enden muß. Wahrlich, allein wegen solcher Diener solltest du dir lieber Armut wünschen, denn sie befreit dich von großem Unheil, von den Bindungen weltlicher Reichtümer und vor allem von der Hinterlist und Untreue der Diener (die dem Reichtum dienen).

Petrarcameister - Von vielen Dienern

Der Petrarca-Meister stellt halb sinnbildlich, halb real die Hilflosigkeit der Herrschaft den Knechten gegenüber dar. Bedrückt sitzen Herr und Herrin des prächtigen Gebäudes an der Hofmauer und schauen dem Treiben der Knechte zu, der Mann mit verlegener Gebärde, die Frau mit ergeben gefalteten Händen. Mit einer sinnbildlich gemeinten Kette wird der Herr von seinem nebenstehenden Schaffner gefesselt, wie auch die Herrin von ihrer Hausverwalterin ans Bändel gelegt wird. Niemand wehrt den Knechten, die ihr Schwert gegen die Herrschaft ziehen oder die Zunge zeigen und die Hand mit einer Geste gegen sie erheben, als müßten sie den „bösen Blick“ abwehren. Andere Knechte raufen ungehindert untereinander, und durch das weite Tor wird sichtbar, wie sich das Hausgesinde vor geöffneten Truhen an den Vorräten von Speise und Trank gütlich tun. Auch an schadenfrohen Zuschauern hat es der erfahrene Petrarca-Meister nicht fehlen lassen.

Soweit spricht der Kunsthistoriker zu diesem Bild, das wohl immer noch aktuell ist, denn auch diese Art der weltlichen Anhaftung voller Hoffnung auf das große Glück hat sich in den letzten Jahrhunderten nur äußerlich gewandelt. Heute sind es die vielen Maschinen, die uns dienen sollen. Und auch hier fragt man sich irgendwann, wer eigentlich wem dient. Die Ursachen dafür sind natürlich im menschlichen Wesen zu suchen, und so wollen wir auch dieses Bild mehr aus geistiger Sicht betrachten:

Zunächst sieht man wieder viele Paare, die an das Spiel der Gegensätze in der Welt erinnern. Auf der Bank sitzen Mann und Frau, die links und rechts von Mutter Natur und Vater Geist gebunden werden. Das Schwert der Erkenntnis, das eigentlich die Vernunft führen sollte, ist offenbar in der Hand des gedanklichen Verstandes, der vom Ichbewußtsein bzw. Egoismus „Rückendeckung“ bekommt. Was passiert, wenn der Verstand mit dem Ego das Schwert der Erkenntnis ergreift und nicht die Vernunft, kann man an der modernen Wissenschaft gut studieren. Damit entstand eine Gesellschaft voll Begierde, Konkurrenzkampf, Verschwendungssucht und Wegwerfwahn, womit der Geist gebunden und die Natur tyrannisiert wird. So ist dieses Bild auch heute noch sehr aktuell, und das dargestellte Haus könnte unseren materiellen Körper symbolisieren mit den fünf Sinnen, Handlungsorganen und Gedanken, die oft im Streit liegen, der Begierde und Leidenschaft frönen und gern die körperlichen Ressourcen verschwenden und sprichwörtlich „sinnlos aus dem Fenster werfen“. Links am Haus sieht man auf dem umlaufenden Balkon hinter der „Brüstung“ einen alten Mann, der vielleicht an die Weisheit erinnern soll, die sich natürlich unter diesen Bedingungen weit zurückzieht.

Dagegen steht links im Hintergrund noch ein anderes Haus, wo die Fenster geschlossen sind und offenbar Frieden herrscht. Über zwei Säulen erblickt man zwei Bilder, vermutlich mit den Gesichtern von Mann und Frau, die in diesem reichen Haus wohnen. Die beiden Bilder erinnern an die symbolischen Kategorien im Bild von Kapitel 1.8, die mit dem Torbogen optisch verbunden sind, wie auch der Petrarca-Meister gern mit den Symbolen von Männlich und Weiblich arbeitet, die in Wahrheit auch immer miteinander verbunden sind und wie im Bild auf „einer Bank“ sitzen. Darüber hinaus sind natürlich alle Gegensätze, die uns in dieser Welt erscheinen, vor allem äußere Bilder. Wichtig wäre das innere Wesen zu finden, doch das Innere dieses Hauses erscheint zunächst leer. Das erinnert uns an das biblische Gleichnis der Tempelreinigung, worüber auch Meister Eckhart schreibt:

Warum warf Jesus hinaus, die da kauften und verkauften... Er meinte damit nichts anderes, als daß er den Tempel leer haben wollte, recht, als ob er hätte sagen wollen: Ich habe das Recht auf diesen Tempel und will allein darin sein und die Herrschaft darin haben. Was will das besagen; Dieser Tempel, darin Gott gewaltig herrschen will nach seinem Willen, das ist des Menschen Seele, die er so recht als ihm selbst gleich gebildet und geschaffen hat... Hierum will Gott diesen Tempel leer haben, auf daß denn auch nichts weiter darin sei als er allein. (Predigt 1)

In diesem leeren Tempel sollte man ohne die Abhängigkeit von Dienern in jener Armut wohnen, die Petrarca im letzten Abschnitt empfiehlt. Über diese „wünschenswerte Armut“ wissen wir heute sehr wenig, weil wir nur an die materielle Armut denken und wahren geistigen Reichtum kaum noch kennen. Meister Eckhart schreibt dazu:

Nun gibt es zweierlei Armut. Die eine ist eine äußere Armut, und die ist gut und sehr zu loben an dem Menschen, der sie mit Willen auf sich nimmt aus Liebe zu unserm Herrn Jesus Christus, weil der sie selbst auf Erden gehabt hat. Von dieser Armut will ich nicht weiter sprechen. Indessen, es gibt noch eine andere Armut, eine innere Armut, die unter jenem Wort unseres Herrn zu verstehen ist, wenn er sagt: »Selig sind die Armen im Geiste«... Das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts weiß und nichts hat... (Predigt 32)

Die Armut des Geistes liegt in drei Dingen. Das erste ist, daß der Mensch nichts wisse in Zeit und Ewigkeit als Gott allein. Das zweite, daß er Gott nicht außerhalb seiner selbst suche. Das dritte ist, daß er kein geistliches Gut als Eigenbesitz von einer Stätte zur andern trage. (Eckhart Legenden)

1.34. Von herrlichen Häusern

Freude: Ich habe ein herrliches Haus.

Vernunft: Wie soll ich dazu anders sprechen, als mit den Worten von Cicero: „Die Würde eines Mannes kann durch das Haus, in dem er wohnt, nicht wesentlich erhöht werden. Der Eigentümer sollte seinem Haus Ehre bringen, und nicht das Haus dem Eigentümer.

Freude: Ich habe ein bewundernswertes Haus.

Vernunft: Warum freust du dich darüber? Wenn überhaupt, dann gebührt dieses Lob dem Baumeister, und nicht dir.

Freude: Ich lebe in einem prächtigen Haus.

Vernunft: Du lebst, wo Diebe lauern, Diener schwelgen, Leute gaffen und Spielleute schmarotzen - also an einem Ort, der vielfältigen Verdruß birgt.

Freude: Ich lebe in einem großen Haus.

Vernunft: Es ist ein Gesetz für Städte wie auch für Häuser: Großartige Orte bedeuten noch kein großartiges Leben. Ein glückseliges Leben hängt nicht davon ab, wie großartig deine Umgebung ist, sondern wie glücklich du im Inneren bist. Sogar in den Palästen der Könige wohnen oft Mühe und Leid, während in der Hütte des Armen Friede und Freude herrschen kann. Könnte die Größe eines Hauses Frieden und Freude gewähren, wäre die Baukunst die edelste unter allen Künsten.

Freude: Ich lebe in einem königlichen Haus.

Vernunft: Als ob der Wohnort Sorgen und Krankheiten abwehren könnte. Als würde der Tod eine Leiter brauchen, um die Mauern deines Turms zu erklimmen. Hat nicht Tullus Hostilius in einem königlichen Haus gewohnt, wo ihn der Blitz traf? War Tarquinius Priscus nicht auch in seinem Palast, als die Axt ihn niederschlug? Und auch Superbus (der letzte König von Rom), als er von seinem Thron vertrieben wurde? Kein Haus ist für Gefahren unzugänglich, und keine Tür ist für den Tod geschlossen.

Freude: Mein Haus ist beständig.

Vernunft: Und doch wohnst du nur sehr kurze Zeit darin. Der Tag deines Abschieds naht unaufhörlich. Du denkst vielleicht, daß du hier heimisch bist, aber du bist nur ein Fremder, der in einem Mietshaus wohnt. Bald wird einer kommen, der dich nackt aus deiner Wohnung treibt.

Freude: Mein Haus ist hell und geräumig.

Vernunft: Wenn du gehen mußt, wird dein Haus dunkel und eng sein. Und wenn du dein (körperliches) Haus betrachtest, ist es jetzt schon dunkel, eng und baufällig, und jeden Tag wird es schlimmer, auch wenn es mit Sorge gepflegt wird. Es verkündet täglich seinen eigenen Verfall und ist sicherlich nicht weit vom Zusammenbruch entfernt. Bald wirst du dich wundern, daß die vergängliche Wohnung dem edlen Bewohner mißfallen wird, weil er sich in einem schrecklichen Gefängnis wiederfindet, aus dem er schnellstmöglich entfliehen will. Nun geh hin, und erfreue dich der Häuser, die andre gebaut haben, oder erkenne dein eignes Gefängnis.

Petrarcameister - Von herrlichen Häusern

In diesem Bild kann man links und rechts im Hintergrund die im Text erwähnten Römer sehen, der eine König wird im Luxus von seinem Thron gezogen und ermordet, der andere in seinem reichen Haus vom Blitz getroffen. Dazwischen sieht man das symbolische Haus des Körpers, wie es stetig aufgebaut wird und doch immer auch vergänglich ist und an allen Ecken bröckelt und Risse bekommt. Aus geistiger Sicht kann man drei Kräfte als Bauleute erkennen, der eine rührt den Mörtel an, der zweit trägt ihn und der dritte mauert damit. Vermutlich sind auch hier die drei üblichen Seelenkräfte gemeint, nämlich Voluntas, Intellectus und Memoria im Sinne von Wille, Verstand und Gedächtnis. Davor sieht man das Baumaterial und den Bauherrn mit dem Maßstab. Der Bauherr erinnert an die Intelligenz, die Steine an die geistigen und körperlichen Ansammlungen, der Mörtel an den Geist, das Baumaterial an die Elemente der Natur und die Bauleute an die Kräfte, die mit dem Ichbewußtsein das Haus des persönlichen Körpers bauen.

Im Gegensatz zu diesem „künstlichen“ Bau sieht man links eine lebendige Pflanze wachsen und erblühen, in der natürlich ähnliche Prinzipien wirken. Denn das Entstehen und Vergehen gehören in der Natur immer zusammen. Davon kann man nicht nur eine Seite festhalten, oder wie Goethe sagte:

So lang du das nicht hast,
Dieses Stirb und Werde,
Bist du nur ein trüber Gast
Auf einer dunklen Erde.

1.35. Von starken und festen Burgen

Freude: Ich lebe in einer festen Burg.

Vernunft: In Häusern gibt es noch viel Gutes, aber in Burgen viel Unheil. Ein Haus beschützt dich vor Hitze, Wind und Regen, aber eine Burg füllt den Geist ihrer Bewohner mit Leidenschaft, und obwohl sie Sicherheit verspricht, bringt sie Angst und Schrecken.

Freude: Meine Burg ist von dicken Mauern umgeben.

Vernunft: Hast du vergessen, was einst der Spartaner zu seinem Freund sagte, als er ihm die Mauern seiner Stadt zeigte?: „Habt ihr diese Mauer gegen die Weiber errichtet, dann ist es schön und gut, aber wenn sie gegen Männer steht, dann ist es üble Schande.“ (Valerius Maximus III 7.8 / Im Sinne von: Vor dem Laster sollte man sich beschützen, aber nicht vor dem Kampf fliehen...)

Freude: Ich habe eine feste Burg.

Vernunft: Was anderes als deine Ungeduld, dein Stolz und deine Gier machen so eine Burg notwendig? Wieviel ehrlicher wäre es, mit anderen Menschen unter gleichen Rechten zu leben, auf gleicher Höhe mit den fruchtbaren Feldern zu wohnen und friedlich zu schlafen, anstatt sich hinter dicken Felsblöcken zu verstecken, Parolen auf nächtliche Wachen zu rufen und sich durch ungleichen Reichtum verdächtig, beneidet und verhaßt zu machen? Hast du vergessen, was Publicola tat, obwohl er zu den ersten gehörte, die Rom von der Herrschaft fremder Könige befreiten? Als er den Neid des Volkes auf sein erhöhtes Haus spürte, ließ er es von diesem Hügel abbauen und befreite sich damit vom Verdacht.

Freude: Ich habe eine uneinnehmbare Burg.

Vernunft: Hast du nie das alte Sprichwort gehört: „Kein Ort ist uneinnehmbar, wohin ein mit Gold beladener Esel steigen kann.“ Eine befestigte Burg verhindert nicht den Angriff, sondern fordert ihn heraus. Die Burg von Tarpeas widerstand einige Zeit den Angriffen der Gallier und die von Tarente denen von Karthago, aber am Ende war äußere Rettung nötig, im ersten Fall von Camillus und im zweiten von Fabius. Konnte etwa Hanibal die Zwillingsfestung von Locris verteidigen? Auch Ilion und Byrsa konnten nicht widerstehen, nicht einmal Korinth, das seit der Antike als uneinnehmbar galt, bis es von Mummius erobert wurde. Und vor nicht einmal siebzig Jahren fiel sogar die Burg von Praeneste in die Hände der Feinde, die mächtiger und stärker war als alle anderen, die ich kenne, und was nicht mit Gewalt möglich war, geschah durch Hinterlist. Obwohl die Burg danach wieder aufgebaut wurde, erscheint sie immer noch wie ein fieberkranker Mann. Kurz gesagt: Nichts ist uneinnehmbar, und nichts ist völlig sicher vor den Tücken.

Freude: Ich fühle mich aber sicher in fester Burg und fürchte nichts.

Vernunft: Burgen haben schon vielen Menschen unheilvolles Vertrauen geschenkt. Viele, die ohne Burg sicher gelebt hätten, wurden von den unbesiegbaren Mauern getäuscht und kamen darin um. So wurde ihre Überheblichkeit dort bezwungen, wo sie entstand. Man sollte den Geist nicht zu solcher Überheblichkeit anregen, sondern zügeln. Jede vollkommene Sicherheit ist töricht, es sei denn, sie kommt von Gott selbst.

Freude: Ich bleibe aber in meiner festen Burg.

Vernunft: Ich frage dich, wofür dient dir diese Burg? Als eine Art Zuflucht und unrühmliches Versteck, um Belagerung zu ertragen, die, wie Livius sagt, das armseligste im Kampf ist. Hast du jemals gehört, daß Cäsar, die beiden Afrikaner, der große Pompeius, Marius, Alexander, Pyrrhus, Hannibal oder andere ruhmreiche Männer sich in Burgen versteckt haben, anstatt solche anzugreifen? Erkenne doch, daß Burgen keine Behausungen für Mutige sind, sondern unrühmliche Verstecke für Feiglinge.

Unser Zeitgenosse Stefano Colonna wurde von einem fremden Adligen gefragt, der ihn nicht gut kannte, aber wegen des Ruhms des Namens Colonna in einem schwierigen Kampf zu Hilfe eilte, als er von einer Vielzahl von Feinden umringt und in unmittelbarer Gefahr stand: „Stefano, wo ist deine Burg?“ Er lachte, weil er nicht einmal ein Haus in Rom hatte, aber legte seine Hand auf die Brust und sprach: „Hier ist meine Burg!“ Das sind Worte, die eines solchen Mannes würdig sind. Und so ist es: Die Heiligen und Frommen setzen ihr ganzes Vertrauen auf Gott, die Gerechten auf die Tugend, die mutigen Krieger auf die Waffen und nur die schwachen Feiglinge auf dicke Mauern und feste Burgen.

Petrarcameister - Von starken und festen Burgen

Dem Gefühl der Sicherheit, das die Freude mit ihrer Burg verbindet, begegnet Petrarca mit Hinweisen auf die Tücken solcher Mauern. Der Petrarca-Meister kennt dagegen schon das neue Mittel seiner Zeit, um Ritterburgen zu überwinden. So werden in seiner Zeichnung Kanonen aufgefahren, vor deren Anblick sich der Burgherr entsetzt. Im Hintergrund sieht man den im Text erwähnten Goldesel neben beladenen Pferden die Burg erklimmen. Über das Gottvertrauen, von dem Petrarca als dem sichersten Schutz spricht, hat der Petrarca-Meister seine eigene, antiklerikale („kirchenfeindliche“) Meinung. Er stellt im Vordergrund einen Kardinal dar, der mit einer starken Bedeckung von Kriegern unterwegs ist, während Petrarca sagt: „Alle heiligen und andächtigen Leute haben ihre Hoffnung in Gott gesetzt.“ Was soll also dann dem frommen Gottesdiener das Waffengeleit? - So spricht und fragt der Kunsthistoriker Walther Scheidig zu diesem Bild.

Wir könnten noch hinzufügen, daß oben links eine uralte Verteidigungswaffe in Form einer langen Stange zu sehen ist, mit der aus Netzen Steine oder aus Eimern heißes Pech oder ähnliches auf die Belagerer abgekippt wurde. Doch die Burgmauer am linken Rand wird bereits unter dem Kanonenfeuer langsam abgetragen. Die Belagerer sieht man in der Mitte zwischen den Bäumen versteckt, was man sich ungefähr so vorstellen könnte:


Belagerung einer Burg um 1414, Quelle www.burgerbe.de

Die rechte Burg wird bereits mit moderneren Schußwaffen verteidigt, die an Arkebusen erinnern. Die Reiter im Vordergrund beziehen sich vermutlich auf den letzten Satz von Petrarca: „Die Heiligen und Frommen setzen ihr ganzes Vertrauen auf Gott, die Gerechten auf die Tugend und die mutigen Krieger auf die Waffen...“ So sieht man zwei Reiter mit Waffen, zwei Reiter der Gerechten, zwei Führer und einen Mann zu Fuß, der den Frommen symbolisieren soll. Eine ähnliche Karawane erscheint oben auf dem Weg zu der Burg am Horizont, die noch friedlich auf ihrem Berg thront. So eine „himmlische oder geistige Burg“ wurde damals gern als Symbol für die Sicherheit Gottes benutzt, die auch Petrarca im Text erwähnt. Von diesem seligen „Burgstädtchen“ spricht auch Meister Eckhart in einer wunderbaren Predigt, die verdeutlicht, welch überaus hohe Vision man damals jenseits aller Gegensätze von „Gott“ hatte:

... so ganz eins und einfaltig ist dies Bürglein und so erhaben über alle Weise und alle Kräfte ist dies einige Eine, daß niemals eine Kraft oder eine Weise hineinzulugen vermag noch Gott selbst. In voller Wahrheit und so wahr Gott lebt: Gott selbst wird niemals nur einen Augenblick da hineinlugen und hat noch nie hineingelugt, soweit er in der Weise und »Eigenschaft« seiner Personen existiert. Dies ist leicht einzusehen, denn dieses einige Eine ist ohne Weise und ohne Eigenheit. Und drum: Soll Gott je darein lugen, so muß es ihn alle seine göttlichen Namen kosten und seine personhafte Eigenheit; das muß er allzumal draußen lassen, soll er je darein lugen. Vielmehr, so wie er einfaltiges Eins ist, ohne alle Weise und Eigenheit, so ist er weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist in diesem Sinne und ist doch ein Etwas, das weder dies noch das ist. Seht, so wie er eins und einfaltig ist, so kommt er in dieses Eine, das ich da heiße ein Bürglein in der Seele, und anders kommt er auf keine Weise da hinein; sondern nur so kommt er da hinein und ist darin. Mit dem Teile ist die Seele Gott gleich und sonst nicht. Was ich euch gesagt habe, das ist wahr; dafür setze ich euch die Wahrheit zum Zeugen und meine Seele zum Pfande. (Predigt 2)

Auf dieser geistigen Ebene des Bildes erinnert uns die Armee der Belagerer zwischen den Bäumen auch an die Kräfte der Natur, die beständig alles Verkörperte angreifen. Entsprechend werden die beiden Burgen rechts und links als Symbole für unseren Körper dargestellt, aus denen sich das Ego hinter dicken Mauern aus engen Schießscharten gegen die Welt ringsherum verteidigen will. Dieser allgegenwärtige Kampf hat sich sicherlich nicht umsonst in der Natur entwickelt, nur sollte man das große Ziel nicht vergessen, das der Meister in Form der beiden Karawanen andeutet, und daß es neben dem vergänglichen materiellen Reichtum auch noch einen ewigen geistigen Reichtum gibt, für den es sich wirklich lohnt, in dieser Welt zu kämpfen.

1.36. Von kostbarem Hausrat

Freude: In meinem großen Haus habe ich viel kostbaren Hausrat.

Vernunft: Ein übermäßiger Raum mit nutzloser Last! Der Raum gibt den Dieben Versteck, und der Hausrat verspricht Beute. Beide sind für dich gefährlich und werden zur Ursache für feurige Leidenschaft und verzehrenden Neid.

Freude: In meinem großen Haus gibt es endlos viel Hausrat.

Vernunft: Wenn du aber umziehst, mußt du ihn zurücklassen. Willst du ihn behalten, bringt dir das im Hin- und Herziehen mehr Ärger als Freude und mehr Belastung als Tugend.

Freude: Ich besitze aber viel Hausrat aller Art.

Vernunft: Das ist ein ewiger Krieg, nicht nur mit Dieben, sondern auch mit Mäusen, Motten und Spinnen; und auch Schimmel, Ruß, Staub und Regen kämpfen gegen dich. Oh ihr üppig Reichen, mit welchen Waffen wollt ihr diese Feinde besiegen?

Freude: Mein Hausrat ist besonders kostbar.

Vernunft: Nicht der Besitz von kostbaren Dingen macht einen Menschen wirklich reich, sondern die Fähigkeit, dem Besitz zu entsagen. Gieriges Ergreifen erhöht beständig die Gier, und die Gier erhöht die Armut. Daraus folgt, daß nichts ärmer macht als die Gier nach Reichtum. Wer das erkennt und rechte Entsagung übt, folgt einer wahrhaften und heilsamen Erkenntnis. Und das ist der wahre Weg zu wahrem Reichtum. So kann ich dich nicht als reich betrachten, solange du vergängliche Dinge begehrst, auch wenn ich deinen ganzen Hausrat aus strahlendem Gold und dein ganzes Haus mit funkelenden Edelsteinen bedeckt sehen würde.

Freude: Doch viele Menschen bewundern meinen prächtigen Hausrat.

Vernunft: Damit magst du vielleicht die Augen und den Geist anderer blenden, aber in Wahrheit ist es nur ein zusammengeraffter Haufen belastender und vergänglicher Dinge. Nichts ist unersättlicher und armseliger als die Raffgier. Sie ernährt sich von deinen Begierden und kann niemals mit dem Erlangten gestillt werden. Denn was du wahnhaft begehrst, wird niemals dem entsprechen, was du bekommst. Obwohl du oft glaubst, Reichtum gewonnen zu haben, hast du doch in Wahrheit nur Sorgen und Verdruß bekommen. Das sind die lästigen (bzw. belastenden) Dinge, die dir grade so lieb sind. Schon bald wirst du Neues begehren und das Alte verachten. Die Gewohnheit wird deine Bewunderung verringern und den Wert schmälern. Und selbst, wenn dir diese Dinge immer noch lieb sind und deine Bewunderung erhalten bleibt: Bleibt nicht auch deine Illusion endlos erhalten, die so schwerwiegend ist? Denn das Greifen nach Besitz ist einfach, aber das Behalten ist mühevoll und kompliziert. Du kommst nie zur Ruhe im Beschützen, Zählen, Zusammenhalten, Säubern und Bürsten. Und wie sich deine Augen daran erfreuen, so treiben sie dich auch immer weiter an.

Freude: Ich erfreue mich aber an großem Hausrat.

Vernunft: Nun, es gibt wohl wirklich Menschen, die sich über große Belastungen freuen.

Petrarcameister - Von kostbarem Hausrat

Den recht banalen Gedankengang der „Freude“, die ihren vielfältigen Hausrat liebt, illustriert der Petrarca-Meister besonders reizvoll. Er greift die Situation heraus, wo köstlicher und zahlreicher Hausrat zur Qual wird: den Umzug. Da stehen die schönen Möbel auf der Straße herum, Knechte und Mägde mühen sich mit Möbeln und Wäscheballen treppauf und treppab, indes der Fuhrmann mit dem ungeduldigen Pferde wartet. Die Zeichnung von geschirrten Pferden und Wagen ist bei dem Petrarca-Meister immer von besonderer Präzision, wogegen die Linearperspektive zu wünschen übrig läßt, so zum Beispiel hier bei dem unrichtig in der Wand sitzenden, prächtig ausgebreiteten Fenster mit den Butzenscheiben. - So beschreibt Walther Scheidig dieses Bild.

Man sagt ja oft: Im Mittelalter waren die Dinge noch viel beseelter, als heutzutage, was an die beiden Gesichter in Form von Engel und König auf den dargestellten Möbelstücken erinnert. Es wird aber auch mit einer Truhe, die einem Sarg gleicht und vor einem leeren Stuhl steht, an die Vergänglichkeit gemahnt. Das Haus, in dem alle diese Dinge angesammelt werden, erinnert uns aus geistiger Sicht wieder an die Burg unseres Körpers, wie auch das ungeduldige Pferd mit Fuhrmann und beladenem Wagen ein ähnliches Symbol für das menschliche Wesen sein könnte, wie wir es bereits in Kapitel 1.29 angesprochen haben. Dann wäre das Pferd der leidenschaftliche Wille bzw. die Begierde, der Fuhrmann das Ichbewußtsein bzw. der Egoismus und der Wagen die beschwerliche Ladung, die wir im Leben körperlich und geistig ansammeln und immer mit uns herumschleppen. Die Symbolik des „Seelenwagens“ ist sehr alt, und schon Sokrates spricht um 400 v. Chr. in seinem Phaidros davon. Ähnliche drei Kräfte bzw. Fähigkeiten der Seele behandelte auch der Kirchenvater Augustinus mit den lateinischen Begriffen Voluntas, Intellectus und Memoria im Sinne von Wille, Verstand bzw. Unterscheidungsvermögen und Erinnerung bzw. Gedächtnis, die wir auch von Meister Eckhart kennen. Und je nach Entwicklung der „Seele“ schwankt der Wille zwischen leidenschaftlicher Begierde und wahrer Liebe, der Verstand zwischen Vernunft und Egoismus, und die Erinnerung zwischen Verdienst und Sünde. In Wirklichkeit sind sie natürliche keine getrennt wirkenden Kräfte, sondern immer eng miteinander verbunden.

Zu diesen drei Seelenkräften sieht man im Bild noch fünf Diener, von denen zwei weiblich sind. Sie stellen vermutlich die fünf Sinne dar, welche die äußeren Dinge ins Innere des Hauses tragen. Aber neben dem Fuhrmann ist keine Vernunft zu sehen, die eigentlich der Hausherr sein sollte. Vielleicht wurde sie in die Möbel gebannt und erscheint in den geschnitzten Gesichtern, oder liegt tot im Sarg, oder ist so klein, daß sie im Stuhl kaum noch zu sehen ist. Die Bank, die von Magd und Knecht die Treppe hinauf ins Haus getragen wird, sowie die Decken und vermutlich ein großes Kissen, die man über den Köpfen trägt, sind sicherlich auch symbolisch gezeichnet und erinnern uns an das unsichtbare Wesen, das im Körper sitzt und den Körper als Hülle trägt mit all dem angesammelten „Hausrat“, zu dem auf dem Wagen noch eine riesige Schatztruhe steht mit einem Betgestell, auf dem wir uns gern ausruhen wollen.

Diese wunderbare Symbolik, daß ein unsichtbares Wesen, das man auch Seele oder Geist nennt, mit seinem „Hausrat“ von einem Haus in ein anderes umzieht, nennt man zum Beispiel im Hinduismus eine körperliche Wiedergeburt aufgrund des angesammelten Karmas. Im Christentum spricht man davon, daß alles zu Gott geht und aus Gott wieder geboren wird, was im Grunde das gleiche ist, vielleicht sogar besser, weil damit die Illusion des Egos nicht unterstützt wird, das sich natürlich gern eine „persönliche“ Wiedergeburt wünscht. Praktisch meint man hier die Ketten aus Ursache und Wirkung in der Natur und auch im Geist. Und die im Bild herumliegenden Steine mahnen an die vielen Hindernisse und Sorgen auf diesem Weg der körperlichen Bindung an „Haus und Hausrat“. Dazu spricht auch Meister Eckhart:

Ach, wie viele gibt es derer, die einen Schuh oder eine Kuh anbeten und sich damit bekümmern, und das sind gar törichte Leute. Sobald du zu Gott betest um der Kreaturen willen, bittest du um deinen eigenen Schaden; denn soweit die Kreatur Kreatur ist, trägt sie Bitterkeit und Schaden und Übel und Ungemach in sich. Und darum geschieht den Leuten gar recht, wenn sie Ungemach und Bitternis erfahren. Warum? - Sie haben darum gebeten! (Predigt 49)

Auch die Illusion, die Petrarca im Text bezüglich der körperlichen Dinge anspricht, ist in den großen Religionen ein wichtiges Thema, natürlich auch im modernen Materialismus, nur in entgegengesetzter Richtung. Im Buddhismus spricht man zum Beispiel von der „Leerheit“, womit gemeint ist, daß die Dinge keine wahrhafte Essenz besitzen, die man ergreifen könnte. Ähnlich sagt auch Meister Eckhart:

Alle Kreaturen sind ein reines Nichts. Ich sage nicht, daß sie geringwertig oder überhaupt etwas seien: sie sind ein reines Nichts. Was kein Sein hat, das ist nichts. Alle Kreaturen (nun) haben kein Sein, denn ihr Sein hängt an der Gegenwart Gottes. Kehrte sich Gott nur einen Augenblick von allen Kreaturen ab, so würden sie zunichte. Ich habe mitunter gesagt, und es ist auch wahr: Wer die ganze Welt zu Gott hinzunähme, der hätte nicht mehr, als wenn er Gott allein hätte. Alle Kreaturen haben ohne Gott nicht mehr (Sein) als eine Mücke ohne Gott besäße, genau gleich viel, nicht weniger und nicht mehr. (Predigt 4)

Alles nur Aberglauben aus dunklem Mittelalter? Interessanterweise kommen sogar berühmte Wissenschaftler wie Hans-Peter Dürr zu einem ähnlichen Schluß und sagen, daß Materie im Grunde nur geronnener Geist ist, und es nichts Unlebendiges gibt. Und wenn schon solche Größen der Wissenschaft nach einem langen und erfahrungsreichen Leben davon sprechen, dann sollte man zumindest annehmen, daß es nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, auch wenn es unserem gegenwärtigen Weltbild zutiefst widerspricht.

1.37. Von Perlen und Edelsteinen

Freude: Ich erfreue mich an Glanz und Form wertvoller Edelsteine.

Vernunft: Zugegeben, das ist nicht die verrückteste Narrheit der Sterblichen, großen Gewinn in einem kleinen Stein zu suchen, dessen Wert unbeständig und unsicher ist, täglich schwankt und ganz allein von der Wertschätzung der Juweliere und der Illusion der Reichen abhängt. So bringen Edelsteine, die seit Jahren nicht mehr verkauft wurden, plötzlich hohe Preise, und andere, die lange Zeit als die Kostbarsten angesehen wurden, verlieren an Wert. Ich frage mich, ob es mehr um das Edle der Steine oder der Betrachter gehen sollte. Was für eine vortreffliche Weisheit ist das, die Erkenntnis Gottes, des Geistes und der Seele zu vernachlässigen, um lieber das Edle in Steinen zu suchen? Aber das ist menschliche Gewohnheit, sogar auf edle Steine nach Lust einen Preis zu setzen, die in Wahrheit gar keinen Wert haben, den man festlegen könnte.

Wie gefährlich diese Torheit und wie unsicher und zweifelhaft die Bewertung der Juweliere ist, läßt sich leicht erkennen, wenn wir an ein aktuelles Ereignis denken. Ein Mann, der mehr Reichtum als Weisheit besaß, kaufte einen kleinen Edelstein als einen Karfunkel (veralteter Ausdruck für rote Edelsteine wie Granat, Rubin oder Spinell) für zehntausend Goldstücke. Voller Freude rühmte er sich damit, doch bald zweifelte er angesichts der ungewöhnlichen Helligkeit des Steins, ob er wirklich echt war, und suchte die Meinung eines erfahrenen Juweliers. Von ihm erfuhr er, daß es kein echter Edelstein war, sondern Glas oder ähnliches, das nicht von der Natur geboren, sondern künstlich mit bemerkenswertem Geschick hergestellt wurde. Die Freude des Mannes vor seinem Zweifel verdeutlicht, daß diese Art von Glas dem Auge viel schöner erschien, als der echte Edelstein, und dessen größere Härte ihm gar nicht wichtig war.

Darüber sollte man nachdenken, sein Vermögen lieber für Vernünftigeres ausgeben und seine wertvolle Zeit nicht verschwenden, um solchen Dinge zu studieren. Bringt man die Zweifel dieses Mannes auf einen Punkt: Wer würde nicht das kopflose Verlangen und die Blindheit sehen, wenn man soviel Vermögen für äußerliche Formen und Namen ausgibt und nicht für das Wesen der Dinge?

Freude: Ich habe aber nichts lieber als Edelsteine.

Vernunft: Soll ich es glauben? Weder Tugend, Ehre, Vaterland oder das eigene Leben liebst du weniger als Edelsteine? Wenn du auch die ersten beiden für unwichtig hältst, aber ohne die letzten beiden könntest du den Reichtum gar nicht besitzen, den du so liebst. Wärst du bereit, für deine Liebe zu einem Edelstein auch Elend, Exil und sogar den Tod zu ertragen?

Wer kennt nicht die Geschichte von Nonius? Nonius war ein sehr reicher römischer Senator, der einen Edelstein besaß, dessen Wert auf zwanzigtausend Goldmünzen geschätzt wurde. Es war ein Opal aus Indien, der in allen Farben schimmerte. Doch der Edelstein erweckte die Gier des Triumvir Antonius, eines der stolzesten und geizigsten aller Menschen, der mit seinem Reichtum alle seine Wünsche erfüllen wollte. Doch Nonius weigerte sich, und so wandelte sich die Begierde nach dem Stein in grausamen Haß gegen seinen Besitzer. Und bald wurde auch Nonius während der damaligen Diktatur, in der so viele helle Lichter Roms erloschen waren, neben vielen anderen auf eine schwarze Liste gesetzt, nur weil er etwas Schönes besaß, das der Tyrann begehrte. Aber Nonius, der am Beispiel der Biber vom Schwarzen Meer hätte lernen können, daß man einer gefährlichen Last lieber entsagt, als seine Freiheit zu opfern, floh mit diesem Stein, der ihm wertvoller war als sein eigenes Leben, und ging in ein fremdes Land (nach Alexandria). Um diesen Edelsteins zu besitzen war er bereit, Heimat und Vaterland zu verlassen, das Elend des Exils zu erleiden, zu betteln und schließlich sogar zu sterben.

Wie wunderbar muß so ein Stein sein, wenn sogar ein römischer Senator so leidenschaftlich daran festhält? Entweder war der Stein wirklich so wertvoll, oder der Besitzer hatte wenig Vernunft. Was wahrscheinlicher ist, muß ich dir sicherlich nicht sagen. Und weil das Verhalten solcher großen Männer auch den Geist des Volkes vergiftet, sollten sich die großen Geister nicht an Geld oder ähnlichem ergötzen, sondern an der Schönheit der Tugend. Wahrlich, die Freude der Augen an vergänglichen Formen sollte nur dazu dienen, den Geist zur wahren Liebe und Sehnsucht nach ewiger Schönheit zu erwecken, denn aus dieser Quelle entspringt alles Schöne.

Freude: Kostbare Edelsteine ziehen mich aber magisch an.

Vernunft: Das Kostbare hat nicht die Natur sondern das menschliche Denken geschaffen, das manchmal Karfunkel lobt und manchmal Diamanten. Ersteres behaupten die heutigen Juweliere, das zweite ist die Meinung der alten Geschichtsschreiber, daß damals der Diamant nicht nur unter den Edelsteinen, sondern unter allen irdischen Dingen als kostbarster betrachtet wurde. Und was damals nur die Besten der Könige trugen, sieht man heute schon an den Fingern des einfachen Volkes, denn Luxus und Überheblichkeit sind schneller gewachsen als alles andere.

Nach den Diamanten bewertete man damals die Perlen Indiens und Arabiens und danach den Smaragd. Ich weiß nicht, aus welchen seltsamen Gründen diese Einordnung geschah. Wenn die leichte Rötung und der blasse Glanz der Perlen angenehm ist, warum sollte die Klarheit und das intensive Grün des Smaragdes nicht gleichermaßen das Auge erfreuen? Noch mehr müßte sich der Saphir über seinen niederen Platz beklagen, denn die Erde bringt kaum etwas anderes hervor, das so sehr dem klaren blauen Himmel gleicht. Doch wie gesagt, es ist nicht das Wesen der Dinge, sondern der Wahnsinn der Menschen, der über ihren Wert entscheidet, mit dem dummen Geschwätz der Reichen und der Einbildung der Müßigen, die solchen Unsinn schnell aufgeben müßten, wenn sie sich in Krieg und Frieden um Ehrlichkeit kümmern würden.

Freude: Strahlende Edelsteine und seidenweiße Perlen berühren mich sehr.

Vernunft: Sagtest du berühren? Sie überwältigen dich, treten dich mit Füßen und machen dich weichmütig und schwach. Dazu könnte ich dir so viele Beispiele von Männern und Frauen erzählen, daß ich dich nicht unterweisen, sondern erschöpfen würde. Ich werde deshalb nur die Besten von allen erwähnen, damit du verstehst, wie gefährlich diese Leidenschaft für einen schwachen Geist ist, wenn sie sogar die vorzüglichsten und stärksten Männer ergriffen hat.

Zum Beispiel war der Große Pompeius der gezügeltste unter den römischen Feldherrn, zumindest von den späteren, die zwar ihre Vorfahren an Heldentaten übertreffen konnten, aber nicht an Tugend und Genügsamkeit. Er kehrte siegreich aus Spanien zurück, nachdem er die westliche Welt unterworfen hatte, und trieb die Reste der Aufständischen an einen Ort, der daraufhin Convenae (die Versammlung) genannt wurde. Dort, am Fuße der Pyrenäen, ließ er in einer rauhen Umgebung - die ihn vielleicht zur Bescheidenheit ermutigte und seinen Stolz zurückhielt, den Alter und Sieg hätten entfachen können - eine grobe Skulptur als Siegerdenkmal errichten, die sein männliches Gesicht zeigte, schlicht und einfach. Was für eine großartige und wundervolle Geste für einen Mann, der noch jung an Jahren schon solche Reife und Tugend zeigte!

Aber derselbe Pompeius besiegte danach auch die Piraten im Osten, und als ob er sich im fremden Land verändert hätte, kehrte er aus diesem Teil der Welt nicht als tapferer Feldherr zurück, sondern als schwaches Weib. Er fühlte sich in seinem Triumph wie Gott selbst, ließ sein Standbild nicht in Bronze oder Marmor abbilden, sondern von seltenen und kostbarsten Perlen formen. Voller Stolz zeigte er die eroberten Reichtümer des Ostens, die er auf sein Bildnis verschwendete. Damit beleidigte er viele andere siegreiche Fürsten und erweckte ihren Neid. Man kann sich vorstellen, welche Tyrannei die freiheitsverwöhnte Stadt Rom nun von ihrem beliebtesten Bürger erleiden mußte, der als gefeierter Feldherr in solche Überheblichkeit und Mutwilligkeit fiel. Sein ganzer Triumph verriet die Verachtung für Demut und Mäßigung. Und nirgendwo sprach man von den Waffen oder Pferden der besiegten Völker, wie normalerweise üblich war, und nicht einmal von den Gefangenen, Streitwagen oder Rüstungen. Die Geschichten erzählten schrecklicherweise nur noch von Gold, kostbaren Edelsteinen und Perlen. Unter dieser triumphalen Beute befanden sich auch ein riesiges zweifarbiges Spielbrett, auf dem jedes Feld aus kostbarsten Edelsteinen gemacht war, wie auch goldene Gefäße, Gewänder und Statuen, sogar ein Mond aus massivem Gold und von immensem Gewicht, sowie goldene Sitze und viele Kronen, die mit großen und glänzenden Perlen bestückt waren. Dazu gab es auch einen wunderbaren Berg aus Gold in quadratischer Form voller Hirsche, Löwen und ähnlicher Tierfiguren, der von verschiedenen Obstbäumen mit goldenen Zweigen und kostbaren Perlen-Früchten geschmückt war. Auf seinem Gipfel stand eine Uhr aus Gold und Edelsteinen, die sich in alle Richtungen drehte, und deren genialer Mechanismus wie ein Sieg über die tote Materie erschien. Eine erstaunliche Leistung in den Augen derer, die gern kostbare, aber relativ nutzlose Dinge bestaunen!

Freude: Solche Dinge erfreuen mich sehr.

Vernunft: Das glaube ich dir! Und ich denke, du würdest diesen Schatz gern sehen und noch viel lieber besitzen wollen, wie es dir dein leidenschaftlicher Geist rät. Doch glaube mir, solche Dinge, die dem Auge schmeicheln, haben schon vielfältig der Seele und oft sogar dem Leib geschadet. Wahrlich, nichts hat der Ehre der Siegreichen mehr geschadet, als diese Leidenschaft. So ging es auch Pompeius am Tag der entscheidenden Schlacht in Thessalien und später zu seiner Ermordung in Ägypten. Zuerst unterlag er seinem Laster und dann seinem Unglück. Zuerst durch fremde Macht und dann durch fremden Verrat. Zuerst verlor er durch seine Überheblichkeit seine Macht und dann durch seine Schwäche sein Leben. Zuerst verlor er seine besondere Bescheidenheit und danach seinen ruhmreichen Namen sowie den Titel „Magnus“, der „Große“, den er sich mit soviel Mühe verdient hatte.

Es ist wirklich seltsam: Er gewann einen viel brillanteren Sieg gegen die Spanier, die eine kriegerische Nation waren, als gegen die harmlosen und schwach bewaffneten Asiaten. Aber noch seltsamer war: Auch in Asien blieb er lange Zeit makellos und ungeschlagen und zeigte die größte Mäßigung und höchste Tugend, als er den Tempel von Jerusalem besetzte, dessen Reichtum unvergleichlich war. Aber am Ende konnte er dem Zwang der Laster nicht widerstehen. Er blieb nicht länger der herausragende Edelmann wie zuvor, sondern sank auf das Niveau gewöhnlicher Leute. Er wurde durch den Glanz von Edelsteinen, die Kraft von Perlen und das Gewicht von Gold besiegt.

In ähnlicher Weise wurde vor ihm Alexander der Große in Asien besiegt. Und so ist es wohl leicht, auch den größten Feldherrn zu besiegen, wenn er zuvor von seinen eigenen Lastern überwältigt wurde. Dagegen ist es schier unmöglich, einen Menschen zu besiegen, der sich selbst überwunden hat. Doch nach Alexander konnte kaum noch ein Feldherr den Schätzen Asiens widerstehen, die nach Italien importiert wurden und euch sogar auf heimischem Boden überwältigten. Man muß also ehrlich sagen, die Sieger aller Nationen wurden durch die asiatische Eroberung selbst erobert und besiegt. So geh jetzt, und verehre deine Edelsteine und Perlen, die Freunde für das Auge und die Feinde für die Vernunft, denen schon stärkste Männer unterlagen!

Freude: Ich liebe aber schillernde Edelsteine.

Vernunft: Der eine mag die schillernden Farben, der andere die Farblosen. Viele Geschmäcker, aber immer die gleiche Leidenschaft! Hast du nicht gehört, wie Pyrrhus, als er gegen Rom kämpfte, einen Achat besessen hatte, der nach damaliger Vorstellung einer der kostbarsten Steine war? Aber die Geschmäcker ändern sich, und heute ist er kaum noch etwas wert. Doch damals hieß es, in diesem Stein zeigen sich alle möglichen Dinge wie Menschen, Tiere, Vögel, Flüsse und Wälder, die nicht von einem Handwerker eingraviert wurden, sondern von der Natur selbst. Und wie Solinus berichtet, waren in diesem Ring von Pyrrhus von Natur aus die neun Musen um Apollo mit seiner berühmten Leier eingeprägt. Die Adern des Steines waren so verteilt und miteinander verbunden, daß sie diese Bilder in kleinsten Raum mit großer Klarheit zeichneten. Dazu kam noch der berühmte Name des Königs, denn was große Persönlichkeiten besonders achten, wird auch im Volk mehr geschätzt.

Aber ich frage dich, was hat ihm dieser Achat gebracht? Hat er ihn im Kampf unbesiegbar gemacht, vor dem Schwert des Feindes oder dem Tod gerettet, der schließlich durch einen Ziegelstein aus Frauenhand über ihn kam? Was hat der Ring Pyrrhus geholfen, als er von Fabricius und Curius, die keinen solchen Ring hatten, besiegt und aus Italien vertrieben wurde? Ich wage zu behaupten: Diese beiden Krieger hätten ihren schmucklosen Helm oder ihr einfaches Schwert ohne Gold und Edelsteine niemals gegen diesen königlichen Ring eingetauscht, denn tapfere Männer verachten solchen weibischen Schmuck. Warum hätten sie diesen Ringe begehren sollen, die allein auf Tugend vertrauen und nicht auf König, Krone und Schatz? Aber du mißtraust deinem Geist und bewunderst und begehrst äußerliche Dinge, als würden sie selig machen können, wenn die Tugend verachtet wird.

Dazu gibt es noch eine viel ältere Geschichte über einen anderen Edelstein, der Polykrates gehörte, dem Tyrannen von Samos. Es soll ein Sardonix gewesen sein, der unter den Kostbarkeiten dieses immens reichen Mannes als der kostbarste Edelstein galt. Und weil Polykrates nie das Gefühl von Unglück kennengelernt hatte, wollte er die Glücksgöttin besänftigen, die ihn gegenwärtig bevorzugte, aber vielleicht heimlich seinen Untergang plante. So stieg er in ein Boot, fuhr auf das Meer hinaus und warf den Ring mit diesem kostbaren Edelstein eigenhändig in die Tiefe, um wenigstens einmal im Leben Unglück zu erfahren. Er dachte, daß er damit klug gehandelt und mit diesem traurigen Verlust alles empfangene Glück bezahlt hätte. Aber so einfach läßt sich die Glücksgöttin nicht betrügen oder bestechen. Sie bemißt Glück und Unglück immer mit gleicher Waage und verlangte für ihre lang anhaltende Gunst mehr als diese kleine Geste, obwohl sie für Polykrates äußerst bitter war. Und dieser Mann, der während seines Lebens für sich selbst und andere stets als Glücklichster unter allen Menschen erschien, sollte einen der elendsten und qualvollsten Tode erleiden, so groß waren die Laster und Sünden, die er auf seinen Kopf geladen hatte. Und man sagt, daß die Glückgöttin, als wollte sie das Opfer des Königs ablehnen, ihm einen Fisch mit dieser Nachricht schickte. Denn ein Fisch schnappte den schimmernden Ring, wurde kurz danach gefangen und auf den Tisch von Polykrates serviert, so daß er zum höchsten Erstaunen aller Anwesenden seinen Ring zurückbekam. Und viele Jahrhunderte später ließ Kaiser Augustus, der vom Wert des Edelsteins und der seltsamen Geschichte beeindruckt war, den Stein in eine goldene Krone einsetzen, die er dem Tempel der Eintracht in Rom widmete.

Hier frage ich dich erneut: Was hat dieser Tyrann, der sein Land unterdrückte, von diesem Stein gehabt? Oder welche Nachteile hatte zum Beispiel Pythagoras, der ohne solchen Stein lebte, obwohl auch er auf Samos geboren wurde und sein Zuhause sowie seine Freunde aus Verdruß über die Herrschaft von Polykrates verließ? Als dieser Tyrann gekreuzigt, von allen verurteilt und extrem bestraft wurde, erfuhr er die härtesten Qualen. Dagegen starb der Philosoph in Frieden, verehrt wie ein Gott, und sein Haus wurde in einen Tempel verwandelt. Das war der Unterschied zwischen dem Edelstein des einen und dem schlichten Mantel des anderen. Der Sardonix hinderte die Geier nicht daran, den am Kreuz hängenden Körper des Polykrates zu verschlingen.

Auch der Karfunkel von König Johann von Frankreich, der an jenem schweren Tag (1356 zur Schlacht bei Maupertuis) an seinem Finger entdeckt und ihm weggenommen wurde, konnte ihn nicht davor bewahren, im Kampf besiegt zu werden und in die Hände der Feinde zu fallen. Einige Jahre später kaufte ein Freund den kostbaren Ring in einem anderen Land und brachte den Schatz zurück, dieser kostbare Schatz, den man zwar anschauen und besitzen kann, der aber keine besondere Kraft und Wirkung hatte, als andere normale Steine.

Ich will nicht leugnen und dem Verstand widersprechen, daß Edelsteine besonders glitzern und funkeln. Aber ich bezweifle, daß sie für alles gut sind oder außergewöhnliche Kräfte besitzen, außer die allgemein bekannten, welche die Vorhängeschlösser der gierigen Reichen öffnen und ihre Schatztruhen leeren.

Freude: Wie es auch sei, für mich sind Edelsteine würdige Schätze, die mein Herz erfreuen.

Vernunft: Fürwahr, das ist der Gipfel der Torheit, sich um Dinge zu bemühen, die wertvoll erscheinen, aber an sich nichts sind. Eine wunderbare Freude an der Illusion der Augen und Verblendung! Warum bemühst du dich um solche Dinge, die weder der Seligkeit dienen noch das Elend lindern? Es ist völlig unwichtig, ob man sie besitzt oder nicht. Es gab schon so viele seltsame und phantasievolle Geschichten über Edelsteine und Perlen, die nicht für die Wahrheit oder zum Nutzen des Lesers geschrieben wurden, sondern um jene zu betören, die sich müßig am Zauber der Illusion ergötzen. Mit solchen Lügen wurden schon ganze Bücher gefüllt. Diesbezüglich stimme ich mit Plinius und anderen überein, die mit Spott und Verachtung über die Dummheit der Menschen schrieben, die sich voll närrischer Leichtgläubigkeit von verrücktesten Ansichten verwirren lassen.

Freude: Ich erfreue mich aber an Edelsteinen und glaube, daß sie besondere Kräfte haben.

Vernunft: Was ihre Kraft ist, davon hast du gehört. Und wenn es noch andere Kräfte gibt, egal wie groß sie auch sind, dann dienen sie vor allem den Lügen der Kaufleute und Geschichtenschreiber, die durch deinen Glauben unterstützt werden. Es ist wohl viel besser, vorsichtig zu sein und solchen Dingen tapfer zu entsagen, als sich den Wert und die Eigenschaften der vielen Edelsteine wie ein Laster einzuprägen. Und wenn Plinius davon spricht, wie man echte und unechte Edelsteine unterscheidet, weil man auch den Luxus gegen Betrug schützen sollte, dann stimme ich in diesem Punkt nicht mit ihm überein. Denn ich sage: Luxus sollte nicht beschützt oder verteidigt, sondern aufgegeben und losgelassen werden. Man sollte ihn wehrlos der kämpfenden Armee der Räuber und Betrüger überlassen, damit sie selbst mit allen Arten von Raub und Betrug bestraft werden, wenn es keinen anderen Weg (zu ihrer Besserung) gibt.

Petrarcameister - Von Perlen und Edelsteinen

In der Zeichnung des Petrarca-Meisters ist ein Juwelenhändler zum Palast eines Herrn gekommen. Edelleute und Edelfrauen umdrängen ihn, um seine Schätze zu bewundern und zu probieren. Gier und Verlangen nach dem Schmuck sind differenziert dargestellt. Weniger gelungen ist die räumliche Trennung der eng zusammengestellten Personen, die mit ihrem Tun in den Lobspruch der „Freude“ einstimmen. Der Moralist Petrarca kommt beim Petrarca-Meister nur am Rande zu Wort. Eine Frau wirft von einer Burgmauer aus einem Manne einen großen Stein auf den Kopf. Dazu hatte (vermutlich) Sebastian Brant dem Petrarca-Meister nach dem Text des Buches erzählt, daß der König Pyrrhus von Epirus einen wundertätigen Achat in einem Ringe besessen habe, der ihn gleichwohl nicht davor bewahrt habe, in Argos im Straßenkampfe von einer Frau mit einem Steine erschlagen zu werden. Wie öfters schon hat der Zeichner die von Brant gehörten Angaben zu einer förmlichen Randnotiz seines Bildes herabgestimmt. - Soweit spricht der Kunsthistoriker Walther Scheidig zu diesem Bild.

Der Text dreht sich weiter um die große Frage nach dem Wert der materiellen Dinge, natürlich aus der damaligen Perspektive, und daß es in dieser Welt mehr um die Entwicklung geistiger als materieller Werte geht. Offenbar war auch damals die äußere Verführung schon sehr groß, und Petrarca kämpft tapfer mittels der Vernunft um eine Art der Entsagung, die uns heutzutage in einer materiell orientierten Welt sehr fremd geworden ist. Wenn der Geist im Weltbild keinen Wert hat, lohnt es sich natürlich auch nicht, nach dessen Entwicklung zu streben oder irgendwelche Opfer dafür zu bringen. Doch damals glaube man noch an die Macht der weltlichen Entsagung, wie es auch in der Bibel heißt: „Wer läßt Häuser, Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Weib, Kinder oder Äcker um meines Namens willen, der wird's hundertfältig empfangen und das ewige Leben erben. (Matth. 19. 29)“ Und Meister Eckhart sprach dazu:

Ja, fürwahr, was der Mensch (mit seinem Willen) läßt und was er aufgibt um Gottes willen, fürwahr, er wird‘s genau so in ihm (d.h. in Gott) finden, wie wenn er alles Gut, das es je gegeben hat, in vollem Besitz gehabt, sich aber willig seiner entäußert, entschlagen und begeben hätte um Gottes willen; er wird hundertmal soviel empfangen. Denn was der Mensch gern hätte, aber verschmerzt und entbehrt um Gottes willen, sei‘s leiblich oder geistig, das findet er alles in Gott, als wenn es der Mensch besessen und sich willig seiner entäußert hätte; denn der Mensch soll aller Dinge willig um Gottes willen beraubt sein und in der Liebe sich allen Trostes entschlagen und hingeben aus Liebe. (Reden der Unterweisung 10)

Diesem Thema hat sich offenbar auch der Maler des Bildes gewidmet. Im Vordergrund sieht man fünf Männer und drei Frauen, vielleicht die Familie des reichen und korpulenten Patriziers, der schon zwei Ringe an der rechte Hand trägt, und einen Schmuckverkäufer mit einem Schaukasten. Die Frau des Patriziers greift wohl begierig zu und zeigt die gewünschten Schmuckstücke ihrem Mann. Die Frau des linken Paares hält eine Schale, vielleicht auch ein Schmuckkästchen, das gefüllt werden soll. Ihr Mann sieht etwas erschüttert aus und könnte gerade einen Schuldbrief überreichen. Die Dame rechts von dieser Familie hat ihren Schmuck bereits bekommen und wendet sich vermutlich von ihrem Ehemann ab, der im Hintergrund neben dem Patrizier auch nicht besonders glücklich erscheint. In ihrer Mitte befindet sich noch ein alter Mann, vielleicht der Großvater, der sein schütteres Haupt mit einer dicken Perlenschnur schmückt, ein gutes Symbol für den Verfall der Weisheit. Daneben sieht man zwei große Federn und ein Geschlingsel, das zum Himmel aufsteigt, deren Bedeutung relativ unklar ist. Es könnte zum Beispiel der Hut des Großvaters sein, den er dem Juwelier als Pfand übergab. Ähnlich hält der Juwelier auch in der linken Hand einen Hut, wie auch Petrarca im Text schreibt, daß die Begierde nach äußerem Schmuck den Menschen viel Armut bringt und den Männern die Würde raubt, wofür symbolisch der Hut stehen könnte.

Auf diese Weise wird aus geistiger Sicht wieder die innere Funktionalität eines Menschen mit den fünf Sinnen und drei Kräften im Haus des Körpers bildlich dargestellt. Man sieht gut, wie die Sinne von den drei Kräften (Wille, Verstand und Gedächtnis) beherrscht werden, und wie alle acht Prinzipien eng miteinander verbunden und verwoben sind und wie „mit vielen Händen“ gemeinsam wirken. Die Erkenntnis dieser inneren Prinzipien im menschlichen Wesen betrachtet offenbar nicht nur Petrarca, sondern auch der Petrarca-Meister als den Königsweg zur höheren Vernunft, um die materielle Bindung an die körperlichen Dinge schrittweise zu lösen.

Hinter der Familie erstreckt sich die grünende und blühende Natur, die eine wesentlich lebendigere Schönheit als der Juwelier zu bieten hat. Doch der Mann bzw. Geist, der sie gerade bestaunen wollte, wird von einem weiblichen Wesen, daß in der materiellen Burg des Körpers wohnt und wirkt, mit einem schweren Stein erschlagen, der vermutlich symbolisch an die verführerische Kraft der Edelsteine erinnern soll, die sogar hochstrebende Geister zutiefst erniedrigen konnte und immer noch kann.

Daß Edelsteine besondere Kräfte haben, gehörte wohl damals zum Allgemeinwissen aus uralten Erfahrungen. Problematisch ist, wenn daraus gierige Anhaftung entsteht, weil man die innere Kraft dem äußeren Ding zuschreibt. Ein ähnliches Problem kennen wir heute zum Beispiel von den Tabletten der Medizin. Wer positive Erfahrungen macht und dann glaubt, Tabletten machen gesund, entwickelt schnell eine Anhaftung bis zur Tablettensucht. Um dies zu verhindern sprach man früher von der Erkenntnis eines größeren Wesens, das in allen Dingen anwesend ist und wirkt, so daß man die Heilkraft nicht nur auf das materielle Objekt projiziert. Oder wie es rechts im Hintergrund des Bildes symbolisch ausgedrückt wird: „Daß man in Anbetracht der wirkenden Kraft nicht vom Objekt überwältigt wird.“ Auch Meister Eckhart kannte die „Kraft der Steine“ und sagte zum Beispiel:

Steine haben auch große Kraft durch die Gleichheit, die die Sterne und des Himmels Kraft darin bewirken. (Predigt 18)

Und in einem noch höheren Sinne sprach er:

Ich bin des so gewiß, wie ich lebe, daß mir nichts so »nahe« ist wie Gott. Gott ist mir näher, als ich mir selber bin; mein Sein hängt daran, daß mir Gott »nahe« und gegenwärtig sei! Er ist es auch einem Steine und einem Holze, sie aber wissen nichts davon. Wüßte das Holz um Gott und erkennte es, wie »nahe« er ihm ist, so wie der höchste Engel dies erkennt, so wäre das Holz ebenso selig wie der höchste Engel. Und darum ist der Mensch seliger als ein Stein oder ein Holz, weil er Gott erkennt und weiß, wie »nahe« ihm Gott ist. Und um soviel seliger ist er, je mehr er dies erkennt, und um soviel weniger ist er selig, je weniger er dies erkennt. Nicht dadurch ist er selig, daß Gott in ihm ist und ihm so »nahe« ist und daß er Gott hat, sondern dadurch, daß er erkennt, wie »nahe« Gott ihm ist und daß er um Gott »wisse«. (Predigt 36)

1.38. Von Edelsteinbechern und Trunkenheit

Freude: Ich trinke gern aus kostbaren Edelsteinbechern.

Vernunft: Edelsteine auszuhöhlen und zu Bechern zu verarbeiten, ist eine uralte Extravaganz, die das Glas verachtet, das zwar etwas zerbrechlicher, aber wesentlich schöner und eleganter ist, wie auch das Silber und sogar das Gold, das in alten Zeiten als höchstes Ziel der Begierde betrachtet wurde. Deshalb habt ihr etwas erfunden, das an Extravaganz diese Begierde noch übertrifft, ungeachtet der großen Übel, die es verursacht. Schon der Dichter (Virgile) erkannte dies, als er schrieb:
„Er ruiniert eine ganze Stadt mit ihren Bürgern, damit er aus Edelsteinbechern trinken und auf Tyrus-Purpur schlafen konnte.“

Das ist ein großes Übel, nicht nur für die Gerechtigkeit, sondern für die Menschlichkeit selbst. Und um zu zeigen, woher es kommt, fügt er hinzu: „damit er aus Edelsteinbechern trinken kann.“ Hier hast du den Grund für die bürgerlichen Unruhen! Für den Gottesdienst war ein silberner Kelch ausreichend, für das menschliche Auge ein goldener Kelch mehr als genug, aber jetzt höhlt ausländische Handwerkskunst Edelsteine aus, damit der elende Erdling daraus trinken kann, um noch mehr Vergnügen mit seinen Lippen zu empfinden, die durch Lügen und Schande verunreinigt sind. Dabei sind solche Gefäße zum vergnüglichen Trinken sehr ungeeignet, denn man sorgt sich mehr um das Zerbrechen, die Verzierungen stören, und sie sind schwer zu reinigen und zu pflegen, zweifelhaft für die Gesundheit und bequem für Gifte. So sind auch die Worte eines anderen Dichters (Juvenal) wahr:
„... du solltest kein Gift aus einem Steinbecher trinken. Fürchte dich, wenn dir ein Edelsteinbecher angeboten wird...“

Freude: Ich finde es ehrbar, aus kostbaren Edelsteinbechern zu trinken.

Vernunft: Wenn sich Eitelkeit erhebt, bedenkt sie nicht den Fall. Du willst lieber teuer als gesund trinken, lieber protzig als schmackhaft. So werden Laster von Lastern erobert, und mehr, als das Bouquet des Weins deinen Gaumen erregt, so erregt die Farbe des Bechers deinen Stolz. Du bist vom Glanz der Edelsteine fasziniert und zahlst für diese Faszination einen hohen Preis, nicht allein mit Geld sondern auch mit deiner Tugend. Begehrte nicht der Tyrann jener Stadt, von dem ich mit Virgils Worten gesprochen habe, solche Edelsteine um den Preis der Gerechtigkeit? Damit verkaufte er die Tugend und vergaß die Menschlichkeit, um aus einem Edelsteinbecher zu trinken.

Freude: Ich benutze gern Edelsteinbecher.

Vernunft: Vielleicht gibt es noch einen anderen Grund für dein heftiges Verlangen. Dich reizt nicht allein der Glanz, sondern die verborgene Kraft. Wer könnte all die Kräfte und Wirkungen der Edelsteine erklären? Ich würde darüber diskutieren, wenn wenigstens der siebente Teil von dem Gerede darüber wahr wäre. Aber es ist nicht der siebzigste und nicht einmal der hundertste Teil davon wahr. Schon Plinius sagte, daß es keinen Betrug in der Menschenwelt gibt, der größeren Gewinn abwirft. Wer würde sich also wundern, wenn dieser Betrug vielfältig betrieben wird? Nicht, daß das Geschäft mit Edelsteinen häufiger als andere wäre, aber ihre Seltenheit macht sie teuer, und so selten ist auch die Wahrhaftigkeit in diesem Handel. Denn wahrlich, in keinem Geschäft gibt es weniger Möglichkeiten, die Ware zu prüfen, und entsprechend mehr Raum und Gewinn für Betrug und Unverschämtheit, die hier mit emsiger Gewohnheit betrieben werden.

Wenn von all dem Gerede über die Kräfte der Edelsteine etwas wahr ist, könnte es vielleicht die volkstümliche Behauptung sein, daß der Amethyst Trunkenheit abwehrt. Dann wäre es sicherlich gut, die Becher der Trinker aus diesem Stein zu machen. Ich scherze mit dir, aber oft verursacht der Witz eine gewisse Abwehr, besonders wenn man aus dem Übel eine Tugend macht. Ich denke aber, das Ziel besteht vor allem darin, beim Trinken nicht nur den Gaumen zu erfreuen, sondern auch die Augen, damit es noch sinnlicher und schöner ist, sich zu betrinken.

Wenn ich mich aber nicht irre, besteht der wesentlich bessere und sicherere Weg gegen die Trunkenheit und ähnlichen Süchten vor allem in der Bemühung des Feldherrn. Und dieser Herr ist die Mäßigung, denn nur die Mäßigung kann die unmäßige Trunkenheit besiegen. Gebrauche den Wein mäßig nach dem Gebot dieses Beraters, und das nicht zum Vergnügen, sondern zum Nutzen der Verdauung und zum Vertreiben von Krankheiten. Ich spreche hier von schwachem Wein, der mit Wasser wohlgezähmt wurde. Vermeide die feurige und ungestüme Kraft des schweren und starken Weins, entweder durch Flucht oder zügle und lösche sie durch die kühle Flut des Wassers. Man sollte auch wissen und bedenken, daß in starkem und feurigem Wein, der oft und übermäßig getrunken wird, die Ursache für Schande, Schmerz und Schuld liegt. Dies kann man überall sehen, wohin man sich auch wendet, denn es kann vor einem gesunden Verstand nicht verborgen bleiben. Wahrlich, das sind die nützlichsten Waffen gegen dieses Unwesen.

Wie könnte hier ein Amethyst oder irgendein anderer Edelstein helfen? Betrüger erfanden diese Lüge. Und viele glaubten daran, daß sie der Stein vor Trunkenheit schützen könnte, und haben bedenkenlos getrunken. So tückisch und schamlos sind die Betrüger in dieser wie in vielen anderen Geschichten, die unwissende Leute gern glauben, wie sie es schon immer taten. Darum denke ich, diese und andere Steine sind euch nur deshalb lieb und angenehm, weil sie die Begierde erwecken und herausfordern. Doch vor allem ist es der egoistische Stolz, der sein wahres Selbst vergessen hat, woraus die Angst vor dem Tod entsteht, der als schlimmste Bedrohung für das menschliche Leben erscheint.

Ich wundere mich sehr, warum ihr nichts Besseres im Leben findet, ganz zu schweigen von dem hohen Gut der Tugend, das ihr für wertlos haltet, aber wenigstens das Leben selbst, dein Heil, die Sicherheit und der Reichtum der Glückseligkeit, die doch dein höchstes Gut sind. All diese Dinge sind dem egoistischen Stolz gewichen. Dieser Stolz über äußere Dinge läßt dich die kostbaren Edelsteinbecher begehren, die so nutzlos, unwichtig und oft sogar schädlich sind. Dieser Stolz macht dich unruhig, leidenschaftlich und so pingelig, daß die Tische in deinem Haus mit Gold und Edelsteinen den Altären der Kirchen gleichen. Die Opfer selbst sind in Purpur gekleidet, die Zierde des gierigen Überflusses, und werden mit dem Messer von Begierde, Übermaß, Ehrgeiz und Stolz geschlachtet, die in jedem von euch toben, wobei der Stolz, wie ich bereits sagte, den höchstverehrten Rang einnimmt. Danach kommt die Begierde, die vielleicht für kurze Zeit mit Gold, übermäßigen Speisen oder üppigen Genüssen beruhigt werden kann. Aber der egoistische Stolz ruht nie, solange er etwas über sich sieht. Von Anfang an versuchte er, Gott gleich zu werden. Und dieses Verlangen zwingt auch dich, mühsam nach Edelsteinen zu suchen, sie fleißig aufzufädeln oder auszuhöhlen, und wenn du hinausgehst auf den Markt oder zu Banketten mit ihnen zu glänzen und zu glitzern, damit die Sterne des Himmels neidisch werden.

Und getrieben von diesem Stolz, hast du - um auf das Thema zurückzukommen - dein Haus, deine Kleider, dein Essen, Trinken und alles, was die menschliche Bedürftigkeit und Bequemlichkeit erfunden hat, mit Glanz und Glitzer verbunden. Und dieser gefährliche Wahn wächst, so daß heute nicht nur die Trinkbecher aus Edelstein gemacht werden, sondern auch das Geschirr, Teller, Mörser und Kessel. Freue dich, du siegreicher Stolz! Du wolltest Trinkbecher, aber deine Diener schaffen dir allerlei weitere Gefäße aus diesem Material und durchpflügen dafür die Tiefen der Erde, wie die Bauern ihre Felder. Und so ist, was für deine Vorfahren noch außergewöhnlicher Luxus war, dir schon zur Gewohnheit geworden.

Freude: Ich benutze auch gern Kristallbecher.

Vernunft: Das ist gut, dann muß ich nicht weiter über Edelsteine schimpfen, und das versteinerte Eis mag eine Entschuldigung für dich sein. Ich denke, dein Kristallbecher ist nicht besser als Glas, das schnell zerbricht und nicht wieder geheilt werden kann. Aber wahr ist, daß dieser Kristall schwer zu finden ist, entweder von weither kommt oder mühsam an Seilen aus den eisigen Abgründen der Alpen gegraben wird. Das macht ihn teuer und fähig, deine Begierde zu erwecken.

Dazu kannst du auch von Kaiser Nero lesen, daß er über zwei zerbrochene Kristallbecher so sehr trauerte, daß er alle anderen Unglückbotschaften vergaß. Doch ich glaube, in Wahrheit hat er die Becher in der Wut über sein Unglück selbst zertrümmert, voller Haß auf die Nachwelt, damit niemand mehr daraus trinken möge. Was für ein Opfer für ein grausames Schicksal! Der Kaiser der Grausamkeit konnte nichts anderes finden, um seinen gewaltigen Zorn auszulassen, und tobte gegen die Kristallbecher, an denen er sich sonst so erfreute. Wenn man auch sagt, daß das Volk dem König nacheifern sollte, so würde doch kein vernünftiger Mensch jemals wie Nero handeln.

Freude: Deshalb mag ich Kristallbecher.

Vernunft: Denke darüber nach, wie zerbrechlich und gering dein Vergnügen ist. Denn das ist dein Weg: Du sehnst dich nach Dingen, die deinem Wesen entsprechen. Besser wäre es, deiner Vergänglichkeit etwas Unvergängliches zu bieten, denn dein Bestes ist die Seele, die etwas Hohes und Himmlisches wünschen und suchen sollte. Aber du suchst die zerbrechlichen und niederen Dinge. Ein Glück, daß heute das Murrina-Glas nicht mehr Mode ist. Es war ein Wahn deiner antiken Vorfahren, der neben vielen anderen fremden Dingen mit jener Eroberung durch Pompeius nach Rom kam, von der ich bereits erzählt hatte. Hier fiel die Kunst auf fruchtbaren Boden und fand fleißige Handwerker, so daß ein einziger Becher aus Murrina-Glas bald siebzig Talente wert war. Man sagt, ein Liebhaber war so darin vernarrt, daß er sich sogar einen Zahn am Rand des Bechers ausbiß. Was für eine wunderbare Liebe! Und noch wunderbarer war es, daß die Scharte im Glas den Ruhm und den Preis des Bechers vervielfachte.

Diesbezüglich sind weder deine Maßlosigkeit, die nicht der Weisheit des Alters weicht, noch dein egoistischer Stolz geringer als der deiner Vorfahren. Und das du kein Murrina-Glas begehrst, liegt wohl nur daran, daß du es nicht kennst und gebrauchst. Dafür droht dir bereits ein neuer überflüssiger Luxus, nämlich das Holz der Haselnußwurzel, aus dem man wunderschön gemaserte Trinkschalen schnitzen kann, die heutzutage bei den vornehmen Franzosen Mode sind. Und in letzter Zeit ist noch das Holz ausländischer Bäume mit exotischen Namen und außergewöhnlichen Maserungen hinzugekommen, aber alle dienen der gleichen Maßlosigkeit. So werden immer mehr kommen, und die neuen Erfindungen werden kein Ende nehmen, aber auch immer wieder vergehen, wie die Mode des kostbaren Murrina-Glases.

Ich gebe aber auch zu, in einem Fall habt ihr den Wahnsinn eurer Vorfahren nicht übertroffen, nämlich im Luxus der Bernsteinbecher, die wenig Nutzen haben, außer bewundert und als größte Schätze betrachtet zu werden. So lesen wir, daß Nero, der nicht nur unter den Kaisern, sondern unter allen Menschen der Grausamste war, das blonde Haar seiner Frau als „Bernstein“ bezeichnete, die er so mutwillig mißbrauchte und schließlich sogar ermordete. Unter diesem Titel schrieb er sogar ein berühmtes Gedicht, denn seltsamerweise war dieser grausame Geist den Musen gegenüber freundlich. Er nannte ihr Haar Bernstein, weil es ihm golden erschien. Was für eine grausame und unglückliche Schmeichelei für diese angesehene Frau, die dann unter seinen unbarmherzigen Fersen totgetreten werden sollte. Doch dieser Wahn für Bernstein ist dir zum Glück noch fremd, denn du hegst keine Liebe dafür und kennst seinen Wert nicht.

Petrarcameister - Von Edelsteinbechern und Trunkenheit

Walther Scheidig schreibt aus kunsthistorischer Sicht zu diesem Bild: Die Lust, aus Edelstein zu trinken, ist die These der „Freude“, die in diesem Bild illustriert wird. Personifiziert könnte man die „Freude“ in dem feisten Edelmann in der linken Bildhälfte erkennen, der einen Kristallbecher bewundernd in einer Hand hält. So bleibt die Antithese nur auf die Aussage beschränkt, daß es ein Unwürdiger ist, der sich der Schätze freut. Sonst aber gibt der Petrarca-Meister als Künstler des 16. Jahrhunderts seiner eigenen ehrlichen Bewunderung für die Meisterwerke der Goldschmiedekunst Ausdruck, wenn er sie in Reihen auf dem Schautisch stellt und sie von vorsichtigen Händen wie liebkosend herumgereicht zeichnet. Daß man dabei nicht immer mit Gewißheit sagen kann, welcher Figur die Hände angehören, ist eine bereits erwähnte Schwäche des Meisters...

Nun, ähnlich wie im vorherigen Bild sieht man auch hier wieder fünf Männer und drei Frauen in enger Gemeinschaft, so daß es nicht unbedingt eine Schwäche des Malers sein muß, wenn die Hände schwer zuzuordnen sind. Denn auch hier könnten wieder die acht Prinzipien gemeint sein, die im Inneren eines menschlichen Körpers wirken, der mit den massiven Wänden des umgebenden Hauses symbolisiert wird. Zu diesen acht Prinzipien gab es in England um 1465 sogar ein Schauspiel namens „Wisdom“. Der Schautisch im Hintergrund zeigt die angesammelten „Reichtümer“ in Form von schönen, aber leeren Gefäßen, die das Auge betrachtet und voller Stolz lobt. Links davon könnten die Sinne von Geruch und Geschmack stehen, rechts von ihm die dazugehörige Frau bzw. Kraft in Form des begehrenden Willens. Das nächste Paar wären dann Gehör und Verstand, der mit einer Geste zur Mäßigung rät, sowie Gefühl und Gedächtnis, die wie die beiden linken Personen einen Becher halten. Die drei Becher in ihren Händen könnten drei verschiedene Arten sein, wie sie Petrarca im Text anspricht.

Damit werden natürlich auch die Kräfte der Edelsteine dargestellt, wie sie auf die Sinne verschiedenartig mehr oder weniger wirken. Daß Petrarca das Gerede über diese „magischen“ Kräfte ablehnt, ist auch aus heutiger Sicht immer noch verständlich, denn es gibt wohl nichts, was der Mensch in seiner Leidenschaft nicht übertreiben, für gierige Geschäfte nutzen und damit völlig ins Gegenteil kehren könnte. Und wenn ein Mittel zur leidenschaftlichen Sucht wird, dann ist es besser, darauf zu verzichten, auch wenn es zuvor positive Wirkungen hatte, denn jetzt überwiegen die negativen. Oder wie Shakespeere schrieb: „An sich ist nichts weder gut noch böse. Das Denken macht es erst dazu...“ Aus dieser Sicht kann man die moderne Wissenschaft verstehen, wenn sie alles Geistige und Geisterhafte, das zuvor maßlos übertrieben und ausgenutzt wurde, kategorisch ablehnt. Nur sollte man auch das nicht unvernünftig übertreiben...

Vielleicht noch ein Wort zu der These von Petrarca: „Aber der egoistische Stolz ruht nie, solange er etwas über sich sieht. Von Anfang an versuchte er, Gott gleich zu werden...“ Hier sollte man sich daran erinnern, daß Egoismus und Verstand als die trennenden Prinzipien des Bewußtseins gelten und Intelligenz und Vernunft als die vereinenden. Meister Eckhart sprach dazu:

Ich sage, daß es etwas gibt, was über der geschaffenen Natur der Seele ist. Manche Pfaffen aber verstehen das nicht, daß es etwas geben soll, was Gott so verwandt und so eins ist: Es hat mit nichts etwas gemein. Alles, was geschaffen ist, das ist nichts; jenem aber ist alle Geschaffenheit und alle Erschaffbarkeit fern und fremd. Es ist ein Eines in sich selber, das von außerhalb seiner selbst nichts aufnimmt. Unser Herr fuhr gen Himmel, empor über alles Licht und über alles Verstehen und über alles Begreifen. Der Mensch, der so hinausgetragen ist über alles Licht, der wohnt in der Einheit. Darum sagt Sankt Paulus: »Gott wohnt in einem Licht, zu dem es keinen Zugang gibt (1. Tim. 6, 16)«, und das in sich selbst ein lauteres Eines ist. Drum muß der (egoistische) Mensch ertötet und völlig tot sein und an sich selbst nichts sein, aller Gleichheit ganz entäußert und niemandem mehr gleich sein, dann ist er wahrhaft Gott gleich. Denn das ist Gottes Eigenheit und seine Natur, daß er ohnegleichen und niemandem gleich ist.

1.39. Von edlen Schmuck- und Siegelsteinen

Freude: Ich liebe gravierte Steine.

Vernunft: Ich bestreite nicht, daß natürliche Schönheit durch künstlerische Dekoration erhöht werden kann und die Gravur kleiner Edelsteine mit Gesichtern und Zeichen zu den subtilsten Fähigkeiten des Verstandes zählt. Man sagt, daß der Amethyst unter den Edelsteinen am einfachsten und mit den besten Ergebnissen geschnitten wird. Unter den Edelsteinschneidern hatte Pyrgoteles den größten Namen, der als einziger von Alexander dem Großen berufen wurde, sein Abbild zu gravieren. Dieses Abbild wurde später auch von Kaiser Augustus verwendet, weil sein Siegelstein verlacht und als „geheimnisvolle Sphinx“ bezeichnet wurde, die durch übermäßige Steuerlasten viel Unmut gegen den Kaiser hervorgebracht hatte. Nach Pyrgoteles kamen an Alter und Talent Apollonides und Cronius. Und nach ihnen verbreitete Dioscurides seinen großen Ruf. Ich bin überrascht, daß Plinius über seinen Namen schwieg, als er das Werk dieses Künstlers beschrieb, denn er war es, der das Gesicht des vergötterten Augustus abbildete, das später von ihm als Siegel verwendet wurde und von vielen Kaisern nach ihm, weil sie entweder sein herrliches Angesicht verehrten oder die Handwerkskunst bewunderten.

Und nachdem wir jetzt so viel über Edelsteine gesprochen haben, die euch die Natur zur Freude als Ganzes und Festes anbietet, sowie über die Kunst ihrer Gestaltung, frage ich dich jetzt: Um wieviel mehr sollte der himmlische Glanz deinen Geist erfreuen, der so leicht ohne Kosten und Mühe zu haben ist? Und darüber hinaus auch jener, der der Ursprung des Himmels und des Lichtes ist? Die rubinroten Karfunkel, grünen Smaragde, klaren Saphire und weißen Perlen überreizen euch so sehr, daß euch die Strahlen der Sonne und der Sterne, das Grün der Erde und der Bäume, die Reinheit der Luft und der Glanz eines Sonnenaufgangs kaum noch berühren können. Ihr bewundert voller Ehrfurcht die Gesichter, die von Menschenhand in Edelsteine geschnitten wurden, aber bedenkt weder das Genie des höchsten Künstlers, noch verehrt ihr Ihn und erkennt die vielen strahlenden Wege, die zu Seiner Wahrheit führen. Denn Er war es, der die Edelsteine geschaffen hat und den Verstand, die Hände und die Augen, mit denen diese Dinge gesehen, bearbeitet und verstanden werden. Ach, warum bewundert ihr immer die nichtigen Dinge und verachtet das wahrhaft Edle?

Petrarcameister - Von edlen Schmuck- und Siegelsteinen

Auf dem Bild sieht man eine mittelalterliche Werkstatt der Steinschneidekunst, die häufig mit der Goldschmiedekunst verbunden war. Auf dem Tisch hinter einer Ladentheke liegen zahlreiche Werkzeuge. Links unter dem Blasebalg für das Goldschmiedefeuer sitzt auf einem Thron ein Kaiser mit Krone und Zepter, wie sie im Text genannt wurden. Seine Arme ruhen auf einem kostbaren Kissen, und offenbar wartet er auf die Fertigstellung seines Bildsiegels. Ihm gegenüber sitzen zwei Handwerker bei der Arbeit, und am Ende des Tisches steht eine geschmückte Vitrine mit Ausstellungsstücken. Rechts sieht man einen Steinschneider an einer rotierenden Maschine, der unter den Blicken zweier Zuschauer vielleicht ein Gefäß schleift oder einen Stein in Scheiben schneidet. Die Maschine wird über einen Mechanismus aus zwei Zahnrädern und vier Riemenscheiben mit gekreuzten Riemen durch einen jungen Mann im Hintergrund angetrieben. Dazwischen steht noch ein seltsames Gerüst, das vielleicht zu dieser Maschine gehört.

Auf symbolischer Ebene erinnert uns der Raum mit der Ladentheke wieder an einen menschlichen Körper. Rechts vom Tisch könnten die fünf Sinne tätig sein, und links sitzt die Vernunft mit dem Zepter, die achtsam über diese Tätigkeit „ent-scheiden“ sollte. Das Feuer, das Gold schmilzt und reinigt, wird gern als Symbol für die innere Reinigung benutzt, um die Essenz der Wahrheit zu extrahieren bzw. zu erkennen. Das reinigende Feuer wird mit dem Blasebalg der Vernunft angefacht, um angesammelte Sünde zu verbrennen. Diese Ansammlung könnte in der Vitrine mit den Gefäßen dargestellt sein. Die vielen Werkzeuge wären dann die Gedanken, mit denen die Sinne arbeiten. Damit entstehen die Bilder, die wir sozusagen „in Stein meißeln“ und als Erinnerung bzw. „Memoria“ ansammeln. Dazu gehört auch das Bild unserer Person, dessen Begriff nicht umsonst vom lateinischen Wort „Persona“ abstammt, das ursprünglich die Maske eines Schauspielers bezeichnete. Dieses Ansammeln innerer Bilder, das man auch „Einbildung“ nennt, galt früher als Haupthindernis auf dem Weg zur Wahrheit, und so steht nicht umsonst an dritter Stelle der zehn biblischen Gebote: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. (2. Mose 20)“ Der junge Mann im Hintergrund erinnert uns an die Kräfte der Natur und des Geistes, die im Hintergrund alles antreiben und bewegen. Die Maschine zeigt, wie hier alles ineinander greift und durch das Prinzip von Ursache und Wirkung miteinander verbunden ist. Und schließlich gibt es im Vordergrund sogar eine kleine Tür, durch die man diese „Körperwerkstatt“ und damit auch das ganze Bild verlassen kann, denn es heißt, wer diese innere Funktionsweise in sich selbst erkennt, kann sie auch beherrschen und überwinden. Eine wunderbare Symbolik! Damit stellt sich der Petrarca-Meister offenbar auch der Herausforderung, ein Bild zu malen, um die Anhaftung an Bilder zu überwinden.


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