Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

1.60. Von Elefanten und Kamelen

Freude: Ich besitze Elefanten.

Vernunft: Darf ich dich nach dem Sinn fragen? Sind sie für den Frieden oder den Krieg? Pyrrhus und Hannibal, die beiden berühmtesten Feinde Italiens, haben ihre eigenen Linien verwirrt, als sie versuchten ihre römischen Gegner mit Elefanten zu erschrecken. Es ist ein schweres und gewaltiges Tier, das den Historikern zufolge, schon oft das Leben seiner Reiter gefordert hat. Es ist ungeheuerlich anzuschauen und seine Masse, die Gestalt, der Geruch und das Trompeten haben etwas Schreckliches. Da ist vielleicht auch der Sinn, weshalb man so ein Tier besitzen will.

Freude: Ich besitze einen riesigen Elefanten.

Vernunft: Einst gab es Elefanten in Italien, die wurden nicht von Jägern gefangen, sondern im Kampf vom Feind erobert und im Triumph hinter den Pferden zum Kapitol geführt, die sich bei ihrer ersten Begegnung noch vor ihnen gefürchtet hatten. Sie wurden von Pyrrhus und den Karthagern gefangengenommen, die sie entsprechend der Friedensbedingungen seit jener Zeit nicht mehr benutzen und trainieren durften. So verschwanden die Elefanten allmählich nicht nur in Italien, wo sie eine fremde Art waren, sondern auch in Afrika und Ägypten, die ihren Herkunftsländern näher lagen. In Italien soll Kaiser Friedrich zur Zeit unserer Vorfahren einen besessen haben und heute der Sultan von Ägypten, die aber nur zu Parade-Vorführungen dienten. So leben sie nun wieder sicher vor fremden Nationen in ihren heimischen Wäldern von Indien und Äthiopien.

Wer bist du, der sich so sehr seines Elefanten rühmt? Bist du ein zweiter Hannibal, der auf einem Auge blind war und Italien auf seinem Elefanten angegriffen hatte? Obwohl manche Dichter berichten, daß Elefanten in ihrer Intelligenz mit den Menschen konkurrieren können und wunderbar sanftmütig sind, denke ich doch, daß ihr Besitz nicht besonders nützlich ist und der Extravaganz eines Königs mehr angemessen ist als einem Mann mit bescheidenen Mitteln, weil sie zur Unterkunft ein ganzes Haus benötigen und deine ganze Scheune leerfressen können.

Freude: Ich besitze auch Kamele.

Vernunft: Was ich über Elefanten sagte, gilt wohl auch für Kamele, abgesehen davon, daß Elefanten schwerere Lasten tragen können, ja sogar Kamele, und diesbezüglich nützlicher sind. Wenn du meinen Rat achtest, dann verzichte auf diese Tiere, die Mutter Natur nicht dort geschaffen hat, wo du lebst. Denn sie hat alles nach den jeweiligen Bedingungen sinnvoll auf der Erde verteilt.

Freude: Ich besitze aber Kamele.

Vernunft: Hiob hatte dreitausend und verlor sie, weil Krankheit, Räuber, Gift, Naturkatastrophen und tausend andere Gefahren die Herde bedrohen. Sogar Felder, Berge und Mauern verfallen ständig, was soll man erst von Tieren sagen, die noch weniger beständig sind? All deine wertvollen Besitztümer sind dem Wandel unterworfen. Trotzdem sammelst du solche außergewöhnlich exotischen Tiere und glaubst damit, den ewigen Ruhm zu gewinnen, den du nur durch die innere Tugend deines Geistes verdienen kannst.

Petrarcameister - Von Elefanten und Kamelen

Es ist auch für einen Humanisten des 14. Jahrhunderts ein seltsames Thema, den Besitz von Elefanten und Kamelen zu disputieren. Petrarca wird durch sein Studium der alten Geschichte dazu verführt worden sein, Elefanten unter die Glücksgüter gesetzt zu sehen und seinen Mitmenschen dieses „Glück“ ausreden zu wollen. - Der Petrarca-Meister weiß nicht viel mit dem Thema anzufangen. Nach Vorlagen, wie er sie in seine Merkbücher während seiner Lehrlingszeit eingetragen hatte, zeichnet er Elefanten und Kamele und läßt orientalisch gekleidete Menschen um sie sein. In übertriebener Tracht, die fast einem Narrenkleide gleicht, steht rechts an einem Flußufer ein Landsknecht, zu dessen Füßen ein Edelmann mit einem verdeckten Auge ertrinkt. Hier scheinen die Angaben, die Sebastian Brant dem Künstler nach dem Text Petrarcas gemacht hat, verwirrt worden zu sein. Petrarca spricht von Kaiser Friedrich, der nur einen Elefanten besessen habe. Kaiser Friedrich ist in Kleinasien auf einem Kreuzzug ertrunken. Petrarca nennt weiter den einäugigen Hannibal, der Elefanten auf seinen Kriegszügen benutzt hat. Beide Gestalten erscheinen beim Petrarca-Meister verschmolzen in dem einäugigen Kaiser, der im Fluß ertrinkt. Für die auffällige Gestalt des Landsknechtes ließ sich keine Erklärung finden.

Soweit beschreibt Walther Scheidig das Bild und vertritt wieder seine geliebte These, daß der Zeichner dieser Bilder unwissend war, den Text von Petrarca nicht kannte und nur auf Anweisung von Sebastian Brant gearbeitet hat. Angesichts der tiefgründigen Symbolik, die wir bisher in den Bildern finden konnten, scheint uns das sehr unwahrscheinlich.

Aus geistiger Sicht spielt hier sicherlich das Wesen von Elefant und Kamel eine große Rolle, zumindest bezüglich der Klischees, die damals in Deutschland bekannt waren, denn einen direkten Kontakt zu solchen Tieren gab es hier kaum. Man wußte zum Beispiel, daß beide Tiere dem Menschen dienen können und bereit sind, große Lasten zu tragen. So erinnern sie symbolisch an die Geisteskraft, die dem Menschen dient und alles trägt, je nachdem, wie sie ausgebildet und gezähmt wurde. Diese Geisteskraft versucht, die Freude für egoistische Zwecke zu verwenden. Und so kann man in dem Bild unten rechts das närrische Ego in Gestalt eines überaus stolzen Landsknechtes sehen, der einen langen Stab in der Hand hält, um die Tiere nach seinem eigennützigen Willen zu führen. Im mittleren Teil kämpfen die Elefanten gegeneinander, die für ihre Intelligenz und vor allem für ihr sagenhaftes Gedächtnis bekannt sind. Damit erinnern sie an die Gedanken, die gern gegeneinander kämpfen und immer eng mit dem Ichbewußtsein verbunden sind. Darüber steht die Burg des menschlichen Körpers, und rechts davon könnte man die fünf Sinne sehen, die der Künstler mehr mit den Kamelen verbindet, vielleicht aufgrund ihrer besonderen Physiognomie oder auch Trägheit. Und soweit das Ego den Stab der Herrschaft führt, kann natürlich die Vernunft nicht herrschen und versinkt hier halb erblindet unter dem hämischen Gelächter des vernarrten Egos im Fluß der Welt.

Im Ganzen sieht man drei Elefanten und drei Kamele. Die drei spielt in der geistigen Welt eine wichtige Rolle und steht für das Spiel der Gegensätze auf Erden. Wenn es nur zwei Pole gäbe, würde alles nur endlos hin und her schwingen. So ist immer auch ein Drittes notwendig, das dem Spiel eine Richtung gibt. Denken wir an die Heilige Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist oder die drei üblichen Seelenkräfte von Voluntas, Intellectus und Memoria im Sinne von Wille, Verstand und Gedächtnis oder auch die drei indischen Gunas von Sattwa, Tamas und Rajas, die man als Güte, Trägheit und Leidenschaft übersetzen kann.

Der Elefant wird zum Beispiel auch im tibetischen Buddhismus gern als Symbol benutzt, wie zum Beispiel in folgendem Bild zu den verschiedenen Stufen der Geisteszügelung (Shamatha):

Der Elefant steht hier für das Geistwesen, und die schwarze Farbe symbolisiert die Dunkelheit der Illusion bzw. Unwissenheit. Die Affen sind die gedanklichen Ablenkungen, und ihre dunkle Farbe die Wildheit. Musikinstrument, Kleidung, Spiegel, Frucht und Muschel mit Safranwasser stehen für die fünf Sinne von Gehör, Gefühl, Sicht, Geschmack und Geruch, die uns auf dem Weg dienen. Der Schneelöwe ist die Anstrengung oder auch Leidenschaft. Schlinge und Elefantenhaken stehen für Zügelung, Achtsamkeit und Erkenntnis.

1.61. Von Affen und leidenschaftlichen Tieren

Freude: Ich habe einen amüsanten Affen.

Vernunft: Ein Tier mit leidenschaftlichem Gesicht und leidenschaftlichem Handeln. Was kannst du davon erwarten, außer Leiden?! Was es auch immer im Haus findet, das wird zerbrochen und verwirrt. Wenn du dich an solcher Art erfreuen kannst, dann mag der Affe für dich amüsant sein. Cicero nennt es ein abscheuliches Tier und fragt, was es wundersamer vollbringen konnte, als den Topf mit den Glückslosen umzukippen (mit den Orakelsprüchen in einem Tempel des Jupiters), was die griechischen Historiker als Wunder überliefert haben. Dieser höchst gelehrte Mann hat völlig recht, darüber zu lachen und zu denken, daß es viel wundersamer gewesen wäre, wenn der Affe sich gezügelt und nichts berührt hätte.

Freude: Ich habe auch noch andere amüsante Tiere.

Vernunft: Was leidenschaftlich ist kann unmöglich amüsant sein, denn welche Erheiterung steckt im Leiden? Praktisch solltest du alles vermeiden, was Augen, Ohren, Nase und Denken leidenschaftlich angreift. Nur ein pervertiertes Gefühl wird von leidvollen Dingen erheitert. Doch das scheint deine Gewohnheit zu sein, dich von Leidenschaft amüsieren zu lassen. So wählst du nicht nur leidenschaftliche und unvernünftige Tiere für deine Liebe, sondern auch leidenschaftliche Menschen, die in Sprache und Verhalten voller Gehässigkeit sind. Kurz gesagt, je leidenschaftlicher und gehässiger, um so lieber und wertvoller ist es dir. Das scheint in allen Dingen deine Gewohnheit zu sein. Leidenschaft, Begierde und Haß bestimmen das Maß deines Urteilsvermögens.

Petrarcameister - Von Affen und leidenschaftlichen Tieren

Affen, Meerkatzen und Parder wurden in den europäischen Ländern vielfach als Luxustiere gehalten, besonders in den italienischen Städten. Im Mittelalter spielte jedoch der Affe auch eine bedeutsame sinnbildliche Rolle und galt als Symbol des gefallenen Engels, des Teufels. Im hohen Mittelalter stand sein Bild dann verallgemeinert für den „Sünder“ schlechthin und wurde am Ausgang dieses Zeitalters in Übereinstimmung mit Schriften wie Brants „Narrenschiff“ zum Gleichnis für den eitlen, nichtsnutzigen Narren. Diese Auffassung lag der Erfindung einer seit dem Ende des 14. Jahrhunderts oft bildlich dargestellten Szene zugrunde, wie Affen einen schlafenden Hausierer überfallen, seinen Kram plündern und in Bäumen aufhängen. Die Betrachter solcher Bilder werden ebenso das närrische, menschenähnliche Tun der Affen wie das Mißgeschick des seinem Stande nach wenig geachteten Hausierers belacht haben.

Der Petrarca-Meister geht in seiner Illustration von dieser allgemein bekannten Komposition aus, legt ihr aber einen neuen, gesellschaftskritischen Sinn unter. Er erzählt die alte Geschichte so, daß über den Hausierer nicht zu lachen ist, sondern das Mitempfinden mit dem Armen geweckt wird, dem die unnützen und eitlen Affen zusetzen. Zugleich aber erregt der Petrarca-Meister auch die Verwunderung des Betrachters, wie es der Hausierer fertigbringt, den Angriff der Narrheit auf seine Habe und seine Person zu verschlafen.

Als Verkörperung des Reichen hat der Petrarca-Meister einen prächtig gekleideten jungen Mann gezeichnet, der sich anfänglich ins Spiel mit der Narrheit eingelassen hat, nun aber so von ihr beherrscht ist, daß sie ihm als Affe auf dem Kopf herumklettert. Entschlossen geht nur der Bauer oder Handwerker dem Affen der Narrheit zuleibe. Er hat ihn ans Bändel gelegt und züchtig ihn mit dem Rutenbündel. Nach diesem Bild ist der Reiche ganz der Narrheit verfallen. Der kleinbürgerliche Hausierer erduldet schlafend den Unfug der Narren. Und nur der „gemeine Mann“ kämpft gegen das tierische Verhalten.

Soweit spricht Walther Scheidig zu diesem Bild, und aus geistiger Sicht können wir uns nur anschließen. Hier werden die Affen gern als Symbol für die umherspringenden Gedanken verwendet, die das harmonische Ganze verwirren und für gedankliche Gegensätze sowie lust- und leidvolle Leidenschaft sorgen. Die Grundlage der Gedanken ist natürlich das Ichbewußtsein, das die Trennung der Gegensätze im Bewußtsein hervorbringt, vor allem von „Mein“ und „Dein“, woraus dann auch Glück und Leid, Leben und Tod oder andere gedankliche Gegensätze entstehen.

Dieses menschliche Ego-Wesen könnte man entsprechend in dem Reichen sehen, dem der Affe als Symbol für die Gedanken auf dem Kopf tanzt. Das Ego amüsiert sich sogar über die Leidenschaft der Gedanken und bindet sich förmlich an diesen „Affentanz“, was mit dem Strick angedeutet wurde. Das Ego sitzt hier auf dem Sockel seiner Körper-Burg mit den massiven Wänden und Säulen rechts im Bild, die er sozusagen „besitzen“ will.

Eine ähnliche Symbolik sieht man auf der linken Seite in Form des schlafenden Hausierers, dessen Besitz aus dem Korb geholt und von den Affen benutzt und an einen Baum gehängt wird. Der uralte und verknöcherte Baum erinnert uns an den biblischen Baum mit den Früchten des Wissens von Gut und Böse. Dieses Wissen ist vor allem gedanklicher Art, unterscheidet die weltlichen Gegensätze und sorgt dafür, daß das Ichbewußtsein überhaupt persönlichen Besitz anhäufen kann, der hier symbolisch von den Gedanken in den Baum des gegensätzlichen Wissens gehängt wird. Das ist eine wunderbare Symbolik, denn unser Greifen nach Besitz ist nichts anderes als das gedankliche Ernten der Früchte vom Baum des gegensätzlichen Wissens. Dieses Greifen nach den Früchten macht uns zu Hausieren in dieser Welt, die sozusagen durch Kaufen und Verkaufen bzw. „Handeln“ persönlichen Besitz anhäufen wollen. Damit gibt uns dieser Baum alle Dinge, die wir uns als Eigentum einbilden, und unsere Gedanken sind es, die mit diesen Dingen spielen, wie die Affen im Bild. Man sieht die bunten Lampen für verschiedene Ansichten, die bunten Schnüre für die weltlichen Bindungen, die Siegel für den Stolz, die Werkzeuge, Teller, Hamsterbeutel und auch Kleider, in welche die Gedanken schlüpfen. Daß der Hausierer schläft, könnte bedeuten, daß das Ichbewußtsein nicht achtsam ist. Es träumt in seiner Welt und läßt sich von den Gedanken beherrschen und offenbar auch einschläfern. Was der Affe im Hintergrund macht, ist schwer zu erkennen. Vielleicht schäumt er gerade den Kopf des Schlafenden ein und hält ein Rasiermesser in der Hand, wie auch die Gedanken den Schaumblasen gleichen, aber auch messerscharf sein können.

Im unteren Zentrum sieht man eine Pflanze, die unter einem Stein herauswächst und an die lebendige Natur erinnert. Oberhalb versucht ein Bauer die Gedanken mit Schlinge und Rute zu zügeln. Diese symbolischen Mittel erinnern bereits sehr an die Schlinge und den Elefantenhaken aus dem obigen Bild zu den buddhistischen Stufen der Geisteszügelung. Zumindest legt sich der Affe schon einmal ergeben auf den Rücken und hält sich die Füße fest, was nach den Worten von Petrarca bereits ein großes Wunder ist, wenn sich die Gedanken selbst zügeln können.

Wie es Walther Scheidig erwähnte, gibt es zu diesem Thema noch ähnliche Zeichnungen, wie zum Beispiel folgenden Kupferstich nach einer Vorlage von Pieter Bruegel d.Ä., die vermutlich um 1530 entstanden ist:

Der von Affen ausgeraubte Hausierer - Pieter Bruegel d. Ä.

1.62. Von Pfauen, Hühnern, Bienen und Tauben

Freude: Ich besitze viele Pfauen.

Vernunft: Du solltest an die Argusaugen in ihren Schwänzen denken und aufpassen, daß sie mit ihren Krallen dein Strohdach nicht zerstören.

Freude: Ich habe wirklich viele Pfauen.

Vernunft: Ich leugne nicht, daß ein Pfau schön anzusehen ist. Aber diese äußere Schönheit muß gegen den Schmerz für die Ohren abgewogen werden. Nur die Flucht oder das Wachs des Ulysses hilft gegen das höllische Geschrei, ganz zu schweigen von schlimmeren Problemen, die man mit den Nachbarn bekommt, wenn sie sich darüber beschweren. Aber so sind Menschen wie du, stolz und mächtig, und versuchen alles, was ihren eigenen Interessen dient, ohne an die Folgeschäden für sich und die Nachbarn zu denken. Du hast wohl vergessen, daß die tapferen Männer deiner Vorfahren solchen Wahn nicht pflegten und die Fische, Wildtiere und Vögel diesbezüglich vor ihnen sicher waren. Ovid sagte, an einem Pfau sollen nur die Federn gefallen. Auch kann ich selbst an diesem Vogel keine besonderen Qualitäten finden, außer vielleicht sein edles Fleisch, das angeblich lang haltbar ist. Augustinus hat dies behauptet, und es liegt an dir, es zu überprüfen. Wenn der Wahn der allgemeinen Klischees nicht wäre, würde dir dieser Vogel weder als Delikatesse noch zu sonstiger Freude dienen.

Man berichtet in zuverlässigen Quellen, daß der erste in Rom, der einen Pfau für den Eßtisch tötete, der Redner Hortensius war. Er war ein großartiger Redner, aber extravagant im Charakter und weichlich wie eine Frau. Viele gleichen ihm an Charakter, aber nur sehr wenige an Redekunst.

Freude: Ich züchte auch Hühner.

Vernunft: Ein Verdruß für das Haus, Nahrung für die Füchse, Verderbnis für den Garten, weil nur noch Staub zurückbleibt. Du lebst auf staubiger Erde und stolperst bei jedem Schritt über die Löcher, die sie kratzen.

Freude: Ich habe wirklich viele Hühner.

Vernunft: Abgesehen von den Problemen, die sie dir bereiten, ist ihr Ertrag kaum der Mühe wert, und jedes einzelne Ei wird teuer erkauft. Und dazu mußt du dir noch das viele Gackern anhören.

Freude: Ich besitze auch Bienen.

Vernunft: Dein Besitz ist also nicht nur zum Sterben bestimmt, er hat auch noch Flügel und kann wegfliegen.

Freude: Ich habe wirklich viele Bienenstöcke.

Vernunft: In jedem von ihnen gibt es nicht weniger Lärm als in einer großen Stadt oder einem Feldlager. Die Bienen sind wie Menschen, die um ihren König kämpfen, ihn beschützen, retten und mit klirrenden Waffen in den Krieg ziehen, so daß viel Staub aufgewirbelt wird. Und wenn alles geschafft ist, wurde doch nichts Wesentliches erreicht. Du wolltest an Wohlstand gewinnen, und hast doch nur verloren. Wenn du alle Probleme der Bienenzucht mit dem Gewinn an Honig vergleichst, dann mußt du das Produkt „Bitterhonig“ nennen.

Freude: Ich bin auch reich an Tauben.

Vernunft: Vergil sagt: Wenn die Bienen in ihrem Gemach ruhen, herrscht Stille über Nacht, aber niemals im Taubenschlag, denn es gibt wohl kein unruhigeres Lebewesen als die Tauben.

Freude: Mein Taubenschlag ist wirklich voller Vögel.

Vernunft: Viele, die kämpfen, viele, die klagen, viele, die am Tage dein Haus verunreinigen und jede Nacht deinen Schlaf stören. Ach, das sind wirklich großartige Freunde!

Petrarcameister - Von Pfauen, Hühnern, Bienen und Tauben

Nun rühmt sich die Freude seiner vielen Pfauen. Zum Glück für die Darstellung hat sich der Petrarca-Meister nicht an die Angaben des Textes gehalten, in dem Petrarca von dem römischen Erfinder des Pfauenbratens spricht und das Gesumm der Bienen sowie das Gurren der Tauben bemängelt. Er hat gezeichnet, was er am besten kannte; den ganzen Reichtum eines Bauernhofes mit seinem Vieh breitet er aus: Pfauen auf dem Stalldach und auf dem Baum, Hähne und Hennen, Fasane, Enten, Gänse und Tauben, dazu die Bienen in ihren Stöcken. In diesem Frieden, wo eben die Bauersfrau die Hühner füttert, bricht der böse Feind in Gestalt eines Raubritters ein, der von einem verschlagenen Landsknecht begleitet wird. Erschrocken, mit weichen Knien, hört der Bauer, was der bewaffnete Räuber an Geflügel von ihm fordert. In der Darstellung ist es sicher kein Zufall, daß die Hand des befehlenden Ritters gerade das lüsterne Füchschen überschneidet, das nach den Pfauen auf dem Baume giert. Ebenso ist es kein Zufall, daß die Hellebarde des Landsknechtes pfeilgerade auf den anderen Fuchs zeigt, der vom Dache des Bienenstocks aus auf Raub ausgeht. Mit Füchsen und Wölfen sind die Raubritter damals oft genug verglichen worden. Auch der kleine Junge rechts im Bilde, der ein Becken anschlägt, hat reale und sinnbildliche Bedeutung. Sein Tun dient dazu, die gefiederten, ungebetenen Gäste vom Hof zu vertreiben. Es ist jedoch den menschlichen Räubern gegenüber unnütz.

In ihrem Formenreichtum und ihrer straffen Komposition, die diese Vielfalt ordnet, ist diese Darstellung eine besonders gute Leistung des Petrarca-Meisters.

Soweit lobt Walther Scheidig dieses Bild. Doch offenbar denkt er beim Geflügel mehr an seinen Bauch und bringt auch seine politische Aversion gegen Adlige und Ritter zum Ausdruck. Dabei könnte man aus geistiger Sicht in den Vögeln auch eine symbolische Fortsetzung der bisherigen Kapitel bezüglich der Gedanken sehen, die vermutlich auch Petrarca in seinem Text vertritt. Nicht umsonst gibt es die Sprichwörter: „Du hast ja einen Vogel!“ oder „Bei dir piept’s wohl!“ Wie die Affen im letzten Kapitel umherspringen und Unordnung schaffen, so flattern auch die Vögel umher. Dazu werden hier verschiedene Arten genannt und gezeichnet: Die stolzen Pfauen mit den trügerischen Scheinaugen, die nur scheinbaren Schutz gewähren und das Strohdach des Hauses gefährden, wie man auch den Körper durch illusorischen Stolz gern in Gefahr bringt. Die beiden Pfauen im biblischen Baum des gegensätzlichen Wissens. Der stolze Hahn auf dem Misthaufen. Die gierigen Hühner, die auf beengten Raum nur noch tote Erde zurücklassen. Die unruhigen Tauben, die neugierig in die Welt hinausfliegen, aber aus Gewohnheit immer wieder in ihren Verschlag zurückkehren müssen, und darunter auch die Gänseschar, die sich im Dickicht der Welt verläuft und vom hungrigen Wolf bedroht wird. Ähnliches gilt für die summenden Bienen, die für ihren Fleiß bekannt sind, den süßen und begehrten Honig zu sammeln. Die Bäuerin sorgt für die Nahrung und gleicht der Mutter Natur, die uns körperlich ernährt aber auch Gedächtnis und Gewohnheit gibt. Der Bauer sorgt sich um den Gewinn und erinnert an das Ichbewußtsein, das seinen Besitz vor allem durch Gedanken anhäuft und die Gedanken entsprechend züchtet. Er hat zwei Kinder bezüglich seiner Zukunft. Das eine steht gezügelt und demütig hinter ihm, und das andere jagt lautstark die Vögel bzw. Gedanken. Dieses Bauernleben könnte theoretisch eine friedliche Welt sein, wie sie sich auch Walter Scheidig wünscht. Doch der bäuerliche Besitz ist immer bedroht, vor allem von der natürlichen Vergänglichkeit, die man hier in Form vom Marder, Fuchs und Wolf sehen kann, aber auch voller Leiden, wie es Petrarca mit dem Lärm der Tiere anspricht und vermutlich den Lärm der Gedanken meint, die nie zufrieden sein wollen und immer nach mehr verlangen. Für diesen Lärm steht wohl auch das zweite Kind mit der Trommel in der Hand.

Die große Lösung wäre wieder die ganzheitliche Vernunft, die man hier als Ritter auf dem Pferd sehen könnte zusammen mit seinem Landsknecht, dem kämpfenden Willen mit dem weißen Bart der Altersweisheit. Beide vereint wären fähig, die lärmenden und gierigen Gedanken nicht nur zu zügeln, sondern die Probleme grundlegend zu lösen, einschließlich der natürlichen Vergänglichkeit. Und ja, es stimmt, für den Bauern gleicht diese edle Vernunft einem Raubritter und erscheint als bedrohliches Wesen, denn sie raubt dem Ego jeglichen persönlichen Besitz. Doch nur so können die gegensätzlichen Gedanken ihren Frieden finden und das Bewußtsein zufrieden sein. Das ist übrigens ein großes Problem unserer heutigen Gesellschaft, denn der zunehmende Egoismus läßt die Vernunft immer feindlicher erscheinen. Der Begriff selbst wird gesellschaftlich zu einem Schimpfwort degradiert und mit Dummheit assoziiert. Wer will heutzutage noch vernünftig sein? Ich will Spaß...

Zum Thema Gedanken und Vernunft spricht Meister Eckhart:
Nun sagt er: »Ein Licht vom Himmel umleuchtete ihn«. Damit meint er: Alles, was zu seiner Seele gehörte, das ward umfangen. Ein Meister sagt, in diesem Licht schnellen empor und erhöhen sich alle Kräfte der Seele: die äußeren Sinne, mit denen wir sehen und hören, wie auch die inneren, die wir Gedanken nennen. Wie weit diese Gedanken sind und wie unergründlich, das ist ein Wunder: kann ich doch ebenso leicht mir etwas denken, das jenseits des Meers ist, wie das, was dicht bei mir ist. Über die Gedanken hinaus aber geht die Vernunft, soweit sie noch sucht. Sie geht ringsum und sucht; sie späht hier- und dorthin, und sie nimmt auf und verliert. Über dieser Vernunft aber, die noch sucht, ist noch eine andere Vernunft, die da nicht mehr sucht, die da in ihrem lauteren einfaltigen Sein steht, das in jenem Lichte umfangen ist. Und ich sage, daß in diesem Lichte alle Kräfte der Seele sich erhöhen. Die Sinne springen auf in die Gedanken. Wie hoch aber und wie unergründlich die sind, das weiß niemand als Gott und die Seele. Unsere Meister sagen - es ist eine schwere Frage -, daß selbst die Engel von den Gedanken nichts wissen, dafern sie nicht ausbrechen und emporspringen in die Vernunft, die sucht, und die Vernunft, die sucht, in die Vernunft springt, die nicht mehr sucht, die vielmehr in sich selbst ein lauteres Licht ist. Dieses Licht umfaßt in sich alle Kräfte der Seele. Darum sagt er: »Das Licht des Himmels umleuchtete ihn.« (Predigt 37)

1.63. Von Fischteichen

Freude: Ich baue mir gern Fischteiche.

Vernunft: Ich glaube nicht, daß du sie mit größerer Freude baust als König Salomo. (Bibel Prediger 2.6: Ich machte mir Teiche, daraus zu wässern den Wald der grünenden Bäume.) Wenn du alle deine Werke untersuchst, die deine Hände getan haben, und womit du dich oft vergeblich bemüht hast, wirst du in allen Dingen Eitelkeit und Leidenschaft erkennen. (Bibel Prediger 2.11: Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand gemacht hatte, und die Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war es alles eitel und Haschen nach dem Wind und kein Gewinn unter der Sonne.) Dann wirst du vielleicht bereuen, was du genießen wolltest, und wieviel Zeit und Kraft du damit verloren hast.

Freude: Ich habe mir mehrere Fischteiche gebaut.

Vernunft: Es reicht wohl noch nicht aus, wenn deine Gier die Erde durchpflügt. Sie muß auch noch das Wasser ergreifen und das Reich der Fische zu einem Gefängnis machen, wo du sie einsperren kannst.

Freude: Meine Fischteiche sind gut gefüllt.

Vernunft: Du hast den Fischen ihre Freiheit und ihren natürlichen Lebensraum genommen, und was die Natur gesund geschaffen hat, krank gemacht.

Freude: Ich habe viel Wasser in meine Fischteiche geleitet.

Vernunft: Sogar einem Mann wie Kaiser Julius Cäsar wurde übergroßer Stolz vorgeworfen, als er den Fluß des Wassers umgeleitet hatte. Was erwartest du für dich?

Freude: Ich halte viel Fische in meinem Teich.

Vernunft: Wenn du schon Geflügel in Gefangenschafts hältst, was Besonderes ist daran, daß du die noch trägeren Fische einsperrst? Alle Dinge sollen ganz unter deiner Macht stehen und sich zu Füßen des gierigen Sterblichen neigen, alle Dinge, außer einem, und das sind deine Gedanken, die du weder beherrschen noch zügeln oder wahrhaft führen kannst. Die ungezügelten Gedanken treiben dich in allen Dingen zur Übertreibung, Leidenschaft und Sünde. Würde die Vernunft über sie herrschen, könnten sie dich auf geradem Wege zum Guten führen, und du würdest vieles als sinnlos betrachten, was du jetzt so leidenschaftlich begehrst.

Freude: Ich wünsche möglichst viele Fische in meinen Teichen.

Vernunft: Wenn dir alles in der Welt unterworfen ist, hältst du es für ehrenwert, der Gier unterworfen zu sein? Das edelste Geschöpf wird Sklave dessen, was in der Welt am gemeinsten ist! So ist es offenbar: Du willst alles beherrschen, um von der Gier beherrscht zu werden. Diese Verrücktheit ist aber nicht neu oder auf das gemeine Volk beschränkt, das kennt man schon von den Adligen der Antike. Bereits Sergius Orata hatte (um 95 v. Chr) im Golf von Baiae Teiche für Austern angelegt. Und Licinius Murena errichtete damals die ersten Fischteiche für viele Arten. Beide verdanken ihre Rufnamen den Fischen. Ach, was für ein großartiger Ruf! Der eine wurde Goldbrasse und der andere Muräne genannt. Denk nur an andere Männer, die sich den Titel Africanus oder Macedonicus verdient haben! Und doch haben diese beiden vielleicht nicht weniger Mühe auf das Fangen und Züchten von Fischen sowie das Bauen von Teichen verwendet, als Scipio und Paulus, um ihr Land von Feinden zu befreien und es mit ihren Siegen und Triumphen zu ehren.

Tatsächlich sagen einige: In der Menge sind die Probleme der Menschen immer gleich, aber in ihrer Art grundlegend verschieden. Und weil gerade schlechte Vorbilder viele Nachahmer finden, folgten dem Licinius Murena viele große Männer wie Philip, Hortensius und auch Lucullus, der nicht nur mit einem einfachen Fischteich zufrieden war, sondern in der Nähe von Neapel sogar einen Berg durchschnitt, was nicht weniger aufwendig war, wie der Bau eines ganzen Landhauses. So schuf er einen Teich, der einer ruhigen Bucht für die Fische glich, die im Meerwasser gefangen wurden, das durch den eingeschnittenen Felsen strömte. Aus diesem Grund wurde er vom Großen Pompejus, der mehr an Königreiche als an Fischteiche dachte, nicht unangemessen „Xerxes in römischer Tracht“ genannt, das heißt, ein „Sieger über römische Berge“.

Was soll ich dir noch erzählen? Der erste, der einen Teich für Aale baute, soll Gaius Hirrius gewesen sein. Doch mehr weiß man nicht über ihn, denn obwohl er das Siegerbankett von Julius Cäsar mit sechstausend Aalen bereicherte, ist nur wenig von ihm überliefert worden. Trotzdem hatte er seine Nachahmer, insbesondere den großartigen Redner Hortensius, den ich bereits erwähnt habe, ein Mann, der es nie versäumte, den Vorbildern der Übertreibung zu folgen. Denn oft wird der Wahnsinn durch Gelehrtheit nicht weniger, sondern sogar vermehrt. Das wird dich vielleicht überraschen, aber die Gelehrten glauben oft, sie dürften alles tun, was sie sich ohne ihr Wissen nicht anmaßen und wagen würden. So heißt es, Hortensius habe im Golf von Baiae einen Fischteich besessen, in dem er sogar ein Neunauge hielt (eine außergewöhnliche Art der Aale), den er so liebte, daß er große Trauer empfand, als er starb. Wahrlich, seine Liebe dazu war so groß, daß die Tränen dieses Mannes der Rede würdig waren, von dem nicht überliefert wurde, daß er über die Bürgerkriege seiner Zeit, die Verbote und den Tod seiner Mitbürger oder über irgendwelche anderen Katastrophen weinte. Nein, er weinte vor allem über den Tod eines Aals!

Nicht einmal Antonia hatte es so übertrieben, obwohl es für eine ältere Frau entschuldbar gewesen wäre. Sie schmückte zwar ihren Aal während seines Lebens mit goldenen Ohrringen, so daß man ihre Villa in Baculo (in der Nähe von Baiae) wegen dieser Seltsamkeit besuchte. Aber über seinen Tod soll sie nicht geweint haben.

Darüber hinaus soll es auch Teiche mit Schnecken oder anderen wundersamen Fischen gegeben haben, wie den Wolfsfisch, der von Lupus Tiberinus im Tiber zwischen zwei Brücken gefangengehalten wurde. Das sei erst einmal genug von diesem Wahnsinn anderer Männer. Je mehr du von ihnen hörst, desto mehr solltest du dich bemühen, nicht ähnlich verstrickt zu werden. Ich will dir nicht verbieten, Fische zu züchten, sondern sinnlosen bzw. unedlen Dingen unangemessene Aufmerksamkeit zu schenken.

Petrarcameister - Von Fischteichen

In der Tat spielte die Teichwirtschaft im Leben des Mittelalters eine erhebliche Rolle. Schon der große Bedarf an Fischen als Fastenspeise verwies die Klöster und Herren auf die Anlage und Unterhaltung von Teichen. Aber auch die Fischerei in Bächen und Flüssen war, wie die Jagd, das Privileg der Grundherren. In den vierzehn Artikeln der revolutionären Bauern war neben freier Jagd auch die Freiheit der Fischerei ein gefordertes Grundrecht.

Auf das Privileg der Fischerei weist der Petrarca-Meister in seinem Bilde mit der Edelfrau hin, die dem Knecht wegen der gefangenen Fische Befehle gibt. Die Situation ist das Ausfischen eines herrschaftlichen Weihers. Mit Wehren ist das Wasser gestaut. Vier Fischer in zwei Kähnen arbeiten mit einem großen Grundnetz, wobei, wie heute auch noch, ein Fischer rudert, der andere das Netz einholt. Im Hintergrund arbeitet ein Fischer vom Ufer aus mit einem Kescher; die Reusenfischerei läßt die Reuse nahe beim Wehr erkennen. Am jenseitigen Ufer sind Netze zum Trocknen aufgehängt. Besonders interessant ist es, daß der Petrarca-Meister auch schon Glasbassins für Fische kennt. Der große Behälter links im Bilde hat Wände mit bleigefaßten Glasscheiben. Unbekümmert um den Text hat der Künstler wieder eine Darstellung aus dem täglichen Leben seiner Zeit geschaffen, die ihn als den mit allen Arbeiten Vertrauten erkennen läßt, und die darüber hinaus mit den Fischern auf der Seefläche einen großen Stimmungsreiz besitzt.

Soweit beschreibt Walther Scheidig als Kunsthistoriker dieses Bild. Wie es Petrarca im Text anspricht, wird aus geistiger Sicht auch hier das Problem der Gedanken weiter behandelt, mit denen wir alles beherrschen wollen, ohne die Gedanken selbst beherrschen zu können. Diesbezüglich gleichen sie den flinken und glitschigen Fischen im Wasser des Lebens, die schwer einzufangen und festzuhalten sind. Zum Einfangen dienen vor allem die Sinne, die sich hier im Bild als Fischer betätigen, und die Netze gleichen unserer Erinnerung und dem Gedächtnis, mit denen sich die Gedanken festhalten lassen. Dazu gehört auch unsere Lebensgeschichte, und im Hintergrund des Bildes sieht man die körperlichen Häuser, wie sie von den Netzen umringt werden, damit wir die gedankliche Erinnerung an unsere körperliche Lebensgeschichte festhalten können. Ähnliche Aufgaben haben auch die Dämme und Wehre, die das fließende Wasser des Lebens auf kleine Teiche beschränken, in denen das gedankliche Wissen gefangen wird, und das entsteht, was wir ein Lebewesen nennen. Aus geistiger Sicht ist es vor allem das Ichbewußtsein, das durch Unterscheidung diese Dämme und Wehre aufbaut.

Die Edelfrau unter dem Baum erinnert uns an die Mutter Natur, der selbstverständlich alles Natürliche gehört. Und in diesem Sinne herrscht sie mit ihrem Stab auch über den Besitz des Ichbewußtseins bzw. Egos, das vor ihr steht und mittels Gedanken die Früchte seiner Taten zuerst in einem kleinen Bottich und dann in einem größeren Bassin ansammelt. Das sind die Verdienste und Sünden, an denen das Ego persönlich anhaftet, und daraus entsteht das, was wir „eine Person“ nennen. Das Bassin mit den gefangenen Fischen könnte diesbezüglich auch ein weiteres Symbol für unseren Körper sein, in dem wir mittels der Gedanken durch die Fenster der Sinne nach Außen schauen können. Und wer sich achtsam selbst beobachtet, kann sogar sehen, wie sich im Inneren die Gedanken ähnlich den Fischen im Wasser bewegen.

1.64. Von geschwätzigen und singenden Vögeln

Freude: Ich halte verschiedene Singvögel in meiner Voliere.

Vernunft: Angesichts dieses Wahns, sogar die Vögel einzusperren, denen das weite Reich des Himmels gehört, wundere ich mich nur noch wenig über deine Gefängnisse für Fische. Deine maßlose Gier nach Völlerei hat die Jagd, das Fischen und den Vogelfang erfunden. Doch das ist dir immer noch nicht genug, du mußt auch noch die Vögel hinter Gittern einsperren, die von der Natur für die Freiheit in der Luft geschaffen wurden. Wieviel angemessener wäre es, deine maßlose Gier zu bezwingen und dich mit der Nahrung zufrieden zu geben, die naheliegend und leicht zu bekommen ist. Laß doch die Tiere im Wald, die Fische im Meer und die Vögel in der Luft. Verschwende nicht deine Kraft, sondern widme sie den unvergänglichen Tugenden. Diese solltest du mit deinem Geist einfangen und dort bewahren, wo sie nicht mehr entkommen oder gestohlen werden können.

Freude: Ich habe viele Käfige mit Singvögeln gefüllt.

Vernunft: Eine relativ nutzlose Ansammlung, die schwer zu erreichen und noch schwerer zu erhalten ist. Und doch ist sie alten Ursprungs und wurde schon vor etwa vierzehnhundert Jahren in Rom von einem Laenius Strabo erfunden. Er wurde als Reiter bekannt und verlor durch seine Vogelkäfige den Ruf der Weisheit, den die Laenius Familie zuvor hatte. Denn dies sind Erfindungen, die zwar nützlich und erfreulich erscheinen, aber einer höheren Vernunft unwürdig sind. Wie der körperliche Hunger die Fischteiche baut, so baut der sinnliche Hunger die Vogelkäfige. Beides sollte den Liebhabern der Tugend fremd sein.

Freude: Ich halte auch gemästete Drosseln und Turteltauben in Käfigen.

Vernunft: Jeder peinigt sich nach besten Kräften durch seine Freßsucht und läßt sich von vielen Verlockungen zu noch mehr Freßgier verleiden. Hast du noch nie den Spruch das Satirikers gehört: „Mein Freund, du wirst es bald bezahlen, wenn du mit geschwollenem Bauch deinen Pfau schlecht verdaut ins Bad trägst und dich ohne Kleidung betrachtest!“ Der Dichter Juvenal spricht hier nur von einem Pfau, einem schönen und ruhmreichen Vogel, aber vermutlich quälen noch viele anderen deinen gierigen Bauch. Die Freuden des Magens bereiten nur kurzes Vergnügen und werden bald zur schrecklichen Sucht, wenn sie nicht gezügelt werden. Die Überlastung des Magens führt zu langfristigem Leiden, Verdauungsstörungen und manchmal sogar zum Tod. Nun geh hin, und rühme dich deiner fetten Drosseln und Turteltauben.

Freude: Ich habe auch sprechende Raben, Elstern und Papageien.

Vernunft: Kaiser Augustus fand solche Vögel amüsant und zahlte hohe Preise dafür, wenn sie ihn als siegreich triumphierenden Cäsar begrüßten. Als daraufhin immer mehr zu ihm gebracht wurden, sagte er, daß er genug solche Grüße zu Hause habe, um dieser Art Unsinn ein Ende zu setzen. Bis auf einen Raben, der so erstaunlich sprechen konnte, daß er sich herausgefordert fühlte, besonders viel Geld dafür zu zahlen. Diese Geschichte findet man in den Saturnalien. Und was geschah mit dem Raben in der Geschichte von deinem Nachbarn in Verona, diesem gelehrigen Vogel aus einem Schusterladen, wo er sorgfältig gefüttert wurde? Lange Zeit flog er in der Öffentlichkeit herum und grüßte Kaiser Tiberius, Drusus und Germanicus und andere Römer zur Freude des Volkes. Doch ein Nachbar des Schusters erzürnte sich über den Raben und tötete ihn. Der Grund ist nicht bekannt, doch das Volk war empört und begrüßte es, daß dieser Nachbar vertrieben und später sogar getötet wurde. Dagegen soll der Rabe mit einer feierlichen Beerdigung und aufwendigen Riten aufs Höchste geehrt worden sein. Ach, der Wahnsinn der Menschen ist schon immer unergründlich! Trauer und Beerdigungsriten für einen Raben, aber Haß und Tod für einen römischen Bürger, der in der gleichen Stadt zu Tode geprügelt wurde, wo Scipio Africanus kein Grab und der jüngere Scipio keinen Rächer fanden. Nur Gott weiß warum! Wie gesagt, der Rabe begrüßte nur die Menschen, aber diese beiden gaben ihnen Sicherheit und Ruhm. Doch das Geplapper des Raben zählt offenbar mehr als die tapferen Taten der großen Männer. Wer kann noch an das Urteil des Volkes glauben? Für die Weisen ist die öffentliche Verachtung für solche würdigen Männer keine Überraschung, denn die Bewunderer geschwätziger Vögel haben natürlich kein Gehör für die göttliche Stimme der himmlischen Offenbarung.

Freude: Ich habe aber einen hübschen Papagei.

Vernunft: Er verdient wohl unter allen Vögeln ein goldenes Halsband, aber ist immer noch kein Vergleich zum einzigartigen Phönix. Der Papagei ist ein großartiger Begrüßer besonders für Fürsten, und die Natur hat ihn wohl zum Schmeichler bestimmt, was in folgendem Vers gerühmt wird:

Ich kann als Papagei viele Namen lernen, aber eigentlich reicht nur einer aus: „Heil Cäsar!“

Freude: Ich habe sogar eine redegewandte Elster.

Vernunft: Redegewandte Menschen sind sehr selten. Und du glaubst dein Vogel ist es? Aber ich gebe zu, es ist ein gesprächiger Vogel, der eifrig die Leute grüßt. Daher der Vers:

Ich grüße dich als Elster im schwarzweißen Frack mit verständlicher Stimme: „Mein Meister!“ Du würdest nicht glauben, daß ich ein Vogel bin, wenn du mich nicht sehen würdest.

Ich weiß nicht, ob all die erstaunlichen Dinge wirklich wahr sind, die man über den Fleiß und die Lernfähigkeit dieses Vogels erzählt. Am wenigsten glaube ich, daß dieser Vogel, wenn er das gelernte Wort vergißt, zutiefst beunruhigt und entmutigt wird und diese geistige Bedrängnis durch launisches Schweigen zeigt. Sobald er sich dann wieder erinnert, ist er wunderbar aufgeheitert. Dagegen soll er bei Lernschwierigkeiten oder Gedächtnisschwund sogar an seinem Kummer sterben können. Wenn diese Geschichte wahr wäre, würde der Tod des Dichters Homer gleich weniger seltsam erscheinen. (Eine Legende sagt, Homer sei aus Verzweiflung gestorben, weil er das Rätsel nicht lösen konnte, daß ihm ein Fischerjunge stellte: "Was wir gesehen und gefangen haben, das lassen wir da. Was wir aber nicht gesehen und nicht gefangen haben, das nehmen wir mit.")

Auch nicht alle Elstern sind so lernfähig, wie jene, die nach den Eicheln benannt wurden, die sie mit ihrem Schnabel begierig sammeln und verstecken. Das ist wohl noch die beste und intelligenteste Art der Elstern.

Freude: Ich habe sogar eine lieblich singende Nachtigall gefangen.

Vernunft: Plinius erzählt uns, daß eine Nachtigall wie auch ein Star fähig ist, Griechisch und Latein zu lernen, und daß es zu seiner Zeit in Rom sogar eine Drossel gab, die alles nachplapperte, was die Menschen vorsprachen. In letzter Zeit hörte man auch von einem Star, der eine ganze Reihe von Worten mit menschlicher Betonung sprechen konnte, den du selbst in der Heimatstadt von Plinius hören und bewundern kannst. Für Papageien sind solche Dinge mittlerweile alltäglich und nicht mehr bemerkenswert. Wie oft hast du sie mit deutlicher Stimme um Essen betteln gehört? Wie oft nannten sie ihren Fütterer beim Namen und neckten ihn mit vielen süßen Gesten und Worten, um ihn zu überzeugen? Wie oft lachten sie so, daß die Umstehenden lachten, weil es so menschenähnlich klang?

Wie dem auch sei. Glaube mir, all diese Vögel und vor allem die Nachtigall würden auf ihren Zweigen in den Bäumen viel freundlicher klingen als in deinen Käfigen. Aber deine Gier schätzt nichts, was du nicht besitzt, auch wenn es die Natur allen gegeben hat. Damit geht deine Gier über alle Grenzen hinaus und wird zur Leidenschaft, die viel Leiden schafft.

Freude: Ich habe nun einmal viele Vögel gesammelt.

Vernunft: Auch wenn du viele und vielleicht sogar alle Arten gesammelt hast, der Phönix fehlt dir bestimmt noch. Denn er ist so selten, daß man sich fragt, ob es ihn überhaupt gibt und ob man den Geschichten glauben kann, die erzählen, daß er im Jahr 800 v.Chr. vor der Gründung Roms von Arabien nach Ägypten flog, gefangen und nach Rom gebracht wurde, wo er öffentlich zu sehen war. Schließlich ist er gestorben, was verständlich wäre. Doch viele große Autoren zweifeln diese Geschichte an, und vor allem den letzten Punkt. So hast du unter all deinen vielen Vögeln sicherlich nicht den schönsten und wunderbarsten.

Entschuldige diesen Scherz, aber Trauer und Empörung treiben mich dazu. Warum willst du immer so unvernünftige Freuden genießen wie ein dummes Kind? Oder wie Salomo sprach: „Oh Kinder, wie lange wollt ihr noch die Kinderei lieben? Hört meinen Tadel und wendet euren Geist!“ Diese Worte sagen das gleiche, was ich dir auch sagen will: Oh du blindes Geschöpf! Laß die Vögel im Walde leben, nisten, fressen, singen und herumfliegen. Breite lieber selbst die Flügel deines trägen Geistes aus und erhebe dich von der Erde in Richtung Himmel. Versuche wie die Vögel zu werden, anstatt sie einzufangen und in Käfige zu sperren. Reinige dich von der Sünde, und entwickle die Tugenden, über die sich ein guter Mensch wahrhaft freuen kann.

Petrarcameister - Von geschwätzigen und singenden Vögeln

Walther Scheidig meint zu diesem Bild, daß hier nur der Tatbestand wiedergegeben wurde, daß Vogelzucht eine Sache der reichen Leute ist, die ganze Zimmer für Vögel einrichten können und sich damit die Zeit vertreiben, den Vögeln mit Hilfe von Lieblingsfutter und Rute ein paar Worte zum Nachplappern beizubringen. Wirklich meisterhaft ist die Zeichnung der Käfige mit ihren engen Sprossen, die trotzdem jeden Vogel in seiner charakteristischen Gestalt erkennen läßt und sogar den Blick in die freie Landschaft jenseits der Käfige ermöglicht.

Aus geistiger Sicht wird hier wunderbar auf symbolische Weise dargestellt, wie sich das Ichbewußtsein mit seinen geschwätzigen und singenden Gedanken selbst in einem Käfig einsperrt, der im Bild den ganzen Raum ausfüllt. Es füttert die Gedanken mit den Sinneswahrnehmungen und all den Ängsten und Hoffnungen, die eng mit seiner Lebensgeschichte verbunden sind. Rechts könnte man wieder Mutter Natur sehen, die auf einem Drachen-Thron sitzt und die Rute der Herrschaft hält. Sie ist es, die alles sprechen läßt und die Gedanken lebendig macht. Das Ichbewußtsein blickt erwartungsvoll zu ihr hinüber, doch fühlt immer eine Trennung zwischen Geist und Natur, denn das Trennende ist nun einmal das Wesen dieser Art von Bewußtsein. Damit entstehen die gegensätzlichen Gedanken, die vielleicht auch in der schwarz-weißen Elster zum Ausdruck kommen, ähnlich der Symbolik des berühmten Yin-Yang Zeichens.

1.65. Von scheinbarer Ehe

Freude: Ich habe eine reiche Frau geheiratet.

Vernunft: Besser wäre es, wenn du dir neben den Elstern und Papageien noch gehörnte und kreischende Eulen ins Haus geholt hättest. Diese sind nur laut, jene beschwert sich. Diese machen Arbeit, jene macht Ärger. Von diesen kannst du dich wieder trennen, von jener nicht.

Freude: Ich werde durch diese Frau ebenfalls reich.

Vernunft: Du wirst von einer goldenen Kette gefesselt, von der dich nur der Tod befreien kann.

Freude: Ich bin glücklich über meine reiche Frau.

Vernunft: Du wärst glücklicher, hättest du Keuschheit geübt, und am glücklichsten, wärst du allein geblieben.

Freude: Ich bin stolz, diese schöne Frau zu haben.

Vernunft: Es gibt zwei Alternativen bei der Wahl einer Frau. Während eine Häßliche oft verachtet wird, ist eine Schöne aufgrund des ewigen Widerspruchs zwischen Schönheit und Treue schwer zu halten. Nur ganz selten verbindet sich Schönheit und Tugend in einem. Aber ich will nicht so streng sein mit dir, sondern auch nach anderen weiblichen Eigenschaften fragen. Hat sie Adel, Intelligenz, Fähigkeit, Fruchtbarkeit, Ansehen und Sitte? Trotzdem solltest du wissen, daß mit all diesen Eigenschaften viel Stolz verbunden ist, der in dein Haus einzieht. Nicht umsonst schrieb der Dichter Juvenal, daß er lieber eine Bäuerin zur Frau nehmen würde, als die Tochter von Scipio Africanus, die wegen des Ruhms ihres Vaters äußerst hochmütig war.

Freude: Ich hatte das Glück, eine ebenso reiche wie ehrliche Frau zu finden.

Vernunft: Und was sagst du über Stolz und Überheblichkeit? Kennst du das Naturell der Frauen? Nun lerne zu dienen, lernen zu leiden und lerne, auf deine Freunde zu verzichten, denn dein ganzes Leben gehört jetzt der Ehe. Während sie die Zuneigung ihres Mannes beherrscht, ist eine herrschende Frau für alle Freundschaften wie ein gefährliches Riff.

Freude: Ich habe eine hochgeborene Ehefrau bekommen.

Vernunft: Eine schwere Last, um deine freien Schultern zu bedrücken, und leidvolle Ketten, um deine freien Füße zu binden. Es ist schwer davon zu reden, noch schwerer darüber nachzudenken und am schwersten zu ertragen. Ein fremder Gast, nicht nur für einen Tag, sondern für das ganze Leben, wie ein Feind, der in dein unbeschütztes Haus eingedrungen ist. Wie gesagt, nur der Tod kann dich davon erlösen, weil es die Scheidung nicht mehr gibt, zu der die Alten Zuflucht nehmen konnten.

Freude: Ich habe eine angenehme Frau genommen.

Vernunft: Du irrst dich, sie hat dich genommen. Bis dahin hast du dein Leben selbständig gelebt. Jetzt hast du eine Frau, die über dich herrscht, eine Peinigerin ihrer Stiefkinder, neidisch auf ihre Stiefmutter, ein Joch für dein Gesinde, ein Problem in der Küche, eine Verschwendung für die Vorratskammer, eine Schwindsucht für deine Schatztruhe, eine Verzierung für deine Empfangshalle, ein Schmuck für dein Fenster am Tag und ein blendendes Licht in deiner Kammer bei Nacht.

Freude: Ich habe mich an eine liebevolle Frau gebunden.

Vernunft: Mit der Bindung kommt die Liebe zur Frau, mit der Loslösung kommt der Frieden.

Freude: Ich habe eine Frau gefunden, der ich sehr gefalle.

Vernunft: Vielleicht wäre es besser für dich gewesen, ihr zu mißfallen, damit sie dich nicht mit ihrer Liebe ergreift und erstickt. Dann könntest du in Ruhe nachdenken und deine Aufgabe erfüllen. Doch nun willst du der Frau gefallen und nicht mehr dir selbst. Sie nimmt dich ganz ein, und doch bist du ihr nie genug. Wenn du selbständig irgendwo hingehst, mußt du sie verlassen. Wenn du selbständig etwas tust, mußt du sie vernachlässigen. Wenn du selbständig nachdenkst, mußt du sie mißachten. Wenn du selbständig ißt, mußt du ihre Küche ablehnen. Wenn du allein schlafen willst, mußt du ihre Liebeslust zurückweisen. Wenn du also dieser Frau gefallen willst, wirst du für dich selbst und alle anderen Wesen nutzlos.

Freude: Ich habe eine Frau, die mich leidenschaftlich liebt.

Vernunft: Es wäre vorzuziehen, wenn sie dich treu, tugendhaft und vernünftig liebte! Denn was ist leidenschaftliche Liebe? Ein Feuer des Geistes, und wenn es brennt, was kann dann von Mäßigung, Ehrlichkeit und Zufriedenheit im Geist übrigbleiben? Deine Frau mag dich leidenschaftlich lieben, doch wenn du diese Leidenschaft nicht erwiderst, wird sie sich abkühlen, und die feurige Liebe verwandelt sich in kalten Haß. Wenn du ihrer Liebe entsprechen willst, mußt du auch darin brennen, dich nur deiner Geliebten widmen, der untertänige Ehemann einer eifersüchtigen Frau sein, Tag und Nacht erregt und gefordert, erst durch verführerische Bitten, dann durch Beschwerden und falsche Anschuldigungen. Sobald du die Augen von ihr abwendest, ein Mädchen anlächelst, die Frau des Nachbarn begrüßt oder die Schönheit einer anderen Frau gelobt hast, wenn du etwas später nach Hause kommst oder sogar etwas sagst, daß ihren Verdacht provoziert, wirst du beschuldigt, ihre Liebe verletzt zu haben. Wenn das dein Leben sein soll, dann weiß ich nicht, was man noch Tod nennen könnte. So viel zur leidenschaftlichen Liebe.

Freude: Ich habe nun eine ewige Gefährtin in meinem Bett.

Vernunft: Und eine ewige Störung des Schlafes, denn im Ehebett ruht man nur selten und kurz. Zwischen Lust und Streit ist wenig Frieden.

Freude: Ich habe wirklich eine treue Frau.

Vernunft: Ich leugne nicht, daß einige Frauen treu sind, sogar bis zum Tod. Für Männer, die sich für das Eheleben entschieden haben, ist eine gute und treue Frau ein wahrer Schatz. Aber die Mehrheit der Frauen ist von anderer Art. Tatsächlich sind sogar viele Fürsten durch den Verrat ihrer Frauen umgekommen. Ich will jetzt nicht von den grausamen und blutigen Ehen der Danaiden in jener berüchtigten Nacht sprechen, in der so viele junge Männer erbärmlich abgeschlachtet wurden. Doch meine Worte werden von vielen anderen bestätigt, von denen ich bereits gesprochen habe, vom tapferen Agamemnon, vom Trojaner Deiphobus, von Africanus dem Jüngeren und erst kürzlich von König Alboin, dessen Blut die schönen Ufer der Etsch befleckte, als es dort von seiner leidenschaftlichen und wilden Frau vergossen wurde.

Freude: Ich habe wirklich eine Frau gefunden, die edel, keusch, sanft, demütig, gehorsam, liebevoll, ehrlich und treu ist.

Vernunft: Ach du Glücksvolgel, der eine weiße Krähe gefunden hat! Es gibt wohl keinen Ehemann, der zur Hochzeit glaubt, daß er gerade eine schwarze Krähe heiratet.

Petrarcameister - Von scheinbarer Ehe

Die bösartigen Reden, die Petrarca gegen die Ehe führte, haben sich Sebastian Brant und der Petrarca-Meister nicht zum Vorbild genommen, obwohl es der Philosoph nicht an Beispielen aus der Geschichte des Altertums fehlen läßt, die gut zur Illustration geeignet gewesen wären. Im Gegenteil ist die Darstellung ein Lob auf die Eheschließung. Vor dem „Brautportal“ der Kirche gibt ein Bischof die Hände eines Vornehmen Paares ineinander. Dieser Vorgang außerhalb der Kirche war bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts üblich, solange die Trauung nur als Bestätigung des kirchlichen Rechtes, nicht aber als eigentlich kirchliche Handlung galt. Den Zug vor die Kirche haben Musikanten mit Trommel, Pommer und Trompete begleitet. Auf der Seite der Braut steht eine Schar von Nonnen, die trübe auf das irdische Glück sehen, von dem sie ausgeschlossen sind. Die Vorbereitungen zum Hochzeitsmahl sind im Hintergrund dargestellt.

Soweit beschreibt Walther Scheidig als Kunsthistoriker dieses Bild und bringt das große Problem zum Ausdruck, daß die weltliche Entsagung, die von der Vernunft gefordert wird, für das weltliche Ego sehr bedrohlich und bösartig erscheint, weil es glaubt, damit das irdische Glück verlieren zu müssen. Wir würden allerdings vermuten, daß der Petrarca-Meister und selbstverständlich auch Sebastian Brant den Text von Petrarca aus geistiger Perspektive wesentlich tiefgründiger verstanden haben. Gerade die Hochzeit war früher ein sehr symbolträchtiger Ritus, der daran erinnerte, das männliche und weibliche Prinzip wieder zu vereinigen, sozusagen Geist und Natur als zwei Aspekte der verkörperten Seele. Im vorhergehenden Bild sah man noch das Ichbewußtsein weit von der Natur getrennt, nun gibt man sich schon die Hand, und der Petrarca-Meister zeichnet die erste Stufe des zweifachen Eheritus. Die weltliche und rechtliche Ehe wurde damals vor dem Brautportal außerhalb der Kirche geschlossen. Von dieser sinnlichen Verbindung bzw. Bindung zwischen Ichbewußtsein und Natur spricht auch Petrarca im Text als ein Leben der Gegensätze zwischen Liebe und Streit bzw. Begierde und Haß. Die zweite Stufe der Ehe wäre dann die geistige Vereinigung der Gegensätze durch die Vernunft, die man hier im Bischof erkennen könnte, der diese Ehe nicht nur in der Welt sondern auch im inneren der Kirche sakral bzw. geistig schließen kann. Diese geistige Vereinigung der Gegensätze galt früher als das Höchste, was der Mensch in dieser Welt erreichen kann. Entsprechend wurde in den Brautportalen der Kirchen oft das biblische Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen zusammen mit Adam und Eva bildlich dargestellt. Dieses Gleichnis hat offenbar auch der Petrarca-Meister im Bild verwendet und zeichnet auf der Seite des Ichbewußtseins fünf feiste und stolze Männer mit lauten Trommeln und auf der Seite der Natur fünf Nonnen mit Rosenkränzen, die im Gebet vertieft sind. Das biblische Gleichnis bezieht sich auf die Zeit des Wartens auf Christus bzw. die Erleuchtung während man in dieser irdischen Welt lebt:

Darum wachet, denn ihr wisset nicht, welche Stunde euer Herr kommen wird... Dann wird (der Weg in) das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen aus, dem Bräutigam entgegen. Aber fünf unter ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen Öl in ihren Lampen; aber sie nahmen nicht Öl mit sich. Die klugen aber nahmen Öl in ihren Gefäßen samt ihren Lampen. Da nun der Bräutigam auf sich warten ließ, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: »Siehe, der Bräutigam kommt! Geht aus ihm entgegen!« Da standen diese Jungfrauen alle auf und schmückten ihre Lampen. Die törichten aber sprachen zu den klugen: »Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen verlöschen.« Da antworteten die klugen und sprachen: »Nicht also, auf daß nicht uns und euch gebreche. Geht aber hin zu den Händlern, und kauft für euch selbst.« Und da sie hingingen, zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür ward verschlossen. Zuletzt kamen auch die anderen Jungfrauen und sprachen: »Herr, Herr, tu uns auf!« Er antwortete aber und sprach: »Wahrlich ich sage euch: Ich kenne euch nicht.« Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird. (Matthäus 25)

Die jeweils fünf Jungfrauen könnten die fünf Sinne symbolisieren, die man entsprechend klug mit Weisheit oder töricht mit Illusion anwendet. Das Licht der Lampen erinnert an das Bewußtsein, das Feuer an den Heiligen Geist, und das Öl an die Verdienste, die man sich durch heilsames Handeln in der Welt erwerben kann, vor allem die Tugend, die Weisheit und die sinnliche Achtsamkeit, also nicht der übliche Stumpfsinn oder Wahnsinn, sondern ein klares, reines und waches Sinnesbewußtsein. Dieses wertvolle Öl sollte man nicht für weltliche Dinge verschwenden, sondern für die große Hochzeit aufbewahren. Das Öl selbst ist ein wunderbares Symbol. Früher wurde es aus verschiedenen Samen gepreßt und gleicht damit der Essenz des Lebens. Heute kommt das Öl, das wir in großen Mengen verbrennen, aus fossilen Ansammlungen in der Erde, wo ebenfalls unter großem Druck die Essenz von Milliarden Lebewesen ausgepreßt wurde. Und davon wird bekanntlich sehr viel für weltliche Zwecke maßlos verschwendet. Den Zugang zur großen Hochzeit bzw. Erleuchtung kann das Ego natürlich nicht erzwingen. Dies kann nur vom Herrn gegeben werden, wenn man dazu bereit ist und mittels der Vernunft die nötige Erkenntnis erreicht hat, damit sich das trennende Ichbewußtsein auflöst und durch ganzheitliche Sicht die weltlichen Gegensätze verschwinden können. Hier spricht man auch von „Selbsterkenntnis“, und so lange diese nicht erreicht ist, sagt das Selbst: „Ich kenne dich nicht.“ Diese ganzheitliche Erkenntnis bzw. Erleuchtung kommt um Mitternacht, wenn sozusagen die äußerlichen Sinne schweigen, die körperliche Welt dunkel wurde, und das Licht des Heiligen Geistes im Inneren leuchtet, im geheimen Brautgemach, wo die heilige Ehe vollzogen wird.

Nun, wie auch Petrarca im Text beschreibt, wird das Ichbewußtsein mit den fünf leidenschaftlichen, begierigen, laut trommelnden, gefräßigen und unersättlichen Sinnen niemals in das Innere dieser Kirche kommen, wo die heilige Ehe vollzogen wird und sich Geist und Natur wahrhaft vereinen. Und diesen Sinn hat der Petrarca-Meister auf vorzügliche Weise dargestellt.

Darüber hinaus sieht man noch ein Kind, das in Ritterkleidung mit einem männlichen Gesicht die Schleppe vom Kleid der Natur trägt. Es ist dieses äußere schöne Kleid, das Mutter Natur im Brautgemach ablegt, damit der Geist das Kind zeugen kann, das die Natur im Mutterleib empfängt und aus der Natur heraus geboren wird. Für die äußerlich weltliche Ehe sind es die körperlichen Nachkommen. Für die innerlich geistige Ehe ist es der Sohn Gottes, der in uns selbst geboren werden kann, sozusagen die innere geistige Geburt, die nach der äußeren körperlichen Geburt geschehen kann.

Das meinte Christus, als er sprach: »Wer sich nicht selbst verleugnet und nicht Vater und Mutter läßt und alles, was äußerlich ist, der ist meiner nicht würdig«, als ob er sagte: Wer nicht alle Äußerlichkeit der Kreaturen läßt, der kann in diese göttliche Geburt weder empfangen noch geboren werden. (Meister Eckhart, Predigt 57)

Und damit ist die Symbolik dieses Bildes noch lange nicht erschöpft. Hinter der Natur sieht man drei Männer mit Trompeten stehen, die uns an die schon mehrfach erwähnten drei Seelenkräfte der Natur erinnern (Voluntas, Intellectus und Memoria bzw. Wille, Verstand und Gedächtnis). In der vedischen Philosophie spricht man hier von den drei natürlichen Grundqualitäten (den Gunas von Sattwa, Rajas und Tamas bzw. Güte, Leidenschaft und Trägheit) und im Buddhismus sieht man am Grunde der äußerlichen Natur Begierde, Haß und Unwissenheit.

Hinter der Vernunft in Gestalt des Bischofs stehen zwei große brennende Kerzen, die noch an das Feuer der gegensätzlichen bzw. weltlichen Liebe erinnern, wo doch eigentlich der Heilige Geist mit ganzheitlicher Liebe brennen sollte. Ähnlich sieht man hinten rechts eine Küche, wo zwei Diener beschäftigt sind und auf einem lodernden Feuer einen großen Kessel kochen. Der Kessel erinnert uns an den Hexenkessel, in dem die ganze Welt gekocht wird. Man könnte aber auch an das biblische Gleichnis des Abendmahls denken, das hier als Hochzeitsmahl mehr für die weltliche als die geistige Ehe bereitet wird. Davor steht ein anderer Diener, der eine Art überdimensionales Schwert in den Händen hält und vielleicht das Tor bewacht, das hinter ihm zu sehen ist. Dazu fällt uns der Engel ein, der mit dem Schwert das Tor zum Paradies bewacht, denn von der Bedeutung her ist kein wesentlicher Unterschied zwischen dem Tor in das innere Brautgemach zur höchsten Vereinigung und der Rückkehr ins Paradies zum Baum des ewigen Lebens, nachdem das Ichbewußtsein bzw. Ego endlich aufgehört hat, sich von den Früchten vom Baum des gegensätzlichen Wissens zu ernähren.

1.66. Von einem schönen Weib

Freude: Ich habe eine schöne Frau gefunden.

Vernunft: Du hast eine schwierige Aufgabe gefunden. Sei vorsichtig! Ich sagte ja schon, was viele wünschen, ist schwer zu halten.

Freude: Die Schönheit meiner Frau ist strahlend.

Vernunft: Wie bei vielen Dingen, wird das Gleichförmige (das mit den Wünschen harmoniert) als etwas Schönes begehrt, und das Ungleichförmige als etwas Häßliches abgelehnt. Wenn deine Frau schön ist, wird dich die Begierde quälen, wenn sie häßlich ist, der Haß. Beide Fälle werden dir zur Plage.

Freude: Die Schönheit meiner Frau ist besonders großartig.

Vernunft: Großartig ist sicherlich auch ihr Stolz, denn es gibt kaum etwas, das den sinnlichen Geist so anschwellen läßt und bewegt, wie großartige körperliche Schönheit.

Freude: Meine Frau ist wirklich besonders schön.

Vernunft: Dann paß auch besonders auf ihre Treue auf! Denn wie der Satiriker sagt: Sehr selten kommen Schönheit und Treue zusammen. Doch wenn sie zusammenkommen, was wäre an dieser Schönheit noch faszinierend, wenn man sie jeden Tag sieht?

Freude: Meine Frau ist aber außerordentlich schön.

Vernunft: Dann hast du in deinem Haus ein sehr dekoratives, aber lästiges Idol. Jeden Tag wirst du eine andere ausgefallene Mode erblicken, und wie die Phantasie der Modemacher daran arbeitet, das körperliche Erscheinungsbild über die Vollkommenheit hinaus noch zu verbessern. Dafür würdest du vermutlich auch den Verlust deines gesamten Erbes noch als profitable Investition betrachten.

Freude: Meine Frau ist trotzdem schön.

Vernunft: Ja, ein trotziges und stolzes Idol, das du auf Knien verehrst, das du anbetest, als wäre es dein wahres Selbst, und das du begehrst, so daß du völlig abhängig wirst. Beuge also deinen Hals unter dieses Joch, sei mit ihrer Schönheit zufrieden und verachte alle anderen Sorgen und deine eigene Freiheit. Aber wie ich schon sagte: Hüte dich, daß du keine andere außer sie lobst, daß dein Blick nicht von ihrem Gesicht abgelenkt wird, daß du ihr nicht weniger als gewohnt schmeichelst oder daß du nicht weniger verrückt nach ihr erscheinst! Alles, was du an ihr nicht magst, wird zu einem Kapitalverbrechen werden. Jeder Gedanke, der von ihr abweicht, bedeutet, sie zu verlassen. Du mußt nach den Vorschriften dieser Frau leben und jede Geste der Geliebten genau beobachten, mehr wie ein Haushund und nicht wie ein Ehemann. Das mußt du alles tun, wenn du danach begehrst, deine schöne Bettgenossin zu umarmen, ihre weiche Haut für eine Weile zu genießen und Kinder aus ihrem schönen Mutterleib zu empfangen, als ob schönere Äpfel aus einer schöneren Schale stammen.

Freude: Ich will diese schöne Frau aber haben.

Vernunft: Ein süßes Gift, goldene Ketten und eine schöne Knechtschaft.

Freude: Ich freue mich so sehr über ihre Schönheit.

Vernunft: Eine müßige und kurzlebige Freude! Es gibt nichts Vergänglicheres als die Schönheit. und das besonders bei Frauen. Denke an meine Worte: Wer seine Frau nur wegen ihrer Schönheit liebt, der wird sie bald hassen.

Petrarcameister - Von einem schönen Weib

In dem dreigeteilten Bilde ist in der Mitte der Blick in ein Schlafzimmer gegeben, in dem sich beim Scheine einer Deckenlampe eine Frau auszieht, um zu Bett zu gehen. Rechts hinter einer Wand dieses Gemaches ist unter dem Nachthimmel ein König mit Krone und Zepter dargestellt, mit einem Begleiter, der durch ein Astloch die nackte Frau beobachtet. Im linken Teil des Bildes ist eine, wohl nächtliche, Straßenszene gezeichnet, bei der ein Patrizier von einer Frau aus dem Haus gejagt und von einer zweiten Frau vom Fenster über der Tür her mit einem Kübel übergossen wird. Zwei Kinder sind zugegen, die anscheinend ebenfalls aus dem Haus gejagt werden. Für diese inhaltreiche Darstellung finden sich im Text des Petrarca keine direkten Angaben...

Soweit beurteilt der Kunsthistoriker dieses Bild und findet noch zwei Parallelen zum „Narrenschiff“ von Sebastian Brant auf der rechten Seite im Kapitel „Vom Ehebruch“, so daß er hier König Kandaules und Gyges in der Darstellung vermutet, und auf der linken Seite im Kapitel „Von nächtlichem Hofieren“, wo man zumindest auf dem dortigen Bild eine Frau sieht, die einen Nachttopf ausschüttet.

Aus geistiger Sicht geht es hier unserer Meinung nach vor allem um die Anhaftung des Geistes an die äußeren Formen der Natur. Diese Art der sinnlichen Liebe, oder besser gesagt Begierde, wandelt sich bekanntlich schnell ins Gegenteil, also in Abneigung und Haß, denn beide bestehen aus der gleichen Energie, die nur in unterschiedliche Richtung wirkt. So könnte man in dem Bild auf der rechten Seite die sinnliche Begierde sehen und auf der linken Seite die Umkehrung in den Haß. In der Mitte des Bildes erscheint die Verkörperung der Natur im Licht des Bewußtseins, das mit der brennenden Lampe symbolisiert wird. Daß sich die Natur gewöhnlich wie eine schöne Frau verhüllt, ist eine uralte Symbolik, und hinter die Hüllen zu schauen ist ein uralter Drang des Geistes zur Erkenntnis. Entsprechend könnte man auf der rechten Seite auch den gedanklichen Verstand mit dem Ich- und Sinnesbewußtseins sehen zusammen mit der Vernunft, die als Selbstbewußtsein eigentlich König sein sollte, doch hier noch im Hintergrund des Verstandes steht. Das Astloch in der Wand erinnert an die begrenzte Sicht unserer Sinne auf die Natur. Und die Erkenntnis über das „nackte“ Wesen der Natur geschieht vor allem in der Nacht, wenn es in der Welt dunkel ist, wie es bereits im vorhergehenden Kapitel erklärt wurde. Das Bett der Natur, auf dem sie ruht und schläft, erinnert aus symbolischer Sicht an den Urgrund, wo sich Geist und Natur vereinigen, und der Geist die Geschöpfe zeugt, die von der Natur geboren werden. Diesen geistigen Blick auf das nackte Wesen der Natur im Spiel zwischen Liebe und Haß bzw. Anziehung und Abstoßung, von dem auch Petrarca im Text spricht, möchte uns offenbar auch der Petrarca-Meister näher bringen und zeichnet im Vordergrund einen großen Vorhang, den er für den Betrachter soweit wie möglich aufzieht.

Auch Meister Eckhart spricht über die „unverhüllte Natur“:
Die Schale muß zerbrechen, und das, was darin ist, muß herauskommen; denn, willst du den Kern haben, so mußt du die Schale zerbrechen. Und demnach: Willst du die Natur unverhüllt finden, so müssen die Gleichnisse alle zerbrechen, und je weiter man eindringt, um so näher ist man dem Sein. Wenn die Seele das Eine findet, in dem alles eins ist, da verharrt sie in diesem Einen. (Predigt 24)

1.67. Von einer fruchtbaren und redseligen Ehefrau

Freude: Ich habe eine fruchtbare Ehefrau.

Vernunft: Sie gebiert dir auch viele Sorgen und Probleme. Eine unfruchtbare Frau wäre nur eine Last im Haus, eine fruchtbare bringt viele Lasten. Jeder kennt den Spruch das Dichters: Ich nahm eine Frau, das war die erste Sorge. Dann wurden Kinder geboren, das waren die weiteren Sorgen.

Freude: Meine Frau ist nicht nur fruchtbar, sondern auch sehr redselig.

Vernunft: Dann hast du nicht nur das Gerede der Kinder und Kindermädchen, sondern auch die langen Reden deiner Frau. Offenbar kennst du den Spruch des Satirikers nicht: „Du kannst keine Frau lieben, ohne daß sie dich mit ihrer Art beherrscht, mit langen Reden verführt und deine Lebensgeschichte schreibt.“ Du hast eine fruchtbare Hausfrau gesucht und eine Lehrerin gefunden, die alles Gemeine und Niedere an dir kritisiert oder verspottet. So wirst du dich irgendwann an den Dichterspruch erinnern: „Ein Ehemann sollte das Recht auf Fehler haben. Nichts in der Welt ist schmerzlicher, als eine Frau, die alles kritisiert und nicht schweigen kann.“

Petrarcameister - Von einer fruchtbaren und redseligen Ehefrau

Auf die Worte der „Freude“: „Ich habe eine fruchtbare Ehefrau“ hat Petrarca wiederum in seiner ausgeprägten Ehefeindlichkeit nur spottende Erwiderungen. Der Petrarca-Meister hat dagegen die Kinderstube in einem Patrizierhause dargestellt, wo die Kinder von der Mutter und einer alten Kinderfrau betreut werden. Die Handgebärde des Ehemannes, der zum Ausgang gekleidet in das Kinderzimmer getreten ist, bezieht sich auf das Attribut „redselig“ in der Überschrift. Er scheint den Redefluß der Frau dämmen zu wollen. Die ganze Darstellung berührt sympathisch, die Differenzierung des kindlichen Treibens ist reizvoll. Doch ist der Holzschnitt qualitativ schlecht, möglicherweise hat ein geringerer Holzschneider als sonst die Zeichnung des Petrarca-Meisters auf den Stock übertragen.

Soweit beschreibt Walther Scheidig dieses Bild. Auch in diesem Text spricht Petrarca sicherlich mehr über die geistige Ehe zwischen Geist und Natur als über die körperliche bzw. weltliche zwischen Mann und Frau. Das bringt auch der Petrarca-Meister im Bild zum Ausdruckt. Auf der linken Seite können wir die fünf Sinne als Kinder von Mutter Natur sehen, die von einem Kindermädchen beaufsichtig werden. Sie erinnert an das Denken, das unsere Sinneserfahrungen beurteilt und unsere Lebensgeschichte mit dem symbolischen Lebensfaden spinnt. Die fünf Sinne erscheinen naturgemäß relativ gierig und neugierig und sind in ihrer Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt. Ganz hinten in der Ecke sitzt vermutlich das Gefühl, das sich vielleicht gerade den verletzten Daumen bläst.

Auf der rechten Seite kann man Mutter Natur und Vater Geist sehen, die von drei Kindern umgeben werden. Damit könnten wieder die drei Seelenkräfte der Natur gemeint sein, nämlich Voluntas, Intellectus und Memoria bzw. Wille, Verstand und Gedächtnis. Der Vater trägt den Bart der Weisheit des Alters, den heiligen Rosenkranz und vielleicht sogar das Schwert der Erkenntnis, so daß er schon mehr der Vernunft mit dem Selbstbewußtsein gleicht als dem gewöhnlichen gedanklichen Verstand mit dem Ichbewußtsein.

In der Mitte steht im Vordergrund eine Wiege, die vielleicht mit dem Memoria bzw. Gedächtnis verbunden ist, das als Mädchen mit einem Körbchen dahinter steht. Denn aus diesem Gedächtnis unserer angesammelten Taten, das man in Indien auch Karma nennt, entsteht auch die Geburt eines neuen Lebewesens. Dazu sieht man im Hintergrund das Bett, sozusagen den Urgrund, wo sich Geist und Natur vereinigen, der Geist die Wesen zeugt und die Natur die Geschöpfe zur Welt bringt. Nun könnte man noch rätseln, welches Kind als Mädchen vor dem Vater steht und welches an der Mutterbrust genährt wird. Vielleicht dient der Voluntas bzw. Wille bereits der Vernunft und der Intellectus bzw. Verstand wird direkt von der Mutterbrust genährt, ähnlich der verbreiteten Symbolik des Jesus-Kindes an der Mutterbrust von Maria. Zumindest sind die Substantive Voluntas und Memoria im Lateinischen weiblich und Intellectus ist männlich.

Im Hintergrund sieht man einen halb aufgezogenen Vorhang vor dem Bett, dem Urgrund, wo die lebendige Gestaltung im Dunkeln aus dem Ungestalteten entsteht. Viele Menschen kennen heute diesen geistigen Urgrund nicht mehr, wo man die tiefere Wahrheit dieser Welt finden kann, denn die geistige Ebene des Lebens wird aus unserer Gesellschaft immer weiter verdrängt und der Vorhang immer fester zugezogen. In der Schule lernen wir nur, daß das Leben aus toter Materie entsteht, und deswegen pflegen wir auch das Körperliche wesentlich mehr als das Geistige mit den altbekannten Tugenden von ganzheitlicher Vernunft, Mäßigung, Weisheit, Mitgefühl und Wahrhaftigkeit. Wir betrachten vorwiegend Äußerlichkeiten und nicht, was in unserem Inneren abläuft. Doch solche Bilder zeigen, daß die Menschen früher viel mehr nach Innen geschaut haben und in einer geistigen Welt lebten. So sieht man hier sehr gut, was im „Kinderzimmer“ bzw. Kopf eines reichen Patriziers geschieht, der hier symbolisch für den „Händler“ steht, der in der Welt handelt und nach körperlichem, sinnlichem und geistigem Reichtum sucht. Und man sieht auch den Weg zum wahren Reichtum, der im Text von Petrarca angesprochen wird und hier mit der Geste dargestellt wird, die zum Schweigen ermahnt. Denn solange die Sinne und Gedanken auf das Äußerliche der Natur gerichtet sind und mit ihrem geistigen Lärm alles übertönen und beherrschen, kann sich die ganzheitliche Vernunft nicht entwickeln und die tiefere Sicht auf die Wahrheit bleibt verschüttet. Inwiefern hier die Natur aus Lehrerin für den Geist wirkt und wirken muß, ist natürlich eine große Frage, die noch offen bleibt.

Dazu spricht auch Meister Eckhart:
Die Seele, die Gott lieben soll und der er sich mitteilen soll, die muß so völlig entblößt sein von Zeitlichkeit und von allem Geschmack der Kreaturen, daß Gott in ihr nach seinem eigenen Geschmack schmecke. Die Schrift sagt: »Zur Zeit der Mitternacht, als alle Dinge im Schweigen waren, da kam, Herr, dein Wort herab von den königlichen Stühlen« (Weish. 18, 14. 15). Das heißt: In der Nacht, wenn keine Kreatur (mehr) in die Seele leuchtet noch lugt, und im Stillschweigen, wo nichts mehr in die Seele spricht, da wird das Wort (ein-)gesprochen in die Vernunft. Das Wort eignet der Vernunft und heißt verbum, so wie es in der Vernunft ist und steht. (Predigt 33)

»Mitten im Schweigen ward mir eingesprochen ein verborgenes Wort.« Ach, Herr, wo ist das Schweigen und wo ist die Stätte, darein dieses Wort gesprochen wird? Wir sagen, wie ich schon vorhin sprach: Es ist im Lautersten, das die Seele zu bieten hat, im Edelsten, im Grunde, ja, im Sein der Seele, das heißt im Verborgensten der Seele; dort schweigt das »Mittel«, denn dahinein kam nie eine Kreatur noch ein Bild noch kennt die Seele da Wirken oder Erkennen noch weiß sie da von irgendeinem Bilde, sei‘s von sich selbst oder von irgendwelcher Kreatur. (Predigt 57)

1.68. Von großer Mitgift

Freude: Ich wurde durch eine große Mitgift bereichert.

Vernunft: Und durch eine große Tyrannei, so daß sich ein Übel über das andere stapelt. Der weibische Stolz wird besonders durch zwei Dinge geweckt: Durch weltliche Mitgift und körperliche Schönheit.

Freude: Meine Frau hatte aber eine große Mitgift.

Vernunft: Nichts ist herausfordernder und unbeherrschbarer als eine Frau mit einer großen Mitgift. Sie glaubt, daß sie alles tun darf, wenn sie ihren weltlichen Reichtum mit der Armut ihres Mannes vergleicht und sich als Versorgerin und Herrscherin betrachtet und nicht als Begleiterin.

Freude: Ich bin froh, daß ihre große Mitgift in mein Haus gekommen ist.

Vernunft: Wo Mitgift hereinkommt, geht die Freiheit hinaus. Als Lycurgus dieses Problem erkannte, erließ er sehr umsichtig ein Gesetz, das Jungfrauen zwang, ohne Mitgift zu heiraten, um zu verhindern, daß man mehr das Geld als die Frau heiratet. Dazu gibt es den Männern auch mehr Vertrauen in die Ehe, wenn sie nicht von der Mitgift beherrscht werden. Beides ist gut, denn wir sehen häufig, wie nicht Mann und Frau verheiratet werden, sondern Gier und Geld. Und eine große Mitgift bedeutet sicherlich auch eine große Macht für die Frau und ein Zaumzeug für den Mann.

Freude: Meine Frau kam nun einmal mit großer Mitgift.

Vernunft: Du solltest die Worte umdrehen und sagen: Mit der großen Mitgift kam deine Frau, auf die du vielleicht verzichtet hättest, wenn du nur die Mitgift bekommen könntest. Es ist eine verrückte Ehe, wenn anstelle der Jungfrau, die mit der Hoffnung auf Kinder ins Bett des Mannes gebracht wird, die große Mitgift mit brennender Gier in die Schatzkammer geholt wird.

Freude: Meine Frau hat mir wirklich eine große Mitgift gebracht.

Vernunft: Um die Wahrheit zu sagen: Damit hat sie einen hohen Preis für den Gewinn ihrer Freiheit dargebracht. Wenn du wüßtest, wie wertvoll die Freiheit ist, hättest du deine Freiheit dafür nicht verkauft.

Freude: Ich habe wirklich eine sehr reiche Frau gefunden.

Vernunft: Du sprichst nichts über ihren Charakter. Offenbar hast du keinen Moment darüber nachgedacht, was die wahre Mitgift der Jungfrauen ist, nämlich ihre Treue, Bescheidenheit, Keuschheit und Tugend. Doch das bedeutet dir wohl nichts, und das einzige, was dich an dieser Ehe interessiert, ist dein Gewinn an weltlichem Reichtum und körperlicher Schönheit. Die Brautjungfern deiner Hochzeit waren nur Begierde und Sinneslust.

Freude: Meine Frau hat sehr viel Geld.

Vernunft: Themistokles sprach: Ein Mann ohne Geld sei dem Geld ohne Mann vorzuziehen. Du solltest dich fragen, ob dieser Rat auch für deine Frau gilt (und du durch ihr Geld deine Männlichkeit verlierst).

Freude: Meine Frau ist wirklich sehr reich.

Vernunft: Wie viel besser wäre es, friedlich mit einer Armen zu leben, als von einer Herrischen verärgert zu werden, mit einem bescheidenen Mädchen hungrig zu sein, als mit einer stolzen reichen Dame zu streiten.

Freude: Die Mitgift meiner Frau war wirklich immens.

Vernunft: Deshalb hat sie wohl auch immensen Stolz und wenig Respekt vor ihrem Ehemann. Du wirst es nicht wagen, ihre Fehler zu kritisieren, sobald du an ihre Mitgift denkst. Du wirst sie auch nicht zur Mäßigung ermahnen, solange sie dir die Prahlerei ermöglicht. So wirst du nicht nur ihren verächtlichen Stolz und ihre Lüge ertragen, sondern auch ihren Mißbrauch und ihre Leidenschaft. Vielleicht erinnerst du dich noch an den Kaiser Marcus Aurelius, der seinen Ruf als Philosoph auch während seiner Herrschaft bewahren konnte. Als er erfuhr, daß seine Frau Ehebruch begangen hatte, antwortete er einem Freund, der ihm riet, sich von ihr scheiden zu lassen: „Wenn ich mich von meiner Frau trenne, muß ich mich auch von ihrer Mitgift trennen.“ Und diese Mitgift war das ganze Kaiserreich. Hierin erkennst du, wie auch die größten Herrscher von großer Mitgift gebunden werden. Glaubst du, daß du nicht davon gebunden wirst?

Freude: Ihre Mitgift ist so groß und unerschöpflich.

Vernunft: Die eheliche Mitgift wurde eingeführt, um die Kosten zu tragen und nicht, um die Flammen der Begierde zu ernähren. Je größer die Mitgift, um so weniger Sinn macht sie und schadet doppelt, denn sie fördert sowohl den unerschöpflichen Stolz des Gebers als auch die unerschöpfliche Begierde des Empfängers.

Freude: Ich habe wirklich eine große Mitgift von meiner Frau.

Vernunft: Entscheidend ist nicht die Größe der Mitgift, sondern die Güte der Frau. Und selbst bei der Mitgift muß man mehr die Qualität als die Quantität beachten, vor allem, woher die große Mitgift kommt, denn oft wurde sie durch ungerechte Mittel erworben. Du kennst ja den Brauch in Heliopolis und Karthago, wodurch die Mitgift zum Übel und das Ehrenwerte der Ehe zur Schande wurden.

Petrarcameister - Von großer Mitgift

Mit größter Feinheit hat der Petrarca-Meister das Thema vom „ungleichen Paar“ gestaltet, das so oft von Cranach gemalt und von den Kleinmeistern im Holzschnitt verbreitet worden ist. Da sitzt nun nach der Heirat der junge Mann reich gekleidet bei der alten, häßlichen Frau, die ihm ihre Schätze zeigt. Sie hat den Beutel an ihrer Seite, in ihrem Besitz befinden sich sicher auch die Schlüssel zu den Geldkästen und Truhen, die sie jetzt geöffnet vorweist. Mit einer Hand faßt der junge Ehemann begehrlich nach den Ketten und Schmuckstücken, die ausgebreitet sind, die andere Hand legt er seiner Frau auf den Rücken. Sein Blick ist dabei weder auf die Frau noch auf die Goldstücke gerichtet, die offen vor ihm liegen. Gedanken, wie sie der Philosoph in seinen Erwiderungen auf den Jubel der Freude ausspricht, mögen durch seinen Kopf gehen.

Soweit beschreibt Walther Scheidig dieses Bild. Aus geistiger Sicht liegt das Problem vor allem darin, daß sich der gierige Geist weniger der Lebendigkeit und Fruchtbarkeit der Natur zuwendet, sondern dem materiellen Besitz, dem fest Gestalteten und stofflich Greifbaren, weil das Ichbewußtsein denkt, daß es damit etwas Beständiges für sich persönlich festhalten kann. Doch das fest Gestaltete ist in der Natur auch das Verhärtete, Verknöcherte und Gealterte, was in der alten Frau zum Ausdruck kommt, die bereits dem Tode nah ist. Das ist der Weg, den wir heute „Materialismus“ nennen. Entsprechend sieht man im Hintergrund des Bildes, wie der Vorhang fest zugezogen ist, der in den letzten beiden Bildern noch offen bzw. halboffen war. Daneben ist eine kunstvolle Tür, die mit festen Schloß und Riegeln ebenfalls verschlossen ist. So sitzt der männliche Geist in einem körperlichen Gefängnis, und geöffnet sind nur die Schatztruhen der weltlichen Schätze, über die vor allem die weibliche Natur herrscht.

Das „ungleiche Paar“ kann man auch noch aus anderer Sicht betrachten. Auf der einen Seite ist die Mutter Natur, die altert und zur materiellen Erstarrung neigt. Auf der anderen Seite ist der ewig junge Geist, der oft als Jüngling oder sogar Kind symbolisiert wird. Miteinander im Widerstreit verbunden entstehen die Wellen von Geburt und Tod der körperlichen Lebewesen, und das große Ziel ist die mystische Hochzeit in reiner Liebe, die vollkommene Vereinigung dieser beiden Prinzipien, die aus weltlicher Sicht so gegensätzlich erscheinen.

Über dieses höchste Ziel spricht auch Meister Eckhart:
«In principio«: im ersten Beginn der ersten Lauterkeit, dort hat der Sohn das Zelt seiner ewigen Glorie aufgeschlagen und ist darum herausgekommen aus dem Allerhöchsten, weil er seine Freundin erhöhen wollte, die ihm der Vater von Ewigkeit her vermählt hatte, auf daß er sie zurückbrächte in das Allerhöchste, aus dem sie gekommen ist. Und an anderer Stelle steht geschrieben: »Siehe, dein König kommt zu dir« (Zach. 9, 9). Darum also ging er aus und kam gesprungen wie ein Rehböcklein und erlitt seine Pein aus Liebe; und nicht ging er so aus, ohne wieder eingehen zu wollen mit seiner Braut in seine Kammer. Diese Kammer ist das stille Dunkel der verborgenen Vaterschaft. Dort, wo er ausging aus dem Allerhöchsten, dort wollte er wieder eingehen mit seiner Braut im Allerlautersten und wollte ihr offenbaren die verborgene Heimlichkeit seiner verborgenen Gottheit, wo er mit sich selbst und allen Kreaturen ruht.

1.69. Von angenehmer Liebschaft

Freude: Ich genieße angenehme Liebe.

Vernunft: So bist du in angenehme Fallen verstrickt.

Freude: Ich bin entflammt in angenehmer Liebe.

Vernunft: Du sprichst richtigerweise von Flammen, denn diese Art der Liebe ist ein unsichtbares Feuer, eine liebliche Wunde, ein süßes Gift, schmackhafte Bitterkeit, köstliches Leid, entzückende Qual und verführerischer Tod.

Freude: Ich liebe und werde wiederum geliebt.

Vernunft: Das erste kannst du wissen, das zweite ist zweifelhaft, es sei denn, du bist von den schmeichelnden Worten, die dein Mädchen dir während der Nacht ins Ohr wispert, völlig überzeugt.

Freude: Zweifellos werde ich geliebt.

Vernunft: Ich verstehe, sie hat dich überzeugt. Es braucht wohl nicht viel, jemanden zu überzeugen, der überzeugt werden will. Alle Liebenden sind offenbar blind und leichtgläubig. Wenn du ein Gleichnis für das Versprechen eines Liebhabers brauchst, dann denke an eine dünne Eisscheibe unter der heißen Sonnenglut. Ach du Verrückter, einer lüsternen Frau darf man niemals glauben! Geschlecht, Trieb, Leichtfertigkeit, Illusion, Täuschung und List sind alles Gewohnheiten, von denen jede einzelne und vor allem alle zusammen jegliches Wort aus ihrem Mund verdächtig macht.

Freude: Ich liebe, was meinen Geist erfreut, und brenne gern in Leidenschaft.

Vernunft: Ich werde dir nicht bestätigen, was der Meister der Liebe sagte: „Ich erfreue mich glückseliger Begeisterung und segle vor dem Wind meines Verlangens.“ Das ist nicht mein Rat für dich. Ich rate dir, je erfreulicher du brennst, desto sorgfältiger solltest du die Flammen der Leidenschaft meiden. Die gefährlichsten Übel sind jene, die erfreulich erscheinen. Denn gewöhnlich endet die große Freude in großer Verzweiflung.

Freude: Ich liebe aber gern, weil ich auch gern geliebt werde.

Vernunft: Wenn dem so ist, sprichst du dann nicht von einem Doppelknoten, einer zweifachen Bindung und damit einer ernsthaften Gefahr? Ich würde es noch besser finden, wenn du nur allein verliebt wärst, ohne den Anspruch, geliebt zu werden. Auch wenn manche sagen, daß Leichtigkeit und Schwierigkeit in der Liebe gleichermaßen schädlich sind, weil der Geist durch Leichtigkeit gelockt und durch Schwierigkeit zum Kampf herausgefordert wird, denke ich doch, daß bezüglich der Liebe nichts anregender ist, als sich geliebt zu fühlen. Dagegen gibt es wohl keine größere Enttäuschung, als die Erkenntnis, daß man nicht geliebt wird oder geliebt werden kann. Aber für einen blinden und leidenschaftlichen Liebhaber ist das sehr schwierig zu verstehen, denn über sie schreibt man nicht umsonst: „Es sind jene, die es lieben, ihre eigenen Träume zu gestalten!“

Freude: Ich erfreue mich aber der Liebe.

Vernunft: Wer nicht fühlt, wie leidenschaftlich er ist, der ist gefühllos geworden. Und wer sich an Krankheit erfreut, ist verrückt.

Freude: Trotzdem, die Liebe gefällt mir.

Vernunft: Ich würde es vorziehen, wenn du sie fürchten würdest, damit du mehr bedacht wärst, das Übel zu meiden und die Hoffnung auf Befreiung zu nähren. Gegenwärtig nährt dein Gefallen vor allem deine Krankheit. Und wer Gefallen daran hat, krank zu sein, der verhindert jede Heilung.

Freude: Die Liebe liegt nun einmal in meiner Natur.

Vernunft: So könnte jeder sterbliche Mensch denken und sprechen. Doch ich (die Vernunft) betrachte sinnliche Liebe als unterwürfig und schwächend, weil sie selbst den tapfersten Mann weichlich und schwächlich macht. Jeder kennt, was ich dir jetzt sagen werde, und doch wird der Zuhörer darüber staunen. Deshalb sollten wir uns oft an die alten Geschichten großer Ereignisse erinnern, auch wenn wir sie schon mehrmals gehört haben. Doch um nicht alle Geschichten zu erzählen, was meiner Meinung nach unnötig ist, will ich vor allem an zwei Führer erinnern. Julius Caesar, der in Gallien, Deutschland, Großbritannien, Spanien, Italien, Thessalien und Ägypten siegreich war und bald in Armenien, Pontus und Afrika triumphierte, wurde inmitten all dieser Eroberungen in Alexandria von fürstlicher Liebschaft erobert. Auch Hannibal, der am Fluß Tikino, in Trebbia, am See Trasimeno und in Kannä unbesiegbar war, wurde bald in seiner Heimat besiegt und beschämenderweise sogar von einer gemeinen Hure. Wie groß muß die Kraft des Übels sein, das mit Leichtigkeit in so mutige Köpfe eindringen und mit schmeichelnder Bindung so bewegliche Füße und kraftvolle Arme binden kann? Ich will auch nicht von den alten Fabeln erzählen, wie Jupiter sich in wilde Tiere verwandelte, Mars lächerlicherweise in einem unzerstörbaren Netz gefangen wurde, Herkules mit seinen starken Händen Wolle spann, Leander in den Wellen ertrank, Byblis vor Kummer starb, Procris durch den unfehlbaren Pfeil ihres Mannes getötet wurde, Pyramus durch sein eigenes Schwert und Iphis durch die Schlinge starb, wie auch die großen Epen über die griechischen Herren, die um die Liebe kämpften, bis zu dem berühmten Feuer von Troja. Auch ohne all diese vielen ähnlichen Geschichten sollten die beiden erstgenannten Helden wegen ihrer Berühmtheit und historischen Glaubwürdigkeit überzeugend genug sein.

Freude: Ich liebe aber. Was hast du über Haß zu sagen, wenn du die Liebe verurteilst?

Vernunft: So wie du Liebe und Haß betrachtest, verurteile ich beide. Und ich werde die Liebe auch nicht gutheißen, nur weil sie dem Haß zu widersprechen scheint. Liebe und Haß sind zwei Extreme, die sich diametral gegenüber stehen und gleich weit von der vernünftigen Mitte entfernt sind, nämlich von der Tugend. Durch diese Entfernung von der Tugend sind sie auch gleich schädlich für die Tugend.

Freude: Ist es also böse, zu lieben? Dann kann ich mir nichts Besseres vorstellen, als dieses Böse.

Vernunft: Ich glaube dir, daß du dich so fühlst. Aber dein Gefühl ändert nichts an der Natur der Sache.

Freude: Dann mag hassen, wer hassen will. Ich werde immer lieben.

Vernunft: Ich sagte bereits, daß Liebe und Haß vom gleichen Wesen sind. Zum Beispiel ist es ebenso lobenswert, Laster zu hassen als die Tugend zu lieben. Aber Haß auf Tugend und Liebe zum Laster sind gleichermaßen verwerflich. Kurz gesagt, du wirst kaum etwas finden, das du nicht entweder liebst oder haßt. Doch sobald sich deine Sichtweise nur ein wenig dreht, wird die Liebe schnell zum Haß oder der Haß zur Liebe. Also kannst du dir der Liebe nie sicher sein.

Freude: Was soll ich schon lieben, als das, was alle anderen lieben?

Vernunft: Nicht jeder liebt das Gleiche. Es gab Menschen, die Gott so hingebungsvoll liebten, daß es für sie der größte Gewinn dieser Liebe war, all ihren Besitz hinzugeben und sogar ihr Leben. Es gab auch andere, die weniger hoch strebten, und das Gleiche für die Tugend oder ihr Vaterland darbrachten. Ich würde sie dir gern aufzählen, wenn sie nicht zahllos wären.

Freude: Ich war noch nie im Himmel und habe auch noch nie die Tugend gesehen. Ich liebe, was ich sehen kann.

Vernunft: Wenn du nur das Sichtbare liebst, kannst du nichts Bedeutendes lieben. Denn du handelst ganz klar gegen die bekannte Regel, daß man nicht das Sichtbare, sondern das Unsichtbare lieben soll. Denn das Sichtbare ist das Vergängliche, und das Unsichtbare ist das Ewige. Deshalb sage ich, daß du blind für die Vernunft und den sichtbaren Dingen hingegeben, nicht nur unfähig bist, ewige Dinge zu lieben, sondern auch unfähig, sie zu erkennen und darüber nachzudenken. Du begehrst die Dinge, die mit dir zugrunde gehen werden, und verbirgst leidenschaftliche Wünsche unter einem Schleier angeblicher Wahrhaftigkeit. Du bezeichnest die Begierde als Liebe. Diese Liebe, die du verehrst und sozusagen zu einem Gott machst, der deine Niedrigkeit entschuldigen soll, kann niemals im Himmel bestehen. Doch was kann böse sein, wenn es ein Gott befiehlt? Also geh hin, und errichte diesem Gott Altäre und bringe Weihrauch dar! Dein Gott wird dich vielleicht zum Himmel erheben, aber der himmlische Vater da oben wird dich und deinen Gott in die Hölle werfen.

Freude: Du beschuldigst fälschlicherweise die Freuden der Jugend. Ich bin verliebt, und das solltest du verzeihen können.

Vernunft: Wenn du Verzeihung für den Verletzten erbittest, dann verzeih dir selbst. Denn du verletzt vor allem dich selbst, oh Unwissender! Zwischen welche Klippen hast du dein zerbrechliches Boot gesteuert?

Freude: Es ist herrlich, so zu leben. Ich verstehe nicht, was du hier kritisierst.

Vernunft: Es ist schlimm zu sündigen, schlimmer es zu genießen und am schlimmsten sich herauszureden und die Sünde zu lieben. Und der Höhepunkt wird erreicht, wenn sich die Begierde nach leidenschaftlicher Lust mit einem Schleier der Ehrlichkeit tarnt.

Freude: Ich kann und will nichts anderes tun, als zu lieben.

Vernunft: Du könntest, wenn du wölltest. Und in wenigen Jahren wirst du es bereuen, daß du nicht gewollt hast. Denn wir sehen in vielen Fällen und vor allem bei Krankheiten, wie du sie pflegst, daß die Heilmittel der Tugend, die gegenwärtig unwirksam erscheinen, erst auf längere Sicht hilfreich sind.

Freude: Es wird kein Tag kommen, der mich nicht als Liebhaber sehen wird.

Vernunft: Wohl an! Spiele und tummle dich in deinem verrückten Traum! Dein Erwachen wird bittere Tränen kosten.

Freude: Ich werde nicht weinen, sondern singen und mich mit Gedichten aufmuntern, wie es Liebende tun.

Vernunft: Über dieses Thema kann man viel sagen, und weil du es angesprochen hast, will ich es auch tun. Ich muß zugeben, daß diese besondere Torheit der Liebenden eine der wunderlichsten Gewohnheiten ist, nicht nur im gemeinen Volk, das von Natur aus gewohnt ist, jeden Wahnsinn zu entschuldigen, sondern auch unter den gebildetsten Männern der Römer und Griechen. Viele griechische Dichter haben über die Liebe anderer und vor allem über ihre eigene viel geschrieben und damit Ruhm erlangt, den sie eigentlich durch ihr tugendhaftes Verhalten verdienen sollten. Unter ihnen war die Dichterin Sappho noch am wenigsten beleidigend, was auch durch ihr Geschlecht, ihr Alter und ihre Unbeschwertheit zu entschuldigen ist. Aber was sagen wir über Anacreon und Alcaeus, die beide nicht nur große Dichter, sondern auch berühmte und tapfere Männer waren? Oder über die römischen Dichter Ovid, Catullus, Propertius und Tibullus, die kaum ein Gedicht schrieben, das nicht von der Liebe handelte? Doch warum über die Dichter sprechen, denen meine Freiheit kaum bekannt ist, und nicht über die Philosophen, die unsere Führer im Leben sein sollten? Hier kannst du gern feststellen, daß deine Philosophen viel strenger waren, als die griechischen, denn unter den römischen Denkern wirst du kaum einen finden, der diese Art der Eitelkeit nicht offen verurteilt oder zumindest verspottet hatte. Dagegen wissen wir von den Griechen, daß nicht nur gewöhnliche Philosophen, sondern auch die strengsten Stoiker und erstaunlicherweise sogar Platon in diese Falle gerieten. Die Stoiker wollten, daß der Weise Liebe erfährt, und hätten sie sich auf die wahre Art der Liebe geeinigt, wäre es auch Weisheit gewesen, denn der Weise liebt Gott, liebt seinen Nächsten, liebt Tugend, Wahrheit, Vaterland, Eltern, Kinder, Brüder, Schwestern, Freunde und wenn er wirklich weise ist, sogar seine Feinde, und das sicherlich nicht um seiner selbst willen, sondern wegen Gott, der das alles gibt.

Ich frage dich, was ist die Schönheit in äußeren Dingen? Eine Antwort finden wir in den „Tusculanae Disputationes“ von Cicero: „Liebe ist das Beststreben, eine Freundschaft zu schließen, die von Schönheit inspiriert wird.“ Wer wäre so blind, daß er nicht sieht, was für eine Schönheit hier gemeint ist? Und Cicero fragt richtigerweise: „Was ist das für eine Liebe zur Freundschaft? Warum sucht diese Liebe keinen häßlichen Jungen oder eine schöne alte Frau?“ Weil diese „Liebe zur Freundschaft“ vor allem auf Jugend und körperliche Schönheit und ihre Fähigkeiten gerichtet ist, sollte man ehrlicherweise von Begierde sprechen, was offensichtlich und für klare gesunde Augen leicht zu erkennen ist. Am Ende ist es so: Wenn es in der Welt eine Liebe gäbe, die ohne gieriges Verlangen, sinnliche Begierde, Sorgen und Leidenschaft ist, wäre sie in der Tat einem Weisen gestattet, weil diese Liebe frei von lüsterner Sinnlichkeit ist, wie auch Cicero sagt. Denn jede innere Unruhe und Leidenschaft sollte der Weise vermeiden.

Können Worte das Wesen der Dinge verändern? Wir sprechen hier über die begehrende und anhaftende Liebe, die unmöglich frei von den genannten und vielen anderen schweren Krankheiten sein kann. Dies gilt auch für die Stoiker. So komme ich jetzt zu Platon, der auch der König und sogar Gott der Philosophen genannt wird. Dies wird von vielen Menschen bezweifelt, doch in dieser Frage sollten wir uns an das Urteil der Größten und nicht der Mehrheit halten. Ich sage nur, daß dieser überaus berühmte Platon freizügiger über seine sinnliche Liebe geschrieben hat, als es sein ruhmreicher Namen ertragen konnte. Natürlich gibt es keine Art der Liebe, die für einen wahren Philosophen erniedrigend oder verboten wäre. Aber er hat dies alles in Worte gemeißelt, und leider haben diese Texte überlebt und seinen Ruhm für die Nachwelt unverschämt geprägt. Durch seine tiefgründige Begeisterung wurden alle Furcht und Abscheu mit den süßen Worten zum Schweigen gebracht, die sein Stift erzeugte, so daß dieses heikle Thema im Licht der Sonnenstrahlen Platons erglänzte, und der ursprüngliche Sumpf des Epikurs in Vergessenheit geriet. Auf diese Weise ebnete Platon vielen Autoren den Weg, viele Texte zu schreiben, die sie besser nicht geschrieben hätten. Und zweifellos werden auch zukünftig noch viele in diesem Sumpf versinken.

Damit habe ich über die berüchtigtsten Fälle gesprochen und auch etwas über den Vorwurf des „Wahnsinns“, über den noch viel mehr zu sprechen wäre. Doch angebrachter sind noch ein paar Worte über die Heilmittel: Wenn es um deinen Wunsch geht, „sich mit Gedichten aufzumuntern“, möge das fragende Gedicht von Horaz als meine Antwort dienen: „Glaubst du, daß mit solchen Versen die Sorgen und Leidenschaften von deiner Brust genommen werden können?“ Durch Sprache und Gesang wird die sinnliche Liebe vor allem gestärkt und entzündet, nicht vermindert oder erlöst. Deine Liebesgedichte und Liebeslieder heilen nicht, sondern reizen die Wunde.

Freude: Ich beginne langsam zu ahnen, was du meinst. Laß bitte alles Äußerliche beiseite und sprich vor allem über die Heilmittel.

Vernunft: Viele Gelehrte der Vergangenheit haben solche Mittel gesucht, darunter Ovid, der mehr in die Krankheit als in die Heilung verliebt war und dessen Heilmittel manchmal leichtfertig, anstößig oder auch unwirksam waren. Unter den Dichtern hat Cicero dieses Thema wesentlich und meisterhaft behandelt. Um es kurz zu machen, hier sind einige Heilmittel gegen den Liebeswahn, die ich gesammelt habe und mir am besten gefallen:

Zuerst ein „Ortswechsel“, der für einen kranken Geist genauso heilsam sein kann, wie für einen kranken Körper. Dann „vermeide sorgfältig“, was an das Bild des Geliebten erinnern könnte. Richte deinen Geist auf andere Sorgen, um die alte krankhafte Gewohnheit aufzulösen. Dann „denke beständig und tiefgründig“ darüber nach, wie erniedrigend, sorgenvoll, leidenschaftlich, vergänglich und nichtig die sinnliche Liebe ist, welche große Mühe und Opfer sie erfordert, welche Probleme sie erzeugt und warum es viel einfacher wäre, das Begehrte auf andere Weise zu finden oder die Nichtigkeit des Begehrten zu erkennen. Viele werden auch durch ihre „Scham“ bzw. ihr „Gewissen“ geheilt, besonders höherentwickelte Seelen, die ihre Lächerlichkeit und Erniedrigung erkennen, wenn sie durch ihr Verhalten sogar zum Gespött des ganzen Volkes werden. So öffnet sich ihr geistiges Auge, das die Häßlichkeit dieser Liebe erkennt und ihre wertlose Besessenheit voller Schande, Gefahren, Sorgen und bitterer Reue. Das letzte Heilmittel ist „sich der Wahrheit zu stellen“ und alle Ausreden und verführerischen Meinungen abzulehnen und zu erkennen, daß die sinnliche Leidenschaft nicht durch die Natur, das Schicksal, die Sterne oder sonstige äußere Ursachen entsteht, sondern durch die Illusion der Gedanken im Kopf. Und es ist die Entscheidung des Patienten, wieder gesund zu werden, das Selbstvertrauen zurückzugewinnen und die süßen Ketten des verführerischen Genusses zu lösen, was sicherlich schwierig, aber trotzdem möglich ist, wenn man nur wirklich will.

Cicero spricht dazu klar und deutlich:
Angesichts der Verwirrung und Betrübnis des Geistes, kann man erkennen, daß diese Liebe durch Gedanken und Willen bewußt erzeugt wird. Wenn diese Liebe natürlich wäre, würde jeder lieben, immer lieben und dasselbe lieben, ohne daß man durch Scham, Nachdenken oder Übersättigung davon abgehalten werden könnte.

Auch letzteres (die Übersättigung) wird in der Tat von manchen als ein Heilmittel betrachtet. Sie sprechen auch von einer neuen Liebe, so daß man den Dorn mit einem anderen Dorn herausziehen kann. Flavius Josephus berichtete, daß sie dem persischen König Artaxcrxes geholfen haben, der in heiligen Schriften auch Ahasveros genannt wird. Ich selbst denke, daß diesen beiden Mittel manchmal nützlich sein können, aber meisten gefährlich sind.

Wenn du von einem dieser Heilmittel oder auch allen nicht gesund wirst, dann solltest du mit deinem Geist nach den Ursachen der Krankheit suchen. Ich glaube, die wichtigsten und größten Ursachen sind der Stolz auf Gesundheit, Schönheit, Wohlstand, Müßiggang und Jugend. Und wie körperliche Krankheiten erstaunlicherweise durch das jeweilige Gegenteil geheilt werden können, so läßt sich auch dieses geistige Ungleichgewicht durch Krankheit, Häßlichkeit, Armut, Fleiß und Alter behandeln. Dies sind die allerletzten Heilmittel, die ich dir anbieten kann. Zweifellos sind sie bitter, aber der gefährlichen Virulenz dieser Krankheit angemessen.

Petrarcameister - Von angenehmer Liebschaft

Zu dem Text stellt der Petrarca-Meister ein zweiteiliges Bild, das in der einen Hälfte vom historischen Wissen des Humanisten, in seinem anderen Teil von volkstümlicher Weisheit der Sprichwörter ausgeht. Der Kaiser, der links einer demütig vor ihm knienden Königin sein Zepter gibt, ist Cäsar, wie er sich von den Reizen der ägyptischen Königin Kleopatra überwinden läßt. Zur Geschichte gesellt sich die Sage von Hero und Leander, der durch den Hellespont zu der Geliebten schwimmt. Der Petrarca-Meister hat diese Sage jedoch völlig eingedeutscht, aus der Aphrodite-Priesterin ist eine Nonne geworden, die ihren Geliebten in einem umfriedeten Klosterbezirk erwartet.

Die rechte Darstellung ist dann gleichsam das Pendant zu der Geldheirat der vorangegangenen Illustration. Ein Alter mit langem Bart und warmer Pelzmütze liebkost eine junge Buhlerin, die ihm „das Hälmchen durch den Mund zieht“, wie es früher schon in Kapitel 11 dargestellt wurde. Brant hatte dieses anscheinend recht bekannte Sprichwort in seinem „Narrenschiff“ ebenfalls dem Künstler angegeben, der das Kapitel „Vom Ehebruch“ illustrierte. Die käufliche Liebe der Buhlerin deutet der Petrarca-Meister nicht wie andere Künstler der Zeit durch den drastischen Griff in den Geldbeutel des Alten an, sondern durch das abgewandte Gesicht.

Soweit spricht Walther Scheidig zu diesem Bild. Aus geistiger Sicht geht es hier vor allem um das große Problem, das auch am Anfang der Bibel steht: „Du sollst nicht essen von den Früchten vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.“ Dazu gehören natürlich auch Liebe und Haß oder Verlangen und Abneigung, die den Verlust des Paradieses bewirkten. Dahinter steht das Ichbewußtsein bzw. Ego, das von der zischelnden Schlange symbolisiert wird, die an der Wurzel dieses Baumes lebt.

Entsprechend kann man aus geistiger Sicht auf der rechten Seite des Bildes auch die Mauern des Körpers sehen, in dem das Ego wohnt und nach der verführerischen Natur greift, die sich aber im Alter immer mehr vom Geist abwendet, sofern der Körper immer mehr verhärtet, die Sinne nachlassen und der Geist die Herrschaft über den Körper verliert. Dann kann man nur noch verzweifeln, von einem Arzt zum anderen laufen oder sich aber der geistigen Welt zuwenden. Darin liegt wohl der eigentliche Segen des Alters, die große Weisheit des Alters, das auch im Text als ein Heilmittel für die leidenschaftliche Liebe angesprochen wird. Hinter dem Paar sieht man zwei Tore, die vielleicht an die Welt der Gegensätze erinnern sollen, und dazwischen hängt das Bildnis eines der großen Dichter, die mit Lorbeer geadelt wurden, sofern es ihnen mit Weisheit und Tugend gelang, diese weltlichen Gegensätze zu vereinen. Im Vordergrund sieht man noch einen ausgezogenen Pantoffel. Schwer zu sagen, ob damals schon die Sprichwörter „Pantoffelheld“ oder „Unter dem Pantoffel stehen“ gebräuchlich waren?

Links daneben kann man außerhalb der körperlichen Wände auch die Vernunft sehen, die nun im Alter zum König wird und die Herrschaft über die Natur erhält, die sich demütig vor ihm verneigt. Ähnlich wie sich durch Liebe und Haß die Sicht auf viele Dinge umkehrt, so kehrt sich auch im Wechsel von der körperlichen zur geistigen Sicht vieles um, und das nicht nur in der Symbolik. Man lebt nun in einer geistigen Welt ohne die körperlichen Begrenzungen am Fluß des Lebens und kann vielleicht sogar das jenseitige Ufer erreichen, wo (oben links) die reine Seele wartet, die als wahre Braut in wahrer Liebe allein Gott versprochen ist. Das ist die große Liebe, die keine Gegensätze mehr kennt, die All-Liebe, die sich nicht mehr vom Baum der Widersprüche ernährt.

Schließlich könnte man das ganze Bild auch in vier Quadrate einteilen, und im Uhrzeigersinn erkennt man von oben rechts die Entwicklung des Bewußtseins von der materiellen Verkörperung, über die Weisheit der Dichter zur Auflösung der geistigen Anhaftung an die Natur im körperlichen Alterungsprozeß bis zur Herrschaft der Vernunft über die Natur und die Erlösung der Seele aus der Körperlichkeit durch die geistige Befreiung in reiner Liebe.

Meister Eckhart spricht zur „Liebe des Heiligen Geistes“:
Des Heiligen Geistes Wesen ist es, daß Ich in ihm verbrannt und in ihm völlig eingeschmolzen und gänzlich Liebe werde. Wer so in der Liebe und gänzlich Liebe ist, der wähnt, daß Gott niemanden liebe als ihn allein; und er weiß von niemand, der sonst noch liebte oder von sonst wem geliebt würde als einzig von ihm. (Predigt 25)

Wenn Gott in der Seele wirkt, dann liebt er sein Werk. Wo nun die Seele ist, in der Gott sein Werk wirkt, da ist das Werk so groß, daß dieses Werk nichts anderes ist als die Liebe; die Liebe hinwiederum ist nichts anderes als Gott. Gott liebt sich selbst und seine Natur, sein Sein und seine Gottheit. In der Liebe, in der Gott sich (selbst) liebt, darin liebt er alle Kreaturen - nicht als Kreaturen, sondern die Kreaturen als Gott. In der Liebe, in der Gott sich (selbst) liebt, darin liebt er alle Dinge. (Predigt 26)


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