Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

1.50. Vom Überfluß der Freunde

Freude: Ich habe Freunde im Überfluß.

Vernunft: Es ist höchst erstaunlich, daß du im Überfluß hast, was unter Menschen so selten ist, daß im Laufe der Jahrhunderte nur sehr wenige wahre Freunde in Erinnerung blieben.

Freude: Ich habe wirklich viele Freundschaften.

Vernunft: Deshalb sind es keine wahren. Denn wahre Freundschaft ist so selten, daß jeder, der zu Lebzeiten nur einen wahren Freund gefunden hat, diesbezüglich als fleißigster Sucher angesehen werden muß.

Freude: Ich habe viel Glück, wenn es um Freunde geht.

Vernunft: Das kannst du nur im Vergleich zu anderem Unglück wissen. Denn der Spruch ist wahr: Der Glückselige weiß nicht, daß er geliebt wird.

Freude: Ich habe gewisse Freundschaft.

Vernunft: Darum sind auch die Widerwärtigkeiten gewiß. Denn dieser Spruch ist auch wahr: Ein gewisser Freund beweist sich erst in Widerwärtigkeiten.

Freude: Ich habe viele Freunde.

Vernunft: Laß die langfristige Erfahrung darüber urteilen, nicht deine kurzsichtige Meinung, die dich in vielen Dingen täuscht. Dann hast du vielleicht viel weniger, als du denkst.

Freude: Ich habe wirklich sehr viele Freunde.

Vernunft: Vermeide jedes Übermaß in allen Dingen! Wer zufrieden ist, braucht nicht mehr.

Freude: Ich bin zufrieden mit meinen vielen Freunden.

Vernunft: Du kannst in der berühmten Historie von Rom lesen, das dies den Menschen dort nie gelungen ist, nicht einmal in den blühendsten Zeiten. Mit viel zufrieden zu sein, ist für alle Sterblichen äußerst schwer.

Freude: Ich habe nun einmal viele Freunde.

Vernunft: Wie gesagt, viele müssen falsch oder zumindest unvollkommen sein, wie die Philosophen sagen. So geschieht es, daß du manchen der Freunde mehr liebst als einen anderen. Und wenn sich zwei Freunde streiten, mußt du Partei ergreifen oder beide aufgeben.

Freude: Ich habe eine Menge nützliche und erfreuliche Freunde.

Vernunft: Ich meine, jetzt sinkst du auf das Niveau gemeiner Freundschaften, die doch nicht lange beständig sind, weil sie auf Gaben und Gegengaben beruhen und nicht mehr als ein freundschaftliches Geschäft sind. Es ist schwer für den Geist, solche Freundschaften zu halten, denn sie sind ein Werk der Gedanken.

Freude: Ich habe aber Freunde, dir mir nutzen und mich vergnügen.

Vernunft: Schwach sind die Freundschaften, die auf Nutzen und Vergnügen beruhen, denn mit diesen Erwartungen steigt und fällt die Freundschaft. Und das diese Dinge mit der Zeit abnehmen, ist nicht nur möglich, sondern höchst wahrscheinlich und sogar notwendig, weil Nutzen und Vergnügen mit dem weltlichen Vermögen und den körperlichen Fähigkeiten zu tun haben, die für sterbliche Menschen höchst unzuverlässig sind. Nur Freundschaften, die auf Tugenden beruhen, sind unvergänglich und unsterblich, soweit die Tugenden unvergänglich und unsterblich sind, wie schon Aristoteles sagte. So lieben wir jene, die wir wegen ihrer Tugend geliebt haben, auch wenn sie körperlich bereits gestorben sind.

Freude: Wenn ich mich nicht irre, habe ich treue Freunde.

Vernunft: Ich würde dir wünschen, daß du nicht irrst. Doch in diesen Dingen ist der Glaube gewöhnlich süß und die praktische Prüfung bitter.

Freude: Ich glaube trotzdem, daß ich gute Freunde habe.

Vernunft: Untersuche sorgfältig, warum du das glaubst, und vor allem, wie sehr du sie liebst! Denn es gibt manche, die niemanden lieben, aber denken, daß sie geliebt werden. Es gibt wohl nichts Dümmeres, und doch ist es der häufigste Fehler der Reichen, die glauben, sie könnten Liebe mit Geld kaufen. Liebe basiert immer auf gegenseitiger Zuneigung. Ein treues Herz ist das Edelste, wenn es weder durch Bezauberung und Magie, Gold und Edelsteine oder das Schwert bewegt wird. Es kann nur durch Liebe und Hingabe gewonnen werden. Deshalb gefällt mit der folgende Satz des Philosophen Hekaton, den auch Seneca lobte: „Wenn du geliebt werden willst, dann liebe!“ Und auch das ist noch oft genug vergeblich. Die geheimen Höhlen des Herzens sind so vielfältig, unergründlich und abgrundtief, und die Gedanken können so giftig, unmenschlich und unerbittlich sein, daß sie jene hassen, von denen sie geliebt werden, und jene lieben, von denen sie gehaßt werden. Nicht nur, daß sie keine wahre Zuneigung erwidern können, wozu sogar wilde Tiere fähig sind, sie lehnen auch jede Loyalität ab und werden, so unglaublich es auch ist, durch Liebe zu Haß bewegt. Und das ist wohl das gefährlichste und schwerwiegendste aller Übel des Lebens, das zu schwerer Sünde führt.

Freude: Ich habe die besten Freunde.

Vernunft: Fürwahr, das „Beste“ ist ein ewiger Titel für die Freundschaft, die zwar vom Geist erfahren wird, aber mit Worten nicht auszudrücken ist. Wenn du „Freund“ sagst, solltest du immer das „Beste“ meinen.

Freude: Ich glaube an meine Freude.

Vernunft: Paß gut auf, daß dich dein Glaube nicht täuscht und die Wirklichkeit dich eines Tages zwingt, anderes zu glauben. Der Mensch kann die Abgründe des Geistes nicht ergründen. Heute freundet man sich beim Wein an, aber geprüft wird die Freundschaft erst in der Not (wenn „die Zeche bezahlt“ wird). Was also am Anfang stehen sollte, wird oft zum Ende solcher Freundschaften.

Freude: Ich habe auch in Wirklichkeit viele Freunde.

Vernunft: Ich denke, du meinst deinen gegenwärtigen Wohlstand, der gewöhnlich viele Freunde anzieht, deren Bedürfnisse entsprechend sind. So erzeugt Mangel immer Mangel und Überfluß immer Überfluß. Wenn du verarmt und bedürftig bist, nehmen diese Freunde ab und verschwinden, womit sich das Wesen dieser Freundschaften offenbart. Dann wirst du erkennen, wer deine Freunde oder die Freunde deines Wohlstandes sind. Denn sobald der Wohlstand weg ist, werden dir nur noch deine Freunde folgen. Die anderen folgen dem Wohlstand und gehen woanders hin. Deine Freunde werden dir helfen, doch die meisten werden dem Wohlstand folgen. Das heißt. Alle jene Freunde, die nur wegen des süßen Weins gekommen sind, werden wieder gehen, wenn das Faß leer ist. Man kann auch sagen: Armut vertreibt die Parasiten und Schmarotzer.

Freude: Scheinbar habe ich unzählige Freunde.

Vernunft: Du sagst richtig „scheinbar“. Woher hast du den Eindruck, daß deine Freunde unzählig sind, wenn schon eine wahre Freundschaft so selten ist? Zunächst solltest du verstehen, daß Freundschaft nur zwischen wahrhaft guten Menschen bestehen kann. Sobald du anfängst zu zählen, wie viele wahrhaft gute Menschen es gibt, kannst du ungefähr abschätzen, wie viele wahre Freunde es überhaupt im Kreise der Menschen geben kann.

Freude: Ich habe wirklich viele Freunde.

Vernunft: Sag lieber „Bekannte“, und selbst dann wäre deine Aussage noch zweifelhaft. Schon einfache Waren oder Tiere kann man nur schwer kennenlernen, um so schwerer andere Menschen.

Freude: Ich habe aber viele Freunde.

Vernunft: Vielleicht Dinnergäste, an denen es niemals fehlen wird, solange deine Vorräte reichen. Wahre Freunde wirst du immer nur wenige haben, vielleicht sogar gar keine. Oft sind es nur Freunde des Hauses, die sich selbst so nennen, und was noch schlimmer ist, Verräter im eigenen Haus unter dem Deckmantel der Freundschaft.

Freude: Ich habe mehr Freunde, als ich brauche.

Vernunft: Es ist eine wichtige Aufgabe, vor allem für Machthaber, in der Schar der sogenannten Freunde jene, zu finden, die es wagen, die Wahrheit zu sagen. Diesbezüglich kann ein Feind hilfreicher sein als ein Freund.

Freude: Ich brauche aber viele Freunde.

Vernunft: Das glaube ich auch, du brauchst viele Freunde. Denn diese Erde wäre gerechter und friedlicher, wenn es wirklich so viele Freundschaften gäbe, wie du behauptest.

Freude: Und wenn ich nur einen Freund hätte?

Vernunft: Nichts ist lieber als ein Freund, und nichts ist seltener...

Petrarcameister - Vom Überfluß der Freunde

Zum Bild könnte man sagen: Ich habe Überfluß und deshalb Freunde. Der Protz steht inmitten des Raumes wie die Säule hinter ihm, die seine Form bis ins Unabsehbare vergrößert. Er blickt nicht nach rechts und links, aber er gibt nach beiden Seiten mit vollen Händen, ohne zu beachten, wer in Empfang nimmt: hier einen vollen Beutel, dort einen pelzverbrämten Mantel. Mit kostbaren Gefäßen und vollen Säcken ziehen andere Freunde ab. - Mit Überlegung und tiefer Menschenkenntnis hat der Petrarca-Meister gearbeitet. Neben das dummstolze Gesicht des Protzen zeichnet er Gier, tückische Berechnung und gespielte Dienstfertigkeit in den Mienen, aber keine freundschaftliche Zuneigung. Gegen das breitbeinige massive Stehen der Mittelfigur stellt der Künstler als gesuchten Gegensatz die schnellfüßige Geschäftigkeit derer, die nicht rasch genug kommen und nicht flink genug wieder mit den Gaben des „Freundes“ verschwinden können. Im Ganzen gesehen ein Sittenbild von hohem moralischem Gehalt, der künstlerisch vollendet nahegebracht wird.

Soweit das Lob vom Kunsthistoriker Walther Scheidig. Auch aus geistiger Sicht ist das stolze und sehr beleibte Ego im Zentrum des Raumes hervorragend gezeichnet. Denn das Ichbewußtsein ist nun einmal die Stütze des Körpers und gleicht damit der Säule, die den Raum mit den massiven Wänden stützt. In diesem körperlichen Raum versammeln sich die Sinne und Gedanken mit ihrer persönlichen Lebensgeschichte, sozusagen dem Reichtum des Egos, das mit der rechten Hand den Wert und mit der linken die Form verleiht. Auch hier kann man fragen, wie wahrhaft und zuverlässig diese Freunde in Form der fünf Sinne und dem gedanklichen Wissen mit der persönlichen Erinnerung sind? Wie sehr kann man auf diese Vielfalt vertrauen, auf die Gedanken und Sinneseindrücke, die wir uns gern im Überfluß wünschen, soweit sie dem Ichbewußtsein angenehm sind? Und wie man im Bild diese Freunde im Überfluß sieht, so wild und unruhig sieht es gewöhnlich auch in unseren Köpfen aus. Deshalb steht am Ende die Frage der Vernunft: Wäre es nicht besser, nur einen Freund zu haben, ein ganzheitliches Bewußtsein, oder wie man früher sagte, Gott selbst? Damit würde die hartnäckige gedankliche Trennung zwischen „Mein“ und „Dein“ verschwinden, und damit auch der Eigennutz egoistischer Freunde. Und wie Petrarca sagte: Dann wäre die Erde viel gerechter und friedlicher...

So spricht auch Meister Eckhart: Nun aber spricht unser Herr viel treffender als Sankt Paulus: »Ich habe euch nicht Knechte geheißen, ich habe euch vielmehr meine Freunde geheißen.« »Der Knecht kennt seines Herrn Willen nicht«, aber der Freund weiß alles, was sein Freund weiß. »Alles, was ich von meinem Vater gehört habe, das habe ich euch kund getan« (Joh. 15.14), und alles, was mein Vater weiß, das weiß ich, und alles, was ich weiß, das wißt ihr; denn ich und mein Vater haben einen Geist. Der Mensch, der nun alles weiß, was Gott weiß, der ist ein Gott-wissender Mensch. Dieser Mensch erfaßt Gott in seinem Eigensein und in seiner eigenen Einheit und in seiner eigenen Gegenwart und in seiner eigenen Wahrheit; mit einem solchen Menschen ist es gar recht bestellt. (Predigt 11)

Hätte ich einen Freund und liebte ich ihn darum, daß mir Gutes von ihm geschähe und mein voller Wille, so liebte ich nicht meinen Freund, sondern mich selbst. Ich soll meinen Freund lieben um seiner eigenen Güte und um seiner eigenen Tugend und um alles dessen willen, was er in sich selbst ist: dann (erst) liebe ich meinen Freund recht, wenn ich ihn so, wie eben gerade gesagt wurde, liebe. Ganz so steht es bei dem Menschen, der da in Gottes Liebe steht, der des Seinen nichts sucht an Gott noch an sich selbst noch an irgendwelchen Dingen und Gott allein um seiner Güte und um der Güte seiner Natur und um alles dessen willen liebt, was in sich selbst ist. Und das ist rechte Liebe. (Predigt 31)

1.51. Von unbekannten Freunden

Freude: Mein weitverbreiteter Ruf hat mir auch unbekannte Freunde eingebracht.

Vernunft: Bisweilen macht der Ruf nicht nur Unbekannte, sondern auch Feinde zu Freunden. Dies geschah mit Scipio und Masinissa, der eigentlich der Erste in der karthagischen Kavallerie war, aber dann zum Ersten in der römischen Kavallerie gegen Karthago wurde. Das geschah auch mit Scipios persönlichen Feinden, der Räuberbande, die als berüchtigte Feinde aller Menschen galten. Die Herrlichkeit seines Rufs zog sie an, und sie marschierten nach Liternum, wo Scipio im Exil lebte, als suchten sie den Kampf - ein schreckliches Schauspiel. Als sie aber merkten, daß sie gefürchtet wurden, legten sie die drohenden Waffen nieder, und die Anführer der Räuber ließen ihre Schar zurück und näherten sich Scipio mit ungewohnter Sanftmut, als wäre er ein Gott und sein Haus ein vielverehrter Tempel. Sie ehrten seine siegreiche rechte Hand mit vielen Küssen und legten am Eingang des Hauses Geschenke nieder, wie es damals Brauch vor den Altären der Götter war. Es schien ihnen, als wäre es ein großer Gewinn, diesen Mann zu sehen, und sie gingen, wie von einer himmlischen Vision verzaubert. Dies geschah dem großen Scipio. Wo könnte man einen ähnlichen Mann finden?

So ähnlich könnte es passieren, daß ein ruhmreicher Name unbekannte Freunde gewinnt. Ich will also nicht leugnen, daß der Ruf viel bewirken kann. Doch ist es trügerisch, und durch Gegenwart kann der Ruf schnell leiden. Denn die Achtung, die durch Abstand erhöht wird, verschwindet oft in der Nähe. Das Urteil der Menschen ist eine wacklige Meinung, die sich leicht umkehrt.

Freude: Mein Ruf hat mir Freunde jenseits der Alpen und sogar des Meeres eingebracht.

Vernunft: Ja, du liebst unnütze und wertlose Dinge. Welchen Nutzen oder Wert hat ein Freund, der dich nie gesehen hat und den du nie sehen wirst? Deine Laster machen schon die gegenwärtigen Freundschaften nutz- und wertlos, um so mehr jene, die nur so genannt werden. Was erwartest du von solchen Freundschaften? Der Satire-Dichter sagt: „Es ist die Eigenliebe, die solche Freunde macht!“ Doch wahre Freunde werden weder durch Eigenliebe noch durch einen Ruf gewonnen, der vielleicht nicht einmal dein ist. In welcher Illusion lebst du?

Freude: Mein Ruf bringt mir Freunde aus den entferntesten Teilen der Welt.

Vernunft: Und der Verruf wird sie wieder umstimmen, und das um so leichter, weil die Ohren der Menschen für Bosheit empfänglicher sind als für Gutes.

Freude: Mein Ruf hat mir wirklich gute Freunde gebracht.

Vernunft: Woher weißt du, daß der, den du noch nie gesehen hast, wirklich gut ist, wenn du nicht einmal die Freunde wirklich kennst, denen du täglich begegnest? Oft genug täuscht dich deine Leichtgläubigkeit, weil du gern glaubst, was du dir gern wünschst. Du vertraust zuviel dem trügerischen Ruf der Lüge. Du glaubst, den Geist eines Menschen zu kennen, dessen wahres Gesicht du nie gesehen hast, obwohl es selbst in den Herzen der Vertrauten so viele geheime Abgründe und Verstecke gibt. Es ist wirklich schwierig einen wahren Freund zu erkennen, außer in Zeiten der Not. Leicht findet man einen Freund, aber nur schwer ist er zu erkennen. Manchmal findet man ihn in einer Stunde mit ein paar Worten, aber der Beweis braucht oft Jahre und viele Prüfungen. Man nennt ihn zunächst „Freund“, aber ein wahrer Freund ist nicht gefunden, bevor er erprobt wurde. Kein noch so guter Ruf kann einen Freund beweisen, nur die Liebe und Hingabe, welche die Erfahrung offenbart.

Freude: Mein Ruf ist aber weit gelangt und hat mir Freunde gebracht.

Vernunft: Vielleicht hat einer nur gelogen und dir die Freunde gebracht. Und wenn er die Wahrheit sagt oder anderes lügt, dann verschwinden sie. Denn so, wie Dinge entstehen, so vergehen sie auch wieder. Ein Gesetz der Natur: Was schnell wächst, vergeht auch schnell.

Petrarcameister - Von unbekannten Freunden

Walther Scheidig erklärt zu diesem Bild des Petrarca-Meisters, daß im Vordergrund König Masinissa von Ostnumidien zu sehen ist, der durch den Ruf, den der römische Feldherr und Konsul Scipio Africanus besessen hatte, veranlaßt wurde, im zweiten Punischen Krieg auf die Seite der Römer überzugehen. Im Bild steht Scipio Africanus in einer fantastischen Rüstung in der Mitte und reicht dem König Masinissa, der mit Krone und Zepter zu ihm kommt, die Hand. Über die Szene im Hintergrund rätselte der Kunsthistoriker, doch vermutlich sieht man hier den zweiten Teil der Geschichte von Scipio, der nach seinem unvergleichlich ruhmreichen Aufstieg als Feldherr in politische Streitigkeiten fiel und sich schließlich in ein selbstgewähltes Exil nach Liternum in Kampanien an der Westküste Italiens zurückzog. Hier lebte er relativ bescheiden, wie es angesichts seines großen Reichtums nur durch Vernunft möglich ist, und Seneca, der diesen Ort später besuchte, schrieb dazu:
Ich habe seine aus gehauenem Stein gebaute Villa gesehen. Sie ist zusammen mit einem kleinen Wald von einer Mauer umschlossenen; Türme erheben sich zur Verteidigung nach beiden Seiten. Unterhalb des Gebäudes und des Gartens befindet sich ein Wasserbehälter, geräumig genug, um ein ganzes Kriegsheer zu versorgen. Der Baderaum ist, nach alter Art, klein, eng und dunkel, denn unsere Alten meinten, ein Bad wäre nicht warm, wenn es nicht dunkel wäre. Es war mir ein großer Genuß, die Sitten Scipios im Vergleich mit den unsrigen zu betrachten. In diesem Winkel wusch der Schrecken Karthagos, dem es Rom verdankt, daß es nur einmal erobert wurde, seinen von der Arbeit auf den Feldern ermüdeten Körper; denn er übte sich in regelmäßigem Tagewerk und bebaute, wie es die Sitte der Alten war, seinen Boden selbst. Unter diesem so unansehnlichen Dach stand er; dieser so wenig kostbare Fußboden trug ihn. Und jetzt - wer fände es erträglich, so zu baden? (Lucius Annaeus Seneca, Über Scipios Villa)

Und Petrarca schreibt an anderer Stelle ausführlicher über diese Geschichte von Scipio und den Räubern:
Hier erlebte das bedeutende Exil in einem bemerkenswerten Vorfall die Wertschätzung der Tugend, die seine Landsleute nicht bewegt hatte, aber eine Horde Räuber zusammenbrachte, so daß sie alle zusammen kamen, als wollten sie eine gottähnliche Kreatur sehen. Scipio glaubte, daß sie Schaden anrichten wollten, was der Mangel an Wertschätzung, den er zuvor erfahren hatte, tatsächlich wahrscheinlich machte, und positionierte eine Abteilung seiner Männer in der oberen Etage des Hauses. Sobald die Räuber, die mit ganz anderen Absichten aus der Ferne gekommen waren, dies bemerkten, legten sie ihre Waffen nieder, und die Anführer entließen ihre Eskorten und näherten sich mit nur wenigen Männern, die mit lauter Stimme darauf bestanden: „Wir sind nicht als Straßenräuber gekommen, sondern als Bewunderer eines Mannes, dessen Gesicht zu sehen, wir als ein unschätzbares Privileg betrachten. Wir wollen ihm auch nichts aufzwingen, sondern ihn nur einen Moment ansehen.“ Als Scipio dies hörte, befahl er seinen Männern, das Tor zu öffnen und die Räuber hereinzulassen. Als sie eintraten, huldigten sie zuerst den Torpfosten und der Schwelle und versuchten dann eifrig, die rechte Hand zu berühren, die den Feind besiegt und das Vaterland bewahrt hatte. Schließlich ließen sie von vielen Küssen erschöpft los, und nachdem sie noch viele Geschenke dargebracht hatten, wie es damals für die Göttern in der Eingangshalle des Hauses Brauch war, waren sie glücklich und verließen den Ort voller Freude, das Gesicht eines solchen großartigen Mannes gesehen zu haben. So ist ein Mann oft teurer und respektwürdiger gegenüber Fremden als gegenüber seinem eigenen Volk. (Petrarca, De viris illustribus, Illic vero, quod inter minime pretereunda posuerim, magnificum illud...)

Nun, aus geistiger Sicht geht es hier um das tiefere Wesen einer Freundschaft, das sicherlich nicht im äußeren Ruf oder dem Spiel der gegensätzlichen Gedanken liegt, sondern in einer tieferen Verbundenheit, als es unter der gewöhnlichen Herrschaft des Ichbewußtseins möglich ist. Entsprechend erscheinen auch im Bild wieder die Symbole des Ritters mit der Rüstung, der an die Vernunft erinnert und im Kapitel 48 behandelt wurde, sowie der König mit dem Zepter, der sich zur Herrschaft mit der Vernunft verbindet. In allen Gesichtern sieht man die Weisheit des Alters, denn es sollte die Vernunft herrschen und nicht das Ego. Die dafür nötige Tugend sieht man im hinteren Teil des Bildes in Form eines bescheidenen, maßvollen und naturnahen Lebens, nachdem der große Kampf gegen das Ego gewonnen ist und die Vernunft die Herrschaft übernommen hat. Dieser „Ruf“ bezwingt alle weltlichen Feinde, und die zuvor Räuber waren, legen nun ihre Waffen nieder und werden Freunde, wie zum Beispiel unsere streitenden Gedanken und begierigen Sinneserfahrungen, die nun wie Geschenke im göttlichen Tempel des menschlichen Körpers erscheinen. Das Ganze geschieht in einer grünen und lebendigen Natur, in der sich der Mensch maßvoll und vernünftig einfügen kann. Denn soweit das Ego besiegt wird, soweit verschwinden Eigennutz und Eigenliebe, die wahre All-Liebe erwacht, und damit werden natürlich alle Wesen Freunde, auch wenn man sie nie gesehen hat. Oder wie Meister Eckhart sagte:
Ich sage ein Weiteres und sage ein Schwereres: Wer unmittelbar in der Bloßheit dieser Natur stehen will, der muß allem Personhaften entgangen sein, so daß er dem Menschen, der jenseits des Meeres ist, den er mit Augen nie gesehen hat, ebensowohl Gutes gönne wie dem Menschen, der bei ihm ist und sein vertrauter Freund ist. Solange du deiner Person mehr Gutes gönnst als dem Menschen, den du nie gesehen hast, so steht es wahrlich unrecht mit dir, und du hast noch nie nur einen Augenblick lang in diesen einfaltigen Grund (der Einheit von Natur und Gott) gelugt.

1.52. Von einem treuen Freund

Freude: Ich habe einen treuen und bewährten Freund.

Vernunft: Wenn es um praktische Erfahrungen geht, scheint deine Wahrnehmung oft fehlerhaft zu sein. Soweit du den Äußerlichkeiten vertraust, wirst du in vielen Dingen betrogen.

Freude: Ich weiß genau, daß ich einen treuen Freund habe.

Vernunft: Du wirst es nicht glauben, wie viele es gibt, die zu wissen glaubten, um dann zutiefst enttäuscht zu werden, wenn die Sache ernsthaft erprobt wurde. Warum beschweren sich täglich so viele über ihre Freunde, wenn nicht deshalb, weil sich ihre Treue als Untreue entpuppte? Es gibt wohl nichts Schwierigeres als das Prüfen des menschlichen Geistes.

Freude: Ich muß weder zweifeln noch prüfen, den ich weiß, daß ich einen treuen Freund habe.

Vernunft: Entweder hast du das Allerliebste, oder einen bösen Irrtum.

Freude: Ich habe keinen Irrtum, sondern einen vielbewährten Freund.

Vernunft: So hast du das Allerliebste und Allerheiligste. Denn neben der Tugend kann die Natur in diesem Leben weder durch Zufall noch durch Arbeit oder Eifer dem Menschen etwas Besseres geben. Sicherlich gibt es auch eine Liebe zu deinen Eltern, Geschwistern oder Kindern. Doch diese Liebe kann schwinden und bitter werden, ohne daß sie aufhören, deine Eltern, Geschwister oder Kinder zu sein. Nur ein wahrer Freund hört nie auf, dir lieb und heilig zu sein, und bleibt immer das, was er ist.

Wie schnell schwindet die Liebe zu den Eltern? Hat nicht Jupiter dem eigenen Vater Saturn sein Königreich geraubt? Hat Nicomedes nicht Prusias, den König von Bithynien, getötet, der sein Vater war, aber damals plante, seinen Sohn zu ermorden? Und Ptolemy, wurde er nicht Philopater (der den Vater liebt) genannt? Doch er tötete Vater, Mutter, Bruder und sogar seine Ehefrau Eurydice und regierte das Königreich von Ägypten unter dem Diktat einer Hure, so daß er nichts anderes im Königreich besaß, als seinen leeren Titel. Hat nicht auch Orest seine Mutter Klytaimnestra getötet? Agrippina starb durch ihren Sohn Nero und Thessalonice durch Antipater.

Und wie schnell schwindet die Liebe für die Söhne? Befahl Theseus nicht, seinen unschuldigen Sohn Hippolytus zu töten, und Philipp, der König von Mazedonien, seinen wunderschönen jungen Sohn Demetrius? Hat nicht der andere Ptolemy, dessen Rufname so empörend war wie seine Regierung in Ägypten, seine beiden Söhne getötet? Herodes, der König von Judäa, tötete seinen Sohn, wie auch Konstantin, der Kaiser von Rom, seinen Sohn Crispus. Und Malchus, der Kommandeur der Karthager, kreuzigte sogar seinen Sohn Carthalo. Auch Mütter, deren Liebe intensiver und deren Mentalität sanfter sein sollten, verschonten ihre Söhne nicht. Jeder kennt Medea, die Königin von Laodizea und Kappadokien, die aus Machtgier ihre fünf Söhne tötete.

Und wie die Liebe zu den Eltern und Kindern, so steht es auch mit der Liebe zu den Geschwistern. Dafür gibt es ein Beispiel, das den abgrundtiefen Wahn der Menschen offenbart: Phraates, der äußerst tyrannische König der Parther, der mehr von Zorn und Wut besessen war als mit Herrscherfähigkeiten begabt, ermordete seinen alten und kranken Vater Orodes sowie seine dreißig Brüder und seinen eigenen Sohn, damit niemand nach seiner Herrschaft greifen könne.

All das ist alte Geschichte. Doch haben wir nicht erst in den letzten Jahren von einem Kampf um die Krone Englands zwischen Vater und Sohn gehört? Und erst gestern gesehen wie in Spanien Brüder gegeneinander kämpften? Es gibt so viele alte und neue Beispiele für mörderischen Haß, besonders zwischen Brüdern, daß es schwieriger zu sein scheint, freundschaftliche Brüder zu finden als feindliche. Aber lassen wir es dabei, denn hier geht es nicht um Anklage, sondern um Heilmittel.

Doch wie steht es mit der Liebe zwischen Ehemännern und Ehefrauen? Frag nur Agamemnon und Deiphobus oder von deinen Landsleuten den Kaiser Claudius oder Scipio Africanus den Jüngeren. Sie werden dir verraten, wie aufrichtig sie von ihren geliebten Frauen geliebt wurden. Frage auch Octavia und Arsinoe, was die eine von ihrem Ehmann Nero hielt, der ihr adoptierter Bruder war, und die andere von ihrem Ehemann Ptolemaios, der sogar ihr leiblicher Bruder war.

Damit habe ich einige herausragende und bemerkenswerte Beispiel angeführt, ohne all die Wehklagen zu erwähnen, die in den Städten und im normalen Leben dazu ertönen. Daraus ziehe ich die Schlußfolgerung: Da es in der Liebe solche verdeckte und offene Bitterkeit gibt, kann nur wahre Freundschaft frei von Feindschaft sein. Einen wahren Freund kann man nicht töten, ja, nicht einmal in Gedanken verletzen.

Wenn du also meinst, wirklich einen wahren Freund gefunden zu haben, dann solltest du einen unvergleichlichen Schatz in ihm erkennen. Dann handle nicht wie die Mehrheit der Menschen, die sich um ihre weltlichen Angelegenheiten kümmern, das Höhere verschmähen und sich mehr ihren Besitztümern und Berufen als Freundschaften und Tugenden widmen. Sonst könntest du diesen großen Schatz, den du gefunden hast, schnell wieder verlieren.

Du legst viel Wert darauf, Gold und Silber sowie kostbare Perlen zu beschützen, die alles nur Verschwendung der Erde und Abfall des Meeres sind. Um wieviel größer sollten deine Bemühungen sein, deinen Freund zu bewahren, den wertvollsten aller heiligen Schätze, den du finden kannst. Sei achtsam, damit du nicht durch etwas beleidigt oder durch ein unfreundliches Wort entfremdet wirst, und es zu spät ist, auf den Prediger Ecclesiasticus zu hören, der sagt:
Denn wie ein Mensch, der seinen Besitz vertan hat, so hast du die Freundschaft des Gefährten vertan. Und wie man einen Vogel aus der Hand wegfliegen läßt, so hast du den Freund weggehen lassen und fängst ihn nie wieder ein. Lauf ihm nicht nach, denn er ist schon zu weit, wie eine Gazelle aus der Schlinge ist er entflohen. Eine Wunde läßt sich verbinden, ein Streit beilegen, doch wer einen Freund verrät, hat keine Hoffnung... (Bibel, Jesus Sirach 27.19)

Du hast also einen großen und liebenswürdigen Schatz, der schwer und mühsam zu finden ist. Und ich sage, es ist noch mühsamer, ihn zu behalten. So ein Freund ist der größte Schatz, muß mit größter Achtsamkeit beschützt werden und mit vielen Tränen bedauert, wenn er verlorengeht.

Petrarcameister - Von einem treuen Freund

Wie auch Walther Scheidig erklärt, sieht man im Zentrum des Bildes das gerühmte Freundespaar, und ringsherum werden verschiedene historische Szenen angedeutet, die Petrarca im Text beschreibt. Im Vordergrund rechts könnte der tyrannische König Phraates stehen, der seinen alten und kranken Vater Orodes ermordete. Es könnte aber auch Jupiter sein, der seinen Vater Saturn vertreibt. Links von dem Freundespaar sterben ein alter König, eine Königin und zwei Jünglinge unter den Schwerthieben von König Ptolemy Philopater. Im Hintergrund könnte auf der rechten Seite Kaiser Nero vor der Leiche seiner Mutter stehen, die vor seinen Augen geschändet wird. Die Szene links hinten erinnert an Klytaimnestra, die ihrem Gatten Agamemnon, als er aus dem Krieg um Troja zurückkehrte, ein Hemd ohne Öffnung zum Anziehen gab. Und als er darin verfangen war, wurde er von ihrem Liebhaber hinterrücks ermordet. Diesen Mord rächte ihr Sohn Orest und tötete unwissend seine eigene Mutter.

Aus geistiger Sicht ist die Frage nach dem wahren Freund natürlich eine sehr große Frage. Wie Petrarca erklärt und im Bild dargestellt ist, kann es zwischen Egos keine beständige Freundschaft geben. Das liegt sicherlich im Ichbewußtsein begründet, das im Wesen ein Bewußtsein der Trennung ist, die man vor allem in der Vorstellung von „Mein“ und „Dein“ erkennt, aber auch in vielen anderen Gegensätzen, wie Liebe und Haß, Glück und Leid oder Reich und Arm. Deshalb kann sich jede egoistische Liebe in kürzester Zeit ins Gegenteil verkehren, weil es keine wahre Liebe ist. Diese seltsame Welt der Gegensätze, die uns umgibt, hat der Petrarca-Meister im Bild vorzüglich dargestellt. Und in der Mitte findet man das korpulente Ego wieder, wie es auch im Bild von Kapitel 50 gezeichnet wurde. Es versucht seinen Freund festzuhalten, wie einen anderen Menschen, den eigenen Körper oder auch Reichtümer und Erinnerungen.

Doch wie wir den unbekannten Maler dieser Bilder bisher kennengelernt haben, geht er in seiner Botschaft sicherlich noch tiefer. Und so erinnern wir uns beim Anblick dieses Bildes und vor allem des Schwertes, das über dem Freundespaar im Zentrum des Bildes schwebt, auch daran, was früher aus biblischer Sicht der wahre Freund sein sollte. Meister Eckhart sagt dazu:
Nun aber spricht unser Herr: »Ich habe euch nicht Knechte geheißen, ich habe euch vielmehr meine Freunde geheißen.« »Der Knecht kennt seines Herrn Willen nicht«, aber der Freund weiß alles, was sein Freund weiß. »Alles, was ich von meinem Vater gehört habe, das habe ich euch kund getan« (Joh. 15, 15), und alles, was mein Vater weiß, das weiß ich, und alles, was ich weiß, das wißt ihr; denn ich und mein Vater haben einen Geist. Der Mensch, der nun alles weiß, was Gott weiß, der ist ein Gott-wissender Mensch. Dieser Mensch erfaßt Gott in seinem Eigensein und in seiner eigenen Einheit und in seiner eigenen Gegenwart und in seiner eigenen Wahrheit. (Predigt 11)

Das meinte Christus, als er sprach: »Wer sich nicht selbst verleugnet und nicht Vater und Mutter läßt und alles, was äußerlich ist, der ist meiner nicht würdig.« (vgl. Matth. 10, 37/38), als ob er sagte: Wer nicht alle Äußerlichkeit der Kreaturen läßt, der kann in diese göttliche Geburt weder empfangen noch geboren werden. Daß du vielmehr dich deiner selbst beraubst und alles dessen, was äußerlich ist, das (nur) verleiht dir‘s wahrhaft. Und wahrhaftig glaube ich und bin dessen gewiß, daß der Mensch, der hierin recht stünde, nimmer von Gott geschieden werden kann, durch nichts auf irgendeine Weise. (Predigt 57)

Die Seele ist so fest an die Kräfte gebunden, daß sie mit ihnen dahin fließt, wohin sie fließen; denn in allen Werken, die sie wirken, muß die Seele dabei sein, und zwar mit Hingabe, oder sie könnten überhaupt nicht wirken. Zerfließt sie denn mit ihrer Hingabe in äußerliche Werke, so muß sie notwendig innerlich in ihrem inneren Wirken um so schwächer sein. Denn zu dieser Geburt will und muß Gott eine ledige, unbekümmerte, freie Seele haben, in der nichts ist als er allein und die nach nichts und niemand ausschaut als nach ihm allein. In diesem Sinne sprach Christus: »Wer etwas anderes liebt als mich und Vater und Mutter und viele andere Dinge zärtlich liebt, der ist meiner nicht wert. Ich bin nicht auf Erden gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert, auf daß ich alle Dinge abschneide und abscheide die Schwester, den Bruder, die Mutter, das Kind, den Freund, der in Wahrheit dein Feind ist. Denn was dir vertraut ist, das ist in Wahrheit dein Feind« (Matth. 10, 34/36). Will dein Auge alle Dinge sehen und dein Ohr alle Dinge hören und dein Herz alle Dinge bedenken, wahrlich, so muß in allen diesen Dingen deine Seele zersplittert werden. (Predigt 58)

1.53. Vom Überfluß des Reichtums

Freude: Ich habe einen Überfluß an Reichtum.

Vernunft: Jetzt wundere ich mich nicht mehr, daß du so viele Freunde dein nennst, denn es ist weder neu noch ungewöhnlich, daß die Häuser von Reichen mit den Freunden des Reichtums und ihrer vorgetäuschten Treue überfüllt werden.

Freude: Ich besitze die große Macht des Reichtums.

Vernunft: Ein gefährlicher und lästiger Segen, der eher Neid als Freude bringt.

Freude: Der Reichtum fließt mir im Überfluß zu.

Vernunft: Leider fließen daraus nicht gleichzeitig Zufriedenheit und Freude. Viele Reiche geben zu, daß sie sich in bescheidenen Verhältnissen oder sogar ehrlicher Armut besser gefühlt hätten.

Freude: Mein Reichtum hat enorm zugenommen.

Vernunft: Aber deine Sicherheit, deine Freude und dein Frieden haben abgenommen. Wenn diese mit Reichtum zunehmen würden, würde ich mich nicht gegen übermäßige Reichtümer wehren, sondern sie suchen.

Freude: Ich habe nun einmal großen Reichtum.

Vernunft: Damit hast du etwas, was mühsam zu erlangen, ängstlich zu halten und schmerzhaft zu verlieren ist.

Freude: Ich habe wirklich großen Reichtum.

Vernunft: Gibst du ihn aus, wird er abnehmen. Behältst du ihn, wird er dich plagen. Du bist nicht reich als Herr, sondern als Verwalter.

Freude: Ich besitze den Reichtum.

Vernunft: Dann paß gut auf, daß du in Wirklichkeit nicht von ihm besessen wirst. Dann hältst du den Reichtum nicht, sondern er hält dich. Dann dient er dir nicht, sondern du dienst ihm. Du solltest wissen, daß viel mehr Menschen von Reichtum besessen sind, als sie ihn besitzen, und wie die Bibel schon sagte, gehört der Mensch häufiger dem Reichtum, als der Reichtum dem Menschen gehört. So macht dich deine Begierde, die nach Gewinn strebt, zum Diener, obwohl du eigentlich Herr sein solltest.

Wie jeder weiß, sollte das Geld dafür dienen, die Notwendigkeiten für das Leben zu kaufen, und zwar maßvoll, einfach und was leicht zu haben ist. Alles darüber hinaus ist belastend, der Reichtum bindet dich mit goldenen Ketten, und der äußere Schmuck des Körpers wird zum Hindernis für den inneren Geist. Daraus entstehen jede Menge Sorgen und Ängste.

Freude: Ich bin voller Reichtum.

Vernunft: Hüte dich, daß du damit nicht platzt, denn jede Fülle sucht Entladung. Reichtum hat schon vielen den Tod gebracht und fast allen die Ruhe genommen.

Freude: Ich habe gewaltige Reichtümer.

Vernunft: Das geht gegen die Tugend. Zu viel Reichtum hat nicht nur die Tugend einzelner zerstört, sondern auch das ganze öffentliche Leben des römischen Volkes verunreinigt und die bewundernswert strahlende Tugend jener vernichtet, die edel, anständig und vernünftig lebten, solange sie arm waren. Ein ruhmreiches Volk, das viele Länder erobert hat, und was noch ruhmreicher war, sich selbst erobert und die Laster besiegt hatte, das schließlich vom Reichtum erobert wurde und jämmerlich unterging. Ich erzähle dir geschichtliche Fakten, damit du sehen kannst, was von gewaltigem Reichtum zu erwarten ist.

Freude: Ich genieße aber diese Fülle an Reichtum.

Vernunft: Ich würde es vorziehen, wenn du die Fülle an Tugend genießen könntest.

Freude: Ich ruhe mich in meinem Reichtum aus.

Vernunft: Armer Kerl, du schläfst in einer Rosenhecke einen müßigen Schlaf, ohne die Dornen zu bemerken. Doch wisse, daß der Tag kommt, an dem du erwachst und bei hellem Tageslicht erkennen mußt, was (in den Psalmen der Bibel) geschrieben steht:
Die Reichen haben wie Betrunkene geschlafen, und als sie erwachten, waren ihre Hände leer.

Petrarcameister - Vom Überfluß des Reichtums

Der Petrarca-Meister zeichnet im landläufigen Sinne, was man für einen Überfluß an Reichtümern bezahlen muß. In der fest ummauerten Schatzkammer seines Hauses, von dem draußen die Marmorsäulen sichtbar werden, steht der Reiche bei seinen Schätzen, den mit Gold und Edelsteinen gefüllten Truhen und Säcken. Er ist mit den Füßen in Ketten gelegt und mit ihnen an den Teufel gefesselt. Der steht in scheußlicher Gestalt vor ihm, weist mit der Linken auf neue Schätze hin, die er dem Unersättlichen verspricht. Mit der Rechten zeigt er, was er dafür begehrt: Ein Halseisen zu den anderen Fesseln dem Reichen anlegen zu dürfen. Verzweifelt faßt der Reiche nach seinem Kopf und wehrt neue Reichtümer und neue Fesseln ab.

Soweit beschreibt Walther Scheidig dieses Bild. Wir möchten noch bemerken, daß der Reiche seinen Hut als Symbol seiner Ehre bereits verloren hat, und die Natur im Hintergrund weit in die Ferne gerückt ist. Aus geistiger Sicht kann man sagen, daß sich der Reiche in eine künstliche Welt eingemauert hat, in eine Burg aus Gedanken, die in Form der Ziegelwände gut symbolisiert wird. Damit wird das Bewußtsein enorm eingeschränkt, die Natur wird nur noch in einem kleinen Ausschnitt sichtbar (hinten links), die ganzheitliche Sicht geht verloren, und die enge Welt wird vom Teufel beherrscht. Den Teufel können wir hier als das Ichbewußtsein betrachten, das für die Trennung der weltlichen Gegensätze sorgt, wie sich auch der Teufel von den göttlichen Engeln getrennt hat und zum Herrscher auf Erden wurde. Damit ist auch der christliche Begriff der Sünde verbunden, unter der man alles versteht, was von der Ganzheitlichkeit Gottes abgetrennt ist. Die ursprüngliche Engelsnatur des dargestellten Teufels erkennt man noch an den rudimentären Flügeln, und der Rest dieser Schreckgestalt erinnert an das tierische Wesen, das in Form des gierigen Egos in uns lebt. Über den Weg, dieses Tier in uns zu besiegen, gibt es viele symbolische Geschichten, wie zum Beispiel die Kämpfe der Ritter gegen die Drachen. Die Kette um die Füße erinnert an die körperliche Bindung durch das Ichbewußtsein, und der Eisenring für den Hals an die Versklavung der höheren Vernunft. Die Vorstellung von „mein Besitz“ und „mein Reichtum“ ist sicherlich eine wesentliche Grundlage für diese Bindung und Versklavung durch das Ichbewußtsein. Aber das muß man heute eigentlich niemandem erklären, denn diese egoistische Vorstellung ist ein wesentlicher Stützpfeiler für unsere materialistische Gesellschaft, wo natürlich der Teufel entsprechend mächtig ist.

Meister Eckhart sagt dazu:
Man soll fürderhin wissen, daß Sankt Hieronymus und auch die Meister gemeinhin sagen, ein jeglicher Mensch habe von Anbeginn seines menschlichen Daseins an einen guten Geist, einen Engel, und einen bösen Geist, einen Teufel. Der gute Engel (die Vernunft) rät und treibt beständig an zu dem, was gut ist, was göttlich ist, was Tugend und himmlisch und ewig ist. Der böse Geist (das Ego) rät und treibt den Menschen allzeit hin zu dem, was zeitlich und vergänglich ist und was Untugend, böse und teuflisch ist. (Vom edlen Menschen)

Darüber hinaus hat der Maler auch die Übermäßigkeit angesammelten Reichtums deutlich dargestellt, zu der das unvernünftige Ego wesenhaft neigt. Und wenn man die Truhen schließen würde, bleibt ein trostlos leerer Raum zurück, wie es auch im Text heißt: „...und als sie erwachten, waren ihre Hände leer.“ Die verbreitete Vorstellung, daß man sich mit dem Reichtum von Gold oder Geld alle Wünsche erfüllen und Gutes tun kann, ist ebenfalls eine gedankliche und bedenkliche Ansicht des Ichbewußtseins. Meister Eckhart sagt dazu:
Wohlan, nun hört auf ein wahres Wort! Gäbe ein Mensch tausend Mark Goldes, auf daß man dafür Kirchen und Klöster baute, das wäre eine große Sache. Dennoch hätte der viel mehr gegeben, der tausend Mark für nichts erachten könnte; der hätte bei weitem mehr getan als jener.

1.54. Vom Finden in der Goldgrube

Freude: Ich habe eine Goldgrube gefunden!

Vernunft: Diese Aussicht wurde für viele zur Ursache für Armut und für einige sogar für den Tod, weil sie alles andere vernachlässigten und sich nur noch diesem Ziel widmeten. Doch ihre riesigen Anstrengungen brachten nur wenig Gewinn. Und von der Gier nach Gold besessen, lernten sie, ein Leben in Dunkelheit zu verbringen, ohne Himmel und Sonne, und starben von giftigen Dämpfen erblindet vor ihrer Zeit.

Freude: Der Zufall hat mir diese Goldgrube gebracht.

Vernunft: Damit du dich von den himmlischen Dingen abwendest und den irdischen anhaftest. Damit du dein Leben nicht nur zur Erde mühsam gebeugt verbringst, sondern noch darunter, noch unglücklicher und noch kurzlebiger.

Freude: Ich arbeite gern in der Goldgrube.

Vernunft: Kaiser Nero wurde in der letzten schrecklichen Nacht seines Lebens, deren Elend er wohlverdient hatte, von seinen Helfern aufgefordert, in einen dunklen Gang zu kriechen, um dem schändlichen Tod und dem Spott der Menge zu entkommen, die ihn verfolgten. Er erklärte jedoch, daß er nicht unter die Erde gehen würde, solange er noch lebt. Du wirst von unersättlicher Gier getrieben, die offenbar noch mächtiger als die Todesangst ist, weil du freiwillig unter die Erde gehst und die Schrecken der Dunkelheit suchst, ohne dich vom gesegneten Himmelslicht davon abhalten zu lassen. Kein Wunder, daß die Menschen schon überdrüssig sind, überall auf der Erde nach Reichtum zu suchen, und jetzt auch noch die Unterwelt des Tartarus mit ihrem Schaufeln und Graben stören. Oder wie Ovid sagt:
Sie gruben sich sogar in die Eingeweide der Erde und brachten den Reichtum ans Licht, den der Schöpfer dort in der Tiefe versteckt und im Schatten des Todes vergraben hatte - der Reichtum, der die Menschen zu vielen Verbrechen anregt.

Freude: Ich habe aber diese Goldgrube entdeckt.

Vernunft: Ein altes Sprichwort sagt: „Oft treibt einer den Hasen auf, und ein anderer fängt ihn.“ Du hast einen vielbegehrten Schatz entdeckt, aber nur einer will ihn besitzen. Wirst du es sein? Denn begehrte Dinge ziehen viele gierige Leute an. Es ist höchst gefährlich, etwas allein zu besitzen, was jeder haben und niemand teilen will. Wie Plinius berichtet, war das der Grund, daß in Italien, das an Bodenschätzen so reich wie kein anderes Land ist, durch Ratschluß des Senats der Bergbau und damit die Ausbeutung Italiens verboten wurde.

Freude: Ich suche trotzdem nach Gold.

Vernunft: Viel Arbeit ist sicher, aber der Erfolg zweifelhaft. Was passiert, wenn du lange gräbst, aber nichts findest? Was geschieht, wenn du viel findest, das dir aber nicht gehört? Was ist, wenn das Finden schlimmer ist, als das Nichtfinden? Kummer ist der nächste Nachbar der irdischen Freude.

Freude: Ich steige aber in meine Goldgrube hinab.

Vernunft: Auf der Erde fragen die Leute gewöhnlich, welcher Besitz sie in die Hölle fallen läßt. Du suchst in deiner Hölle, was dich in den Himmel erheben kann.

Freude: Ich habe diese Goldgrube nicht umsonst gefunden.

Vernunft: Ja, du hast einen schnellen Weg in die Hölle gefunden.

Petrarcameister - Vom Finden in der Goldgrube

Der Kunsthistoriker lobt den Maler: Der Petrarca-Meister weiß Bescheid und gibt, ohne jede kritische Tendenz, ein gutes Bild vom Erzbergbau im frühen 16. Jahrhundert. Mit Lämpchen auf dem Kopfe arbeiten die Bergleute in einem ausgebauten Schacht. Die Leiterfahrt ist rechts zu erkennen, das Werkzeug ist korrekt gezeichnet, und auch die kleinen Wagen, mit denen das Erz befördert wird, stimmen mit ähnlichen Darstellungen überein. Oberirdisch ist dagegen der Schmelzofen links zu denken, ebenso die Arbeiter, die davor große Erzbrocken zum Schmelzen zerkleinern.

Die drei dargestellten Prozesse, die mit sieben, zwei und einem Arbeiter gezeichnet sind, kann man natürlich auch aus geistiger Sicht betrachten und auf die jeweiligen natürlichen Prozesse von Geist und Körper beziehen. Die sieben Grubenarbeiter erinnern damit an die berühmten sieben Zwerge, die im Inneren des irdischen Körpers arbeiten. Zu diesen sieben natürlichen Prinzipien gehören sicherlich die fünf Sinne mit ihrem kleinen Licht des Sinnesbewußtseins, die im dunklen Inneren des Körpers eifrig das Wissen abbauen, das sie mit ihren jeweiligen Werkzeugen von der irdischen Welt erreichen können. Sie arbeiten mit zwei Händen und zwei Werkzeugen, das heißt, unsere Sinne können immer nur dualistisches bzw. gegensätzliches Wissen ergreifen. Darüber hinaus arbeiten sie auf zwei Ebenen, die durch ein Gerüst angedeutet werden. Vielleicht spricht der Maler hier von höheren und niederen Sinnen, wie man zum Beispiel Augen und Ohren zu den höheren Sinnen rechnen könnte, weil man damit besonders viel lernen kann. Ein weiterer Arbeiter gibt Anweisungen, das könnte der Wille sein. Und der siebente Arbeiter, der sicherlich nicht zufällig im Mittelpunkt des Bildes zu sehen ist, sammelt die Brocken des sinnlichen Wissens in seinem Wagen, und erinnert uns damit an das gierige Ego, das nach den Sinneserfahrungen greift und das Wissen entsprechend ansammelt. Ringsherum liegen noch viele Werkzeuge verstreut auf dem Boden, die vielleicht an die körperlichen Handlungsorgane erinnern sollen, wie unsere Arme, Beine usw. Rechts unten kann man die mächtigen Wurzeln sehen, die den menschlichen Körper mit der irdischen Welt verbinden.

Auf der linken Seite sieht man den zweiten Prozeß, wo das gegensätzliche Denken in Form von zwei Arbeitern das vom Ego angesammelte Wissen in kleinere Brocken zerteilt und sozusagen in Begriffe zergliedert. Eine mühevolle Arbeit, die erfahrungsgemäß kein Ende nehmen will, aber heutzutage die Hauptbeschäftigung der Wissenschaft und Philosophie ist.

Den dritten Prozeß sieht man links im Hintergrund in Form eines Schmelzofens, der aus dem gedanklich zerteilten Wissen das Gold herausschmilzt, und sozusagen durch die Verdauung des gegensätzlichen Wissens die Essenz der Wahrheit findet. Und wer bedient diesen Schmelzofen? Das müßte dann die ganzheitliche Vernunft sein, die hier als einzelner Arbeiter gezeichnet ist, der einen Stab in der Hand hält, ähnlich dem Stab der Hirten oder dem Stab der Königsherrschaft. Die Flammen, die aus dem Schmelzofen kommen, schlagen weit in den Himmel und erinnern an den Brand der großen Liebe bzw. des Heiligen Geistes sowie an das Himmelslicht, das Petrarca im Text erwähnt und das im Gegensatz zu den kleinen Lichtern der Sinne im Inneren des dunklen Körpers steht. Neben den Gerüsten im Körperinneren sieht man im Bild auch eine Stufenleiter, die nach oben führt, zum Licht des Tages. Vielleicht ein Symbol für die berühmte Himmelsleiter zum Licht des Himmels auf dem Erkenntnisweg der höheren Vernunft. Oder wie Meister Eckhart sagt:
Wenn Gott (bzw. die Vernunft) in der Seele wirkt, so wird im Brande der Hitze geläutert und ausgeworfen, was es an Ungleichem gibt in der Seele. ... wie ein brennender Brand, der allzeit brennt; und dieser Brand ist nichts anderes als der Heilige Geist. (Predigt 20 / 49)

Nun könnte man noch fragen, warum Petrarca diese Goldgrube des Körpers als Hölle bezeichnet? Nun, solange das eigennützige Ego in diesem Körper arbeitet und gierig nach persönlichem Reichtum sucht, gilt das alte Sprichwort: „Eigenwölle brennt in der Hölle!“ Und Meister Eckhart geht sogar noch einen Schritt weiter und sieht das Grundprinzip der Trennung in der Hölle brennen, dieses Grundprinzip, das im Feuer der Leidenschaft nach Besitz und Reichtum greift und sich im Ichbewußtsein manifestiert:

Man stellt die Frage, was in der Hölle brenne? Die Meister sagen allgemein: das tut der Eigenwille. Ich aber sage wahrheitsgemäß, daß das »Nicht« in der Hölle brennt. Vernimm denn nun ein Gleichnis! Man nehme eine brennende Kohle und lege sie auf meine Hand. Wollte ich nun sagen, die Kohle brenne meine Hand, so täte ich ihr gar unrecht. Soll ich aber zutreffend sagen, was mich brennt: das »Nicht« tut‘ s, denn die Kohle hat etwas in sich, was meine Hand nicht hat. Seht, eben dieses »Nicht« brennt mich. Hätte aber meine Hand alles das in sich, was die Kohle ist und zu leisten vermag, so hätte sie ganz und gar Feuersnatur. Nähme einer dann alles Feuer, das je brannte, und schüttete es auf meine Hand, so könnte es mich nicht schmerzen. In gleicher Weise sage ich: Da Gott und alle die, die in der Anschauung Gottes sind, in der rechten Seligkeit etwas in sich haben, was die nicht haben, die von Gott getrennt sind, so peinigt dieses »Nicht« die Seelen, die in der Hölle sind, mehr als Eigenwille oder irgendein Feuer. Ich sage fürwahr: Soviel dir vom »Nicht« anhaftet, so weit bist du unvollkommen. Hierum, wollt ihr vollkommen sein, so müßt ihr frei sein vom »Nicht«. (Predigt 6)

1.55. Vom Finden eines Schatzes

Freude: Ich habe einen Schatz gefunden.

Vernunft: Hüte dich vor den trügerischen Fallen und Schlingen des Glücks. Es gleicht dem Köder am Haken oder dem süßen Lockmittel in der Schlinge.

Freude: Ich habe aber einen Schatz entdeckt.

Vernunft: Schätze haben schon vielen den Tod gebracht, auch wenn sie den Körper nicht gefährden, so gefährden sie doch die Seele. Reichtum kann die Begierde weder befriedigen noch vermindern, im Gegenteil, sie wird damit immer größer. Die Gier des Menschen wird durch den Erfolg entflammt, und wie das Gold zunimmt, so steigt auch der Durst danach und der Wunsch nach immer mehr. Und damit verschwindet die Tugend, was in Wirklichkeit der Tod der Seele ist.

Freude: Das Schicksal hat mir einen Schatz gegeben.

Vernunft: Eine gefährliche Last, die der Mäßigung entgegen steht. Wem das Schicksal Schätze gibt, dessen Verlangen wird uferlos.

Freude: Ich habe den Schatz zufällig gefunden.

Vernunft: Vielleicht wäre eine Giftschlange ein besserer Fund für dich gewesen. Der Reichtum an Gold und Silber führt gewöhnlich zum Untergang der Tugenden. Dies gilt für alle materiellen Dinge, vor allem für jene, die plötzlich erscheinen. Die anderen verletzen auch die Tugend, aber nur nach und nach, indem sie allmählich von der Wahrheit ablenken und die Herrschaft der Lüge fördern. Der plötzliche Reichtum sorgt für verwirrtes Erstaunen und trübt den Geist durch plötzliche Überwältigung.

Freude: Den gefundenen Schatz verstecke ich in meinem Haus.

Vernunft: Was dir in deiner Freude als großes Glück erscheint, entpuppt sich noch als grober und nutzloser Auswurf der Erde. Du solltest dich schämen, daß dein gottgegebener (bzw. vernunftbegabter) Geist von solchen Dingen beglückt wird.

Freude: Dieses Glück ist mir unerwartet begegnet.

Vernunft: Und warum denkst du, daß es bei dir bleiben wird? So schnell, wie es gekommen ist, wird es auch wieder gehen. Denn alles, was schnell entsteht, vergeht auch schnell. Plötzlicher Reichtum, ist wie Reichtum, der in einem Traum gewonnen wurde.

Petrarcameister - Vom Finden eines Schatzes

In seiner Darstellung erweist sich der Petrarca-Meister als des Zauber- und Beschwörungswesens seiner Zeit durchaus kundig. Während Petrarca nur allgemein von den Fallstricken spricht, die der Böse den Menschen mit Schätzen stellt, zeichnet der Künstler so genau wie bei seinen Handwerkerdarstellungen, wie der verborgene Schatz dem Teufel abgelistet werden muß. Der Zauberkreis verwehrt ihm den Zutritt, nachdem er durch die verlesenen Zauberformeln gezwungen worden war, den Fundort anzuzeigen. Nun heißt es schweigend, wie es die Geste des Gräbers anzeigt, das Werk zu Ende zu führen. - Links hat ein „Doktor Faustus“ einen Geist durch die Zaubersprüche seines Buches heraufbeschworen, der ihm nun den strahlenden „Stein der Weisen“ überbringen muß. Rechts im Hintergrund zeichnet der Petrarca-Meister ironisch „Schatzgräber“, die nicht von Teufel und Magie umwittert sind. Es sind Diebe, die um eingemauerte Geldschätze wissen und das Versteck ausheben.

Soweit beschreibt Walther Scheidig dieses zauberhafte Bild. Bezüglich der Unterschiede zum Text sollte man natürlich beachten, daß der Text fast 160 Jahre älter als das Bild ist, und dazu kommen noch die kulturellen Unterschiede zwischen Italien und Deutschland. Das Bild zeigt die geistige Welt um 1520, wie wir sie auch von den Überlieferungen des Dr. Faust kennen, der vermutlich zwischen 1480 und 1541 gelebt hat. Die geistig-subjektive Welt, in der die Menschen viele Jahrtausende gelebt hatten wandelte sich zunehmend in eine materiell-objektive Welt, in der es auf Kosten der geistigen Tugenden mehr um materielle Werte geht. Doch offenbar kannte der Maler dieses Bildes noch den tieferen Sinn der geistigen Symbolik und interpretiert entsprechend den Text von Petrarca.

So sieht man im Zentrum, wie man damals aus geistiger Sicht versuchte, die Natur zu beherrschen, um an ihre Schätze zu kommen. Dafür verwendete man zunächst Zaubersprüche und Gebete, um das Bewußtsein mit den Geistern der Natur zu verbinden, die erfahrungsgemäß nicht immer harmlos waren. Der schlimmste Feind war natürlich der Egoismus, der auch hier im Bild als Teufel dargestellt wurde. Er konnte zwar den Genuß in der Welt gewähren, aber auch alles Gute in Böses verwandeln. Der große Wunsch war natürlich, das Glück der Natur ohne Leid zu genießen. Und was wir heute mit materieller Gewalt versuchen, versuchte man damals mit geistiger Gewalt. So sieht man im Bild den doppelten Bannkreis mit den Symbolen der Planeten und Sternzeichen, die für die Kraft der alten „heidnischen“ Götter standen und einen Schutz in alle Himmelsrichtungen gewähren konnten. Um den Schutz noch zu erhöhen, wurden sie mit dem Kreuzsymbol für die christliche Gottheit gemischt. Links neben der Gruppe steht im Kreis noch eine Flasche, vermutlich mit dem Blut eines Opfertieres, das oft zum Zeichnen solcher Bannkreise diente. Die Personen im Kreis halten verschiedene rituelle Gegenstände, vermutlich ein Zauberbuch oder eine Bibel, eine Laterne mit heiliger Flamme und ein geheiligtes Schwert. Die vordere Person liest im heiligen Buch und richtet ihren Blick erwartungsvoll und stolz zum Himmel. Zwei andere schauen in die heilige Flamme, und einer von ihnen richtet ein heiliges Schwert gegen den Teufel. Ein Vierter gräbt mit den damals noch einfachen Werkzeugen in der Erde. Der ganze Ritus war zu jener Zeit eine Mischung zwischen heidnischem und christlichem Glauben, wie man zum Beispiel im Buch vom „Dreifachen Höllenzwang“ des Doktor Faustus nachlesen kann. Mit diesem geistigen Schutz glaubte man, die Schätze der Natur unbeschadet ergreifen zu können. Die Geste des Schweigens mag einerseits den Ort des Schatzes verheimlichen, anderseits symbolisiert sie eine gewisse geistige Konzentration, die für diese Aufgabe wichtig war. Praktisch ging es natürlich darum, vor allem den eigenen Geist zu beherrschen, damit er vom gierigen Ego nicht überwältigt werden kann, denn dann verwandelt sich schnell jedes erlangte Glück in Leid.

Interessant ist, daß dieser Ego-Teufel im Wandel zur materiellen Weltsicht immer mehr zu einem äußeren Feind in der Natur wurde, so daß die Menschen das Problem ihres Leidens immer weniger in sich selbst suchten, sondern in der äußeren Welt. So zeichnet auch der Künstler ausgehend vom mittleren Kreis zwei Entwicklungswege:

Auf der rechten Seite, wo auch der Teufel steht, sieht man im Hintergrund den Materialismus, der im Dunklen ohne geistigen Schutz der Götter bzw. Tugend nach den Schätzen der Natur greift, ähnlich den Grabräubern, die ohne jegliches Gespür für die geistige Welt die Gräber ausplündern. Die Wand, aus der sie vermutlich einen Beutel mit Gold hacken, erinnert an die Gedankenkonstrukte, die unsere Wertvorstellung bestimmen, und die Risse in dieser Wand erinnern an die Vergänglichkeit solcher Konstrukte und entsprechender Schätze.

Auf der linken Seite sieht man den alten Weisen mit Bart, der die Weisheit der Bücher nutzt, um den Geist mit dem „Stein der Weisen“ hervorzurufen, eine ganzheitliche und unvergängliche Wahrheit, die man nicht zerbrechen bzw. zerteilen kann. Nur das ist der wahre und unvergängliche Schatz, den der Mensch in dieser Welt und vor allem in sich selbst finden kann. Ein helles Licht geht davon aus, daß den Sockel einer Säule erleuchtet, die sich aus dem Bild heraus zum Himmel erhebt. Der dazugehörige Geist ist natürlich ein Zwerg, also körperlich klein und geistig groß.

1.56. Vom Gewinn durch Wucher

Freude: Ich habe mein Geld in sicherem Wucher angelegt.

Vernunft: Es gibt immer jemanden, der das mißbraucht, was zum Guten gedacht ist, und Schlechtes daraus macht. Es ist schade, daß du dein Geld verwendest, nicht um ein reicher Mann zu sein, sondern um ein schlechter Mensch zu werden. Ich glaube nicht, daß du ohne Geld schlecht geworden wärest. So gibt es immer welche, die durch weltlichen Erfolg arm werden und die Gaben Gottes nicht empfangen können. Man sagt von ihnen:
Denn er wird nichts in seinem Sterben mitnehmen, und seine Herrlichkeit wird ihm nicht nachfahren. Er tröstet sich wohl dieses guten Lebens, und man preiset's, wenn einer sich gütlich tut; aber doch fahren sie ihren Vätern nach und sehen das Licht nimmermehr. (Psalm 49.17)

Sie denken, daß der Himmel ihnen einen persönlichen Weg gewährt, die Untugend zu genießen. So haben sie ihr Geld verwendet, um sich Schande zu kaufen und in ihrer Leidenschaft totes Metall in eine Last für ihre Seele zu verwandeln.

Freude: Ich habe mein Geld im Wucher gut angelegt.

Vernunft: Sag nicht, daß du im Bösen etwas gut anlegst. Besser wäre, du hättest es abgelegt. Denn sich von einer unheilsamen Last zu befreien, ist gut. Andernfalls ist es, egal wie und wo du es anlegst, etwas Böses, das dir gehört.

Freude: Der Wucher bringt den besten Gewinn.

Vernunft: Du weißt wohl, wie man aus dem Bösem einen guten Gewinn zieht. Je mehr sich das Böse vermehrt, um so böser wird es. Oder wie das bekannte Sprichwort Davids sagt:
Ihre Person brüstet sich wie ein fetter Wanst; sie tun, was sie nur gedenken. (Psalm 73.7)

Je größer der Wucher, desto böser ist er, desto größer ist die Gier und desto größer die Gottlosigkeit.

Freude: Ich brauche den Wuchergewinn.

Vernunft: Gibt es keine andere Kunst oder kein anderes Handwerk, daß du zum besseren Vorteil ausüben kannst? Oder paßt dieses unter allen Beschäftigungen am besten zu deinem Charakter? Oder was hat dich sonst dazu gebracht? Ich weiß nichts, was du hättest wählen können, das abstoßender, unwürdiger und unheilsamer wäre. Das ist wohl ein sicheres Zeichen für einen korrupten und untugendhaften Geist. Von all den vielen Künsten und Handwerken um dich herum, hast du für deinen Lebenserwerb das Schlimmste gewählt. Dir scheint es wohl bequemer zu sein, dazusitzen und die Tage zu zählen, um sich nach dem Monatsende zu sehnen und nicht zu bemerken, daß dir die Stunden, Tage und Monate verlorengehen. Wie sich die Frist deiner Schuldner nähert, so nähert sich auch die Frist, um deine Schulden gegenüber der Natur zu begleichen und den sündhaften Besitz abzulegen, denn die Länge deiner Lebenszeit ist ungewiß.

Du erpreßt die Armen, um dich zu bereichern, und fürchtest nicht das kommende Gericht des gemeinen Raubes. Du bist nicht Meister der Tugend, sondern gieriger Sammler von Sünde. Ich würde mich wundern, daß solche Untugend in einer wohlregierten Stadt geduldet wird, wenn ich nicht sehen könnte, wie viele andere Laster es dort gibt. Es ist noch nicht lange her, da mußten die Wucherer ihren Beruf wie Aussätzige abgetrennt von der Gesellschaft anständiger Menschen ausüben, damit niemand in ihrer Nähe sei als die Kranken. Sie wurden von allen als gefährlich ansteckende Kreaturen gemieden. Doch heutzutage treffen sie sich frei, nicht nur mit Bürgern, sondern auch mit Fürsten. Sie schließen Ehen und erhalten Ehrungen - so groß ist die Macht des Geldes. Es ist ungeheuerlich, denn selbst die Fürsten üben heute den gottlosen Wucher. So leichtfertig betrachten sie den Verlust ihrer Seele und Tugend, und so süß ist der Geruch des Geldes, egal wie es gewonnen wurde.

Freude: Der Wucher ist nun einmal sehr gewinnbringend.

Vernunft: Ein ebenso abscheulicher wie leidvoller Gewinn.

Freude: Ich bin es gewohnt.

Vernunft: Könntest du dich auch an Mord gewöhnen?

Freude: Ich lebe vom Wucher und habe keinen anderen Handel.

Vernunft: Mit dieser Ausrede willst du nur deine Gier verteidigen. Wenn du wölltest, könntest du auch etwas Besseres lernen und davon leben. Doch wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.

Freude: Ich will ein Wucherer bleiben.

Vernunft: Und immerfort leidenschaftlich, begierig und bedürftig.

Petrarcameister - Vom Gewinn durch Wucher

„Mein Geld habe ich in sicherem Wucher angelegt“, erklärt die „Freude“, um Petrarca Gelegenheit zu geben, seine Ansicht über diese Art des Gelderwerbes zu äußern. Das reine Geldgeschäft, das Ausleihen von Geld gegen Zins, stand in Italien im 14. Jahrhundert schon so in Blüte, daß Petrarca schreiben konnte: „Heutzutage treffen sich die Wucherer frei, nicht nur mit Bürgern, sondern auch mit Fürsten...“

Der Petrarca-Meister gibt dazu ein exemplarisches Bild aus dem Leben seiner Zeit. In seinem Leihgeschäft, dessen feste Läden rechts und links sichtbar sind, steht der feiste Wucherer hinter dem Tische, umgeben von Geldsäcken und Zahlkörben, auch die Goldwaage ist zur Hand. Mit geschickten Händen zählt er dem vor dem Tische stehenden Bauern das Geld aus, das dieser gegen Verpfändung seines Überrockes erhalten soll. An der rechten Seite steht mit seinem zierlichen Hunde ein Ritter, der einen vollen Geldsack bringt, um sein Geld „in sicherem Wucher“ anzulegen. Das Nehmen des Bauern und das Geben des Ritters sind sehr anschaulich gezeichnet. Interessiert schaut der Ritter zu dem Bauern hinüber, wo ihm demonstriert wird, was für Geschäften er den Gewinn verdankt, den er aus seinem, dem Wucherer geliehenen Kapital zieht. Diese Gegenüberstellung von ausleihendem Edelmann und dem Bauern, der die Kleider vom Leibe verpfändet, kennzeichnet die Position, die der Petrarca-Meister in sozialen Fragen unmittelbar vor dem Bauernkrieg einnimmt.

Soweit spricht Walther Scheidig zu diesem Bild, der wohl immer noch die Hoffnung hatte, daß der Bauernkrieg gegen die Reichen eine gute und langanhaltende Lösung sein möge. Doch auch in der deutschen Arbeiter- und Bauernrepublik der DDR wurde das Problem der menschlichen Begierde nicht gelöst. Wuchergeschäfte mit Geld waren in den alten Kulturen lange Zeit verpönt und man wußte, daß damit die Tugend höchst gefährdet war, wie auch Petrarca erklärt. Auch die christliche Moral warnte davor und sagt:

Wenn dein Bruder verarmt und neben dir abnimmt, so sollst du ihn aufnehmen als einen Fremdling oder Gast, daß er lebe neben dir, und sollst nicht Zinsen von ihm nehmen noch Wucher, sondern sollst dich vor deinem Gott fürchten, auf daß dein Bruder neben dir leben könne. Denn du sollst ihm dein Geld nicht auf Zinsen leihen noch deine Speise auf Wucher austun. (Bibel, 3.Mose 25.35)

Doch auch die christliche Moral konnte den Materialismus nicht aufhalten, im Gegenteil, sie hat ihn später sogar gefördert, und heute sind die Werte, die in der „Finanzwirtschaft“ gehandelt werden, weltweit schon viermal so hoch, wie in der realen Wirtschaft. Wie kann so etwas in einer „realen Welt“ funktionieren?

Dazu möchten wir nun das Bild des Petrarca-Meisters auch aus geistiger Sicht betrachten und sehen im Zentrum den feisten Wucherer natürlich wieder als unser geliebtes Ego. Er steht in einem „Leihgeschäft“ hinter einem Ladentisch neben dem Stuhl, wo er in Ruhezeiten sitzt, und treibt seine Geschäfte, wie auch das Ichbewußtsein in einem „geliehenen Körper“ eingeschlossen ist und nur einige Fenster in die äußere Welt hat, die es öffnen und schließen kann, wie mit den Fensterläden, die rechts und links im Bild zu sehen sind. Im Inneren dieses Körpers sammeln wir den Gewinn unserer weltlichen Geschäfte an, unsere Lebensgeschichte mit allen Erinnerungen und die zugehörigen Verdienste und natürlich auch die Sünden. Die Waage hinter dem Ego erinnert an unsere Wertvorstellungen, mit denen wir die Dinge bewerten. Doch das Ego ist nicht ganz allein in diesem Körper, es gibt auch noch die Vernunft, die hier links vom Ego steht, ein trauriges Gesicht zeigt und offenbar nur als Diener für das Ego arbeitet. Seine Tätigkeit ist im Bild schwer zu erkennen. Vermutlich hält er einen Pfandbrief in der Hand, und ist damit der Schreiber, der als universale Intelligenz und göttlicher Zeuge alle Aktionen des Egos notiert. Oder wie man früher sagte: „Gott sieht alles!“

Vor dem Ladentisch stehen zwei gegensätzliche Gestalten, der Reiche und der Arme, also Überfluß und Mangel oder ganz allgemein Plus und Minus. Das ist ein wunderbares Symbol für die Welt der Gegensätze, auf die das Ego durch die Fenster seiner körperlichen Sinne schaut. Die Gegensätze schauen sich gegenseitig an, weil der eine Pol natürlich nur existieren kann, wenn er den anderen anschaut. Kälte gibt es nur in Hinblick auf Hitze, Glück im Hinblick auf Leid und Reichtum im Hinblick auf Armut. Beide tragen ein Schwert, das heißt, sie sind immer bereit, gegeneinander zu kämpfen. Und zwischen ihnen steht ein Hund, eine Kraft der Natur, ein lebendiges Wesen, das seinen Herrn mal auf dieser und mal auf jener Seite findet.

Doch wie real sind diese Gegensätze in unserer Welt? Kann man sich hier an einem Plus ohne ein Minus erfreuen? Kann man Gewinn ohne Schuld ansammeln? Ist ein Plus besser als ein Minus? Eigentlich wissen wir doch, daß es kein Plus ohne Minus gibt, wie es auch kein Minus ohne Plus gibt. Und doch gibt es viele Menschen, die im Leben nach dem Plus greifen und glauben, das Minus vermeiden zu können.

Und wie entstehen diese Gegensätze? Durch das, was auch im obigen Bild zwischen ihnen steht, nämlich das Ego als ein Bewußtsein der Trennung. Durch dieses Bewußtsein entstehen nicht nur „Mein“ und „Dein“ sondern auch alle anderen Gegensätze unserer Wahrnehmung. Die Lösung wäre die Vernunft, von der Petrarca spricht, ein ganzheitliches Selbstbewußtsein, das zu einer ganzheitlichen Sicht fähig ist und die weltlichen Gegensätze sozusagen durchschauen kann. Das haben schon viele Menschen erkannt, wie z.B. Shakespeare: „Nicht ist an sich gut oder böse, nur unsere Gedanken machen es dazu.“

Schließlich könnte man noch fragen, warum Vernunft und Ritter im Bild so eng verschmolzen sind. Wie gesagt, wie das Ego zwischen den Gegensätzen steht und sie auseinander hält, so verschmilzt die Vernunft die Gegensätze und erkennt, daß sie die Gegensätze im Bewußtsein selbst hervorbringt und auch selbst wieder auflösen kann. Und soweit kann man auf dieser Ebene auch vom Selbstbewußtsein sprechen, das sich selbst als ein ganzheitliches Bewußtsein ohne ichhafte Trennung erkennt.

1.57. Vom fruchtbaren Feld

Freude: Ich besitze ein fruchtbares Feld.

Vernunft: Sei dir der Kraft von Ihm bewußt, der fruchtbar macht, und nutze die Gaben des Himmels gut, damit du Ihm, der sie dir gibt, nicht mißfällst. Das kannst du nur erreichen, wenn dich die Fruchtbarkeit deines Feldes nicht dazu verführt, Einfachheit und Mäßigung zu vergessen und deine Fülle mit den Bedürftigen und Freunden zu teilen. Denn das Süße und Schmackhafte ist nicht nur für einen einzelnen gemacht.

Freude: Ich arbeite fleißig auf meinem Feld.

Vernunft: Doch vergiß niemals: Der Mensch sollte nicht der Erde dienen, sondern die Erde dem Menschen. Nur durch die Schuld der Menschen gibt die Erde ihrem Herrn nichts mehr ohne Mühe. Ohne fleißige Arbeit gibt sie ihm nur Unkraut und Disteln. Die Bedürftigkeit seines sterblichen Körpers zwingt ihn dazu, die Erde zu pflügen und geschickt zu pflegen. So entstand die Landwirtschaft, die einst eine vorzüglich gesegnete und unschuldige Lebensweise war, doch heute nur noch eine von vielen ist. Zu der alten Arbeit sind neue Übel gekommen, weil auch hier Neid und Gier gewachsen sind, und die lasterhaften Übel der Stadt drangen auch in die Bauernhütten ein. Ja, die Bauern waren wohl die letzten Menschen, die ihre Tugend verloren und böse wurden. Und so spricht auch der Dichter: Mit ihnen hat die Gerechtigkeit die Erde verlassen, denn sie folgten noch ihren Spuren.

Doch ich befürchte, daß jene, die zuletzt noch böse wurden, nicht die Ersten sein werden, die zu den alten Tugenden und Sitten zurückkehren. Aber gut, laß mich nur noch etwas über die Kunst der Landwirtschaft sagen. Berühmte und großartige Männer schrieben darüber. Hervorragende Köpfe ehrten diese Kunst, vor allem Cato Censorius, der als bester Senator, bester Redner, bester General und schließlich auch als bester Landwirt gelobt wurde und sich nicht schämte, die Erde zu bestellen. wer würde nun das als niedrig betrachten, was so ein Mann für gut hielt, der nicht nur körperlich und geistig tapfer war, sondern auch heroische Taten vollbrachte und über Spanien siegte? Wer schämt sich, wenn er seine Ochsen antreibt und durch die Furchen führt, wenn diese auch von jener Kommandostimme angetrieben wurden, die im Kampf so viele mächtige Armeen befehligte und mit weiser Beredsamkeit so viele gefährliche Dinge ansprach? Wer verachte Hacke und Pflug, die auch von dieser siegreichen und weisen Hand geführt wurden, die über so viele Feinde triumphierte und großartige Bücher über würdige Themen der Philosophie, Geschichte und Lebensweisheit schrieb, über die wir gerade sprechen?

Cato war der erste in Italien, der die Gebote der Landwirtschaft sammelte und ihre Kunst begründete, indem er sie niederschrieb. Viele folgten ihm, die diesen bescheidenen Beruf mit den edelsten und erhabensten Versen priesen. Wenn ich daran denke und mir der natürlichen Bedürfnisse des Menschen bewußt bin, kann ich die Landwirtschaft niemals mißbilligen. Weder die Kunst der Literatur noch der Hunger nach Wissen kann mich dazu bringen, diese Kunst den anderen Künsten als unterlegen zu betrachten. Während des ersten Zeitalters des Römischen Reiches waren viele herausragende Helden gleichzeitig Bauern. Heute ist das völlig anders. Nicht daß ihre körperlichen Kräfte geschwunden wären, es ist ihr Verstand, der nun in einer anderen Welt lebt. Heutzutage ist die Natur für die großen Männer höchstens zur Freizeitbeschäftigung geworden, eine vergnügliche Abwechslung von den täglichen Sorgen, um Bäume zu veredeln, ihre Äste kunstvoll ranken zu lassen, schöne Hecken zu schneiden oder den murmelnden Bach zur Bewässerung umzuleiten. Man mag es hinnehmen, aber wenn sich ein großer Geist nur zum Vergnügen ohne Notwendigkeit der Landwirtschaft widmet, ist dies meiner Meinung nach eine Schande und unedel für einen gebildeten und ehrlichen Mann, als würde er keine bessere Herausforderung für seinen Geist finden. Denn die gute Mutter Natur gab den Sterblichen viele Künste, um ihre jeweiligen geistigen Fähigkeiten zu fördern. Es gibt Bauern und Seeleute, mit deren Geschick und Leistung der beste Scharfsinn der Philosophen nicht mithalten kann. So ist es dumm und unedel sich über die Fähigkeiten anderer Gebiete zu erheben, auch wenn man auf dem eigenen Gebiet an der Spitze steht. Leicht wird man in einfachen praktischen Dingen besiegt.

Freude: In diesem Sommer war mein Feld besonders fruchtbar.

Vernunft: Dann bereite dich gut für den nächsten Sommer vor, denn übermäßige Fruchtbarkeit kündigt gewöhnlich eine Unfruchtbarkeit an. Praktisch gibt es kaum eine Fülle, die ununterbrochen bleibt.

Freude: Ich habe mein Feld fleißig bestellt.

Vernunft: Das ist gut, dann hast du nichts versäumt.

Freude: Ich habe auch meinen Weinberg bestens versorgt.

Vernunft: Dann kannst du auf eine gute Weinernte hoffen. Doch hast du auch einen Vertrag mit Frost und Hagel abgeschlossen?

Freude: Ich habe besonders viel auf meinem Feld angebaut.

Vernunft: Das bringt besonders viele Kraniche auf das Feld, viele Mäuse in die Scheunen, ein großes Gastmahl für die Vögel und Würmer, viel Arbeit für die Jäter von Unkraut, Schreiner der Dreschflegel, Baumeister der Scheunen und Knechte zum Schneiden und Dreschen.

Freude: Ich habe reichlich gesät.

Vernunft: Dann hast du eine reichliche Ernte deiner Saat zu erhoffen, nämlich viele Getreidekörner und viele Sorgen. Es sei denn, die Ernte gehört nicht nur dir allein, sondern allen. Um es richtig auszudrücken, sollte das Feld eigentlich dein Verstand sein, seine Kultivierung dein Ziel, seine Samen deine Tugend und ihre Ernte dein Erfolg. Das wäre wahrer Reichtum.

Freude: Ich kultiviere mein Feld so viel wie möglich.

Vernunft: Laß mich dir etwas sagen, das dich überraschen wird. Die alten Bauern waren starke Männer, haben ihre Aufgabe ehrfürchtig vollbracht und das Feld gut kultiviert, aber nicht so viel wie möglich. Das mag unglaublich klingen, aber es ist wahr, wie die Erfahrung zeigt. Denn der Ertrag rechtfertigt nicht alle Mittel. Die alten Bauern verglichen Mensch und Feld im allgemeinen so: Wenn übermäßiger Aufwand erforderlich ist, um mehr Gewinn zu produzieren, wird in der Summe nichts gewonnen. Deshalb sollte man nichts übertreiben.

Freude: Ich widme große Anstrengungen der Kultivierung des Feldes.

Vernunft: Mir wäre es lieber, wenn du dich selbst kultivieren würdest. Als irdisches Geschöpf liebst du die Erde, aber bald wirst du selbst vom Bauern zum Dünger. Kultiviere Erde und Pflanzen so viel du willst, am Ende wird nur ein kleines Häufchen Erde von dir übrigbleiben. Und wie der Dichter sagte:
Von den vielen Pflanzen, über die du kurze Zeit Herr warst, werden dir nur wenige auf dein Grab folgen.

Petrarcameister - Vom fruchtbaren Feld

Der Kunsthistoriker schreibt zu diesem Bild: Der Petrarca-Meister schildert die Arbeit der Bauern als der Hörigen des Grundherrn. Der Herr reitet die Felder ab, sein Vogt begleitet ihn mit abgenommenem Hut und zeigt ihm die wohlangebauten Felder. Im Vordergrund arbeiten die Bauern mit Pflug und Egge hinter ihren Gespannen. Sie sind ganz in ihre Arbeit vertieft und beachten ihren Herrn nicht. Ihre Ochsen und Pferde haben nicht so glatte Rundungen wie das Reittier des Herrn.

Walther Scheidig hatte wohl eine politische Abneigung gegen Feudalherren und Kapitalisten. Das ist auch richtig, soweit sich in ihnen der Egoismus und die Habgier verkörpern. Doch wenn wir dieses Bild aus geistiger Sicht betrachten, dann ist der Egoismus mehr in dem feisten Bauern verkörpert, der zwischen seinen beiden Knechten den Pflug führt und nach immer mehr Ertrag giert. Es ist auch symbolisch schön gezeichnet, wie der eine Knecht die Zugtiere mit der Peitsche in die eine Richtung und der andere Knecht in die entgegengesetzte Richtung antreibt. Das erinnert sehr an das Spiel der Gegensätze, die uns innerlich förmlich zerreißen können, und wie sie auch im vorherigen Bild bereits gezeichnet wurden. Und wie Petrarca schreibt, ist nun auch der Geldwucher der Städte in den Häusern der Bauern angekommen, und mit dem bescheidenen Leben in den engen Grenzen der Natur ist es vorbei. Während es früher nicht viel Sinn hatte, mehr zu produzieren, als man essen konnte, kann man nun die Überschüsse in Geld umsetzen und sich dafür Dinge kaufen, die man vorher nicht brauchte. Damit beginnt sich die Begierde-Spirale ins Uferlose zu drehen.

Entsprechend sieht man hinten rechts zwei Edelbauern, die auch Petrarca im Text erwähnt. Sie erinnern uns an die gegensätzlichen Gedanken, die ihre extravaganten Baum-Ranken pflegen, an denen die gewünschten Früchte wachsen sollen. Im hinteren Zentrum befindet sich der erwähnte Weingarten, der natürlich auch ein uraltes biblisches Symbol ist. Und davor sieht man den Herrn mit weißem Bart auf dem edlen Pferd mit einem einzigen Knecht, der ihm die Schätze der Natur zeigt und vielleicht sagt: „Sieh, oh Herr, diese Ernte ist Dein. Für dich habe ich fleißig gearbeitet.“ Das wäre der edle innere bzw. geistige Mensch, der mit Fleiß die Gegensätze überwunden, das Ego zum Knecht und die Vernunft zum Herrn gemacht hat. Oder wie Meister Eckhart schreibt:

Vom Adel des inneren Menschen, des Geistes, und vom Unwert des äußeren Menschen, des Fleisches, sagen auch die heidnischen Meister Tullius und Seneca: Keine vernunftbegabte Seele ist ohne Gott; der Same Gottes ist in uns. Hätte er einen guten, weisen und fleißigen Ackerer, so würde er um so besser gedeihen und wüchse auf zu Gott, dessen Same er ist, und die Frucht würde gleich der Natur Gottes...

Der innere Mensch ist Adam. Der Mann in der Seele ist der gute Baum, der immerfort ohne Unterlaß gute Frucht bringt, von dem auch unser Herr spricht. Er ist auch der Acker, in den Gott sein Bild und Gleichnis eingesät hat und darein er den guten Samen, die Wurzel aller Weisheit, aller Künste, aller Tugenden, aller Güte sät: den Samen göttlicher Natur. Göttlicher Natur Samen das ist Gottes Sohn, Gottes Wort. - Der äußere Mensch, das ist der feindliche Mensch und der böse, der Unkraut darauf gesät und geworfen hat... (Traktate: Vom edlen Menschen)

So könnte man auch das ganze Bild als eine geistige Entwicklung von unten nach oben betrachte. Unten pflügt das Ego bzw. der äußerliche Mensch das Stoffliche, wühlt es auf und schafft Trennung mit dem Knecht des Willens. Auf der nächsten Ebene wird das Aufgegrabene wieder geglättet mit dem Knecht der Selbstbeherrschung und der Zügelung der Gedanken (oben rechts). Und auf der oberen Ebene wird die Vernunft zum Herrscher mit dem Knecht der Weisheit bzw. ganzheitlichen Erkenntnis. Dann erinnern die beiden Vögel links oben im Himmel, die aus der Sicht des Egos die Körner und Trauben wegfressen, aus geistiger Sicht an die weißen Tauben, die als Heiliger Geist vom Himmel herabkommen und die sündhaften Früchte verzehren, die das Ego angesammelt hat. Es ist überhaupt auffällig, daß der Petrarca-Meister in vielen Bildern die linke obere Ecke für den Weg zur Erlösung verwendet.

1.58. Vom schönen Lustgarten

Freude: Ich habe einen schönen Lustgarten.

Vernunft: Ich gebe gern zu, daß sie ab und zu ein ehrliches Vergnügen gewähren, aber viel öfters wird es eine unehrliche Erfahrung sein. Man findet sowohl weise Menschen als auch sinnliche Genießer in solchen schattigen Gärten. Bei den einen regen sie den Geist zu reinigender Meditation an, bei den anderen zu unverschämter Lustbegierde. Nicht umsonst hat ein großer Redner, als man einen Angeklagten des Ehebruchs beschuldigte, die lustvolle Umgebung als Anstiftung zum Verbrechen bezeichnet. Deshalb solltest du die Freude nicht in sinnlichen Lustgärten suchen, sondern in deinem Geist, es sei denn, man kann sich an allen Orten gut beherrschen.

Freude: Ich habe viele heimliche Gärten.

Vernunft: Wer wüßte nicht von den heimlichen Gärten von Tiberius, als er sich nach Capri zurückgezogen hatte? Ich schäme mich schmerzlich, von diesen allbekannten Dingen zu sprechen, als der alte Bock diese heimlichen Gärten mit seiner Perversität beschmutzte. Wieviel ehrenhafter lebte Scipio Africanus im Exil seines einfachen Landgutes, als dieser Prinz in all seiner Wollust? Ich sage daher noch einmal: Dein Glück kann nicht in irgendwelchen Lustgärten oder anderen Besitztümern gefunden werden, sondern nur in deinem Geist. Und jene, die das einsame Leben an abgelegenen Rückzugsorten lobten, haben betont, daß dies nur funktioniert, wenn der Geist dazu entsprechend ausgerichtet ist, sonst nicht. Ich werde also abwarten müssen, welche Früchte du in deinen Lustgärten sammelst. Dann kann ich mehr dazu sagen...

Du freust dich über solche Orte, die dir früher nicht gehörten und vielleicht schon morgen nicht mehr gehören werden, und wenn du es tiefgründig bedenkst, auch gegenwärtig nicht gehören. Weshalb ist es so wichtig, wo du dich erfreust? Was geht es dich an, wenn die Alpen im Sommer kühl sind, der Olymp über den Wolken ist, der Apennin (ein Gebirgszug in Italien) voller Büsche und Gras, der Tessin klar, die Etsch angenehm und die Sorgue laut ist? Dieses Lob gilt für die Orte, nicht für die Menschen und ihr Glück. Es liegt an dir, zu entscheiden, worüber du dich freuen kannst.

Freude: Deshalb laufe ich gern durch Lustgärten.

Vernunft: Wichtiger ist, welche Sorgen durch dein Herz laufen. Was nützt es an schönen Orten einen übelgesinnten Verstand zu haben? Das ist wie eine stinkende Salbe in einer schönen Elfenbeindose. Wieviel heilige Männer haben in rauhen Höhlen gelebt, und wieviel Ehebrecher haben sich in schönen Lustgärten vergnügt?! Darüber hinaus ist bekannt, daß solche Orte nicht nur den Geist der Menschen, sondern auch ihren Körper verletzt und ihr Leben geraubt haben, und das nicht aufgrund von zuviel frischer Luft, sondern durch das bloße Schwert aus dem Hinterhalt.

Wer hat bei Curtius (einem römischen Gesichtsschreiber) nicht von den wunderbar charmanten und heimlichen Gärten gelesen, die von den Medes mit eigenen Händen gepflanzt wurden, in denen sich sogar große Könige erfreuten. Doch dort wurde auf Befehl eines berauschten und wahnsinnigen Königs Permenion ermordet, ein edler alter Mann, der meiner Meinung nach der wichtigste der Altehrwürdigen von Mazedonien war.

Wer kennt nicht die schöne Küste von Caieta, vielleicht der schönste Ort auf Erden. Doch hier wurde Cicero auf Befehl des grausamen und machtgierigen Antonius ermordet. Vielleicht war das ein passender Ort für diesen großartigen Mann, weil das Schicksal ihm den Tod in Rom verweigerte. So starb der herrlichste Redner und beste Mann an diesem herrlichen Ort. Doch die Weise seines Todes und das Verhalten seines Mörders waren äußerst schändlich. Cicero war nach Caieta gegangen, um vor den Unruhen in Rom zu flüchten, und hatte, wie es seine Gewohnheit war, über etwas Tiefgründiges bezüglich Philosophie oder Lebensführung nachgedacht. Vieleicht bedauerte er auch den Zustand der Nation, und die seelische Qual, die dadurch verursacht wurde, mag durch die Schönheit vor seinen Augen gelindert worden sein, als die Handlanger, die von jenem Feind aller Tugenden gesandt wurden, die Welt eines Mannes beraubten, den meines Erachtens kein zukünftiges Jahrhundert jemals ersetzen kann. Schöne Orte sind deshalb häufig Schauplatz abscheulicher Verbrechen, da das Leben hier frei und unschuldig erscheint, und der Instinkt weniger vor Gefahren warnt. Wilde Tiere werden schneller in dichten Wäldern gefangen, und Vögel am leichtesten auf üppigen grünen Zweigen, die mit Vogelleim bedeckt wurden.

Freude: Doch ich verbringe die Zeit freudig und sorglos in meinen Lustgärten.

Vernunft: Sorglose Freude vermindert immer die Vorsicht. Solange man sich der persönlichen Gefahren und Bedrohungen der Menschheit bewußt ist, kann niemand freudig und sorgenfrei leben. Weder die Schönheit der Orte noch die Hoffnung durch Reichtum sollte dich das Unglück vergessen lassen, das dich überall bedroht.

Freude: Ich spaziere glücklich in meinen schönen Gärten.

Vernunft: Nicht glücklicher als ein Wildschwein oder ein Bär. Es spielt keine Rolle, wo du bist, sondern was du dort tust. Der Ort macht dich nicht besser, aber du kannst den Ort besser machen, indem du dich dort bemühst, etwas wahrhaft Reines und Großes zu erreichen.

Petrarcameister - Vom schönen Lustgarten

In eine Gartenlandschaft mit Büschen und fremdländischen Bäumen voller Früchte fügt der Petrarca-Meister die Beispiele ein, die die „Vernunft“ gegen die Erklärung der „Freude“ an ihrem schönen Lustgarten vorzubringen weiß. Die sind freilich recht banal und besagen nicht mehr, als daß der treffliche alte Permenion in einem schönen, von den Medern angelegten Garten erstochen worden sei und daß Cicero auf Veranlassung von Marcus Antonius an einem „schönen Ort“ den Tod erlitten habe (indem er geköpft wurde). Dagegen läßt sich zunächst nicht erklären, was es mit dem alten Kaiser für eine Bewandtnis hat, der auf einen alten geköpften Baumstamm ein junges Reis aufpfropft. Soll es ein kaiserlicher Gartenfreund sein, wie ihn Petrarca in Tiberius mit seinem heimlichen Harten auf Capri benennt? Oder ist es eine durchaus sinnbildliche Darstellung, die umschreiben soll, wie Antonius (Pius?) sich töten ließ, um mit seinem Leben das Leben seines kaiserlichen Freundes Hadrian zu verlängern?

Soweit beschreibt der Kunsthistoriker dieses Bild. Aus geistiger Sicht kann man hier den Garten der Welt mit einem Baum im Zentrum sehen, der große Früchte trägt. Links ist die Gefahr dargestellt, daß man im Greifen nach den sinnlichen Früchten schnell die Weisheit und Tugend tötet und in Sünde fällt. Rechts könnte man einerseits an das Ego denken, das den Baum der Tugend mit der Axt köpft und auf die lebendige Wurzel den Baum der sinnlichen Früchte aufpfropft, die nach dem Willen des Egos wachsen sollen. Anderseits sieht man hier einen alten König, der mit der Weisheit des Alters an die höhere Vernunft erinnert, den Baum der sinnlichen Früchte köpft und den Baum des ewigen Lebens aufpfropft. Die letztere Variante erscheint uns plausibler. Wenn sich das trennende Ichbewußtsein im ganzheitlichen Selbstbewußtsein einer höheren Vernunft auflöst und nicht mehr nach den sinnlichen und gedanklichen Früchten vom Baum des gegensätzlichen Wissens greift, dann muß auch niemand mehr des Todes sterben, wie die Bibel in der Genesis erklärt. So kann man, wie Petrarca oben schreibt, in diesem weltlichen Garten durch „reinigende Meditation das wahrhaft Reine und Große erreichen“.

1.59. Von der Viehzucht

Freude: Ich freue mich über meine Viehherden.

Vernunft: Eine viehische Freude.

Freude: Ich habe viele Viehherden.

Vernunft: Ein viehischer Wohlstand, der aus dem Vieh geboren wurde.

Freude: Ich liebe aber meine Viehherden.

Vernunft: In jeder Liebe gibt es eine gewisse Gleichheit zwischen dem Liebenden und dem Geliebten.

Freude: Deshalb liebe ich meine Tiere.

Vernunft: Ihr Menschen liebt wohl alles, außer euch selbst und die Tugend. Du verschmähst, was vor allem geliebt werden sollte, und liebst, was verschmäht werden sollte.

Freude: Ich liebe sie nun einmal.

Vernunft: Ein erbärmlicher Liebhaber gemeiner Dinge, der das Edle verachtet! Du liebst das (egoistische) Tier, das keine wahre Liebe empfinden und erwidern kann, und nicht dein (vernünftiges) Selbst. Das ist bösartig und wird durch Gier verursacht, so daß du die Knechtschaft mehr liebst als die Freiheit, das Tier mehr als den Menschen.

Freude: Ich habe wirklich sehr viele Tiere.

Vernunft: Wenn du sie selbst beherrschst, mußt du wohl ein sehr beschäftigter Hirte sein. Ein bescheidener Beruf, der zugegebenermaßen von vielen gelobt wird, insbesondere von Catullus aus Verona. Doch wenn du von anderen beherrscht wirst, bist du kein guter Hirte, sondern von den Tieren und anderer Willkür abhängig. Manchmal wirst du von einem Nachbarn verletzt, manchmal von einem Sturz, von einer Krankheit oder von Viehdieben. Jeden Tag kann irgendetwas passieren, das dir Verlust, Trauer oder Spott bringt. Du wirst ständig von Problemen bedroht, die von hinterlistigen Betrügern verursacht werden.

Freude: Die Tiere sind mein ganzer Reichtum.

Vernunft: Solcher Reichtum ist nicht schlecht, aber unsicher und von vielen schädlichen Ereignissen bedroht, wie Betrug, Raub und Krankheit, die so oft und vehement auftreten, daß ganze Viehherden daran zugrunde gehen können. Du kennst ja die Pest, wie sie von Lucretius und auch von Virgil beschreiben wurde. Und wie viele andere Katastrophen gibt es, die weniger bekannt sind, weil noch niemand über sie geschrieben hat, aber nicht weniger zerstörerisch?

Freude: Die Tiere sind aber nun einmal mein ganzer Reichtum.

Vernunft: Umherziehende und verstreute Reichtümer, die man nicht einmal wie Gold und Edelsteine in eine Schatztruhe, ja nicht einmal in eine Festung einschließen kann. So sind sie weder vor den eigenen Knechten, noch vor Dieben oder Raubtieren sicher, die all ihren Reichtum gefährden können.

Freude: Ich genieße meine Viehherden.

Vernunft: Ein kurzer Genuß mit tausendfachem Leid. Kein Tag vergeht ohne bedrohliche Neuigkeiten (bzw. „Hiobsbotschaften“). Erst neulich sind die Sabäer hereingebrochen, haben alles genommen und die Knechte mit dem Schwert getötet (wie in der Bibel über Hiob berichtet wurde). Heute hat ein Ochse ein Horn oder ein Pferd ein Bein gerbrochen. Morgen holt der Wolf ein streunendes Lamm, und übermorgen bricht eine Krankheit in der Herde aus. Als ob es nicht genug wäre, daß Geschöpfe wie du die Probleme ihrer eigenen Leiden und ihrer Sterblichkeit sehen müssen. Du willst auch noch das Leiden und den Tod der Tiere miterleben.

Petrarcameister - Von der Viehzucht

Der Ausspruch der Freude „Ich freue mich über meine Viehherden.“ wird zunächst vom Petrarca-Meister ganz gegenständlich durch den Hirten mit Ziegen und Schweinen illustriert. In der Mitte des Bildes ist dann ein von Brant aus dem Texte des Petrarca übermitteltes Gegenbeispiel gesetzt, ausnahmsweise aus der Bibel übernommen. Hiob liegt krank und elend im Felde; die Sabäer, als Kamelreiter links im Hintergrund dargestellt, treiben ihm sein Vieh fort. Der Knecht, der sich gegen diesen Raub wehrt, ist nun wieder in der Tracht des 16. Jahrhunderts gezeichnet, so daß sich Biblisches mit Zeitgenössischem wunderlich mischt. Das Paar zur Rechten, der Reiter im Mantel und der Ritter, sind als „Vernunft“ und „Freude“ zu verstehen, die den Dialog miteinander halten. Der Ritter freut sich seines Besitzes, der Philosoph weist ihn auf die Unsicherheit hin.

Soweit beschreibt Walther Scheidig dieses Bild. Der Hirte ist wohl eines der ältesten spirituellen Symbole, das man bereits im Alten Testament findet, und auch Jesus sagt im Neuen Testament: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für seine Schafe... (Joh 10.12)“ Auch in den altindischen Geschichten findet man Krishna als armen Hirtenjungen und Verkörperung Gottes auf Erden. Und man stellt hier ebenfalls die Fragen: „Warum wollte die Gottheit, die das Rad von Geburt und Tod für alle Geschöpfe dreht und den unfehlbaren Diskus hält, ein Mensch werden? Warum kommt Vishnu, der alle Mächtigen in der Welt beschützt, als Hirtenjunge auf die Erde herab? Warum wurde Vishnu, der mit den subtilen Elementen eins ist und die grobstofflichen Elemente hervorbringt, von einer sterblichen Frau empfangen? (Harivamsha Purana 1.40)“ Nun, der Hirte benutzt seinen Hirtenstab, um die Tiere zu zügeln, damit sie nicht auf Abwege geraten und sich in der Welt verlieren. Und symbolisch geht es hier natürlich um das innere Tier, wie zum Beispiel das „verlorene Schaf“ als Symbol für die Unwissenheit oder die „giftige Schlange“ als Symbol für den Egoismus. „Dafür habe ich diese Geburt als Hirtenjunge angenommen und lebe unter den Hirten, um die Übelgesinnten zu zügeln, die auf Abwegen gehen. Dafür sollte ich spielend wie ein Kind diesen Baum (der Erkenntnis bzw. des Lebens) erklimmen, in den See (ins Meer der Welt) springen und den Schlangenkönig (das Ego) besiegen. (Harivamsha Purana 2.11)“

Doch Petrarca spricht hier noch einen anderen Aspekt des Hirten an, wenn sich nämlich das Ego zum Hirten aufschwingt und das eigene tierische Wesen pflegt und versorgt. So zeichnet es auch der Petrarca-Meister in Form einer Schweineschar, die aggressiv gegen die Vernunft auf dem Pferd anstürmt, und mit einem stolzen Ziegenbock, der alles bemeckert. Für das Ego liegt in diesem tierischen Wesen der ganze Reichtum, den es in seiner Burg des Körpers und der Gedanken verteidigen will. Diese Burg sieht man hinter den geflochtenen Gedankenzäunen rechts im Hintergrund über dem Kopf des Ritters. Im Zentrum befindet sich unterhalb einer einfachen Kirche der heilige Hiob, dessen Geschichte in der Bibel erzählt wird. Es ist eine wunderbare Geschichte voller Symbole, wie der gottesfürchtige Hiob durch den Teufel geprüft wird, indem er allen weltlichen Besitz, seine Viehherden, seine Knechte und sogar seine Söhne und Töchter verliert. Es sind die berühmten „Hiobsbotschaften“, wenn im Leben alles schief läuft und nur noch Unglück geschieht. Und die große Frage ist, wird er Gott weiterhin vertrauen? Nun, er besteht die Prüfung und spricht: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen. Der Name des Herrn sei gelobt.“ Doch diese Prüfung reichte noch nicht aus. Nach der Anhaftung an äußeren Besitz steht noch die Frage nach der Anhaftung an den eigenen Körper, und so wird ihm auch die Gesundheit genommen und der Körper mit Geschwüren bedeckt, so daß er in größtes Leiden fällt. „Und sein Weib (symbolisch für die körperliche Natur) sprach zu ihm: »Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb!« Er aber sprach zu ihr: »Du redest, wie die närrischen Weiber reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?«“ Danach erscheinen mehrere Freunde, und eine längere Diskussion beginnt über Schuld, Ursachen und Sinn des Leidens sowie den Weg zur Gotterkenntnis. Die Freunde sprechen mehr vom persönlichen bzw. egoistischen Standpunkt und Hiob aus ganzheitlicher Sicht der Vernunft. Am Ende gewinnt Hiob, die Gottheit offenbart sich, und er kann ohne Anhaftung an Körper und Besitz noch lange Zeit in dieser Welt glücklich leben.


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