Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

1.40. Von bemalten Tafeln

Freude: An bemalten Tafeln erfreue ich mich.

Vernunft: Ein eitles Vergnügen! Diese Üppigkeit ist weder dadurch geringer, daß sie sich oft bei hochgestellten Personen findet, noch dadurch erträglicher, daß sie althergebracht ist. Denn ein schlechtes Vorbild wird dann besonders schlimm, wenn es durch Dauer zunimmt - sei es wegen seiner Urheber Gewicht, sei es wegen seines Alters, sei es die Macht einer Gewohnheit - woher es auch stamme. Wie das Alter Gutes besser macht, so macht es Schlechtes auch schlechter. Wenn ihr eure Vorfahren in eitlem Tun leichthin übertrefft, so geb’s doch Gott, daß ihr ihnen in ernstem Tun gleichkämet und mit ihnen Tugend und Ehre hoch bewundertet. Doch ihr gleicht ihnen nur in der Bewunderung von bemalten Tafeln.

Freude: Ich bewundere nun mal bemalte Tafeln sehr!

Vernunft: Oh dieser verwunderliche Unsinn der Menschenseele, die alles bewundert, nur nicht sich selbst, wo doch in allen Werken nicht nur der Kunst, sondern auch der Natur, nichts bewundernswerter ist!

Freude: Ich ergötze mich an bemalten Tafeln.

Vernunft: Was ich davon halte, hättest du aus meinen bisherigen Worten ersehen können: Alles irdische Freuen sollte sich ja doch, wenn es von Vernunft geleitet ist, zur himmlischen Liebe erheben und an den Ursprung gemahnen. Denn wer, bitte schön, hätte je, wenn ihn nach einem Bache gelüstet, dessen Quelle mißachtet? Aber ihr seid träge der Erde geneigt, haftet an ihr an und wollt nicht zum Himmel aufschauen. Ihr vergeßt den Schöpfer von Sonne und Mond und schaut lustvoll die flachen Gemälde des Ornats von Sonne und Mond an. Hierauf richtet ihr euren Verstand anstatt auf den Zugang zu höheren Dingen.

Freude: An bemalten Tafeln habe ich größte Freude.

Vernunft: Ja, an Pinsel und Farben hast du Freude, womit sich die Kunst ausdrückt, dazu Vielfalt und sorgsame Verteilung der Farben: So wird an Totem das Lebendige gefesselt, und in starren Bildern die Bewegung. Es erscheinen aus dem Rahmen drängende Gestalten und die Wiedergabe atmender Züge, so daß du geradezu erwartest, daß Stimmen hervorkommen. Und eben hierin liegt die Gefahr, daß hiervon große Geister ganz besonders in den Bann geschlagen werden, so daß an dem, woran ein Grobsinniger mit belustigtem und kurzem Verwundern vorübergeht, ein Feinsinniger sich mit einem Seufzer der Verehrung nicht losreißen kann.

Es wäre mühsam und ist auch nicht Aufgabe dieses Werkes, von den Anfängen an den Ursprung und die Entwicklung der Kunst aufzudecken, dazu die wundervollen Werke und der Künstler Fleiß und der Mächtigen Wahn und die enormen Preise, zu denen sie dergleichen aus Übersee erwarben, um damit in Rom die Göttertempel, Kaisergemächer, öffentlichen Plätze oder Portale zu weihen. Doch das ist noch nicht genug, sie haben dieser Kunst auch ihre Hände und gar ihren Geist geweiht, der doch eigentlich einem höheren Tun bestimmt ist, was bereits die edelsten Philosophen Griechenlands getan haben. So kam es, daß die Malerei bei euch schon lange der äußeren Natur zugewandt war und zur größten Handwerkskunst wurde, während sie bei den Griechen (so man Plinius Glauben schenkt) unter den freien (geistigen) Künsten an erster Stelle stand.

Ich lasse dies auf sich beruhen, weil es der angestrebten Kürze und der vorliegenden Thematik womöglich widerstrebt. Es könnte ja scheinen, daß es eben die Krankheit, für die ich ein Heilmittel in Aussicht stellte, befördere und daß die Berühmtheit dieser Gegenstände den Wahn des Gaffenden entschuldige. Ich sagte allerdings bereits, daß die Prominenz der Irrenden ihr Irren keineswegs mindere. Vielmehr habe ich dies Thema darum berührt, um zu verdeutlichen, wie mächtig dieses Übel ist, zu dem sich so viele und bedeutende Geister zusammengefunden haben, und dem die Menge - allen Irrens Ursprung - und die lange Zeit - die Mutter der Gewohnheiten - und stets die Hauptursache allen Übels - die Popularität - beisprangen, so daß Lust und Bewunderung die Geister allmählich von der Betrachtung des Höheren abwenden und zerstreuen.

Du aber, sollte dies Wahnschaffende und Schattenhafte mit seinem leeren Schein dich immer noch erfreuen, erhebe die Augen zu Ihm, der des Menschen Haupt mit Sinnen, die Seele mit Verstand, den Himmel mit Gestirnen und die Erde mit Blumen bemalt hat, und du wirst verachten, die du für Künstler anstauntest.

Petrarcameister - Von bemalten Tafeln

Hier sieht man zunächst die Wunder und die Würde der Malerei-Kunst. Vorn rechts portraitiert ein alter Meister einen reichen Patrizier, der einen Rosenkranz in der Hand hält. Am rechten Rand werden mühsam Farben gerieben. Dahinter wird eine Skulptur vermutliche der heiligen Katherina bemalt. Und links wird ein übergroßes Kunstgemälde gezeichnet, dessen reife Weintrauben sogar die Vögel anziehen, um daran zu naschen. Ähnlich hat sich vor dem Bild auch das staunende Publikum verschiedenster Stände versammelt, um den Anblick zu genießen.

So sieht man hier das breite Spektrum der Malerei, von der handwerklichen Herstellung über die religiöse Kunst zur Anbetung bis zu den Portraits stolzer Menschen und dem Versuch, die lebendige Natur in gemalten Bildern zu fassen. Das Ganze geschieht in einem engen künstlichen Raum, der von einem dünnen Brett in der Mitte gestützt wird, im Gegensatz zu den Weiten der Natur. Der seltsame Geist der damit entstehen kann, wird im Text eingehend beschrieben. Im Bild erscheint er als weiße Tauben. Während die rechte auf der oberen Stange noch wegschauen kann, werden die andern drei zunehmend vom künstlichen Bild angezogen. Die Tauben erinnern an den heilsamen bzw. Heiligen Geist, der mehr und mehr von der Kunst ergriffen wird, bis er sogar von den künstlichen Früchten naschen will. Eine ähnliche Symbolik kennen wir aus der indischen Mundaka Upanishad, wo es heißt: „Zwei Vögel sitzen auf dem gleichen Baum. Der eine nascht von der süßen Frucht, der andere schaut gelassen zu.“ - Wichtig ist, daß auch in der Kunst die Vernunft nicht verlorengeht, die vermutlich im Zentrum dieses Bildes in Form des alten Weisen mit dem Bart dargestellt wird, der sich hinter der staunenden Menge noch zurückhalten kann.

Damit wird das Thema der inneren Bilder und der egoistischen „Einbildung“ fortgesetzt, das in den letzten Kapiteln mehr und mehr entwickelt wurde. Besonders die Bildung der Person bzw. „Persona“ als äußerliches Bildnis wird hier im Vordergrund deutlich dargestellt. Bei Meister Eckhart heißt es:

Jedwede »Einbildung« von »Bildern« und Vorstellungen, jedes Haften am äußeren Zeichen und genießende Schauen hindert dich am Erfassen des ganzen Gottes... Du sollst ihn bildlos erkennen, unmittelbar und ohne Gleichnis. Soll ich aber Gott auf solche Weise unmittelbar erkennen, so muß ich schlechthin er, und er muß ich werden. (Predigt 42)

1.41. Von kunstfertigen Statuen

Freude: Ich habe auch Lust auf kunstfertige Statuen.

Vernunft: Die Kunst ist zwar eine andere, aber der Wahn der gleiche, und es haben eben diese Künste ein und dieselbe Quelle, ein und dasselbe Ziel, nur das Material ist verschieden.

Freude: Mir machen die Statuen Freude!

Vernunft: Zumindest nähern sich diese mehr der Natur als gemalte Bilder, die nur einen Augenschein erwecken. Man kann sie berühren, sie haben einen dichten und soliden und darum dauerhafteren Körper, weswegen von den Gemälden der Alten kaum eines erhalten ist, von ihren Statuen aber zahllose. Daher denn unser Zeitalter, in vieler Hinsicht im Irrtum, als Erfinderin der Malerei erscheinen möchte oder - was dem Erfinden am nächsten - als deren glänzendste Vollenderin und Ausgestalterin. Und dies, obgleich diese Kunst bezüglich jeglicher Gattung der Skulptur nicht zu leugnen wagt, wiewohl sonst leichtfertig und schamlos, daß sie bei weitem unterlegen ist. So gibt es wohl auch nur eine einzige Kunst oder besser eine einzige Quelle der verschiedenen Künste - ich meine die Gestaltung - womit eben diese Künste insgesamt zweifelsohne gleichaltrig sind und zur gleichen Zeit ihre Blüte hatten (es hatte ja ein und dasselbe Zeitalter einen Apelles, einen Pyrgoteles und Lysipp). Das erklärt, weshalb der übermäßige Stolz Alexanders des Großen eben diese aus allen übrigen auswählte, von denen der erstgenannte ihn malen sollte, der zweite ihn schnitzen, der dritte modellieren und ausmeißeln sollte, wobei durch Gesetz allen verboten wurde, im Vollgefühl der eigenen Begabung und Kunstfertigkeit das Aussehen des Königs irgend anzutasten. Doch dieser Wahnwitz ist darum nicht geringer als die übrigen, vielmehr ist jede Krankheit desto schlimmer, je fester das Material, auf das sie sich stützt.

Freude: Trotzdem erfreue ich mich an Statuen!

Vernunft: Du mußt nicht glauben, daß du allein irrst oder nur mit gemeinen Gleichgesinnten zusammen, denn wie hoch einst das Ansehen von Statuen war und wie groß bei den Alten und hochberühmten Männern das eifrige Verlangen nach ihnen, das läßt sich an deren emsiger Suche, Verehrung, Bewachung und Weihung durch Kaiser und Könige wie Augustus und Vespasian sowie andere bedeutende Männer beurteilen, die alle aufzuzählen langweilig und aufdringlich wäre. Hinzu kommt der große Ruhm der Künstler, der nicht von einfachen Leuten oder nur aufgrund von stummen Werken, sondern auch von weithin tönenden Schriften der Autoren verbreitet wird und der, wie es scheint, in seiner Größe keinesfalls aus einer geringen Wurzel herkommen konnte. Ein großer Name entsteht ja nicht aus nichts, es muß schon großartig sein und von den Großen beachtet werden, wovon die Großen so ernsthaft handeln. Doch auf all diese Fragen wurde schon oben geantwortet, und zwar zielen sie darauf, dich zu der Einsicht zu führen, mit welchen Argumenten man einem so alten und starken Wahn begegnen kann.

Freude: Ich ergötze mich an verschiedenartigen Statuen.

Vernunft: Unter den Kunstfertigkeiten, welche mit der Hand die Natur nachahmen, gibt es eine, die man Plastik genannt hat. Sie arbeitet mit Gips und Wachs, dazu mit irdenem Ton. Zwar sind alle Künste miteinander verwandt, diese aber ist der Tugend und rechten Mäßigung am wenigsten feindlich, denn diese zieht die irdenen Bilder der Götter und Menschen den goldenen vor. Dennoch: Was hier ergötzlich ist, warum du wächserne oder irdene Gesichter liebst, verstehe ich nicht.

Freude: Mich ergötzen edle Statuen.

Vernunft: Den Einfluß von Habgier spüre ich hier am Werk: ich denke, dir gefällt vor allem der weltliche Wert und nicht die geistreiche Kunst. Eine einzige Statue aus Gold von nur mittelmäßiger Qualität sei, so meinst du wohl, vielen aus Bronze und Marmor, noch viel eher irdenen vorzuziehen, und das hat auch seinen Grund angesichts der heutigen Wertvorstellung. Aber das heißt das Gold lieben, nicht die Statue. Eine solche kann doch wie aus billigem Material edel, so aus reinem Gold roh ausfallen. Wie hoch würdest du den Wert eines Standbildes einschätzen, etwa jener Gold-Statue des Assyrerkönigs von sechs Ellen Höhe, die nicht anzubeten die Todesstrafe nach sich zog (um die Anbeter irre zu machen), oder den der anderen von vier Ellen, von der du lesen kannst, daß sie - und das ist erstaunlich genug! - aus einem riesigen Topas für die Königin Ägyptens gearbeitet war? Vermutlich wärest du dabei nicht eifrig bemüht zu erfahren, welcher Meister sie gemacht hat, sondern zufrieden mit der Erkundigung nach dem Material.

Freude: Kunstfertige Statuen erfreuen das Auge.

Vernunft: Ja, es waren einst die Statuen Verbildlichungen der Tugenden, jetzt sind sie Reize für das Auge. Sie wurden aufgestellt zu Ehren derer, die Großes vollbracht oder für das Gemeinwesen zu Tode kamen, so wie die (Statuen), welche beschlossen wurden zum Andenken an die vom König der Fidenaten ermordeten Gesandten oder die für Africanus, den Befreier Italiens, die er aber in seiner Souveränität und vielbewährten Bescheidenheit nicht annahm, aber freilich nach seinem Ableben nicht gut abzulehnen vermochte. Sie wurden zu Ehren von begabten und gelehrten Männern aufgestellt - z.B. lesen wir von einer zu Ehren des Victorinus - heute aber werden sie errichtet für Reiche, die mit teurem Marmor aus dem Ausland handeln.

Freude: Mir gefallen nun einmal kunstreiche Statuen.

Vernunft: Kunst nimmt wohl jeder Werkstoff an. Ich spüre allerdings, daß dies dein Verstand voller Ehrgeiz ist, der damit versucht, die Materie vollkommen zu machen. Doch das ist noch nicht das Gold (bzw. das Wahre) eines (vollkommenen Meisters wie) Phidias. Es ist der Ehrgeiz, die Habe des Erdreichs, auch wenn sie wie rotes Gold erscheint, als etwas Wahres zu adeln. Dazu dienen Amboß, Hämmer, Zangen, Kohlen, Begabung und Fleiß des Handwerkers. Nun bedenke, was daraus einem Menschen an Wünschenswertem und wahrhaft Großartigem und Schönem geschehen könnte.

Freude: Ich kann nicht anders: Statuen erfreuen mich.

Vernunft: Sich am Geist der Menschen zu erfreuen, wenn es in Maßen geschieht, kann man hinnehmen, besonders wenn sie geistig vortrefflich sind. Denn wo nicht der Neid entgegensteht, ehrt jeder im anderen einfach das, was er in sich selbst liebt. Auch seine Freude an heiligen Bildwerken, welche die Betrachter an die Himmelsgaben gemahnen, ist oftmals fromm und durch das Aufwecken des Gemütes nützlich. Die Grobsinnigen aber, auch wenn sie zuweilen etwas bewegen und zur Tugend aufrichten, so ein löbliches Gemüt in Anbetracht adliger Dinge erwärmt wird, sollte man nicht übermäßig lieben oder ehren, auf daß man nicht Zeuge der Dummheit oder Diener der Habgier oder unheilsamen Glaubens wird und gegen jenen berühmten Lehrsatz verstößt: „Hütet euch vor Bildnissen!“ (Custodite vos a simulacris (1. Johannes 5.21) Du sollst an keinem Götterbild und keiner Einbildung anhaften! Vermutlich auch in Bezug auf die zehn Gebote der Bibel.)

In Wahrheit jedoch, wenn du von hier zu Jenem aufblickst, der die feste Erde, das bewegte Meer und den umlaufenden Himmel machte und der nicht Statuen sondern wahre und lebendige Menschen und die Vierbeiner auf Erden, Fische im Meer und am Himmel Vögel schuf, dann wirst du wohl den Protogenes und Apelles, ebenso auch Polyklet und Phidias fahren lassen!

Petrarcameister - Von kunstfertigen Statuen

Hier sieht man die Werkstadt eines mittelalterlichen Bildhauers. Rechts wird die Statue einer Frau mit vor der Brust gefalteten Händen gerade vollendet. Links wird die Arbeit eben begonnen. In der Mitte steht ein Jüngling in modischer Tracht mit dem Dolch am Gürtel an einem Steinblock, wo vielleicht die ersten Vorstellungen und Zeichnungen entstehen. Am hinteren Rand sieht man drei vollendete Arbeiten, vermutlich einen König, einen Orientalen und einen Propheten. Dazwischen findet man verschiedenste Werkzeuge, wie Zirkel, Winkel, Meßlatten, Meißel, Hämmer und sogar einen einbeinigen Schemel links unten. Der Raum, der von starken antiken Säulen gestützt wird, wirkt wesentlich weiter als der enge Raum im vorhergehenden Bild zur Malerei, wie auch Petrarca meint, daß die dreidimensionale Kunst einen weiteren Geist hat, als die zweidimensionale.

Aus geistiger Sicht könnte man in den fertigen Statuen, die im Hintergrund aufgestellt sind, den höheren Sinn bzw. Hintergrund der Gestaltung und Verkörperung in der materiellen Natur sehen, nämlich Vernunft, Weisheit und Intuition bzw. Weitsicht. Und im Vordergrund sind die Wege der Gestaltung sowie die Mühe und die Werkzeuge symbolisch angedeutet. Der Jüngling beginnt die Gestaltung mit den ersten Entwürfen, der Erwachsene schafft die groben Konturen, und der Ältere arbeitet bereits an den Feinheiten, vermutlich auf dem christlichen Weg zur Erlösung.

Die seltsame Perspektive des rechten Winkels, der links auf dem Steinblock liegt, ist sicherlich auch kein Zufall und soll dem Betrachter auffallen. Seine Spitze ist optisch mit dem Sockel des Königs verbunden, wie auch das rechte Maß die Grundlage der Vernunft ist. Ähnlich kann man über die anderen Werkzeuge nachdenken, wie auch über die vielen Abfallsteine, die auf den Wegen herumliegen.

1.42. Von korinthischen Gefäßen

Freude: Wer würde nicht die korinthischen Gefäße (aus Kupfer bzw. Bronze) lieben?

Vernunft: Wer an himmlische Dinge gewöhnt ist, wird von irdischen nicht bewegt. Sie alle zusammen sind ihm wenig nützlich, kaum anziehend und schließlich mehr verdrießlich. Wie kann ein Geist, der sich seines Ursprungs erinnert, das Graben in der dunklen Erde bewundern und das loben, was dort ausgegraben wird, wenn er Himmel, Sonne, Sterne und sich selbst sehen kann? Und mehr noch, wenn er darin den höchsten Schöpfer sieht, der alles geschaffen hat?

Freude: Ich mag aber korinthische Gefäße.

Vernunft: Ist dir klar, daß du nicht nur eine kalte Totgeburt der Erde liebst, sondern auch das Werk eines rußbedeckten und unflätigen Schmieds, das von der Beute Roms übriggeblieben ist? Erinnere dich der Geschichte: Als Mummius die Stadt Korinth mit Waffengewalt eroberte, plünderte und niederbrannte, schmolzen viele der Statuen aus Gold, Silber und Bronze, die einst im alten Korinth so zahlreich waren und den Händen der Eroberer irgendwie entkamen. Sie schmolzen in den Flammen, so daß alle Arten von Metallen in einem Strom zusammenflossen. Dies war der Ursprung dieser kostbaren Gefäße, und so erhielt dieser Luxus seinen Namen vom Ruin einer ganzen Stadt. Nicht daß die unsinnige Leidenschaft in dieser Stadt entstand, aber das Material für diesen zukünftigen Wahn wurde dort geschaffen. In diesem Sinne gilt Korinth als Quelle solchen Wahnsinns. Heute kommen jene Gefäße aus Damaskus und betören deine Augen und deinen Geist.

Freude: So erfreue ich mich an korinthischen Gefäßen.

Vernunft: Darüber wäre ich mehr erstaunt, wenn ich nicht bei den Besten der Autoren gelesen hätte, daß Kaiser Augustus, der einer der Bescheidensten und Ernsthaftesten war, von der gleichen Leidenschaft besessen und getrieben wurde, daß es heißt, er habe wegen solcher Gefäße sogar einige Männer aus der Regierung verbannt, weshalb ihn eine heimliche Inschrift auf seiner berühmten Statue „korinthisch besessen“ nannte. Eine wahrlich große Schande für diesen sonst so vorzüglichen Herrscher! Wenn dies wahr ist, was war dann der Unterschied zwischen diesem Besten aller Männer und Antonius, dem übelsten, wenn nicht die Tatsache, daß Augustus sein Verbrechen aus viel geringeren Gründen begangen hat? Doch jede Sünde ist schwerwiegender, je größer der Täter und je geringer der Grund für die Straftat ist. Vor allem berühmte Herrscher können den Wunden der Zungen und Federn im Urteil der Menschen nicht entkommen, im Gegenteil, sie brennen um so feuriger. Das geschwätzige Volk schont nicht die Fehler und Übeltaten der Könige. Wenn sie auch die öffentliche Anklage scheuen, so gebrauchen sie doch im Geheimen ihre Freiräume, tuscheln im Verborgenen, murren im Dunkeln, senden ihre Zweifel gen Himmel, schmähen an Kreuzungen, bekritzeln Statuen, klagen dem Wind, weinen im Stillen, rollen die Augen und zischeln mit ihren Zungen. So erwachsen aus geringen Gründen oft große Schäden und dunkle Schatten über strahlenden Namen. Wenn das schon den Großen geschieht, worauf kann der Kleine hoffen, der die Zügelung lieben und den Überfluß verachten sollte?

Freude: Ich erfreue mich trotzdem an korinthischen Gefäßen.

Vernunft: Wenn du dein Herz vor Irrtum und deine Augen vor der strahlenden Pracht bewahren könntest, würdest du erkennen, um wieviel mehr die irdenen den korinthischen Gefäßen vorzuziehen wären, wieviel einfacher sie herzustellen, zu verwenden und zu erhalten sind, wieviel sicherer sie wären und wieviel besser sie der menschlichen und göttlichen Befriedigung dienen würden. Bezüglich der Sicherheit hätten die Männer, die Kaiser Augustus verbannt hatte, wesentlich sicherer gelebt, wenn sie keine korinthischen Gefäße besessen hätten. Bezüglich des Gottesdienstes zweifle weder ich noch Seneca daran, daß Er mit irdenen Gefäßen verehrt, dem Menschen wesentlich gnädiger wäre. Und bezüglich des Gebrauchs von irdenen Gefäßen ist sicher, daß Tuberos durch deren öffentliche Verwendung und dem blinden Urteil des Volkes großen Schaden erlitt und sogar sein Richteramt verlor. Valerius Maximus entschuldigte diese Tat des Volkes und vertrat die Ansicht, daß irdene Gefäße bei öffentlicher Verwendung unerträglich seien. Ich stimme jedoch Seneca zu, der solche Gefäße lobt, weil sie den alten römischen Sitten entsprechen, als noch Mäßigung geübt wurde. Sowohl der kleine Hausvater wie auch der große Herrscher sollten in einem wohlgeordneten Staat solche Mäßigung üben und innerhalb der vernünftigen Grenzen bleiben, die für diese Erde und ein friedliches Leben förderlich sind.

Wenn also Aelius Tubero, der damals dem Schrein des Jupiters irdene Gefäße darbrachte, die seine Genügsamkeit und Mäßigung zeigten, und wie Seneca sagte, „die Armut dem höchsten Tempel geweiht hatte“, die Augen eines befangenen Publikums beleidigte, war es nicht die Schuld dieses unerschütterlichen Bürgers, sondern der Zeit. Denn die althergebrachte Mäßigung war einem verweichlichten Luxus gewichen, der begann, Becher aus Gold und Edelstein zu bewundern, silberne Teller mit Schmuckgirlanden, Schüsseln mit Weinlaub verziert, Brotteller mit Efeu graviert und dergleichen unsinniges Zeug, die Kaiser Sabienus (bzw. Caligula) seinem Nachfolger Claudius zusammen mit anderen Zeugnissen des Wahnsinns vererbte und der eigenen Pracht dienen sollten. Doch heutzutage werden nicht nur Girlanden, Weinlaub und Efeu in Gold und Silber graviert, sondern ganze Wälder mit ihren Bewohnern, jegliche Bäume, Tiere, Vögel und Menschengesichter und was sonst das Auge gesehen, das Ohr gehört und der Verstand erdacht hat. Aber es wird aus Gewohnheit schon kaum noch bewundert, und eure Gier richtet sich mehr auf die Edelsteine, von denen wir gesprochen haben.

Was soll man dazu noch sagen? Wenn der Stolz immer größer wächst, verblaßt sogar das Gold. Die korinthischen Gefäße, die du jetzt preist, wurden früher verachtet, und diese Verachtung unwichtiger Dinge war lobenswert. Denn die Edlen verwerfen jede unheilsame Anbetung weltlicher Schätze.

Freude: Ich bewundere aber korinthische Gefäße.

Vernunft: Wie ihr die Stadt Korinth mit euren Fackeln äußerlich verbrannt habt, so hat euch das Feuer der Stadt innerlich verbrannt, und die Zerstörung ihrer Mauern hat sich tief in deiner Seele gerächt. Das ist nichts Neues. Immer wieder haben die Römer fremde Völker besiegt und wurden im Gegenzug von den fremden Lastern erobert. So haben euch auch die Eroberer Asiens, Scipio Asiaticus und Manlius Volso, mit asiatischen Genüssen, purpurnen Sofas, goldenen Gewändern, exquisiten Möbeln und noch mehr mit ihren exotischen Speisen und Köchen ruiniert. In gleicher Weise wurde Pompeius von Edelsteinen und Perlen besiegt und Mummius von Gemälden und korinthischen Gefäßen. Während eure Feldherren über den Feind triumphierten, triumphierten die feindlichen Laster über euch.

Freude: Ich liebe es aber, korinthische Gefäße zu benutzen.

Vernunft: Weder korinthische noch goldene Gefäße machen das Essen besser, noch wird es in Samos-Gefäßen (Tongefäßen) geschmackloser. Deine Begierde hat nichts mit der Qualität der Dinge zu tun, sondern mit einer Krankheit des Geistes, oder sie ist die Krankheit selbst. Und damit du dir helfen kannst und daran geheilt wirst, rate ich dir, die Sorge um so viele nutzlose Gefäße mit einer nützlichen und heilsamen zu ersetzen: Lerne dein eigenes Gefäß (deinen Körper), wie geschrieben steht, in Heilung und Ehre zu besitzen und nicht in der Leidenschaft der Begierden. (Bibel, 1. Thessalonicher 4.3: Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, und daß ihr meidet die Hurerei und ein jeglicher unter euch wisse sein Gefäß zu behalten in Heiligung und Ehren, nicht in der Brunst der Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.)

Petrarcameister - Von korinthischen Gefäßen

Im Hintergrund dieses Bildes sieht man die im Text erwähnte Stadt Korinth, aus deren Stadttoren die geschmolzene Bronze fließt. Links davon wird das Erz in der dunklen Höhle der Erde abgebaut, mit Wagen heraustransportiert und vermutlich gewaschen. Im Vordergrund sieht man eine entsprechende Werkstadt mit vielen Werkzeugen, wo rechts das Metall geschmolzen, in der Mitte in Form gegossen und vorn mit Werkzeugen bearbeitet wird. Daraus entstehen die korinthischen Gefäße aus einer Art Bronze, die man damals so liebte.

Auf symbolischer Ebene beginnt der Petrarca-Meister sein Bild vermutlich mit der Frage von Petrarca: „Was liebst du an den leblosen Schätzen, die aus der dunklen Erde gegraben werden?“ Dabei erinnern uns die vier Bergleute an die vier Elemente von Erde, Wasser, Feuer und Wind, mit denen man damals die Phänomene der materiellen Welt relativ gut erklären konnte. Der Raum der Werkstatt erinnert uns an den menschlichen Körper mit den fünf Sinnen, die darin mit den Werkzeugen der Gedanken arbeiten. Damit wird die äußerliche Materie sozusagen in Geist geschmolzen, in die Formen von Begriffen, Kategorien usw. gegossen und entsprechend weiterverarbeitet und als persönlicher Reichtum zum „Kaufen und Verkaufen“ angesammelt. Der Hintergrund von allem ist die leidenschaftliche Begierde, die als brennende Stadt höchst symbolisch dargestellt wird und für den Fluß von „Stirb und Werde“ sorgt.

In dieser Werkstatt wird auch die Verbundenheit der vier Elemente von Wind, Feuer, Wasser und Erde in Form von Blasebalg, Schmelzfeuer, Schmelze und erstarrter Bronze symbolisch dargestellt. Im Gegensatz zu den heutigen chemischen Elementen ging es bei den vier Elementen weniger um die stoffliche Unterscheidung, sondern um das Wesenhafte in der Erscheinung, und wir würden heute mehr von vier grundsätzlichen Aggregatzuständen sprechen. Die mittelalterliche Vier-Elemente-Lehre wird in der heutigen Wissenschaft vor allem auf die griechischen Philosophen zurückgeführt und mit der Frage nach dem Urstoff bzw. der Quintessenz verbunden, der allen Elementen zugrunde liegt. Dabei wird oft vergessen, daß die Elemente-Lehre auch eine uralte Tradition in Indien hat und in fast allen Veden, Puranas und Epen überliefert wurde. Dort sah man den Urstoff der vier Elemente bereits im Äther bzw. Raum als fünftes Element, wie es später auch Aristoteles erklärt hatte. Darüber hinaus ging man noch viel tiefer und legte den fünf Elementen noch das Ichbewußtsein, die universale Intelligenz und schließlich den Höchsten Geist bzw. Gott zugrunde (siehe z.B. Vayu Purana 1.4). Dieser geistige Hintergrund der materiellen Elemente läßt sich auch im Text von Petrarca und im Bild des Petrarca-Meister wiederfinden.

Aus geistiger Sicht geht es vor allem darum, wie in dieser geistigen Werkstatt des Körpers unsere seltsamen Wertvorstellungen mit den dazugehörigen Illusionen und Anhaftungen geschaffen werden. Das Ganze geschieht normalerweise unbewußt, so daß der Mensch von diesem Prozeß auch unbewußt beherrscht wird. Deshalb waren solche Bilder sehr nützlich, um den Prozeß bewußt zu machen und beherrschen zu lernen. Damit gleicht diese Werkstatt jener in Bild 1.39, nur fehlt hier noch die Vernunft im Bild, weshalb wohl auch kein befreiender Ausgang aus dieser sinnlichen Werkstatt und der körperlichen Bindung in der vorderen Mauer gezeichnet wurde.

1.43. Von der Menge und Fülle der Bücher

Freude: Ich besitze viele Bücher.

Vernunft: Es paßt gut, daß das Gespräch hierauf kommt. Denn wie manche die Bücher zum Lernen erwerben, so kaufen sie andere, um damit zu prahlen. Es gibt etliche Leute, die damit ihre Kammern zieren, obwohl sie doch zum Schmuck des Geistes erfunden wurden. Sie gebrauchen sie nicht anders als schöne Vasen, Gemälde, Statuen und ähnliches, worüber wir bereits gesprochen haben. Für manche sind Bücher ein Vorwand, unter dem sie ihrer Habgier frönen. Das sind die Schlimmsten von allen, denn sie schätzen Bücher nicht nach ihrem geistigen Wert, sondern als Handelsobjekte. Das ist eine schreckliche Pest, die aber noch neu ist und sich erst vor kurzem in die Interessen der Reichen eingeschlichen zu haben scheint als ein zusätzliches Werkzeug ihrer Begehrlichkeit und eine zusätzliche Kunst.

Freude: Ich besitze eine schöne und reiche Büchersammlung.

Vernunft: Das ist wunderbar, eine lustige Bürde und eine wunderbare geistige Zerstreuung.

Freude: Ja, ich habe eine Unmenge an Büchern.

Vernunft: Damit auch eine Unmenge Arbeit und Armut an Ruhe! Hierhin und dorthin muß sich der Geist im Kreise drehen, bald mit diesem, bald mit jenem muß sich dein Gedächtnis belasten. Soll ich dir's ehrlich sagen? Bücher haben manche zum Ufer der Weisheit und manche in den Wahnsinn geführt. Schluckt man mehr, als man verdauen kann, dann geht es dem Geist wie dem Magen: Überfülle schadet mehr als Hunger, und wie der Genuß von Speisen so ist der von Büchern je nach der Beschaffenheit des Bedürftigen einzuschränken. So ist es in allen Dingen: Was für den einen zu wenig ist, ist für den anderen zu viel. Daher sucht der Weise die Dinge nicht im Überfluß, sondern nur soviel, wie nötig. Denn Überfluß ist schädlich, Genügsamkeit stets von Nutzen.

Freude: Ich habe unermeßlich viele Bücher.

Vernunft: „Unermeßlich“ nennen wir, was kein Maß hat. Was aber aus dem Rechten und Tugendhaften wird, wenn das Maß in den menschlichen Dingen fehlt, das ermiß selber! Sogar in dem, was als das Beste gilt, ist die Unermeßlichkeit und Unmäßigkeit zu meiden, und immer sollte man sich den Spruch vor Augen halten: „Zuviel ist ungesund!“ (Ne quid nimis! - Nichts im Übermaß!)

Freude: Wahrlich, ich habe unschätzbar viele Bücher.

Vernunft: Etwa mehr als König Ptolemaios Philadelphos in Ägypten? Von ihm weiß man, daß er in seiner Bibliothek zu Alexandria vierzigtausend Bücher angehäuft hatte, die jedoch, nachdem er sie sich aus verschiedensten Orten lange mit großem Eifer beschafft hatte, alle zugleich verbrannten. Livius sagt, dies war ein vortreffliches und liebenswürdiges Werk von Zierde und königlicher Sorgfalt. Ihn tadelt Seneca, wenn er sagt, so etwas sei kein vortreffliches Werk königlicher Sorgfalt, sondern erlesene Verschwendung, ja, nicht aus Liebe zur Weisheit, sondern zur eigenen Ehre und Pracht. Vielleicht ließen sich der Spruch von Livius und das Werk von Ptolemaios noch mit dem üblichen Schatzbesitz der Könige entschuldigen. Möge es auch löblich sein, daß er die Heilige Schrift (die fünf Bücher von Moses), die der Welt nicht nur nützlich sondern auch nötig ist, mit viel Fleiß und hohen Kosten durch auserwählte Männer aus der hebräischen Quelle ins Griechische übersetzt hat.

Wie unschätzbar ist nun dein eigenes Werk, das der königlichen Pracht nicht nur gleichkommen sondern sie noch übertreffen soll? Da lesen wir auch von Serenus Sammonicus, ein Mann mit großer Kunst und noch größerem Fleiß, der viel Bildung und noch viel mehr Bücher besaß, daß er 62.000 Bücher in seinem Testament dem Kaisersohn Gordianus II vermacht hat, mit dessen Eltern er sehr befreundet war. Ja, das war schon eine gewaltige Erbschaft, die für eine große Schar Gelehrter ausgereicht hätte. Wer wöllte bezweifeln, daß es ihn allein völlig überforderte. Ich frage dich: Was hat er in seinem Leben geschafft, ohne sich des Erforschens und Schreibens zu befleißigen? Anstatt die Bücher, die ihm vermacht wurden, zu lesen und zu verstehen, hat er nur damit zu tun gehabt, sie alle zu betrachten, aufzulisten und zu zählen. Ei, was ist das für eine hübsche Kunst, die aus einem Gelehrten einen Buchverwalter macht! Glaube mir, das heißt nicht, den Geist durch Schriften ernähren, sondern ihn durch die Masse töten und verschütten, oder anders gesagt, die bedürftige Seele inmitten von Wasser unter den Höllenqualen des Durstes leiden oder in der Fülle verhungern zu lassen.

Freude: Ich besitze wirklich unzählige Bücher.

Vernunft: Und damit auch unzählige Irrtümer, die durch untugendhafte und ungelehrte Schreiber entstehen. Manche über Geistlichkeit, Gutheit und Heilige Schrift, andere über die Natur, Recht und Sitte sowie über die freien Künste, Geschichte und Erlebnisberichte. Und das alles widerspricht sich in vielem und das vor allem, wenn es um die großen Dinge geht, wo sich Irrtum und Wahrheit vermischen. Das erschwert das Verständnis und birgt viele Gefahren. Auch wenn es keine völlig vollkommenen Lehrer gibt, wer könnte heilen, was unwissende und unverständige Lehrer einmal verdorben und verwirrt haben? Ich vermute, aus Furcht davor haben schon viele große Denker von großen Werken abgelassen, was unserer trägen Zeit ganz recht geschieht, die sich mehr um die Küche kümmert als um das Geschriebene, zumindest prüft sie mehr die Köche als die Schriftsteller.

Heute will jeder, der etwas auf Pergament zu malen und die Feder geläufig zu führen gelernt hat, als Schriftsteller gelten, wie unwissend in aller Lehre, mangelhaft im Verstand und dürftig in der Kunst er auch sein mag. Ich will mich auch über die Rechtschreibung nicht weiter beklagen, die längst untergegangen ist. Ach, würden sie doch wenigstens klar hinschreiben, was sie meinen, dann würde wenigstens die kindliche Unwissenheit der Schreiber deutlich und ihr Wesen würde nicht verborgen bleiben. Dagegen versuchen sie durch das Verstricken und Vermischen verschiedener Texte ein Ganzes zu schreiben und verwirren alles, daß man seine eigenen Texte nicht mehr wiederkennt. Würden wohl Cicero, Livius oder viele andere Berühmtheiten des Altertums, allen voran der ältere Plinius, wenn sie wieder auf die Erde kämen, ihre eigenen Schriften beim Wiederlesen noch verstehen? Werden sie nicht ins Zweifeln kommen und glauben, den Text eines anderen oder sogar Grobsinnigen zu lesen?

Zwischen soviel Einfällen aus menschlicher Erfindung steht vielleicht nur die Heilige Schrift noch aufrecht, weil sich die Menschen mit ihr mehr Mühe geben, aber vor allem, weil Gott selbst seine Schöpfung der Heiligen Schrift behütet, um in seiner ewigen Gnade die heiligen Geschichten und göttlichen Gebote mitzuteilen, ohne von menschlicher Erfindung und anderen Künsten verdorben zu werden. Von den übrigen Schriften gehen die edelsten verloren, sind großenteils schon verloren, und ein Mittel gegen so ungeheuren Verlust gibt es um so weniger, solange den Menschen der Sinn dafür fehlt. Das ist nichts Neues, denn auch aus dem gewaltigen Schaden an Tugend und Sitten macht man sich nichts. Während man mit so großem Eifer dem Verfall entgegeneilt, zählt der Verlust an lehrreichen Schriften zu den geringsten, ja, es gibt sogar Leute, die es als Gewinn erachten!

Es gab einmal einen Mann, nicht auf dem Land oder in den Wäldern, sondern (man höre und staune!) in einer großen und blühenden Stadt Italiens, er war auch kein Hirte oder Bauer, sondern ein angesehener Edelmann, der hatte geschworen, einen großen Preis zu zahlen, daß in seinem Vaterland kein Gelehrter mehr wohne oder Zutritt habe. Oh, was für ein Ausruf eines steinernen Herzens! Etwas Derartiges soll auch Licinius gemeint haben, ein Todfeind der Gelehrten, der sie (so steht geschrieben) „ein Gift und eine öffentliche Pest“ zu nennen pflegte. Aber den mag vielleicht seine bäurische Herkunft entschuldigen, denn trotz seines Aufstiegs zur Kaiserwürde, hatte er sein Wesen nicht abgelegt. So ist wahr, was Horaz sagt: „Das Glück verwandelt nicht das Wesen.“

Aber was soll ich über eure Edelleute sagen, die den Untergang der literarischen Kunst nicht nur erdulden, sondern sehnlichst wünschen?! Wahrhaftig, soviel Verachtung, ja Haß gegen das Allerschönste dürfte euch bald in die Tiefe der Unwissenheit versenken. Hierzu sollte man (um das große Ziel zu erreichen) die Schriftsteller heranziehen, die kein Gesetz gezügelt, keine Prüfung erprobt und kein Urteil ausgewählt hat. Weder Bauern noch Weber noch irgendwelche Künstler genießen so unbeschränkte Freiheit. Obwohl doch die Gefahr bei diesen nur leicht, bei den Schriftstellern aber schwer wiegt, stürzen sich dennoch so viele ungeprüft aufs Schreiben, und die alles verwüsten, werden dafür noch belohnt. Aber schuld daran sind nicht so sehr die Schriftsteller, die nach Menschenart dem Gewinn nachjagen, sondern die Verwalter der Länder und Regierenden, die sich darum nicht gekümmert haben. Sie haben vergessen, was Kaiser Konstantin dem Eusebius aus Palästina zur Pflicht gemacht hat: Bücher sollten nur von Verständigen, die in ihrer jeweiligen Kunst reich und umfassend gebildet sind, geschrieben oder gemacht werden.

Freude: Ich brauche keine schreiben, ich besitze ganz viele Bücher.

Vernunft: Was aber, wenn dein Geist dazu nicht fähig ist? Erinnerst du dich an Sabinus bei Seneca, der mit dem Wissen seiner Knechte prahlte? Was ist da für ein Unterschied zwischen dir und ihm, außer daß du noch ein bißchen närrischer bist? Denn ihr schmückt euch beide mit fremden Federn, er aber wenigstens mit dem Geist seiner Knechte, die ihm treu dienen, du aber prahlst mit dem Geist von Büchern, die nichts für dich tun, außer herumzuliegen. Manche halten sich für Kenner alles dessen, was sie an Büchern in ihrem Haus besitzen. Wird irgendeine Sache erwähnt, sagen sie „Ein Buch darüber steht in meinem Schrank!“ und meinen, das allein genüge doch, gleichsam als hätten sie es damit auch verinnerlicht. Dann ziehen sie die Augenbrauen hoch und verstummen - ein lächerlicher Menschenschlag!

Freude: Ich bekomme zunehmend Bücher.

Vernunft: Ich wünschte, auch dein Geist würde zunehmen an verständigem Ausdruck und Gelehrsamkeit, am allermeisten aber an Unschuld und Tugend. Aber diese sind nicht käuflich, wie Bücher, und wären sie das, so würden sich schwerlich soviel Käufer finden, wie für Bücher. Diese schmücken nämlich die Wände, die Tugend aber den Geist, der für die Augen nicht sichtbar von den Menschen gern vernachlässigt wird. Nein, würde die Büchermasse gelehrt und gut machen, so wären die Allergelehrtesten und Allerbesten womöglich die Schwerreichen - das Gegenteil von dem, was wir gewöhnlich sehen.

Freude: Ich besitze die Bücher zur Unterstützung des Lernens.

Vernunft: Gib acht, daß sie nicht eher zu Hindernissen werden! Wie schon so manchem, der siegen wollte, die Menge seiner Krieger, so hat die Menge der Bücher schon vielen beim Lernen geschadet, und aus Fülle ist, wie das so geht, Mangel geworden. Sind sie ohne weiteres zur Hand, so soll man sie allerdings nicht wegwerfen, sondern behalten und die Besten gebrauchen und sich davor hüten, daß solche, die zur rechten Zeit dienlich sein könnten, zur Unzeit schädlich werden.

Freude: Ich habe viele Bücher verschiedenster Art.

Vernunft: Oft täuscht die Vielzahl der Wege den Reisenden. Wer auf einem einzigen Pfad sicher wanderte, stockt bei einer Gabelung, und noch viel mehr Irrtum ist möglich, wenn drei oder vier Wege sich kreuzen. Wer ein einziges Buch mit Erfolg gewählt hat, für den ist es oft schon nutzlos gewesen, viele aufzuschlagen und durchzuarbeiten. Vieles ist für den Lernenden eine Last, die für den Gelehrten oft zu wenig ist. Ein Übermaß ist zwar beiden eine Last, aber stärkere Schultern können natürlich mehr tragen.

Freude: Ich habe eine große Zahl edelster Bücher gesammelt.

Vernunft: Wegen der Zahl seiner Bücher ist noch niemand, an den ich jetzt denken könnte, außer jenem König von Ägypten zu einem Edlen geworden. Und auch er hatte das nicht so sehr der Zahl zu verdanken, sondern der berühmten Übersetzungen, die zweifellos ein wunderbares Werk waren, und noch wunderbarer war die Einigkeit so vieler Gelehrter. Auf einem anderen Wege mußt du dich bemühen, um aus Büchern Ruhm zu erwerben, nicht den Ruhm des Habens, sondern des Verstehens. Nicht der Bibliothek, sondern dem Gedächtnis sind sie anzuvertrauen. In den Geist und nicht in den Schrank sind sie einzuschließen, nur dann kannst du ehrwürdiger wie ein Buchhändler oder Bücherschrank werden.

Freude: Ich hüte viele erstklassige Bücher.

Vernunft: Viele Gefangene hältst du da eingesperrt! Würden sie einmal ausbrechen und könnten reden, würden sie dich wegen „Freiheitsberaubung“ vor Gericht stellen. Jetzt weinen sie im Stillen über vieles, namentlich aber darüber, daß sehr oft ein ungelehriger Geizhals Überfluß hat an Dingen, die viele Studierende entbehren.

Petrarcameister - Von der Menge und Fülle der Bücher

Dieses Bild spielt auf die berühmte Bibliothek von Alexandria an, in welcher der König viele tausend Bücher angesammelt hatte. Ein vermutlich niederkniender Diener zeigt dem König ein neues Buch, der sich wohl an den Kopf greift, weil er den Inhalt nicht versteht oder davon überfordert ist. Zumindest ist er durch sein Staunen und seine Leidenschaft so abgelenkt, daß er nicht bemerkt, wie hinter seinem Rücken ein kleiner Junge in der Bibliothek Feuer legt, so daß am Ende alles verbrennt. Die kunstvoll gefertigten Bücherständer und Einbände deuten darauf hin, daß es hier vor allem um Äußerlichkeiten geht, und der Drachenkopf links unten erinnert zusammen mit dem Feuer an die Leidenschaft solcher Sammler.

Aus geistiger Sicht kann man auch in diesem König mit dem Zepter in der Hand die Vernunft sehen, die im Menschen herrschen sollte, und leicht von äußeren Dingen abgelenkt und gefangen wird, so daß sie drohende Übel nicht bemerkt. Der Diener wäre dann der Verstand mit den Gedanken, welcher der Vernunft das gesammelte Wissen von den Sinnesorganen zur Entscheidung vorlegt. Die verschiedenen Sinne könnten auf den dargestellten Büchern durch die miteinander verbundenen Kreise oder Quadrate angedeutet sein. Der Körper des Dieners bzw. Verstandes wirkt übermäßig groß und gedrungen, was an eine übermäßige Menge an Wissen erinnert, womit die Vernunft irgendwann überfordert ist, ähnlich einem König, der sich mit unwichtigen Dingen überfordert hat, so daß er sich um die wirklich wichtigen und wesentlichen Dinge in seinem Reich nicht mehr kümmert.

In der Mitte des Bildes steht eine eckige Säule mit künstlichen Blumenranken, die diesen überladenen Raum des angesammelten Bücherwissens trägt.

1.44. Vom Ruhm der Schriftsteller

Freude: Was sagst du dazu, daß ich selber Bücher schreibe?

Vernunft: Eine Krankheit ist das, eine öffentliche, ansteckende und unheilbare. Viele maßen sich das Amt des Schreibens an, das doch nur Wenigen zukommt. Ein einziger, den dieses Übel befällt, infiziert damit viele. Es ist einfach zu tun, aber schwer, etwas Heilsames daraus zu machen. So wächst Tag für Tag die Zahl der Erkrankenden, und zugleich verschlimmert sich die Gewalt des Leidens. Täglich schreiben mehr Leute, und täglich schreiben sie schlechter. Ist doch „Nachlaufen leichter als Einholen“! Oder wie der kluge, durch die Wirklichkeit bestätigte und in unserer Zeit immer klarer werdende Ausspruch jenes hebräischen Weisen: Das Büchermachen kennt keine Grenzen.

Freude: Ich schreibe aber.

Vernunft: Ach, würden die Menschen sich doch in ihren Grenzen halten und die Dinge in ihrer Ordnung bleiben, die sich durch den Frevel der Sterblichen verwirren. Ach, würden doch nur solche schreiben, die dazu sowohl das Wissen als auch das Können mitbringen, die anderen aber lesen und zuhören. Ist denn das Verstehen ein so kleines geistiges Vergnügen? Muß denn die vermessene Hand überstürzt zur Feder greifen und ein jeder, der von einem Buch ein Teilchen begriffen hat oder zumindest sich einbildet, auch gleich die Einbildung haben, Bücher schreiben zu können? Geb's doch Gott, das wir uns erinnern, was Cicero in der Einleitung zu seinen „Tusculanen“ für alle an weithin sichtbarer Stelle in die Worte faßt: „Es ist möglich, daß einer das Richtige meint, aber das, was er meint, nicht auf rechte Weise ausdrücken kann.“ Und gleich anschließend: „Wenn aber jemand seine Gedanken zum Lesen anbietet, der sie weder gehörig einteilen noch lichtvoll darlegen noch den Leser durch sprachliche Reize anlocken kann, so handelt er als ein Mensch, der in unbeherrschter Weise mit seiner Freizeit und mit der Literatur Mißbrauch treibt.“ Zwar sind diese Ciceroworte von höchster Wahrheit, aber der genannte Mißbrauch ist schon dermaßen gewöhnlich geworden, daß jeder glaubt, nur er sei gemeint mit der Aufforderung, die einst jener höchst heilige Verbannte, der nicht aus vertrocknenden Bächlein, sondern unmittelbar aus der Quelle der Wahrheit das getrunken hatte, was er niederschrieb, zu wiederholten Malen sich selber zurief, nämlich: „Schreib!“ Diesem Gebot gehorchen die Verächter aller Gebote allesamt - und schreiben.

Von der großen Gefahr beim Abschreiben fremder Bücher haben wir bereits gesprochen. Wie groß erst, glaubst du wohl, muß die Gefahr von seiten derer sein, die eigene, neue Bücher schreiben, mit denen sie zweifelhafte und unheilsame Lehren einführen? Noch am leichtesten ist hierbei das Übel zu nehmen, daß sie durch ihren ungepflegten und bäurischen Stil abstoßend wirken, so daß es selbst dem Leser, dem es an Geist fehlt, wenigstens an Zeitverlust wie auch an Mühe und Qual der Ohren nicht fehlen wird. Dies und nichts anderes ist heutzutage die Frucht eurer Erfindungen: Krank machen sie, erregt machen sie, aber heil machen sie nie oder nur sehr selten.

Trotzdem schreiben alle unentwegt Bücher. Zu keiner Zeit gab es eine so große Menge von Schreibenden und Disputierenden, zu keiner Zeit einen so großen Mangel an Ausdrucksfähigen und Wissenden. Mit ihren Büchern geschieht, was der gleiche Cicero an gleicher Stelle sagte: „Sie mögen ihre eigenen Bücher mit ihresgleichen lesen und mit denen streiten, welche die gleiche Schreibfreiheit beanspruchen.“ Das war zu Ciceros Zeit noch selten, jetzt ist es ganz gewöhnlich. Jedermann fühlt sich berufen, weshalb sie alle die gleiche Schreibfreiheit haben wollen und sich gegenseitig ermuntern und antreiben, indem sie Unsinniges loben und für ihr Lob von ihresgleichen ebenso falsche Lobsprüche erhaschen. Daher also stammt jene Verwegenheit der Bücherschreiber und das Durcheinander, das sie anrichten. Sei du also nicht so selbstgefällig, weil du Bücher schreibst!

Freude: Ich schreibe trotzdem Bücher.

Vernunft: Besser vielleicht, du würdest welche lesen, am besten aber, du würdest das Gelesene im Leben umsetzen. Dann erst ist die Kenntnis der Literatur nützlich, wenn sie in die Tat umgesetzt wird und sich selber durch wirkliches Verhalten, nicht durch Worte einleuchtend macht, sonst entpuppt sich oft als wahr, was geschrieben steht: „Wissen bläht auf.“ Eine klare und schnelle Auffassung zu haben, für viele und zugleich bedeutungsvolle Dinge über ein festes Gedächtnis zu verfügen, reich an Ausdruck zu sein, kunstvoll zu schreiben und angenehm vorzutragen - wenn das alles nicht auf die Lebensführung bezogen wird, was ist es dann anderes als ein Werkzeug des leeren Großtuns, unnütze Arbeit und Lärm?

Freude: Ich schreibe nun einmal Bücher.

Vernunft: Vielleicht würdest du zu mehr Nutzen ein Feld beackern, eine Herde weiden, am Webstuhl arbeiten oder zur See fahren. Viele, die die Natur zu Handwerkern gemacht hatte, verlegen sich aufs Philosophieren, auch wenn die Natur das durchaus nicht will und sich heftig sträubt. Andererseits hat schon manche zur Philosophie geeignete Natur das ihr gewordene Los, das sie auf Ackerflur oder Weideland zur Welt kommen ließ, auf Handwerkerschemeln oder Ruderbänken festgehalten. Daher rührt es - zum Erstaunen derer, die die Ursachen nicht kennen -, daß man auf hoher See, auf dem Lande, in Wäldern oder in Werkstätten scharf- und hochsinnige Geister findet, während sie in den Schulen oft blutleer und verwirrt sind. Nur schwer nämlich ist, wenn überhaupt, die Natur zu besiegen.

Freude: Ich schreibe mit Leidenschaft.

Vernunft: Noch viel leidenschaftlicher taten das schon viele, deren Leidenschaft so vergänglich war, daß man von ihrer Schreibtätigkeit nichts mehr wüßte, hätten nicht andere darüber geschrieben. Kein menschliches Werk dauert für immer, und sterbliche Arbeit bewirkt nichts Unsterbliches.

Freude: Aber ich schreibe viele Dichtungen.

Vernunft: Wieviel mehr doch andere! Wer könnte Ciceros oder Varros Bücher aufzählen, die Werke des Titus Livius oder des Plinius ermessen? Von den Griechen soll einer sechstausend Bücher veröffentlicht haben. Oh was für ein feuriger Geist (wenn es wahr ist!), was für eine lange und ruhevolle Muße zum Schreiben! Wahrlich, wenn es schon eine sehr mühevolle Aufgabe ist, ein, zwei oder gar einige wenige Bücher gut zu schreiben, dann gibt der Bericht, ein einziger habe so viele tausende geschrieben, nicht so sehr zum Glauben Anlaß wie zur Verwunderung. Immerhin bezeugen es Autoren höchsten Ranges, denen nicht zu glauben schwerfällt und die nicht auf Hörensagen oder bloßen Augenschein hin, sondern aufgrund der Lektüre dieser Bücher, also aus Erfahrung, das behaupten. Verwunderlich genug, wenn ein einziger alle zu lesen vermochte, um wieviel verwunderlicher, daß er sie geschrieben hat. Es würde eine zu lange Aufzählung werden, alle die Männer zu nennen, die bei uns und gar erst bei den Griechen geschrieben und worüber sie geschrieben haben. Und doch hat von ihnen, aufs Ganze der Studien gesehen, keiner Glück gehabt, vielmehr ist von unseren Autoren einiges, von den antiken ein großer Teil, von manchen sogar alles verlorengegangen. Nun magst du bedenken, was du dir für dein Werk versprechen kannst!

Freude: Ich schreibe, und das macht mir mittlerweile ein ganz einzigartiges Vergnügen.

Vernunft: Wenn du es tust, um deinen Geist zu üben und im Schreiben für andere dich selbst zu lehren oder durch Bedacht des Vergangenen dem gegenwärtigen Verdruß zu entfliehen, so entschuldige ich das. Tust du es aber, um die Schreibsucht, heimlich und unheilbar wie sie ist, zu „heilen“, so dauerst du mich. Es gibt nämlich (falls du es noch nicht weißt) Leute, die nur deswegen schreiben, weil sie nicht aufhören können, und die wie beim Herabrennen aus steiler Höhe, so gern sie auch stehenbleiben möchten, fortgerissen werden.

Freude: Wahrlich, mein Ungestüm beim Schreiben ist groß.

Vernunft: Es soll unendlich viele Arten von Gemütsleiden geben: Manche werfen mit Steinen, andere schreiben Bücher. Für den einen ist das Schreiben Anfangsstadium des Wahns, für den anderen Endstadium.

Freude: Ich habe viel geschrieben und tue es noch.

Vernunft: Bist du ein Schriftsteller, der der Nachwelt nützen wird, so gibt es nichts Besseres. Bist du aber auf einen großen Namen aus, dann gibt es nichts Schnöderes.

Freude: Zahlreich sind meine Schriften.

Vernunft: Herrliche Verrücktheit! Da wundert man sich noch, wenn der Preis fürs Pergament ungewöhnlich hoch ist.

Freude: Ich schreibe und erhoffe mir davon Ruhm.

Vernunft: Wie gesagt, du würdest vielleicht besser ackern oder graben und dir davon Ernte erhoffen. Man sät nämlich sicherer in den Boden als in den Wind. Die Ruhmbegier freilich und der hartnäckige Schreibfleiß haben zwar manche als Berühmtheiten, unzählige aber als Toren und arme Teufel ins Alter entlassen und aus ihnen, entblößt und geschwätzig eine Volksbelustigung gemacht. So seht doch: Während ihr schreibt, verstreicht die für bessere Beschäftigungen zur eigenen Tugend geeignete Zeit! Außer euch geraten und traumverloren merkt ihr nichts, bis euch das Alter aufweckt und die Armut dazu.

Freude: Ich schreibe dennoch und hoffe auf Ruhm.

Vernunft: Ein sonderbarer Eifer, sich Arbeit machen, um Wind einzuheimsen! Ich war jedenfalls immer der Meinung, sich Wind zu wünschen sei Seemannssache.

Petrarcameister - Vom Ruhm der Schriftsteller

Hier sieht man zunächst eine Art Schreiber-Werkstatt. Zwei offenbar reichere und korpulente Bürger schreiben mit der Feder. Links neben ihnen sitzen ihre „Buchmacher“, die vermutlich auch als Korrekturleser die Rolle der Leserschaft selbst symbolisieren sollen. Die hintere Partei sitzt hinter einem Ladentisch, der Händler schreibt mit links, und der Buchmacher mit der Feder im Mund kratzt sich wegen des Inhalts oder der vielen Fehler am Kopf. Auf dem Tisch findet man Bücher, Tintenfässer und die Schere als Symbol für den Buchmacher. Die Wand dahinter ist von Werkzeugen und Stangen geziert, wo mehr oder weniger fertige Produkte aufgestellt oder eingeklemmt sind. In der Mitte hängt ein Besen, der vielleicht andeutet, daß das aufgeschriebene Wissen „zusammengekehrt“ wurde.

Vor dem Ladentisch steht ein gestikulierender Kunde, der etwas kaufen oder selbstgeschriebene Pergamente verkaufen möchte. Er trägt ein längeres Messer oder Schwert und vermutlich einen Geldbeutel am Gürtel. Ob der Hund ihm gehört ist unklar, denn dieser schaut zu dem vorderen Schreiber.

Neben dem vorderen Schreiber steht eine Sanduhr, ähnlich wie im Bild 1.e1 von Petrarca, die allerdings mit Sand gefüllt ist. Vielleicht meint diese Symbolik, daß Petrarca noch zeitlose Schriften über das Wesentliche im Leben verfaßt hat, während es nun mehr um zeitliche Literatur über zunehmend unwesentliche Dinge geht. Im Gegensatz zum Händler hinter dem Ladentisch schreibt dieser aber noch mit der „rechten“ Hand, sein Buchmacher scheint gespannt zu lesen und kaut auf seinem Daumen. Neben seinem Pult sieht man Schere, Tintenfaß, Feder und Notizzettel. An der Wand hängt vermutlich das Manuskript, das er in Buchform mit vorgezeichneten Seitenrändern kunstvoll abschreibt. Dabei scheint er spiegelverkehrt zu schreiben, was auf eine Vorstufe für ein Druckverfahren wie den Holzschnitt hindeutet. An seinem Gürtel sieht man einen Schlüsselbund, der an einen häuslichen Verwalter erinnert, wie er auch in den Bildern 1.19 und 1.82 dargestellt wird.

Aus geistiger Sicht kann man hier meinen, wie zu jener mittelalterlichen Zeit die Literatur mehr und mehr im Akkord nach dem Motto produziert wurde: „Masse anstatt Klasse.“ Anstatt der geistigen Entwicklung dient sie nun mehr der Leidenschaft der Schreiber und wird zum Konsumprodukt. So werden auch die Leser zu Knechten, wenn nicht sogar Sklaven des Konsums. Diese Entwicklung ist wahrscheinlich auch mit dem abgerichteten Jagdhund im Zentrum des Bildes angedeutet, der nicht umsonst ähnlich wie der vordere Schreiber mit dem Kopf an den Ladentisch gekettet zu sein scheint.

1.45. Von magisterlicher Würde

Freude: Mir wurde das Magister-Amt verliehen.

Vernunft: Ich bekenne, daß es mir lieber wäre, man hätte dir Weisheit verliehen, denn nichts ist schändlicher, als ein eingebildeter Lehrer ohne Weisheit.

Freude: Ich bin durch Verdienst ein Meister geworden.

Vernunft: Deine Würde als Meister kannst du nur als Schüler verdienen, wenn du dich gehorsam, demütig und gelehrig erwiesen hast. Ansonsten bist du vom Weg abgeirrt, der zu wahrer Meisterschaft führt. Obwohl ich auch weiß, daß etliche ohne einen Lehrmeister zur höchsten Weisheit aufgestiegen sind, wie berühmte Männer von sich erzählt haben und in den Schriften erklärt wurde. Bei ihnen trat Bemühung, Vernunft, Inbrunst, Fleiß und Ausdauer an die Stelle eines Lehrmeisters, und es fehlte ihnen auch nicht der innere Meister (Christus), der schweigend ohne Worte lehrt. Doch wir sprechen hier wohl über einen gewöhnlichen Meister.

Freude: Ich werde Magister genannt.

Vernunft: So ein oberflächlicher Titel hat schon viele davon abgehalten, ein wahrer Meister zu werden. Denn sie glauben mehr an ihren äußeren Titel als an ihr wahres Wesen. Sie glauben daran, wie man sie nennt, und nicht daran, was sie sind. Und so wurden sie nie, was sie werden sollten.

Freude: Ich wurde aber als Magister ausgezeichnet.

Vernunft: Hast du noch kein Wirtshaus mit saurem Wein erlebt, das mit schönen Bildern und Blüten geschmückt wurde, um den durstigen Wanderer zu täuschen? Wird damit nicht auch der Wirt durch seine eigenen Künste getäuscht? Wahrlich, es gibt viele, die sich so an die Täuschung anderer gewöhnt haben, daß sie schließlich anfangen, sich selbst zu täuschen. Was sie anderen lange vorgetäuscht haben, glauben sie dann selbst und halten es für wahr. Du kannst dich deines Magister-Titels rühmen, so sehr du willst. Wenn er verdient war, braucht man nicht weiter darüber sprechen. Aber wenn er unverdient war, bringt es dir doppeltes Unglück: Du schämst dich, noch etwas zu lernen, und du verkündest damit öffentlich deine Unwissenheit.

Petrarcameister - Von magisterlicher Würde

Ernst und respektvoll ist dargestellt, wie der junge Gelehrte nach erfolgreichem Studium vom Rektor mit dem Barett bekleidet wird und den Ring an den Finger gesteckt bekommt. Dem feierlichen Akt wohnen sieben Gelehrte bei. Diese Siebenzahl ist wohl gewählt in Erinnerung an die heilige, von den Planeten abgeleitete Zahl Sieben, die bald die Summe der Weisen, der Weltwunder, der Könige und Hügel Roms, bald der kirchlichen Sakramente angibt. Der Petrarca-Meister wird die sieben Weisen des Altertums als Verkörperung alles Wissens gemeint haben. - So schreibt der Kunsthistoriker Walther Scheidig zu diesem Bild und nimmt darüber hinaus an, daß Sebastian Brant und der Petrarca-Meister die Mißachtung der Magisterprüfung und -würde durch den alten Petrarca nicht geteilt hätten.

Nun, verständlicherweise ist der promovierte Kunsthistoriker bezüglich des Doktortitels nicht ganz einer Meinung mit Petrarca. Heutzutage ist es auch völlig normal, daß unsere Schüler vor allem für Zensuren lernen, die Studenten für Abschluß und Titel studieren und promovieren, die Arbeiter für Geld und Reichtum arbeiten, die Politiker für Geld und Macht regieren und die Sportler für Medaillen und Siege trainieren. Doch wir denken, daß Petrarca hier beispielhaft ein viel tieferes Problem anspricht, das die allgemeine Illusion von Namen und Formen betrifft. Damit setzt er systematisch seine Aufklärung über die suchtartige Anhaftung der „Freude“ an Körper, Person, sinnliche Genüsse, äußerliche Formen, gedankliche Bilder und intellektuelles Bücherwissen mit den begrifflichen Titeln und Namen fort, die man sich persönlich zulegt.

Auf symbolischer Ebene erinnern uns die acht Männer in dem Raum mit zwei Fenstern auch an die schon oft gebrauchte Symbolik der fünf Sinne und drei Seelenkräfte (Voluntas, Intellectus und Memoria bzw. Wille, Verstand und Gedächtnis) in einem menschlichen Körper, zumal die drei mehr den hinteren Teil des Bildes und die fünf eher den vorderen dominieren. So könnte man aus geistiger Sicht auch den Verstand hinter dem Rednerpult sehen, wie er die Sinneseindrücke beglaubigt und sozusagen in den Stand der Wahrheit erhebt. Darüber sollte eigentlich die Vernunft herrschen, und nicht der Verstand. Was der Verstand mit Gedanken in gegensätzliche Begriffe „scheidet“, sollte die Vernunft „ent-scheiden“, also vereinen, womit eine ganz andere „Wahrnehmung“ jenseits der äußeren Namen und Formen entsteht. Diese höhere Weisheit spricht Petrarca auch an, wenn er den stillschweigenden Lehrmeister erwähnt, der weit über den ständig plappernden Gedanken steht. Dazu sagte auch Meister Eckhart:

Und da man ein Bild hat nur von dem, was außerhalb von einem ist und durch die Sinne von den Kreaturen hereingezogen wird, und da es auch immerzu auf das hinweist, dessen Bild es ist, so wäre es unmöglich, daß du jemals durch irgendein Bild selig werden könntest. Und daher muß da Schweigen und Stille herrschen, und der Vater muß da sprechen und seinen Sohn gebären und seine Werke wirken ohne alle Bilder. (Predigt 57)

Sankt Johannes sprach: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war Gott, und Gott war bei Gott, und war das Wort (Joh. 1.1).« Wohlan, wer nun dieses Wort hören soll im Vater - dort ist es gar stille -, der (Mensch) muß gar stille und abgeschieden sein von allen Bildern und von allen Formen. Ja der Mensch soll (vielmehr) alle Dinge in Gott nehmen so, wie sie dort sind. (Predigt 39)

1.46. Von mancherlei Titeln der Kunst und Lehre

Freude: Ich trage vielerlei Titel.

Vernunft: Der Baum der Eitelkeit treibt viel Laub, hat aber keine nützlichen Früchte.

Freude: Ich habe wirklich viele Titel.

Vernunft: Sie sind schon eine schwere Last, wenn es ehrliche Titel wären, dazu aber noch schlecht und beschämend, wenn du sie unverdient trägst. Warum suchst du solche Titel, wenn sie nur Mühe oder Schande geben? Die Tugend ist mit nur einem Titel zufrieden, besser noch mit keinem, und wenn überhaupt, dann ist sie sich selbst ein Titel.

Freude: Ich habe den Doktortitel eines Theologen errungen.

Vernunft: Früher gab es Lehrer dieser Kunst, aber heute sage ich empört, daß unwissende und geschwätzige Dialektiker den Heiligen Namen verunreinigen. Sonst wären nicht plötzlich so viele nutzlose Doktoren und Lehrer aus dem Boden geschossen.

Freude: Ich wurde auch mit dem Doktor der Philosophie geehrt.

Vernunft: Die Philosophie entwickelt keine Weisheit, aber sie kann die Liebe zur Weisheit erwecken. Denn wer Weisheit sucht, kann sie nur durch wahre Liebe gewinnen. Und dieser Titel ist weder mühsam noch beschwerlich, wie manche glauben. Wenn deine Liebe wahr ist, und die Weisheit wahr ist, die du liebst, wirst du ein wahrer Philosoph sein. Wahre Weisheit kann nur von reinen und frommen Seelen erkannt und geliebt werden. Dazu steht geschrieben: pietas est sapientia - Frömmigkeit ist Weisheit. (Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit; und meiden das Böse, das ist Verstand. (Hiob 28.28))

Eure Philosophen, die diese Worte verachten oder nicht kennen, werden zu Schwätzern und leeren Dialektikern, genau wie die Theologen, von denen ich gesprochen habe. Und wie die einen über Gott schwatzen, so schwatzen die anderen über die Natur. Die Theologen beschreiben die allmächtige Majestät mit weltlichem Geschwätz und legen in ihrem unwissenden Übermut Gesetze fest, die Gott spotten und lächerlich machen. Und die Philosophen diskutieren über die Geheimnisse der Natur, als kämen sie direkt vom Himmel herab und hätten in der Ratsversammlung des allmächtigen Gottes gesessen. Sie vergessen, daß geschrieben steht: „Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen? (Römer 11.34)“ Sie hören auch nicht auf unseren Ambrosius, der dies oft mit vielen schlüssigen Argumenten darlegte, besonders präzise und kurz in dem Buch, in dem er um den Tod seines Bruders trauerte. Dort schrieb er: „Philosophen, die über den Himmel sprechen, wissen nicht, wovon sie sprechen.“

Freude: Ich kann aber viele Künste.

Vernunft: Das Können ist relativ einfach, aber das Wesen der Kunst zu erkennen ist sehr schwer. Doch wahrlich, dieses Erkennen ist viel sicherer und besser, als sich des Könnens zu rühmen. Das Erkennen führt zu Demut und Buße, sich der Kunst zu rühmen führt zu Leichtfertigkeit und Hochmut. Und sicherlich finden die Demütigen leichter Vergebung als die Hochmütigen, die sich ihrer Künste rühmen.

Freude: Ich habe den Meistertitel für göttliche und menschliche Weisheit bekommen.

Vernunft: Weisheit braucht keinen Titel, weil sie selbst schon würdig ist. Ich bitte dich: Wer hat jemals eine Kerze angezündet, damit er die Sonne sehen kann? Viele sind auch mit ihrem Titel verdunkelt (bzw. unwissend) geblieben, und andere sind ohne solche Titel vortreffliche Menschen geworden. Gute Ware braucht keine Werbung, sondern nur die unzulängliche (die nicht für sich selbst spricht).

Freude: Und was hältst du vom Lorbeerkranz der Poeten, mit dem ich mein Haupt ziere?

Vernunft: Das Höchste ist die Suche nach der Wahrheit, das ist das einzige Werk. Doch der Dichter hat zwei Werke, das Suchen und das Verzieren. Die Ohren mit dichterischer Wahrheit zu erfreuen, ist etwas sehr Großes und Schweres. Deshalb findet man nur selten Dichter, die auf beides Wert legen. Denn gewöhnlich wird das erste mißachtet, und man erfreut sich vor allem an der Zierde.

Freude: Es ist eine seltene Ehre, die Zierde des Lorbeerkranzes zu erhalten.

Vernunft: Damit hast du ein öffentliches Leben gesucht, das familiäre Leben geopfert und den Weg zur sorgenvollen Armut gefunden, es sei denn, du hast das Glück, daß der Reichtum von selbst zu deinen Füßen fließt, während du am Schreibtisch sitzt. Wahrlich, du hast etwas gesucht, womit dich manche als verrückt und andere als leidenschaftlich betrachten werden.

Freude: Ich habe die Lorbeeren verdient und geerntet.

Vernunft: Wenn das grüne Laub vom lebendigen Baum geerntet wird, vertrocknet es schnell, wenn man es nicht beständig mit Vernunft und Achtsamkeit feucht und lebendig hält.

Freude: Ich habe den Lorbeerkranz gewonnen.

Vernunft: Und damit viel Mühe und Neid als Lohn des Kampfes. Dieses zarte Ästlein hat deinem Haupt eine nutzlose Zierde aufgesetzt, deinem Geist nichts Wertvolles gegeben und zeigt dich vielen Leuten, vor denen du besser verborgen geblieben wärst. Was hat es anders gebracht, als dich den Angriffen des Neides auszusetzen? Wahrlich, in Krieg und Frieden haben solche Titel und Zeichen schon vielen geschadet.

Freude: Ich bin auch ein Meister der Redekunst.

Vernunft: Ich höre von einem Wunder, denn ich dachte, die Kunst der Rede ist schon lange Zeit am Aussterben, denn sie erfordert umfassende Weisheit, und so gab es immer weniger Meister der Redekunst. Denn man sagte, daß so ein Meister eigentlich fähig sein sollte, von allen Dingen umfassend, wahrhaftig und schön zu sprechen. Später meinte man, daß dieser Anspruch zu hoch sei und daß man zwar von großen Dingen, aber nicht von allen Dingen in jeder Weise kunstvoll und angenehm sprechen sollte, was immer noch eine große Sache ist. Wenn du das allseitig bedenkst, wirst du vielleicht überrascht sein und dich weniger deines Verstandes rühmen. Wenn man sich rühmt, alles wissen zu wollen, besteht oft die Gefahr, daß man alles andere ignoriert. Und unter der Menge oberflächlichen Wissens wird gern die tiefere Unwissenheit verborgen, die man öffentlich nicht zugeben will.

Freude: Ich bin Doktor der sieben freien Künste (Grammatik, Rhetorik, Arithmetik, Dialektik, Geometrie, Astronomie und Musik).

Vernunft: Ein solcher Anspruch verrät mehr Überheblichkeit als Weisheit. Für jede dieser Künste ist ein einzelnes Leben zu kurz. Und du willst sie alle beherrschen? Nur eine Kunst erfordert bereits den ganzen Verstand, damit man mit Schweiß und Mühe zum Höchsten gelangt. Es wäre bescheidener zuzugeben, daß man viele Künste gelernt hat, soweit es zum eigenen Gebrauch notwendig war, anstatt vorzutäuschen, in allen Meister zu sein. Ich möchte hinzufügen, daß viele große Meister bestätigt haben, daß selbst eine Kunst in allen Aspekten auch von den besten Gelehrten nie vollständig beherrscht wurde. Allein bezüglich der Rhetorik sprach Seneca:
„Die Redekunst ist etwas so Großartiges und Vielfältiges, daß sie bisher noch keinen zugelassen hat, der sie völlig fehlerfrei ausüben konnte. Glücklich ist, wer einen Teil davon beherrschen kann.“

Du hast ja von den vielen Männern und Zeugen gehört, mit denen er beweist, daß dies wahr ist. Wenn dem so ist: Was kannst du tun? Und was kannst du dir anmaßen? Schau dir die Menge der heutigen Doktoren an, die schon fast so zahlreich wie die Bauern sind und mit gemeiner Sprache nicht nur über einen Teil, sondern neunmalklug über alle Künste referieren. Was für eine große Überheblichkeit, die heute weit verbreitet ist!

Freude: Und was wirst du mir über Medizin und Recht erzählen?

Vernunft: Das sollten dir deine Patienten und Klienten beantworten. Welchen Nutzen hätte dein Titel zur Heilung des Leibes oder Bewahrung der Gerechtigkeit? Oder geht es mehr um deinen eigenen Nutzen? Ja, dafür jagt ihr gewöhnlich den Künsten und ihren Titeln nach. Und was an der Kunst fehlt, müssen Titel und Gewänder gewähren, getreu dem Spruch des Satirikers (Juvenal):
„Das violette Gewand verkauft den Juristen, wie man rote Amethyst-Steine verkauft. Dies wäre auch nicht anders, wenn die Alten wieder zurückkehren würden. Denn heutzutage würde man nicht einmal zweihundert Pfennige für Cicero ausgeben, wenn nicht ein großer Siegelring an seinem Finger erstrahlte (der seine Echtheit bekundet).“

Zusammengefaßt muß man sagen, daß es nur sehr wenige gibt, deren Lehre so wahrhaftig und tugendhaft ist, daß sie dem Ziel der Wahrheit und Tugend dient. Denn das ist das eigentliche Wesen der Erkenntnis zur Bewahrung der Tugend, die Schönheit am sterblichen Leben und der Weg zum ewigen Leben.

Doch viele Menschen begehren nur ihren eigenen Ruhm, diesen unnützen, aber verführerisch strahlenden Gewinn. Und noch mehr Menschen jagen nur nach dem strahlenden Glanz des Geldes, das nicht nur ein nichtiger Gewinn ist, sondern auch unrein und unehrlich und der Anstrengung des Geistes nicht würdig. Sie alle werden die äußeren Titel und Gewänder, von denen ich gesprochen habe, nicht verachten, denn sie dienen ihren Zwecken zum weltlichen Wohlstand. So werden Verstand und Urteilsvermögen fast aller Menschen und vor allem des gewöhnlichen Volkes durch Licht und Schatten betrogen, obwohl dies ihre wichtigsten Hilfsmittel im Leben sind. Auf diese Weise werden die meisten Dinge nur durch gewohnheitsmäßige Meinungen bestimmt. Ich (die Vernunft) halte es für meinen Teil für völlig unmöglich, daß Menschen, die der Tugend gewidmet sind, auf irgendwelche Titel stolz sind und sich damit rühmen.

Freude: Ich rühme mich aber der Meisterschaft vieler Künste.

Vernunft: Es wäre besser, eines gut zu tun, als sich Vielerlei zu rühmen. Der Menschheit würde es wahrlich gut gehen, wenn die Menschen nichts anderes sein wöllten, als was sie sind, und dafür ihren Stolz aufgeben.

Petrarcameister - Von mancherlei Titeln der Kunst und Lehre

Rechts im Bild sieht man sieben Gelehrte, die an die erwähnten sieben freien Künste erinnern. Sie lesen, grübeln, disputieren und diagnostizieren, sind vor allem mit sich selbst beschäftigt und achten weder auf die Plagen, die im Hintergrund symbolisch in Form von Fröschen und Mücken erscheinen, noch auf den Dichter aus alten Zeiten, der auf der linken Seite des Bildes dargestellt ist. Damit ist vermutlich Cicero gemeint, der im Text als einer der alten Weisen erwähnt wird. Er trägt die verdiente Dichterkrone aus Lorbeer, versteckt seine linke Hand mit dem Siegelring und zeigt mit der rechten Hand die Geste der Mäßigung. Entsprechend ist die Natur um ihn herum frei von Plagen, grünt und blüht. Er schaut zu den modernen Gelehrten hinüber, aber sie kümmern sich nicht weiter um ihn, sind vor allem mit sich selbst und ihrer Wissenschaft beschäftigt und sehen nicht, was ringsherum in der Natur geschieht.

Die dargestellten Plagen der Frösche und Mücken stammen höchstwahrscheinlich aus der biblischen Symbolik, wie sie im 2. Buch Mose (Kapitel 8) und den Psalmen (Kapitel 78 und 105) beschrieben werden:

Er ließ Finsternis kommen und machte es finster; und sie waren nicht ungehorsam seinen Worten. Er verwandelte ihr Wasser in Blut und tötete ihre Fische. Ihr Land wimmelte Frösche heraus in den Kammern ihrer Könige. Er sprach: da kam Ungeziefer, Stechmücken in all ihr Gebiet. Er gab ihnen Hagel zum Regen, Feuerflammen in ihrem Lande und schlug ihre Weinstöcke und Feigenbäume und zerbrach die Bäume in ihrem Gebiet. Er sprach: da kamen Heuschrecken und Käfer ohne Zahl. Und sie fraßen alles Gras in ihrem Lande und fraßen die Früchte auf ihrem Felde. (Psalm 105.28)

Man glaubte damals, daß Gott solche Plagen durch die Natur über die Menschen bringt, um ihnen zu helfen, aus ihrer Illusion zu erwachen und den rechten Weg zu finden. Über diesen heilsamen Weg der Tugend und Weisheit spricht auch Petrarca unermüdlich mit den Worten der „Vernunft“. Und der Petrarca-Meister zeigt in seinem Bild deutlich, wie Wissenschaftler, die sich vor allem um eigennützige Ziele, persönlichen Ruhm und Titel kümmern und damit den Blick für das Große und Ganze mißachten, schreckliche Plagen für die ganze Natur und Menschheit heraufbeschwören.

Diesbezüglich wußte man damals, daß die Aufgabe der Natur darin besteht, die Wesen zu entwickeln, die in ihr leben. Wer achtsam lebte, konnte an den Reaktionen der Natur deutlich erkennen, welchen Weg er gehen sollte. Doch das ist mit unserer heutigen Weltanschauung überaus schwer geworden. Zum einen gestehen wir der äußeren Natur weder eine universale Intelligenz noch ein göttliches Wesen zu, und zum anderen ist der blinde Egoismus so sehr angewachsen, daß der Mensch auf die subtilen Zeichen der Natur kaum noch reagieren kann und sogar die harten Keulenschläge soweit wie möglich ignoriert. Damit fordern wir die Natur heraus, sich noch „deutlicher“ auszudrücken, was sicherlich kein vernünftiger Weg ist. Ähnlich spricht auch Meister Eckhart:

Drum wäre es gar billig und wäre für uns naturgemäß das Rechte, daß wir uns selbst keinesfalls liebten, wenn nicht um Gottes willen und in Gott. Und wäre dem so, so wäre uns alles das leicht und eine Wonne, was Gott von uns und in uns wollte, zumal, wenn wir gewiß wären, daß Gott ungleich weniger irgendein Gebresten (Leiden) oder einen Schaden zu dulden vermöchte, wenn er nicht einen viel größeren Gewinn darin erkennte und anstrebte. Wahrlich, wenn jemand darin zu Gott nicht Vertrauen hegt, so ist es nur zu billig, daß er Leiden und Leid hat. (Traktate 2)

Entsprechend kann man auf geistiger Ebene in diesem Bild auch den egoistischen Willen umgeben vom Gedächtnis und den fünf Sinnen sehen, die in Form von sieben Personen symbolisch auf den Bänken innerhalb eines menschlichen Körpers sitzen und die Vernunft ignorieren, die der Burgherr bzw. König im Körper sein sollte. Und dieser „Eigensinn“ ist die Ursache für viele Leidenschaften, die natürlich viele Leiden bzw. Plagen schaffen. So sagte man früher auch, daß in der Hölle nichts anderes brennt, als der Eigenwille.

Dann kam spätestens im 18. Jahrhundert die moderne Wissenschaft und konnte beweisen, daß dieses biblische Gerede von Gott und den Plagen nur Aberglaube ist, um das Volk zu verdummen. Nun, heute sind es die Wissenschaftler, die das Volk von einer höchst bedrohlichen Klimakatastrophe überzeugen wollen, und es gibt wieder andere, die hier von Aberglauben sprechen und daß sich Wissenschaftler und Medien an dieser Hysterie nur bereichern wollen. Das kann man sogar verstehen, denn kaum ein Wissenschaftler spricht von Vernunft und Mäßigung. Gewöhnlich geht es nur darum, irgendwelche Steuern zu erhöhen, wissenschaftliche Studien zu finanzieren und neue Autos, Flugzeuge oder sonstige Maschinen zu bauen, womit man noch mehr Geld verdienen und noch maßloser sein kann. Ob das eine Lösung ist?

1.47. Von königlichen Ämtern

Freude: Ich bin der Anwalt des Königs.

Vernunft: Also ein Feind des Volkes.

Freude: Ich bin auch der Verwalter der Schatzkammer.

Vernunft: Und damit der Feind des Staates.

Freude: Ich verwalte auch die Geschäfte des Königs.

Vernunft: Es ist schwer genug, die eigenen Geschäfte zu verwalten. Was greifst du nach fremden Geschäften und besonders eines mächtigen Königs? Ihm zu gefallen, bedeutet unablässigen Dienst und Mißgunst, Gefahr, Kritik und schnelle Bestrafung für geringste Beleidigung.

Freude: Ich erledige aber die Geschäfte des Königs.

Vernunft: So mußt du einem strengen Richter Rechenschaft ablegen, den du kaum befriedigen kannst, ohne alle zu berauben und von ihnen dafür gehaßt zu werden.

Freude: Ich kümmere mich nun einmal um die Geschäfte des Königs.

Vernunft: Achte darauf, wie schwer das wird, und noch schwerer wird die Abrechnung. Am Ende kostet es dein Erbe, deinen Ruf und sogar deinen Kopf, der sich darin verwickelt. Das haben wir schon oft gesehen.

Freude: Was soll ich tun, wenn ich der Anwalt des Königs bin?

Vernunft: Das wird vielen mißfallen, letztendlich auch deinem Herrn, und was am gefährlichsten ist, sogar Gott selbst. Für geringen Nutzen mußt du die schweren Probleme des Königreichs und des Volkes entweder bereinigen oder selbst ertragen.

Freude: Ich bin aber zum Anwalt des Königs ernannt worden.

Vernunft: An dem Tag, als dieses verhaßte Amt durch deine Haustür gekommen ist, hast du dein unabhängiges Leben verloren. Damit endeten Freiheit, Frieden, Ruhe und Seligkeit und wurden durch Knechtschaft, Mühe, Unmut, Angst, Trauer, Qual und bittere Sorgen ersetzt. So lebst du nicht mehr, auch wenn du noch atmest. Das Leben all derer, die sich selbst beschäftigen, ist wie der Tod. Und obwohl sie alle unglücklich sind, sind jene noch unglücklicher, die sich für andere selbst beschäftigen, insbesondere im Namen von Königen, Tyrannen oder anderen Machthabern.

Freude: Ich bin sogar ein Richter.

Vernunft: Dann richte so, wie du später auch selbst gerichtet sein willst. Denn in Wahrheit gibt es nur einen Richter aller Wesen, nur einen unbestechlichen Richterstuhl, vor dem alle Menschen stehen werden. Was nützt es also, mit Betrug zu richten und die Gerechtigkeit unter die Richterbank zu zwingen? Auf jenem großen Stuhl wird ein allwissender Richter sitzen, und wer hier ungerecht gerichtet hat, dem nützen dort weder Geld noch Gunst, falsche Zeugen, schmeichelnde Bitten, böse Drohungen oder redegewandte Verteidiger.

Freude: Ich bin auch ein Ratsherr in meinem Vaterland.

Vernunft: Das ist eine schwerwiegende Ehre. Nur selten kann man so raten, daß es auch Gutes bringt, das allen gefällt, selbst wenn deine Worte wahrhaftig sind, deine Ratschläge auf Vertrauen treffen, du die Geheimnisse bewahrst und freundlich sprichst. Denn am Ende wird das Ergebnis vom Glück bestimmt, und dieses Ergebnis wird der Lohn deines Rates sein.

Freude: Ich bin auch Verwalter einer Stadt.

Vernunft: Du willst einen tausendköpfigen Drachen mit einer dünnen Leine zügeln, wie Horaz sagt, oder ganz allein ein riesiges Schiff über den tobenden Ozean segeln. Es ist schon schwer genug, ein kleines Haus zu beherrschen, und so wirst du noch sehen, wie schwer es ist, eine große Stadt zu regieren. Hast du nicht genug Probleme im eigenen Haus? Warum suchst du noch die äußeren Probleme dazu, was nicht nur beschwerlich ist, sondern auch noch relativ nutzlos? Der Satiriker nannte den Stadtverwalter einen Bauern (der den ganzen Tag nur ackern muß). Und wenn es damals ein Bauer war, was ist er heute anders als ein Förster oder Holzfäller? Damals waren die Städte noch wie Dörfer, heute sind sie wie große Wälder (mit vielen Bewohnern).

Freude: Ich bin sogar Verwalter eines Landes.

Vernunft: So wurdest du mit großer Ehre zum Elend verurteilt! Du hast den inneren Frieden gegen äußerliche Sorgen eingetauscht. Hoff nicht mehr auf Ruhe und Seligkeit, denn Bitterkeit und Verwirrung sind das Los der weltlichen Herrscher. Selbst an Feiertagen, zu Spielen und Festen wirst du überall belästigt und getrieben. Deine Haustür ist für gute Gaben geschlossen, aber für Streitereien geöffnet. Du erfährst keine Freude mehr, dafür Beschwerden und Zank. Alles was schwach, krank und vergänglich in diesem weltlichen Reich lauert, das alles mußt du versorgen, richten und heilen. Oh, das ist eine schwierige Aufgabe! Wie groß die Aufgabe ist, andere zu beherrschen, zu bessern und zu heilen, zeigt sich daran, wie schwer es ist, wenn man versucht, sich selbst zu beherrschen, zu bessern und zu heilen.

Petrarcameister - Von königlichen Ämtern

Wie Walther Scheidig aus historischer Sicht erklärt, wird in diesem Bild eine Geschichte von Herodot dargestellt, der um 440 v. Chr. schrieb:

Sisamnes, der königliche Richter unter Kambyses, hatte sich durch Bestechung zu einem ungerechten Urteil verleiten lassen. König Kambyses ließ ihn hinrichten, enthäuten und mit dem Leder der Haut den Richterstuhl bespannen. Darauf setzte er Otanes, den Sohn dieses Richters, übergab ihm den Richterstab und sprach, er solle stets bedenken, auf welchem Stuhl sitzend er Recht spreche. (Herodot, Historien 5.25)


Otanes wird auf den Richterstuhl seines Vaters gesetzt.
Joachim Wtewael, Kupferstich 1606, Quelle: Metmuseum

So sieht man im Bild des Petrarca-Meisters vorn rechts den Richter, der mit Geld, Worten und Macht bestochen wird, links den König vor dem hingerichteten Richter und hinten den Sohn, wie er auf den Richterstuhl und die Haut des Vaters gesetzt wird und den Richterstab empfängt. Der Sohn scheint sich innerlich zu wehren, schaut auf seinen Vater und erkennt vermutlich, wie schwer es ist, in dieser Welt wahre Gerechtigkeit zu üben. Und doch ist es sein Erbe, diese Herausforderung anzunehmen.

Auf symbolischer Ebene sieht man die im Text erwähnten königlichen Ämter, den Verwalter der Schatzkammer mit dem Geldtopf, den Richter mit dem Gesetzbuch und den feisten Stadtverwalter mit großem Schlüsselbund und Geldbeutel. Sie stehen zwischen dem weltlichen König links und dem höheren Richter rechts, der ebenfalls im Text erwähnt wird. Der weltliche König weist sie an, und sie müssen seine Interessen vertreten, doch verantworten müssen sie sich in Wahrheit vor dem höchsten Richter, den man damals auch Gott nannte. Dazu sieht man am Richterstuhl ganz rechts ein kleines Kind sitzen, das an das Christkind erinnert, den Sohn Gottes, in dem man auch die ganze Welt sehen kann, die von Gott gezeugt und durch seine Natur geboren wurde. Seine linke Hand hält den Richterstab und seine Recht zeigte vermutlich eine besondere Geste mit zwei gespreizten Fingern, die uns an das Spiel der weltlichen Gegensätze erinnert.

Solange ein Richter in diesen weltlichen Gegensätzen gefangen ist, vor allem im Ichbewußtsein mit der Vorstellung von Mein und Dein, kann es natürlich keine wahre Unparteilichkeit geben. So versucht man oft seine „eigene Haut“ zu retten. Doch schon Jesus sprach:
„Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es gewinnen zum ewigen Leben. (Matthäus 16.25 / Joh. 12.25)“

Auf geistiger Ebene kann man König und Richter auch als Symbole für die höhere Vernunft sehen, die man im Leben entwickeln sollte. Sie hat die Aufgabe, über die weltlichen Gegensätze zu „ent-scheiden“, ihren ewigen Streit zu schlichten und Einigung zu schaffen. Dagegen erinnern die königlichen Ämter mehr an den Verstand mit den Gedanken, die durch ihre begrifflichen „Unter-scheidungen“ die Gegensätze und ihren Streit vermehren. Damit verlagert sich das ganze Bild wieder in das Innere eines Menschen, und darüber spricht offenbar auch Petrarca in seinem Text ausführlich. Die Symbolik einer solchen inneren Körperstadt mit König und Ämtern ist schon sehr alt. Man findet sie bereits in den alten indischen Epen, wie im Mahabharata 12.254.

1.48. Von der Ritterschaft

Freude: Ich trage den ritterlichen Gürtel.

Vernunft: Bedrücken dich nicht schon genug üble Dinge im Leben, daß du auch noch als Ritter kämpfen mußt, damit du niemals wahre Ruhe und Ehre findest und ständig von Gefahr und Verachtung bedroht bist?

Freude: Ich bin gern ein Kämpfer.

Vernunft: Das bist du von Geburt an. Warum willst du es doppelt sein? Dieser umhüllt den Geist mit Illusion und kämpft mit listiger Zunge, jener umhüllt den Körper mit Eisen und kämpft mit scharfem Stahl. Sie beide kämpfen mit Waffen. Der sät und jener baut, der spricht und jener streitet, der läuft und jener reitet, der treibt und jener wird getrieben, der gehorcht und jener kommandiert. Keiner von dir kann jemals zufrieden sein. Nun, was ist das für ein Kampf? Sie kämpfen im Heer, in Gericht und Schulen, in Wäldern und auf Feldern, auf Meeren, in Palästen oder Häusern, daheim oder unterwegs. Sie wollen Menschen sein, aber kämpfen im Krieg wie wilde Tiere in der Wildnis, wie schon Horaz sagte. Obwohl es zahlreiche Arten des Kampfes gibt, so gibt es doch nur einen Kampf, und das ist das Leben auf der Erde. Es scheint mir, das Er (Gott) diesen Kampf durch ein gerechtes und tiefgründiges Urteil bestimmt hat, weil Er mit diesem Kampf den Streit der weltlichen Gegensätze verbunden hat.

Freude: Ich bin nun einmal ein Ritter in diesem Kampf.

Vernunft: Doch warum rüstest du dich äußerlich? Der Kampf geschieht im Inneren der Seele, die von den Sünden und Leidenschaften belagert und angegriffen wird. Wozu brauchst du eine äußere Rüstung, die mehr den Körper schmückt als den Geist beschützt? Viele Leute sagen, daß es nichts Herrlicheres gibt als einen Mann mit Rüstung und Waffen. Doch ich kann nichts sehen, was mit eiserner Brust und eisernem Kopf besser wäre, als ein friedlicher und unbewaffneter Mann. Doch wenn es dein größter Wunsch ist, dann geh und zwänge dich in eine Hülle aus Eisen und laß Regen und Sonne auf deinen Helm prasseln. Beschütze dich mit deinem Schild und schlafe mit dem Schwert an deiner Seite auf der Erde. Springe auf, wenn der Alarm ertönt und denke, daß du damit wirklich Großes erkämpft hast. Ich denke, du irrst dich und hast ein zweifelhaftes und blutiges Gewerbe gewählt.

Ich muß zugeben, daß die Hoffnung viele Täuschungen und Ketten hat, die den Geist derer ins Verderben stürzen, die mit Begierde achtlos den weltlichen Gütern nachjagen. Ich will nicht leugnen, daß es Menschen gibt, die durch Krieg immensen Reichtum gewonnen haben und sogar bis zum Kaiser aufgestiegen sind. Doch glaube mir, viele andere, die diesen Weg gegangen sind, fielen in Armut, Gefängnis und Knechtschaft oder haben ein gewaltsames und plötzliches Ende genommen. Wenn du den Kriegsdienst nicht entbehren willst, mußt du ständig bereit sein, deine Seele zu töten, und immer klingt der kaiserliche Befehl in deinen Ohren: „Lerne das Töten und lerne das Sterben!“ - Nur ein kleiner begrifflicher Unterschied: Entweder du tötest oder du wirst getötet! Daran mußt du jederzeit und überall denken. Das ist die Fähigkeit, an der du dich so sehr erfreust. Höre doch, was der satirische Dichter sagte, als er den reichen Gewinn für Soldaten beschrieb. Nachdem er zahllose Beispiele aufgezählt hat, sieht er den größten Gewinn darin, ungezügelt Verbrechen zu begehen. Denn wenn die Waffen sprechen, schweigt die Gerechtigkeit. Ich frage dich: Welcher vernünftige Mensch wünscht sich das?

Freude: Ich habe sogar meinen Sohn zum Soldaten gemacht.

Vernunft: Das ist der gewöhnliche Lauf, daß der Sohn eines Soldaten auch ein Soldat wird, weil der Vater ihm kein besseres Erbe hinterlassen kann, als Bogen, Pfeile, Schild und Schwert für den Krieg, und damit das Spiel vollkommen ist, noch einen vergoldeten Sporn. Was ich also dem Vater gesagt habe, sollte auch der Sohn erfahren.

Freude: Ich bin ein Kriegsherr, der für seine Siege berühmt ist.

Vernunft: Viel besser wäre es, wenn du ein Herr des Friedens wärst, der für seine Tugenden berühmt ist.

Freude: Ich habe schon in vielen Kriegen gekämpft.

Vernunft: Eine würdige Leistung! Du hast dir und anderen die Ruhe und den Frieden genommen.

Freude: Ich bin bekannt für meine Erfolge.

Vernunft: Ja, das Böse ist oft mehr bekannt als das Gute. Über einen Wirbelsturm wird viel mehr gesprochen als über schönes Wetter. Du hast viele Titel für deinen Grabstein angesammelt, eine aufregende Geschichte für andere, aber für dich selbst nichts Wahres gewonnen.

Petrarcameister - Von der Ritterschaft

Walther Scheidig sagt zu diesem Bild: Petrarca hält nichts vom Selbstlob der „Freude“: „Ich bin mit dem ritterlichen Gürtel geziert.“ Er kannte die unseligen Machtkämpfe der Ritter seiner italienischen Heimat. Er hatte selbst am Hofe von Glücksrittern gelebt und hielt Ritterschaft zusammen mit ihrem Handwerk, dem Kriege, für ein schweres Unheil.

Der Petrarca-Meister läßt den ganzen Pomp des Landsknechtswesens seiner Zeit im Bilde aufleben: die Pfeifer und Trommler, die Kriegsknechte in phantastischer Tracht mit prahlerischen Federbüschen und wehenden Fahnen. Rechts ist der Ritter dargestellt, der im Begriff ist, sich an die Spitze des Zuges zu setzen. Sein Roß steht bereit, ein alter Mann legt ihm die Sporen an. Der Ritter beachtet ihn nicht, er agiert über seinen Kopf hinweg zu seinen Söldnern hinüber. Der Alte, der dem Ritter dient, ist mit schlichter Kleidung, mit Brottasche und Rosenkranz am Gürtel unverkennbar als „gemeiner Mann“ dargestellt. Aus seinen Händen nun läßt der Petrarca-Meister den Ritter das Zeichen seiner Würde, die goldenen Sporen, empfangen.

Soweit spricht der Kunsthistoriker über dieses Bild. Wir möchten noch hinzufügen, daß der Begriff „Ritter“ von „Ritt“ abgeleitet wurde, weshalb er auch mit seinem prachtvollen Pferd dargestellt wird. Wenn der Knappe sich als Ritter bewährt hatte, wurden ihm zum Zeichen der Ritterschaft die vergoldeten Sporen verliehen. Daraus entstand auch das bekannte Sprichwort: „Sich seine Sporen verdienen“ Aus weltlicher Sicht ist der Krieg natürlich immer zweifelhaft, wie auch Petrarca im Text betont. Die übergroße Fahne in der Mitte des Bildes erinnert an das Banner, womit man sich zu einer bestimmten Zugehörigkeit bekennt, einer Herrschaft, einem Verein oder einer Partei. Entsprechend trennt diese Fahne auch im Bild die beiden Parteien. Der Kampf war damals noch stolze Männersache und zeigte sich in der stolzen Tracht prächtig bunter Kleider. Es galt der alte Spruch von Wallenstein: „Setzt du dein Leben nicht ein, wird es nie gewonnen sein.“ Er später erschienen die Soldaten in graugrünen Uniformen, verloren ihr individuelles Gesicht und kämpften nur noch anonym gegen anonyme Gegner aus dem Hinterhalt von Schützengräben mit der Gewalt weitreichender Waffen.

Wesentlich interessanter ist der Kampf aus geistiger Sicht, oder wie Petrarca sagt, der Kampf im Inneren der Seele. Die wehende Fahne erinnert hier an die geistigen Ziele, denn Wind und Geist als bewegende Kräfte werden symbolisch gern verknüpft. Diese Fahne weht allem voran, und man sieht deutlich, welchen großen Wert der Maler darauf gelegt hat. Und wie diese Fahne aus weltlicher Sicht die Parteien trennt, so kann sie aus geistiger Sicht alle Gegensätze vereinen und umschließt auch symbolisch den Kopf des Pferdes. Das Pferd als Zug- und Reittier kann man als den Willen betrachten, der uns trägt. Der Reiter wäre dann das Ichbewußtsein, das in den Kampf zieht, um zu siegen. Die bunten Krieger auf beiden Seiten erinnern an die gegensätzlichen Gedanken und Sinneseindrücke, die Musikinstrumente an unsere Worte und die Waffen an unsere Taten. Das sind die drei Arten, mit denen man Verdienst und Sünde ansammeln kann, nämlich durch Gedanken, Worte und Taten. Dahin schaut und danach greift der Ritter bzw. das Ichbewußtsein. Die beste Rüstung für den Ritter ist natürlich die Vernunft, die den Geist unverletzlich machen kann. Diese Rüstung ist wesentlich größer und wirksamer als die eiserne Rüstung, die das Ichbewußtsein mit dem persönlichen Körper beschützen soll. Denn sie beschützt nicht das kleinliche Ich, sondern das ganze Leben im ganzheitlichen Sinne, indem sie das Ichbewußtsein von der krankhaften Vorstellung eines getrennten sterblichen Wesens heilt. Die Bibel spricht hier von der Waffenrüstung Gottes. Dazu dient die Weisheit, mit der man sich die goldenen Sporen in der geistigen Welt verdienen kann. Dabei erinnert das Gold an die Wahrheit, die es zu finden gilt, und die Weisheit könnte man hier in der Symbolik des alten Mannes mit dem Rosenkranz erkennen, ein Pilger auf dem Weg des Lebens, der die Weisheit des Alters gefunden hat, die vor allem darin besteht, die Anhaftung an den zunehmend vergänglichen Körper aufzugeben und sich einer geistigen Welt zuzuwenden. Das ist der wahre Segen des natürlichen Alterungsprozesses. Der menschliche Körper wird oft auch als eine Burg des Ritters bzw. Ichbewußtseins symbolisiert und könnte rechts im Bild als die Mauer mit dem Torbogen angedeutet sein. Der steinige Boden erinnert an die vielen Hindernisse und die verstreuten Pflanzen sowie die Bäume im Hintergrund an das Lebendige auf dem Weg. Das Leben ist natürlich das Wichtigste in diesem geistigen Kampf, was es zu gewinnen gilt, am besten natürlich das ewige Leben. Der Tod ist niemals ein wahrer Sieg.

1.49. Von der Freundschaft der Könige

Freude: Ich suche die Freundschaft der Könige.

Vernunft: Schon wahre Freundschaft unter Männern ist selten. Und du glaubst, die Freundschaft von Königen zu besitzen, die in ihrer scheinbaren Pracht und ihrem stolzen Geist alles Niedere verachten?

Freude: Ich bin den Königen lieb und angenehm.

Vernunft: Dir scheint Vernunft, Tugend, Ehre, Frieden, Freiheit und Sicherheit nicht viel zu bedeuten. Denn Könige sind dafür bekannt, daß sie selten jemanden lieben, außer denen, die all diese Tugenden aufgeben, um ihrer Grausamkeit, Lust und Gier zu dienen. Wenn du solche Könige liebst, dann brauch ich nicht weiter mit dir zu sprechen, denn du hast dich selbst verloren.

Freude: Gerade wegen meiner Güte und Tugend bin ich den Königen lieb.

Vernunft: Dann kann ich dir mit Crispus antworten: Könige mißtrauen den Guten mehr als den Übelgesinnten, denn die Tugend anderer ist ihnen immer eine große Gefahr.

Freude: Mein König liebt mich wegen meiner besonderen Talente.

Vernunft: Welche meinst du? Das Vogelfangen oder Jagen, von denen wir bereits gesprochen haben? Oder vielleicht deinen Kriegsdienst? Dazu haben wir gerade festgestellt, daß weder der blutige Tod noch die körperliche Gefahr den Krieg verdienstvoll machen. Diese Art von Krieg ist leidenschaftlicher Wahnsinn, und das nicht nur für Könige sondern auch für das Volk.

Freude: Der König liebt mich wegen vieler Talente.

Vernunft: Meinst du vielleicht Eitelkeit und Laster? Oder vielleicht Verbrechen wie Totschlag, Vergiftung, Verleumdung, Verrat, Hinterlist oder Lügen, die schrecklichen Schädlinge, die man gewöhnlich im Namen der Politik entschuldigt? Dies sind einige Talente, die weltliche Könige besonders ansprechen, für die es nichts Gefährlicheres gibt als wahre Tugend und Weisheit. Daher haben diese beiden keine Chance auf die Freundschaft der Könige, sondern sind ein Grund für Haß. Und deshalb gibt es auch selten Frieden zwischen Weisheit und weltlichem Glück.

Freude: Ich habe großes Ansehen vor den Königen.

Vernunft: Größer als Lysimachos bei Alexander oder Seianus bei Tiberius? Du kennst ihre anfängliche Gunst und ihren nachfolgenden Untergang wohl, auch wenn die Historiker unterschiedliche Geschichten erzählen. Es gibt noch viele andere Beispiele in einer langen Liste.

Freude: Ich bin aber meinem König lieb.

Vernunft: Es wäre besser für dich, dem König unbekannt zu sein, vielleicht sogar von ihm gehaßt. Denn dann würdest du das Risiko vermeiden, das du jetzt eingehst. Der liebliche Lockruf des Vogelstellers ist viel gefährlicher, als das gewöhnliche Gezwitscher des Freundes.

Freude: Mein König hegt große Liebe zu mir.

Vernunft: Es gibt Menschen, bei denen man sich fragt, ob ihre Liebe vielleicht gefährlicher ist als ihr Haß. Sie sind schlimmer als Schlangen, deren Gift noch als Medizin zu gebrauchen ist, denn in ihnen ist so viel Pest und Verletzlichkeit, daß sie immer verletzen, ob sie nun hassen oder lieben, nur daß der Haß meistens schneller vergeht als ihre Liebe. Kurz gesagt, es gibt nichts, was mehr beunruhigt und gefährlicher ist, als die Freundschaft der Könige, zumindest was ihre Herrschaft betrifft. Wir wissen, daß diese Gefahr, auf die so viele vergeblich hoffen, zu hohen Kosten erkauft und mit großem Risiko verfolgt wird. Doch das ist die menschliche Natur: Sie sucht die Gefahr und geht große Risiken ein, um sich immer größere Gefahren und Risiken zu kaufen. Das ist höchst bemerkenswert: Man lehnt die größte Ware ab, die kostenfrei ist, um sich durch große Übel immer größere Übel zu erkaufen.

Freude: Ich hoffe aber auf die Liebe des Königs.

Vernunft: Überlege gut, worauf du deine Hoffnung setzt! Das weltliche Königtum ist nur eine zerbrechliche, unzuverlässige und schwache Grundlage, wie die bekannten Stürze der Könige zeigen. Und daß es sich um einen umwölkten Gipfel handelt, der unruhig und windig ist, zeigt das Leben der Könige selbst, das oft traurig, sorgenvoll und schwierig ist. So sei vorsichtig, worauf du baust, denn wie ihr eigenes Glück so sind auch die Gedanken der Könige launisch und unzuverlässig. Und selbst wenn sie beständig wären, würde es wenig Gutes und viel Böses bedeuten.

Freude: Ich habe die Freundschaft meines Königs mit vielen Gefahren und Schweiß verdient.

Vernunft: Ach, wieviel sicherer und wieviel einfacher hättest du dir die Freundschaft vom König aller Geschöpfe verdienen können, Gott selbst!

Petrarcameister - Von der Freundschaft der Könige

Zum Ausruf „Ich suche die Freundschaft der Könige!“ steht die Darstellung in lauterstem Widerspruch. Links müht sich hinter dem Rücken des Königs unbeachtet der „Freund“, der mit „Federklauben“, also mit nichtigen Diensten, dem Großen seine Ergebenheit zu erweisen sucht. Schon im 11. Kapitel war von diesem Federklauben die Rede. Rechts heißt es, die Hand in den Rachen des Löwen zu legen, wenn man Freundschaft mit Königen sucht. Im Hintergrund arbeitet das Fallbeil und räumt nach dem Befehl des Königs unter seinen „Freunden“ auf, wie es Petrarca in seinem Text von Lysimachos als Freund Alexanders und von Servius als Freund des Tiberius zu berichten wußte.

Soweit spricht der Kunsthistoriker über dieses Bild. Über Lysimachos gibt es verschiedene Geschichten. Plinius und Seneca berichten, das er ein General und enger Freund vom Alexander des Großen war, aber später von ihm den Löwen vorgeworfen wurde. Vermutlich bezieht sich auch der Maler in seinem Bild rechts unten auf diese Überlieferung. Petrarca selbst war offenbar sehr enttäuscht von der Monarchie der Könige, aber auch besonders von der Herrschaft des Papstes in Avignon, die er persönlich kennenlernt hatte. Er schrieb: „Eine Stätte des Kummers, eine Schande der Menschheit, ein Pfuhl des Lasters ... eine Kloake, in der sich der Schmutz und Dreck des Weltalls angesammelt hat... Hier hat man für Gott nur Verachtung übrig, hier wird das Geld angebetet, hier werden die Gesetze Gottes und der Menschen mit Füßen getreten... Jegliches Ding hier atmet Lüge - die Luft, die Erde, die Häuser und vor allem die Schlafzimmer.“ An den Königshäusern sah es wohl nicht wesentlich besser aus. Der zunehmende Materialismus in Kirche und Staat hat auch aus den Königen Superegos gemacht, und ein Ego als König kann natürlich nicht lange gut gehen. Damit war diese Form der Regierung, die viele hunderte oder auch tausende Jahre funktioniert hatte, dem Untergang geweiht, und man versuchte es mit der Demokratie. Nicht, daß hier die Egos kleiner wurden, aber man versammelte viele Egos zu einer Regierung, die sich durch gegensätzliche Ziele untereinander zügelten und zusammen einigermaßen ein vernünftiges Mittelmaß in der Herrschaft hervorbrachten. Doch gegenwärtig wird auch die Opposition in der Regierung immer schwächer, die Politiker vertreten zunehmend die gleichen egoistischen Ziele, und so wachsen wieder Diktatur und Tyrannei. Die Herrschaft des Egos geht eben nicht lange gut, egal in welcher Regierungsform.

Aus geistiger Sicht geht es natürlich darum, daß nicht das Ego, sondern die Vernunft zum König wird. Darum kämpft auch Petrarca in seiner Argumentation gegenüber der sinnlichen Freude, die dem Ego dienen will, das gern als König des Körpers regiert. Dieser Ego-König ist natürlich ein Feind von Weisheit und Tugend, denn diese Werte erheben die Vernunft zum König, und damit fällt die Herrschaft des Egos. Aus dieser Sicht kann man auch im Bild des Petrarca-Meisters das Fallbeil betrachten, womit der Kopf als Sitz der Weisheit abgeschlagen wird, und die in Ketten gebundene Tugend wird vom Löwen der Leidenschaft und Begierde zerrissen. Daneben steht jeweils der Ego-König, der diese Freunde töten läßt, und im Hintergrund sind die bewaffneten Soldaten, die wir im vorhergehenden Kapitel bereits kennengelernt haben. Links im Bild sieht man gut, wie die sinnliche Freude um die persönliche Anerkennung durch den Ego-König buhlt und wie er sich von den gegensätzlichen Gedanken, die sich gern streiten, mit dem Blick auf die irdische Welt im Hintergrund führen läßt. Im Zentrum des Bildes steht eine blühende Pflanze, die vielleicht das Leben symbolisieren soll, oder wie Petrarca die Vernunft sprechen läßt: Verdiene dir doch die Freundschaft vom König aller Geschöpfe, von Gott selbst!


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