Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

2.10. Von magerer Nahrung

Schmerz: Ich esse magere Kost.

Vernunft: Dann sind auch deine Wünsche mager, und deine Nüchternheit bleibt rein. Oder möchtest du lieber das Gegenteil, um deinen Appetit zu stillen?

Schmerz: Meine Nahrung ist grob.

Vernunft: Ertrage es ruhig, daß dir die Verlockungen der Völlerei entzogen wurden, solange andere süßere Dinge verfügbar sind, die sogar leichter erlangt werden können und viel beständiger sind. Denn die Tugend hat ihre eigenen Reize, um die Worte von Cicero zu gebrauchen. Wenn du einmal angefangen hast, diese zu probieren und zu essen, wirst du die anderen nicht mehr benötigen.

Schmerz: Meine Ernährung ist hart.

Vernunft: Harte (magere) Nahrung ist gut für die Tugenden, weiche (fette) für die Laster. Wie viele große Männer haben bereitwillig auf Luxus verzichtet und die Ernährung gewählt, die du nicht magst. Einige von ihnen hätten sich üppig vollstopfen können, aber genossen lieber Brot und Wasser. Müssen wir glauben, daß Menschen wirklich so vergnügungssüchtig sind, daß sie es nicht zutiefst hassen würden, wenn sie mit eigenen Augen die Schande sehen, die damit verbunden ist? Diese tödliche Süße ist der erbittertste Feind der Tugenden, und wer auch immer diesem wilden Kitzel nachjagt, mag zwar menschlich aussehen, ist aber in Wirklichkeit nichts als ein gieriges Tier. Denn die Hingabe an Laster und die schädlichen Gewohnheiten verblenden die Einsicht der Sterblichen und hindern sie daran, zu sehen, wie den Menschen das Unheilsame schmeckt und das Heilsame nicht.

Schmerz: Meine Nahrung ist engbegrenzt.

Vernunft: Eigentlich nicht, nur dein Hunger ist zu groß und dein Mund zu weit geöffnet! Er sieht nur aus wie eine schmale Öffnung, ist aber ein weitgeöffnetes Tor für alle Laster, um in deinen Geist einzudringen. Auf diese Weise treten das Feuer der Lust und die Benommenheit des Geistes ein, wie auch die Wut des Zorns und allen Streits. Und auf diese Weise entsteht die herrische Begierde, die dich dazu treibt, das zu erleiden und zu tun, was du für notwendig und lebenswichtig hältst, aber in Wirklichkeit schädlich und ruinös ist. Auf diese Weise werden die Feuerbrände des Neides und der unerbittlichen Rivalität entfacht, die von unersättlichen Gemütern gehegt werden. Und so werden auch andere dazu getrieben, die Völlerei anzunehmen, der du dich rühmst, und hoffen auf Lob, anstatt Scham zu fürchten. Auf diese Weise entsteht schließlich der aufgeblähte Stolz aus einem aufgeblähten Bauch, der sich nicht beherrschen kann und seine Aufblähung dem Geist mitteilt, indem er ihn von der Überlegenheit des Bauches überzeugt, als würde er sich von Ambrosia und Nektar ernähren. So siehst du, wie ein einziges Laster allen anderen einen Zugang verschafft. Und doch willst du es nicht ausschließen und deine Tür mit Entbehrung verriegeln, wenn es nicht anders geht. Oh liebenswerte Armut, die dir die Enthaltsamkeit zuweist! Es geschieht doch zu deinem Vorteil, wenn du gezwungen wirst, das zu tun, was du freiwillig tun solltest.

Schmerz: Magere Kost macht mich dünn.

Vernunft: Möchtest du lieber aufgebläht und dick sein? Diese Dünnheit hält die Gicht fern, wie auch Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Aufstoßen, Übelkeit, Schweiß, Müdigkeit und Ekel, und sogar den plötzlichen Wandel von Blässe und Errötung, sowie die starken Mund- und Körpergerüche, die für dich und andere so aufdringlich sind. Außerdem hilft diese Dünnheit vor einem schwankenden Gang, vor zitternden Händen, wackelndem Kopf, und was am besten ist, sie wird deine Begierde beherrschen und zügeln. Warum bedauerst du sie dann, die so viel Gutes für deinen Körper und Geist bringt, und das für ein wenig Hunger und den Verzicht auf eine kurzzeitige Befriedigung deines Geschmackssinns? Wenn du diese Vorteile nicht sehen willst, verdienst du es wirklich, ein Sklave deines Bauches zu sein.

Schmerz: Magere Kost ermüdet mich.

Vernunft: Das Gegenteil macht dich müde, es sei denn, du nennst Erholung, was eine Last ist! Oder hast du nicht gelesen, daß ein gefräßiges Leben so viele Probleme mit sich bringt, daß es von Menschen, die gemäßigt leben und sich um Höheres als ihren Gaumen und Bauch kümmern, nicht länger als fünf Tage ohne Abscheu ertragen werden kann?

Schmerz: Meine Nahrung ist aber außerordentlich mager.

Vernunft: Es gab eine Zeit, in der dies für eine ganze Nation der Fall war, die noch existiert, aber jetzt reich an Nahrung ist. Doch die Welt wird immer schlimmer, und auch du denkst nur daran, der Schlimmste von allen zu sein und im allgemeinen Überfluß alle mit in den Ruin zu ziehen! Du, der einst allen Nationen überlegen war, hast die Richtung deiner Bemühungen umgekehrt und bist der Verdorbenste geworden, der in Zeit und Raum nur noch in der Ausübung von Lastern den höchsten Rang einnimmt.

Schmerz: Ich mag aber keine magere Kost.

Vernunft: Doch die Liebhaber und Verfechter sowohl der Tugend als auch des Vergnügens empfehlen eine magere Ernährung. Welche seltsamen Ansichten vertrittst du hier? Platon verurteilte die Bankette von Syrakus und sagte, daß es ihm in keiner Weise gefällt, zweimal am Tag satt zu werden. Epikur genoß vegetarisches Essen und billigte in Wort und Tat die magere Kost, die du so verabscheust. Dazu sagte auch Cicero, daß niemand mehr über eine magere Ernährung gesprochen habe. Doch wenn du Platon und Epikur, die Sprecher der beiden bemerkenswertesten Denkschulen, ablehnst, dann bleibt dir nichts anderes übrig, als der lästigen Völlerei zu frönen, die eher ein Feind der Tugend als ein Freund des Vergnügens ist. Sie wird dich in ein Schicksal führen, das mehr dem Tier gebührt als einem Menschen. Das sage ich mit Empörung und Bedauern, denn Tiere fressen zwar große Mengen, aber nur entsprechend der natürlichen Kapazität ihres Magens. Nur ihr, die Herren aller Geschöpfe, kennt eure Grenzen nicht und überschreitet sie gierig. Nicht umsonst wundern sich viele nicht darüber, warum sich ihre Eltern und Großeltern an viel weniger Weinberge erinnern als heute, obwohl damals etwa genauso viele oder mehr Menschen lebten und Wein viel billiger war. So sehr hat die Trinksucht in unserer Zeit zugenommen.

Schmerz: Ich wurde aber von üppiger Kost auf magere gezwungen.

Vernunft: Das ist gut! Entbehrung vollzieht an deiner Stelle, was deine Mäßigung versäumt hat. Das Beste ist, freiwillig zu tun, was man muß. Das Nächstbeste ist, das man dazu gezwungen wird.

Petrarcameister - Von magerer Nahrung

Die Eindringlichkeit, mit der hier das Leben des Armen dargestellt wird, ist durchaus neu in der Kunst des Abendlandes. Es hat Darstellungen von Bauern und Holzhackern in den Kalendern des 15. Jahrhunderts gegeben, aber diesen Bildern fehlten die Einzelzüge und der Realismus der Kunst des Petrarca-Meisters. Breughels Bauerndarstellungen und Zeichnungen von Holzfällern sind erst rund 40 Jahre später entstanden. Der Mann, der hier in seiner Hütte sitzt, ist kein Bettler, sondern ein Holzfäller. Er hat Reisig geschlagen, das Bündel steht vor der Türe, die Axt liegt auf der Bank, die Handschuhe und die nassen Kleider trocknen an der Wand und auf der Stange am Ofen. Brot, Rüben und Zwiebeln liegen auf dem Tisch, an dem der Mann nun essend sitzt. In einer Pfanne mit langem Stiel, mit dem sie direkt übers Feuer gehalten werden kann, hat er sich einen Brei gekocht und ißt nun daraus mit dem selbstgeschnitzten Holzlöffel. Es verdient Beachtung, daß es ein Gerät gegeben hat - und der Petrarca-Meister hat es genau gezeichnet -, mit dem eine solche langstielige Pfanne sicher auf den Tisch gestellt werden konnte, um daraus zu essen. Mit solchen Einzelzügen beweist der Petrarca-Meister seine innige Vertrautheit mit dem Leben der Menschen, die magere Kost hatten. Vielleicht deutet er damit auch seine eigene Herkunft an. Diese Bilderzählung von der Selbstgenügsamkeit des armen Holzhackers ist sicher tröstlich gewesen, wenn auch nicht im Sinne der Philosophie Petrarcas, der den Hunger lobt, weil er Zipperlein, Verdauungsbeschwerden und Kopfschmerzen vertreibe.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht steht zuerst die Frage: Was hat die körperliche Nahrung mit dem Geist zu tun? Nun, man sagt nicht umsonst: „Der Mensch ist, was er ißt!“ Und nicht umsonst hat auch der Darm so viele Nervenzellen, daß er oft als „zweites Gehirn“ bezeichnet wird. Wir sind uns heute nur kaum noch bewußt, was wir essen und wie es in uns wirkt und verdaut wird, obwohl doch der Mensch im Prinzip vor allem ein großes Verdauungssystem ist, sowohl körperlich als auch geistig. Entsprechend könnte man hier im Hintergrund der „körperlichen Hütte“ auch die symbolischen Werkzeuge der Verdauung erkennen: Handschuhe, Tasche und Seil, um die Nahrung zu ergreifen und einzusammeln. Axt, Keile und Hammer zum Spalten und Aufbrechen der Nahrung, um an die Essenz zu kommen. Der Kachelofen zum Verbrennen, um dem Körper Energie und Wärme zu geben, und die Wäsche erinnert an einen Prozeß der Reinigung, der vor allem den geistigen Prozeß der Verdauung betrifft. Davor sitzt das „Lebewesen“ als Mann bzw. Geist am gedeckten Tisch der Natur. Und im Vordergrund liegt vielleicht ein Holzklotz mit Spänen, der wie eine Vorstufe eines Holzschnittes aussieht, was zum einen an den Petrarca-Meister selbst erinnert, wie auch Walter Scheidig vermutet, und zum anderen an den kreativen Prozeß in der Natur, der sich auf die körperliche und geistige Nahrung und Verdauung stützt. Diese menschliche Kreativität sieht man dann auch links im Bild als Schaffenskraft in Form der Reisigbündel, sowie in Form der strohgedeckten Hütte mit dem geflochtenen Zaun im Vergleich zur hochaufragenden Ego-Burg, die andere überragen will. Diese beiden Prozesse der Verdauung und Kreativität bzw. Vergänglichkeit und Schöpfung sind grundlegende Prozesse in dieser Welt, und es ist sicherlich heilsam, wenn sie in einer gewissen Harmonie ablaufen, wie auch die Vernunft Petrarcas zur Mäßigung rät. Also nicht so viel wie möglich, sondern so viel wie nötig.

2.11. Von ärmlicher Geburt

Schmerz: Ich wurde auch in Armut geboren.

Vernunft: Wer kam nicht nackt aus dem Schoß seiner Mutter? In dieser Hinsicht sind Könige nicht anders als du.

Schmerz: Ich war schon vor meiner Geburt arm.

Vernunft: Du mußt wirklich ein gutes Gedächtnis haben, um dich daran zu erinnern, und die feinsten Sinne, um es immer noch zu fühlen!

Schmerz: Ja, ich wurde in Armut geboren.

Vernunft: Hast du nicht genug eigene Beschwerden? Das war doch das Problem deiner Eltern, nicht deines.

Schmerz: Ich wurde wirklich in Armut geboren.

Vernunft: Und so wirst du in Armut sterben, denn dein Ende wird wie dein Anfang sein, es sei denn, du glaubst, daß das Gold vom Boden deiner Truhe die Krankheit der Sterbenden heilt.

Schmerz: Mein Leben begann wirklich in Armut.

Vernunft: Die mittleren Jahre bringen oft falsche Reichtümer, aber Anfang und Ende sind Armut im reinsten Sinne des Wortes, denn nackt geboren zu werden und nackt zu sterben sind die Bedingungen des menschlichen Daseins. Ich frage dich, was hilft dir eine mit Purpur geschmückte Wiege oder eine goldene Totenbahre und was sonst noch der Ehrgeiz für das Lebensende ausgedacht hat, gegen das Fieber, wenn der Tod naht, oder gegen eben jene Nacktheit, von der wir sprachen? Erfreuen sich denn die Wände an ihrem Schmuck, oder die Pferde am Geschirr? All dies mag die Augen des Betrachters erfreuen, und für jene ohne höheren Sinn mag es etwas Entzückendes sein, aber keine wahre Freude.

Schmerz: Ich wurde nackt und hilflos geboren.

Vernunft: Nahezu alle Menschen sind von unterschiedlichen Schicksalen betroffen, aber einiges bleibt gleich, vor allem Geburt und Tod. Vielfältig und bunt sind die Kleider, die von den Lebenden getragen werden, und doch gibt es nur eine Nacktheit für diejenigen, die geboren werden, und diejenigen, die sterben. Es sei denn, wir berücksichtigen, daß die Ersten unwissend sind und eine Menge Dinge erkennen werden, und die Letzten lassen bewußt all diese Dinge hinter sich. Und doch kann man sich trösten, denn dieser Verlust ist nicht sehr bedeutend, weil er nur vergängliches Wissen um vergängliche Dinge betrifft.

Schmerz: Ja, ich kam nackt in dieses elende Leben.

Vernunft: Und die Erinnerung daran kann dich um so gelassener in deiner Nacktheit gehenlassen.

Petrarcameister - Von ärmlicher Geburt

Der einsame Mann in der vorhergehenden Darstellung, zu der dieses Bild eine Art von Gegenstück bildet, schien noch gesund und rüstig. Hier nun schildert der Petrarca-Meister die äußerste Not, wenn sich noch körperliche Hilflosigkeit zur Verlassenheit und Armut gesellt. Die Frau liegt im Kindbett in einer kläglichen Strohhütte. Ihre Sorge gilt dem Säugling, der neben ihr in der Wiege liegt. Fünf andere Kinder, die sich nackt oder in Fetzen gekleidet mit leerem Napf und Wasserkrug um sie drängen, können jetzt nicht beachtet werden. Sie müssen sich selbst helfen, so klein sie auch sind. - Bis in Einzelheiten ist die Not geschildert: Ein Kind trägt Reste von Schuhen an den Füßen, Lumpen sind als Wäsche zum Trocknen über die Stange und über den Zaun gehängt. Hier spricht ein elementares Mitempfinden mit den traurigsten Erscheinungen der eigenen Zeit aus dem Werk des Künstlers. Nichts ist von Sebastian Brants Hinweisen zu spüren, der Bettler als Betrüger ansah. Nichts auch von Petrarcas Philosophie, daß zur Stunde der Geburt und zur Todesstunde alle Menschen gleich seien, man brauche nur nicht zu beachten, was dazwischen liege, um glücklich zu sein. - Erinnert man sich, daß eine der häufigsten Darstellungen in der bildenden Kunst des frühen 16. Jahrhunderts die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem war, wo meist eine gewisse saubere Kärglichkeit gemalt wurde, dann ist dieses Bild noch eindringlicher. Jeder Betrachter des 16. Jahrhunderts wird an die eine oder andere Geburtsdarstellung gedacht haben, als er diesen Holzschnitt sah, und wird vielleicht, der Absicht des Petrarca-Meisters entsprechend, in Gedanken die Lehren Jesu mit der sozialen Praxis seiner Zeit verglichen haben.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir hier die gebärende Mutter Natur sehen, die vom begehrenden Geist befruchtet wurde, und wie die umzäunte „klägliche Strohhütte“ des Körpers mit den fünf hungrigen und spielenden Sinnen entsteht. Es ist auch deutlich, wie sich hinter diesen körperlichen Sinnen der nackte Geist bzw. das reine Bewußtsein befindet, das die körperliche Erfahrung zwischen Geburt und Tod ermöglicht. Das Ich-Bewußtsein mit dem Verstand liegt wohl noch in der Wiege und wächst heran, und das ganzheitliche Bewußtsein mit der höheren Vernunft wartet noch auf seine Geburt in dieser Welt der Vergänglichkeit, wie man an der „Körper-Kleidung“ auf dem Bild deutlich sieht. Denn gerade diese Vergänglichkeit bewirkt die Erfahrung von Hunger und Armut für das körperhafte Bewußtsein, bis es sich daraus erheben kann. Diese Reinigung der Vergänglichkeit könnte auch mit der Wäschestange angedeutet sein. Und das ist wohl auch der große Segen, von dem Petrarca spricht und den uns Mutter Natur mit dieser körperlichen Geburt gewährt. Danke liebe Mutter!

2.12. Von der Last vieler Kinder

Schmerz: Ich werde von vielen Kindern belastet.

Vernunft: Schwache Schultern können auch durch Gold und Reichtümer belastet werden, aber darüber beklagt sich niemand, sondern man genießt es, davon belastet zu werden. Und Kinder müßten zu noch größeren Glücksgeschenken gezählt werden. Solltest du nicht besser von Erleichterung als von Belastung sprechen?

Schmerz: Ich bin ein armer Mann mit vielen Kindern.

Vernunft: Nein, deine Kinder sind doch deine Schätze. Wie kannst du inmitten von solchen Reichtümern arm sein? Dies geschieht doch nur gierigen Menschen und denen, die für ihren empfangenen Reichtum undankbar sind.

Schmerz: Ich bin arm und muß für viele Kinder viel arbeiten.

Vernunft: Kinder sind keine Arbeit, sondern Beruhigung für ihre Eltern, Balsam in der Mühsal und Trost in jeder Art von Unglück, vor allem, wenn sie gut sind. Andernfalls muß man ihr Verhalten und nicht ihre Anzahl tadeln.

Schmerz: Ich bin von einer ganzen Horde Kinder umgeben.

Vernunft: Warum sagst du nicht besser von ihnen begleitet, beschützt und geehrt? Nicht nur Väter nennen die Kinder ihre Juwelen, sondern auch die Mütter. Erinnerst du dich nicht an die Worte von Cornelia, der Tochter des großen Scipio Africanus? Als eine sehr reiche Dame aus Kampanien, die in Cornelias Landhaus zu Gast war, ihre kostbarsten Juwelen nach Frauenart ausgiebig zur Schau stellte und auf diese Weise ihre edle Gastgeberin herausforderte, mit ihr zu konkurrieren, verzögerte Cornelia bedächtig das Gespräch, bis ihre Söhne, die damals kleine Jungen waren, aber dazu bestimmt, große Männer zu werden, von der Schule nach Hause kamen. Und bei ihrem Anblick wandte sie sich an ihren Gast und sprach: „Hier sind meine Juwelen!“ Ein bewundernswertes Wort, das der Tochter eines so bemerkenswerten Vaters würdig ist! Aber du nennst deine Juwelen eine Last.

Schmerz: Wer kann so viele Kinder ernähren?

Vernunft: Er, der dich von der Kindheit bis ins hohe Alter ernährt, und der nicht nur Menschen, sondern auch Vierbeiner, Vögel und Fische (und alle anderen Lebewesen) ernährt.

Schmerz: Wer soll die Leiber so vieler Kinder bekleiden?

Vernunft: Er, der nicht nur alle Lebewesen bekleidet, sondern auch die Felder mit Gras und Blumen und die Wälder mit Blättern. Und wer weiß, vielleicht werden dich deine Kinder eines Tages nicht nur ernähren und kleiden, sondern dich auch beschützen und ehren. Denn wie manche menschlichen Angelegenheiten mit Vergnügen beginnen und in Mühsal und Kummer enden, so haben andere einen bitteren Anfang und ein süßes Ende. Das ist auch das Ergebnis fast aller tugendhaften Bemühungen, die für den Anfänger quälend sind, aber für den Fortgeschrittenen immer freundlicher werden.

Schmerz: Ich bin wirklich arm und habe viele Kinder.

Vernunft: Du scheinst davon überwältigt zu sein, als hättest du nichts über die Fruchtbarkeit menschlicher Armut gelesen. Es gibt verschiedene Arten von Berufungen und verschiedene Gaben des Glücks, die nicht alle zum gleichen Menschen kommen. Manche sind dazu berufen, mit den Unsicherheiten des Handels fertig zu werden, manche mit der rohen Erde, manche mit leblosen Metallen, und du mit dem lebendigen Reichtum der Kinder. Und wenn wir Rinder, Schafe, Esel, Kamele, Bienen, Tauben, Hühner, Pfauen und nicht zuletzt Knechte und Mägde zu unseren Reichtümern zählen, warum sollten dann Kinder ausgeschlossen werden?

Schmerz: Ach, ich habe so viele Kinder!

Vernunft: Ach, wie viele Kinder haben andere Männer! Priamos hatte fünfzig, Orodes, der König der Parther, hatte dreißig und der persische König Artaxerxes einhundertfünfzehn. Erotimus, der König der Araber, hatte sogar siebenhundert, deren Mut es ihm erlaubte, in feindliches Gebiet einzudringen und Ägypten und Syrien in mehreren Überfällen zu verwüsten. So ist es auch eine gewisse Macht, viele Kindern zu haben. Aber ich weiß, was du sagen wirst: „Alle genannten waren große Könige, doch mein Schicksal ist ganz anders.“ Nun, war Appius Claudius auch ein König? Tatsächlich war er in jener alten Zeit, als Reichtum noch als Schande galt, nicht einmal reich. Armut und Alter trugen zu seiner Blindheit bei, doch Cicero konnte über ihn schreiben: „Obwohl er blind und alt war, freute sich Appius über vier kräftige Söhne, fünf Töchter, einen großen Haushalt und viele Angehörige.“ Und nicht nur seine Sorge über die privaten Angelegenheiten war bemerkenswert, sondern auch, daß er trotz so vieler Schwierigkeiten noch dem Gemeinwesen gedient hat. Denn der größte Teil der Überforderung des Menschen liegt in seiner Einstellung, nicht in den äußeren Dingen, die geschehen. Das Schicksal von Appius war nicht das eines Königs, was er auch nicht wollte. Er war zufrieden mit seinem Platz im Leben, richtete sein kleines Zuhause nicht mit Luxus ein, sondern mit Tugenden, und ernährte seine große Familie mit mäßiger Kost. Was viele Könige voller Widerwillen und Klagen tun, tat er fröhlich und ruhig, weil er nicht versuchte, ein Vermögen in Höhe seiner Wünsche zu erlangen, sondern seine Wünsche in Höhe seines Vermögens hielt. Appius war nicht so reich wie König Krösus oder wie sein Mitbürger Crassus, aber er war glücklicher als beide, obwohl er nicht wohlhabend war. Er und seine Familie überstiegen auch nicht ihre Mittel, sondern lebten wie alle anständigen Menschen von dem, was sie hatten.

Ich erwarte sicherlich nicht, daß du andere Mittel als deine eigenen für dich und deine Familie verwendest oder sie auf königliche Weise ernährst und kleidest. Die Kinder der Fürsten speisen und kleiden sich zwar üppiger, aber sie leben nicht besser, länger oder fröhlicher, oder tatsächlich sicherer, ehrenhafter oder anständiger. Statt dessen haben sie nur eines, worin sie sich auszeichnen: Sie leben mit mehr Prunk, das heißt mit größerer Illusion. So hat jeder seine eigene Lebensweise, sein eigenes Maß, das nicht unbedingt besser ist, wenn es größer ist. Man findet oft die helle Freude in einer kleinen Hütte und dunkle Traurigkeit im königlichen Palast. Es hat nicht jeder die gleichen Mittel, aber es gibt nur eine einzige Quelle der Gnade, von der gesagt wird: »Du öffnest deine Hand und segnest jedes Lebewesen. (Psalm 145.16)« Was bedeutet dann die Größe oder Kleinheit der Gefäße, wenn die Fülle überall gleich ist? Wenn den Armen viel fehlt, dann fehlt den Königen noch viel mehr. Denn der Vers von Horaz ist überaus wahr und angemessen: „Wer viel begehrt, dem fehlt auch viel.“

Schmerz: Es ist mühsam, so viele Kinder zu haben.

Vernunft: Kannst du mir irgendetwas in der Welt nennen, das nicht mühsam wäre, außer das Vergnügen, was allgemein als angenehm angenommen wird? Aber am Ende ist nichts mühsamer und oft sogar schädlicher für deinen Geist. Hast du nicht bei Horaz gelesen: „Das Leben gewährt den Sterblichen keinen Segen ohne große Mühe.“ Oder hast du nicht gehört, was ein anderer Dichter nicht weniger elegant und spielerisch gesagt hat? Denn während sich die Frommen darin einig sind, daß alle Güter freie Geschenke Gottes sind, sagte er, daß sie uns nicht geschenkt werden, sondern an uns verkauft, und ihr Preis die Mühe ist. Er schrieb: „Die Götter verkaufen uns alle Dinge für unsere Mühe.“

Schmerz: Für so viele Kinder sorgen zu müssen, ist eine Plage.

Vernunft: Ist es nicht wahr, wenn gesagt wird: „Es gibt kein menschliches Leben, das ohne Sorgen ist.“ Oder noch besser: „Alles Leben ist Leiden.“ Warum denkst du hier vor allem an deine Kinder? Sonst würden dich andere Sorgen plagen. Glaube mir, egal, wohin du dich wendest, egal, wie hoch dein Vermögen ist, die Mühen und Leiden des Lebens werden überall vorhanden sein. Wozu also diese nutzlosen Klagen?

Schmerz: Ich werde aber von vielen Kindern bedrückt.

Vernunft: Du sprichst, als würde dich dein Glück bedrücken. Du findest es schwer zu ertragen, von dem reichlich zu haben, worauf die Sterblichen ihre sehnlichsten Wünsche richten. Eine seltsame Art von Unzufriedenheit!

Schmerz: Aber was soll ich mit so vielen Töchtern anfangen? Wer kann sich so viele Mitgift leisten?

Vernunft: Es gibt nur einen Gott für Frauen und Männer, und er wird dich und deine Söhne und Töchter ernähren. Und so wie er ihnen Intelligenz und Wissen zum Leben gewährt, so wird er auch ihre Mitgift bereitstellen. Denn es steht geschrieben: »Und vertraue auf Ihn, und Er wird es tun. (Psalm 37.5)« Die beste Art der Mitgift liegt in deiner Macht, nämlich deine Töchter so zu erziehen, daß sie geliebt werden können und auch einem ehrlichen Mann ohne Mitgift gefallen. Ja, Faustina hatte das ganze Römische Reich als Mitgift, aber was glaubst du, wie viele Frauen ohne Mitgift keuscher und glücklicher als sie waren? Was eine Ehe glücklich macht, ist nicht die Mitgift, sondern die Tugend. Deshalb sorge nach Möglichkeit dafür, daß deine Töchter nicht wegen ihres Geldes geschätzt werden, sondern wegen ihres Anstands, ihrer Unschuld, Bescheidenheit, Geduld, Treue und Demut. Mit solchen Juwelen geschmückt, beladen mit solchem Gold und begleitet von solchen Mägden, laß deine Töchter zu einem Mann gehen, der nicht reich, aber ehrlich ist, und zu einem Haus, wo die Tugend sicherer und das Leben süßer ist als in den Gemächern und Palästen der Könige.

Petrarcameister - Von der Last vieler Kinder

Ein wenig besser nun steht es um die Menschen in dieser Darstellung. Sie sind als Familie beisammen. Die Behausung ist zwar kläglich und in Verfall, aber der Vater ist recht gut gekleidet, und auch die Kinder scheinen mit ihren Broten in den Händen nicht in äußerster Not zu sein. Wenn sich nun trotzdem der Bürger oder Handwerksmeister verzweifelt an den Hals faßt, wie wenn ihn die Anforderungen seiner Familie mit den sieben Kindern zu ersticken drohten, dann soll der Umstand der zu großen Familie, wie es der Titel der Abhandlung will, als Ursache der Bedrängnis hingestellt werden. Der Griff in den Geldbeutel muß zu oft erfolgen. Dabei bringt auch die Kirche keinen Trost, der Rosenkranz in der linken Hand wird vom Mann recht nachlässig behandelt. - Sebastian Brant hat sicher dem Petrarca-Meister nicht mehr als das Thema gegeben, denn mit der geringen Achtung vor den Tröstungen der Kirche stellt sich der Zeichner in Gegensatz zu Petrarca, dessen Weisheit in dem Spruch Davids gipfelt: „Du tust deine milde Hand auf und sättigst alles mit Wohlgefallen.“

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man hier das Ehepaar von Vater Geist und Mutter Natur im Vergleich zum vorhergehenden Bild sehen. Ihre Kinder sind gewachsen, das Ichbewußtsein klammert sich nun wie die Sinne an die Natur, die Vernunft ist noch in der Wiege gebunden, die natürliche Strohhütte hat sich in ein körperliches Haus aus totem Mauerwerk gewandelt, an dem dennoch die Vergänglichkeit sichtbar wird, und die Sinne werden immer hungriger. Auch der Geist hat als Vater Körperlichkeit angenommen und unterliegt dadurch Raum und Zeit und den weltlichen Sorgen, die damit verbunden sind, weil er nun in seinem Vermögen immer mehr begrenzt wird. Die eine Hand greift zum Geldbeutel und die andere hält die Gebetskette. Diese beiden Wege stehen dem Geist offen, entweder sich immer tiefer in die materielle Welt des Eigentums zu verlieren, oder sich zum Göttlichen und Ganzheitlichen zu erheben. Der Blick geht schon einmal nach oben zu dem kleinen Fenster, das sich zum Licht öffnet, aber der Weg ist noch steinig, um sich von diesem Mauerwerk zu befreien.

2.13. Vom Verlust des Geldes

Schmerz: Ich habe viel Geld verloren.

Vernunft: Und damit viele Sorgen und ständige Gefahren.

Schmerz: Ich habe wirklich viel Geld verloren.

Vernunft: Und damit die Plage, es zu behüten, und die Angst, es zu verlieren. Dieser Verlust hat dir zwei Werte geschenkt, von denen jeder besser ist als das Verlorene, nämlich Sicherheit und Ruhe.

Schmerz: Ich habe aber viel Geld verloren.

Vernunft: Das ist besser, als es verschwendet zu haben, wie es so viele Besitzer taten. Denn das Wesen des Geldes ist schädlich, krankhaft wie eine Pest und ein glänzendes Gift. Es dringt in dein Herz wie eine Schlange mit lieblich goldenen Schuppen, die dich mit ihrem Blick betäubt. Wenn du nun davor sicher bist, dann freue dich über die Beseitigung des Übels, das dich hätte anstecken können, und erinnere dich glücklich an die große Gefahr, die du gesund überstanden hast. Und wenn du bereits vergiftet warst, dann weißt du zumindest, daß die Ursache der Krankheit beseitigt ist, und es wird dir viel leichter fallen, wieder gesund zu werden.

Schmerz: Ich habe auch mein Gold und Silber verloren.

Vernunft: Was hat ein himmlischer Geist mit solchen irdischen Abfällen zu tun? Diejenigen, die einer Philosophie folgen, die dem Menschen wirklich würdig ist, zählen Gold und Silber nicht zu den Gütern. Die weltlicher Gesinnten sagen, daß es zwar Güter sind, aber keine deines Geistes. Welche Ansicht du auch wählst, was du verloren hast, waren entweder keine Güter oder es gehörte dir nicht. Daher hast du auch keinen Grund, dich zu beschweren. Und selbst wenn du darauf bestehst, sie Güter zu nennen - was viele große Männer bestreiten -, kannst du sie nicht deine Güter nennen, sondern Güter der Glücksgöttin, die unabhängig von deinem Willen sind. So hast du nichts verloren, was dir gehört, und sie hat nichts verloren, was ihr gehört. Sie hat es nur woandershin getragen.

Schmerz: Ich habe wirklich viel Geld verloren.

Vernunft: Aber du hast nichts verloren, was dir gehört. Denn wie könntest du etwas verlieren, was dir gar nicht gehört? Egal, wie du es sehen willst, das Geld gehört nicht dir, sondern dem, der es hat. Und nicht einmal ihm, sondern, wie gesagt, der Glücksgöttin, die es nach Gefallen für kurze Zeit gegen hohe Zinsen ausleiht. Lerne doch endlich, das Fremde vom Eigenen zu unterscheiden!

Schmerz: Ich habe so viel Geld verloren.

Vernunft: Wenn du von deinem Verlust so gequält wirst und betrauerst, was anderen gehört, dann lerne doch, dir das anzueignen, was dir allein gehört und für immer dein ist! Das ist leichter zu erreichen, sicherer zu besitzen und viel ehrenhafter. Das ist die reine Tugend, die keinen Verlust kennt. Aber du hast die Weisheit verachtet und bist zu einem Anhänger und Liebhaber des Geldes geworden, taub für die heilsamen Ratschläge und Warnungen gottesfürchtiger und weiser Männer vor diesem besonderen Aspekt menschlicher Torheit. Du hast doch den Protest des satirischen Dichters (Juvenal) gehört: „Denn wer Reichtum begehrt, will ihn schnell haben.“ Und er fügt hinzu: „Welche Achtung vor Gesetzen, welche Furcht und welches Schamgefühl findet man in einem Habgierigen, der es eilig hat, reich zu werden?“ Der weise Mann der Hebräer drückte dies in weniger Worten aus: „Wer sich beeilt, reich zu werden, wird nicht unschuldig bleiben. (Spr. 28.20)“ Und du kennst auch die Verse eines anderen Dichters, die man je nach Wunsch satirisch oder lyrisch nennen kann: „Kein Haus oder Land, kein Haufen Bronze oder Gold hat jemals den kranken Körper des Besitzers von Fieber oder seinen kranken Geist von Sorgen befreit.“ Auch dies sagt der Weise kurzgefaßt: „Reichtümer werden am Tag der Vergeltung nichts nützen.“ Und er fügte hinzu, was helfen kann: „Aber die Gerechtigkeit wird vom Tod befreien. (Spr. 11.4)

Wenn also das Geld, dessen Verlust du beklagst, weder dem Körper noch dem Geist in seiner größten Not helfen kann, dann frage ich mich, warum es so sehr begehrt wird, wenn es fehlt, oder so sehr geliebt wird, wenn es da ist. Diesbezüglich bemerkte auch dein Redner (Cicero): „Nichts ist so bezeichnend für die Enge und Kleinheit des Geistes wie die Liebe zum Reichtum.“ Und der christliche Redner sagt: „Es gibt nichts Böseres als die Gierigen, und nichts Ungerechteres als die Liebe zum Geld. (Sir. 10.10)“ Das ist die Meinung vieler Autoritäten, die sich in diesem Punkt einig sind. Der Wahn des gemeinen Volkes versucht vergebens, sich über das Urteil dieser Weisen hinwegzusetzen. Obwohl nichts ungerechter als Geld ist, wird es doch so heiß begehrt, als ob jeder überzeugt wäre, daß alles Begehrenswerte im Leben vom Geld abhinge, auch wenn die Stimmen der weisesten Männer dagegen sprechen wie auch die Erfahrung der Wirklichkeit und eine große Menge aktueller und alter Beispiele, daß viel Geld noch niemandem genützt hat, aber viele ins Verderben stürzte, und daß es mit Sünde und Mühsal erworben wird, mit Angst und Zittern bewahrt und mit Wehklagen und Traurigkeit verlorengeht. Frage doch die Liebhaber des Geldes, was an meinen Worten falsch oder an ihrem Handeln richtig ist! Außerdem möge jeder sorgfältig und ehrlich beachten, was er über den wahren Wert einer so hochgeschätzten Ware selbst gesehen oder gelesen hat, abgesehen vom öffentlichen Rummel und dem Glitzern der verschiedenen Metalle. Wer keine Gelegenheit hatte, selbst zu erleben und zu sehen, was passiert, sollte sich den Schriften der seriösen Autoren zuwenden, denn keinem gebildeten Menschen fehlt die Fähigkeit zu lesen oder zuzuhören.

Erkennen wir damit nicht, daß mit dem Geld seltsame neue Bräuche, großer Luxus und schreckliche Gier eingeführt wurden und das alte Zeitalter eines maßvollen Lebens zu Ende ging? Wissen wir nicht, daß genau dieser Überfluß, diese Gier und diese maßlosen Vergnügungen ein lustvolles Verlangen hervorbringen, zugrunde zu gehen und alles zu zerstören, eine Tatsache, die weithin bekannt ist und oft beschrieben wurde? Wissen wir nicht, daß der Habsüchtige immer Mangel hat, daß Gold schädlicher ist als tödliches Eisen, daß nichts die Herzen der Menschen so antreibt wie der verfluchte Hunger nach Geld, und daß man durch den Anblick von Geld geistig geschwächt wird? Wissen wir nicht, wie es Gold liebt, sich seinen Weg durch Wachposten zu bahnen und Felsen zu durchbrechen, mächtiger als der Donnerkeil? Und wie es seine Fallstricke für Tugend und Leben auslegt? So wurde die Jungfräulichkeit von Danae durch einen Goldregen überwältigt. Auch die tödliche Ursache für den Untergang von Amphiaraus, dem Seher von Argive, und seiner habgierigen Frau war Gold, das zwar erst abgelehnt, aber von Eriphyle von Argos mutwillig begehrt und erlangt wurde. So zerstörte es ihr Haus und säte die Saat für enorme Verbrechen. Wissen wir nicht, daß illusorische und vergängliche Besitztümer nicht halten können, was sie versprechen? Sie können den gierigen Durst des Geistes nicht stillen, sondern steigern ihn. Sie können Sorgen nicht vertreiben, sondern verursachen sie. Sie können die Bedürfnisse nicht lindern, sondern verstärken sie. So wurde am wahrsten und treffendsten gesagt: „Die Gewinnsucht wächst, wie das Geld wächst.“ Oder auch: „Geld macht niemanden reich! Im Gegenteil, es gibt wohl keinen, bei dem es nicht ein größeres Verlangen danach hervorgerufen hat.“ Oder auch: „Wie das Geld wächst, so wachsen Sorge und Gier nach größerem Reichtum.“ Oder: „Wer viel sucht, dem fehlt immer viel.“ Oder: „Wer viel hat, der braucht viel.“ Und schließlich, was auch immer Reichtümer sein mögen, sie sind nicht dauerhaft oder langlebig. In den Händen der Glücksgöttin sind sie immer dem Zufall und in jedem Fall dem Tod ihres Besitzers unterworfen. „Wenn der Reiche einschläft, nimmt er nichts mit. Dann wird er seine Augen öffnen und nichts vorfinden.“ Er wird es nicht einmal schaffen, dieses Nichts, das er besaß, an den Erben seiner Wahl weiterzugeben, denn: „Der Mensch vergeht wie ein Bild, und doch hört er nicht auf, sich umsonst zu sorgen. Er sammelt Schätze und weiß nicht, für wen er sie sammeln soll.“

Diese und tausend ähnliche Stimmen sind überall von gelehrten Männern zu hören, doch unendliche Gier hat die Ohren verschlossen, und es ist vergebens, den Reichen dieser Welt vorzuwerfen, nicht hochmütig zu sein und nicht der Unsicherheit des Reichtums zu vertrauen, sondern dem lebendigen Gott, der uns alles reichlich schenkt, damit wir uns daran erfreuen, Gutes zu tun, und an guten Werken reich werden. Denn die reich werden wollen an dem, was gewöhnlich als wertvoll und kostbar angesehen wird, geraten in Versuchung und in die Schlingen des Teufels und in viele nutzlose und schädliche Begierden, welche die Menschen in Zerstörung und Verderben stürzen. Ja, die Gier nach Reichtum ist die Wurzel allen Übels. Doch sie hören auf diesen Rat nicht mehr, wie auch auf den, der gesagt hat: „Vertraue nicht auf Ungerechtigkeit und begehre keinen Raub! Und wenn viele Reichtümer vorhanden sind, dann setze dein Herz nicht darauf.“ Wie auch die Warnung seines Sohnes: „Wer auf eigenen Reichtum vertraut, wird fallen!“ Sie hören nicht einmal auf Ihn, der über allem steht, dessen heilige Lehre nur Wahnsinnige und Wütende verachten, denn er nannte den Reichtum mit seinen Freuden und Sorgen „Dornen“, die den Samen heilsamer Worte ersticken. Dies sagte Er, in dessen Mund keine Lüge gefunden wird. Und ich sage dir, die lebendige Wahrheit hat dies gesagt. Doch meinst du, daß ihm auf dieser Erde geglaubt wurde? Selten, wenn überhaupt! Und die Welt betrachtet weiterhin das, was er „Dornen“ nannte, als höchste Glückseligkeit und Süße, und betrachtet Edelsteine, Juwelen und das unheilvolle Gold, das als Ursache unseres größten Leidens bezeichnet wurde, als Ursache aller guten Dinge und wetteifert um sie, als ob sie das höchste Gut auf der Erde wären. Mittlerweile ist es nicht mehr ironisch, wenn man an den Straßenecken verkündet: „Oh Bürger, Bürger, sucht zuerst nach Geld! Erst Geld, dann Tugend!“ Oder auch: „Geh, verkaufe deinen Geist für bares Geld! Kaufe und verkaufe, plündere listig jeden Winkel der Erde!“ Nein, Gottes Gabe wird nicht verstanden, und diese Armut verursacht den großen Widerstand gegen Gott in allem, was du willst, tust und duldest. So sehen wir auch jeden Tag wahr werden, was ein anderer Autor sagte: „Reichtümer, die gemeinste Sache dieser Welt, schüren so viel Streit.“ Ich frage dich, wo ist der Mensch, der angesichts der Gelegenheit, mit Verbrechen großen Gewinn zu ernten, nicht alle heiligen Bande zertrennen, Polydorus töten und das Gold mit Gewalt ergreifen würde?

Versammle treue Brüder oder gleichgesinnte Freunde bei einem Treffen, einem Abendessen oder einem Tanz, und dann wirf Zwietracht unter sie - ich sage nicht, den goldenen Zankapfel, sondern nur ein winziges Stückchen davon -, und bald wird das Schwert gezogen, um auch die unbedeutendsten Angelegenheiten mit allem Ernst zu entscheiden. Aber auf unser Thema zurückzukommen: Wie nichts mit größerer Gewalt erlangt wird, als das Gold, so geht auch nichts mit größerem Wehklagen verloren. Die Sünde und der große Verlust der Seele werden verachtet, der Verlust des guten Namens wird ignoriert, und der Zeitverlust geringgeschätzt. Der Verlust von Brüdern und Schwestern wird nur leicht beklagt, von Eltern noch weniger, und der von Ehepartnern ist oft schon eine Ursache zur Freude. Nur der Verlust von Reichtum wird überaus schmerzlich beklagt, was diese Worte in der Tat wahr werden läßt: „Ungeheuchelt sind nur die Tränen, die den Verlust von Reichtum beklagen.“

Nun habe ich viel dazu gesagt, obwohl man hier nie genug sagen kann und oft zu wenig sagt. Aber mit hartnäckigen Köpfen über die Liebe zum Geld zu reden, bringt nichts als Haß und Verachtung ein. Denn wer sich dem Irrtum der Masse widersetzt, gilt entweder als Lügner oder Verrückter.

Schmerz: Ich habe meinen Reichtum verloren.

Vernunft: Du bist nur aufgewacht, nachdem du geträumt hast, reich zu sein.

Schmerz: Mein geliebtes Geld ist aber weg.

Vernunft: Ich lobe weder die Liebe noch den Haß zum Geld, sondern ein Streben nach Genügsamkeit und die Vermeidung von Habgier. Wie ein armer Geist das Gold liebt, so kann es der schwache Geist ohne Vertrauen nicht ertragen und wird davon überwältigt. Wie auch Seneca sagte: „Er ist ein großer Mann, der Tongeschirr wie Silber verwendet, und nicht geringer als jener, der Silber wie Tonwaren nutzt.“ Was dir sagen will, daß Laster oder Tugend nicht in den Dingen, sondern im Geist sind. Du sollst also weder den bewundern, der das Geld liebt, noch den, der es haßt, sondern den, der sich nicht bekümmert, wenn es fehlt, und es ehrlich verwendet, wenn es da ist. Diesen Satz schrieb Cicero ganz nach meinem Sinn als er festgestellt hatte, daß die Liebe zum Reichtum ein Zeichen für Enge und Kleinheit des Geistes ist, und fügte noch hinzu: „Es gibt nichts Ehrenvolleres und Edleres, als das Geld zu verachten, wenn es fehlt, und es der Wohltätigkeit und Großzügigkeit zu widmen, wenn man es besitzt.“ Damit habe ich in einem klaren Fall eindrucksvolle Zeugen angeführt, und wie sehr wünschte ich, daß ihnen und mir geglaubt würde! Denn bei keinem Thema ist die Menschheit so ungläubig und schwerhörig. Die unaufhörliche Mühe der Menschen und die Leidenschaft, mit der sie alle zu Land und zu Wasser nach Gütern suchen, beweist, daß Geiz, Gier und Anbetung des Geldes nicht nur den Tugenden, sondern auch dem Leben selbst den Krieg erklärt haben.

Schmerz: Ich habe wirklich viel Geld verloren.

Vernunft: Damit hast du eine große Last verloren, die schwer und mühselig zu tragen ist, und auch, wie ich eingangs betonte, die Verantwortung, ihr Hüter zu sein. Denn die gebieterische Gier der Herren hat dich zum Hüter gemacht und dir befohlen, alles zu tun und zu erleiden, um viel Geld anzusammeln und zu hüten. Und so wird das, was für die Bequemlichkeit und den Vorteil der Menschen erfunden wurde, zu einem Mittel der Angst und Sorge. In Angst und Qual zu leben, Hausbrand, Einbrüche und Verlust der Dienerschaft zu befürchten und weder anderen noch dir selbst nützlich zu sein, sondern nur nutzloses und lebloses Geld auszubrüten: Das ist dein ganzer Reichtum!

Schmerz: Ich weiß auch nicht, wer das Geld aus meinem Haus gestohlen hat.

Vernunft: Was gestohlen oder gewaltsam weggenommen werden kann, ist sicherlich kein wahres Eigentum, sondern wertlos und vergänglich.

Schmerz: Ich kann nicht einmal das Geld in meinem Geldbeutel wiederfinden.

Vernunft: Laß mich dir eine Geschichte erzählen: Vor nicht allzu langer Zeit lebte in Italien ein edler und hervorragender Herr, reich an altem Besitz, aber noch reicher an Tugenden, der gelernt hatte, nicht so sehr der Hüter seines Geldes, sondern sein Verwender und Herr zu sein. Er hatte einen Sohn, seinen Erstgeborenen, der im Handelsgeschäft fleißig war und sich mit wachsamer Sorgfalt und bemerkenswerter Sparsamkeit große Reichtümer an Gold und Geld erworben hatte. Es war erstaunlich, die Großzügigkeit der Jugend im alten Vater und die Sparsamkeit des Alters im jungen Sohn zu sehen. Doch sein Vater ermahnte ihn oft, seine Talente nicht zu vernachlässigen und Gott und seinen Ruf nicht zu vergessen, damit seine Wahrhaftigkeit, seine Pflichten und familiären Aufgaben wegen seiner Sorge um das Gold in seinen Augen nicht an Wert verlieren. Und schließlich, daß er bereit sein sollte, seinen Reichtum zu verwenden, um sich selbst, seiner alten Mutter, seinen jüngeren Brüdern und Schwestern, seinen Verwandten, seinen Freunden und den Armen zu helfen. Denn Reichtümer sind dazu bestimmt, hilfreich verwendet zu werden und nicht Objekte gieriger Anhäufung und ängstlicher Qual zu sein. So sprach der Vater, aber es ist wohl vergebens, einem Habgierigen wie einem Tauben zu predigen!

So geschah es, als der Sohn die Stadt im Auftrag der Republik verließ, um sich mit anderen Auserwählten auf eine Reise zum römischen Papst zu begeben. Kaum war er gegangen, nutzte sein Vater die Gelegenheit, der einen Zweitschlüssel für dessen Kammer und Geldtruhe hatte, trat ein und holte den angesammelten Schatz aus seinem Versteck. Der Vater bestellte schöne Kleider für sich, seine Frau, die Kinder und den ganzen Haushalt, kaufte wohlgeschmückte Pferde, Silbergeschirr und gute Möbel. Dazu erneuerte und vergrößerte es das Haus, geräumig, aber nicht überheblich, schmückte es mit schönen Gemälden und stattet es mit allem aus, um ein gutes Leben zu führen. Darüber hinaus verschenkte er viel an die Armen. Letztendlich füllte er die Säcke, in denen sein Sohn das Gold gesammelt hatte, mit Sand und Kieseln aus dem Fluß, verschloß sie sorgfältig, ließ alles wie zuvor zurück und zog die Tür hinter sich zu. Das alles geschah in sehr kurzer Zeit, denn dieser bemerkenswerte alte Herr hatte seine Entscheidung getroffen und das Geld war bereit. Als der Sohn zurückkehrte und seinen Brüdern begegnete, war er über ihr Aussehen überrascht, bewunderte ihre schöne Ausstattung und Kleidung, die er vorher noch nie gesehen hatte, und erkundigte sich, wem ihre Pferde gehörten und woher sie diese Kleider hätten. Da sie nicht wußten, was passiert war, antworteten sie glücklich und mit kindlicher Unschuld, daß dies alles ihrem Herrn, dem Vater, gehörte und daß er noch viele weitere Pferde in den Ställen zu Hause hatte und ihre Eltern einen großen Kleiderschrank mit prächtigen Kleidern besaßen. So wunderte er sich zunehmend über alles. Als er im Haus seines Vaters ankam, erkannte er kaum seine Eltern und auch das Haus wieder, und sehr erstaunt, verwirrt und besorgt ging er schnell zu der Geldkiste in seiner Kammer. Dort beruhigte ihn zunächst, daß äußerlich nichts verändert war, aber die Anwesenheit seiner Gefährten und ihr Drängen erlaubten keine weitere Untersuchung. Nur schnell öffnete er die Geldkiste, sah die Säcke, fett und verschlossen wie immer, und ging beruhigt davon. Kurz darauf, nachdem er seine Geschäfte erledigt hatte, ging er nach Hause, schloß sich in sein Zimmer ein, öffnete die Geldtruhe und inspizierte die Säcke. Als er feststellte, daß sich das Gold in Sand verwandelt hatte, schrie er verzweifelt laut auf. Sein Vater kam eilig: „Was ist los, mein Sohn? Warum schreist du? Warum weinst du?“ „Ich habe alles Geld verloren!“, sagte er, „all das Geld, das ich mit so viel Suchen und Mühen angehäuft und in diesen Säcken gespart habe. Oh Vater, ich wurde unter deinem eigenen Dach ausgeraubt!“ „Wie kannst du ausgeraubt worden sein?“ fragte der Vater, „Ich sehe doch diese Säcke voll und prall gefüllt!“ Der Sohn weinte und klagte: „Aber es ist nur Sand, oh Vater, Sand und kein Geld!“ Und während er das sagte, zeigte er ihm den geöffneten Sack. Worauf der alte Herr ohne Überraschung antwortete: „Was kann es für einen Mann wie dich ausmachen, ob diese Säcke voller Sand oder voller Geld sind?“ - Ein sehr denkwürdiger und vorzüglicher Satz! Denn Geld ist für viele Menschen nur eine Last, beschwert den Geldbeutel und beschäftigt den Geist. Viele benutzen es auf unheilsame und verderbliche Weise, und nur sehr wenige heilsam und fruchtbar.

Schmerz: Ja, auch ich habe das Geld verloren, das ich so sehr liebte.

Vernunft: Damit wurdest du von einer schändlichen Liebe befreit, denn Geldliebe ist Habgier. Je weniger du das Geld liebst, desto weniger begehrst du danach. Das lehrt die Erfahrung und auch der satirische Dichter: „Je weniger man hat, desto weniger begehrt man!“ Ja, selbst der Verlust eines großen Gutes ist zu wünschen, wenn damit untrennbar ein großes Übel verbunden ist.

Schmerz: Aber ich habe damit die süße Stütze meines Lebens verloren!

Vernunft: Woher weißt du, ob das nicht ein bitteres Ende gewesen wäre? Viel mehr sind wegen ihres Reichtums umgekommen als wegen ihrer Armut!

Petrarcameister - Vom Verlust des Geldes

Der Schmerz spricht ganz allgemein vom Verlust des Geldes: „Ich habe viel Geld verloren“, und auch die Vernunft gibt in ihrer Antwort keinen Anlaß, an einen gewaltsamen Verlust des Geldes zu denken. Bei näherer Betrachtung des Bildes des Petrarca-Meisters findet sich, daß die Darstellung zur Illustration eines Geldverlustes gar nicht recht paßt. Wären es Räuber, die den Mann mit den Geldsäcken überfallen, dann wäre das Kind recht befremdlich, und es wäre nicht zu verstehen, daß der mit so viel Geld Beladene nicht sein Schwert zieht, um die Räuber zu bekämpfen. - Der Holzschnitt hat auch im Cicero Verwendung gefunden und illustriert dort ein Kapitel, in dem von Wohltaten und milden Gaben die Rede ist. Der Text warnt vor Mildtätigkeit mit Geld und Gut: „Und die (Mildtätigkeit) von zeitlichem Gut, (das) aus der Kiste kommt, erschöpft zum letzten den Brunnen der Gutwilligkeit und wird also solcher Wille und Werke endlich mangeln und die Mildtätigkeit abgeschnitten.“ Dazu stehen die Verse Schwartzenbergs:

Dein Geld nit also hart verschließ,
Daß guter Will des nicht genieß.
So soll es auch nicht sein als frei,
Daß solchs einem jeden offen sei.
Recht Mittelmaß steht wohl dabei.

Zu diesem Text ist die Illustration in jeder Hinsicht passend. Sie zeigt den Mann, der Geldgaben spenden wollte, dem nun aber, weil er zu frei mit den Gaben verfuhr, Beutel und Schätze aus den Händen gerissen werden, wobei nicht gerade die Bedürftigsten zu dem Gut kommen. Es kann demnach kein Zweifel bestehen, daß der Holzschnitt vom Petrarca-Meister für den Cicero geschaffen worden ist und als leidlich passend in das „Glücksbuch“ eingestellt wurde. Für die Kunst des Petrarca-Meisters ergibt sich aus diesem Sachverhalt, daß er auch ohne Sebastian Brants Anweisungen überaus drastische Illustrationen schaffen konnte, die zwar weniger mit Beispielen aus Sage und Geschichte der Alten arbeiten, um so mehr aber mit sinnbildlich vertieften Szenen aus dem Leben seiner Zeit.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte das Bild auf das vorhergehende aufbauen. Vater Geist tritt mit seinem Vermögen im weitesten Sinne durch die Tür seines körperlichen Hauses in diese Welt, wo ihm vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit die weltlichen Gegensätze begegnen, die nach seinem Vermögen greifen. Und man sieht, daß in diesem Kampf das meiste verschwendet wird. Von hinten greifen zwei weitere Gestalten an: Einer greift in den Geldbeutel und wirft das Ergriffene zu Boden, und ein Kind sammelt es dort auf. Hier könnte man an die inneren Gestalten von großem Ego und kleinlichem Verstand denken, oder auch an überhebliche Verschwendung und heranwachsende Gier. Und dieser Angriff ist möglich, weil er in diesem Kampf auch seinen „Hut“ verloren hat, das heißt, einerseits seine Wachsamkeit und anderseits seine reine Ehre und Wahrhaftigkeit. Was helfen könnte, wäre das Schwert der Erkenntnis, um die Unwissenheit an der Wurzel abzuschlagen. Aber das bleibt in der Scheide.

Damit hat der Geist wirklich sein größtes Vermögen verloren, das am meisten zu beklagen wäre, nämlich seine ursprüngliche Allmacht, die durch das Ich-Bewußtsein verlorengeht, das sich vom Ganzen abtrennt, nach Eigentum bzw. Eigenschaft greift und damit unter die Herrschaft von Masse, Raum und Zeit fällt. Höchst interessant ist nun der Versuch der Menschheit, sich für diese geistige Allmacht sozusagen einen Ersatz zu schaffen, und das ist das Geld mit dem wir mittlerweile eine weltliche Allmacht verbinden. Ob das gelingen wird? Zumindest gab es nach den Worten von Petrarca schon damals viele Menschen, die glaubten, mit dem Verlust ihres Geldes auch all ihre Macht, allen Erfolg und jeglichen Sinn im Leben verloren zu haben. Arme Menschheit!

2.14. Von Bürgschaften

Schmerz: Ich werde von Bürgschaften bedrängt.

Vernunft: Du hast dich gerade über den Verlust von Geld beschwert, und jetzt beschwerst du dich darüber, es weggegeben zu haben. Wußtest du nicht, daß du dein Geld wegwirfst, wenn du dich freiwillig als Bürge verpflichtest? Bürgschaft zu leisten ist eine törichte Angewohnheit vieler, die dazu führt, daß du schnell sowohl dein Geld als auch deinen Freund verlierst.

Schmerz: Ich habe meine Bürgschaft für die Schuld eines Freundes gegeben.

Vernunft: Dann wirst du sie selbst bezahlen und schmerzlich lernen, wie gut es ist, nichts zu schulden und unbelastet von Bindungen zu leben.

Schmerz: Ich bürge doch für einen Freund!

Vernunft: Gib lieber bedürftigen Freunden Gold und Silber, Wein, Öl und Getreide, Kleidung, Häuser, Höfe, Rat und Trost. Teile alles, was du hast, mit deinen Freunden, aber bewahre deine Freiheit und gib sie niemandem!

Schmerz: Ich habe mein Wort für einen anderen gegeben, und der Tag der Zahlung ist gekommen.

Vernunft: Wußtest du nicht, daß dieser Tag kommen würde? Hast du nicht erwartet, so lange zu leben? Dachtest du wenigstens an deine Erben, die du in deine freiwillige Bindung verwickelt hast? Ich denke, es ist nur gerecht, daß die Strafe für deinen Fehler auf den Kopf fällt, der sich geirrt hat. Außerdem habe ich das Gefühl, daß dich der Aufschub getäuscht hat, diese Zeitspanne zwischen dem Tag des Bürgschaftsversprechens und dem Tag der Fälligkeit, den dein eitler Verstand nicht recht ermessen wollte. Eine Zeitspanne, die im Vergleich zu anderem ziemlich lang erscheint, aber sich im Laufe der Tage als sehr kurz herausstellt, denn die Stunden, Tage und Nächte, Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte „fliegen davon“, und was du weit entfernt geglaubt hast, klopft nun an deine Tür. Was dir also nach wenigen Monaten entgegentritt, wäre leicht zu erahnen gewesen, wenn du die vergangenen Jahrhunderte mit offenen Augen betrachtet hättest. Statt dessen tust du so, als würde die Zeit deinen Wünschen statt ihrer eigenen Natur gehorchen, und stellst dir vor, daß die Tage nicht vergehen und der Tag der Fälligkeit niemals kommen würde. Darauf hoffend segelst du wie mit geschlossenen Augen in deinen Untergang, während du ruhig und höflich Bürgschaft für die Schuld eines anderen übernimmst. Als ob diese privat gegebenen Versprechungen nicht bald in der Öffentlichkeit hervorbrechen und große Unruhe verursachen würden!

Schmerz: Ich habe aber für meinen Freund gebürgt.

Vernunft: Du solltest auf die Bedürfnisse deiner Freunde eingehen und ihnen mit den verfügbaren Mitteln zu Hilfe kommen. Aber umgarne dich nicht und verspreche nichts für morgen. Ich würde das nicht sagen, wenn es keine andere Möglichkeit gäbe, ihnen zu helfen, als durch Versprechungen. Aber was bedeutet es, ein Versprechen zu geben? Wenn du es nicht halten kannst, hast du dumm gehandelt. Und wenn du es hältst, war es oft unnötig. Die Menschen sind sehr geizig, wenn es um materielle Güter geht, aber sehr verschwenderisch mit Versprechungen, als ob diese Versprechungen keine materiellen Güter erfordern. Und wenn du mir sagst, daß du nicht die nötigen Mittel hattest, um dein Versprechen zu erfüllen, als du es gegeben hast, doch die berechtigte Hoffnung hegtest, bald genug zu haben, um es zu erfüllen, aber sich diese Hoffnung nicht erfüllte, dann mußt du wohl noch lernen, daß solche Hoffnungen die trügerischsten in dieser Welt sind. Du kannst nirgendwo etwas finden, was dich häufiger in die Irre führt, aber trotzdem so leicht geglaubt wird. So tückisch und schmeichelhaft ist diese Hoffnung, die dich süß und innig umarmt und so schwer aufzugeben ist!

Schmerz: Ich habe mich aber zu dieser Bürgschaft verpflichtet.

Vernunft: Dann hast du den berühmten Grundsatz des Thales von Milet vergessen, daß es schädlich ist, Bürgschaft zu leisten, denn was er darüber gesagt hat, scheint mir sehr der Erinnerung wert. Ausonius übersetzte es ungefähr so: „Werde ein Bürge, und das Verderben ist nicht weit!“ Ich könnte dir noch tausend Beispiele nennen, die zeigen, daß es Bürgschaften eigentlich verdienen, bestraft zu werden, aber ich werde mich zurückhalten. Denn wer ehrlich zu sich selbst ist und darüber nachdenkt, wird erkennen, wie verheerend es ist, Bürgschaften zu geben.

Schmerz: Es war wohl ein Fehler, mich freiwillig zu verpflichten.

Vernunft: Dann benötigt diese Art von Fehler nach deinem Tod kein Fegefeuer. Denn mit deiner Erfahrung bereinigst du ihn, weil er zu den Fehlern gehört, die ihre eigene Strafe mit sich brachten.

Schmerz: Ich bin aber nun an diese Bürgschaft gebunden.

Vernunft: Dann befreie dich, indem du bezahlst, denn wer durch seine Zunge gebunden wurde, soll durch seine Hand befreit werden. So war es gut für dich, gebunden worden zu sein, denn wenn du erst einmal entkommen bist, wirst du solche Bindungen für immer fürchten.

Petrarcameister - Von Bürgschaften

Der Übersetzer von 1539, dem die Bilder in der Ausgabe von 1532 schon vorlagen, führt ausdrücklich das Sprichwort an „Bürgen soll man würgen“, das der Petrarca-Meister in den beiden Hauptfiguren dargestellt hat. Der junge Mann im Bild, dem der Gläubiger an die Kehle fährt und dem zugleich der Mantel noch ausgezogen wird, muß die Torheit der Bürgschaft für einen ungetreuen Freund schwer bezahlen. Seine Habe ist dem Gläubiger verfallen und mit dem Wagen wird sie davongefahren. In der Übersetzung von 1532 steht das Sprichwort nicht. Der Einfall, es zu diesem Thema zu verwenden, stammt von Sebastian Brant oder vom Petrarca-Meister.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht erscheint nun nach der sinnlich-körperlichen Geburt des Geistes und seinem Eintritt in diese Welt der Gegensätze das treffliche Symbol des Seelenwagens, der sogar über Geburt und Tod hinausfährt. Diesen Wagen belädt der bärtige Geist im Hintergrund mit den Ballen bzw. dem Ballast an Verdienst und Sünde bzw. Schuld, und dieses „Eigentum“ holt er aus der Körperlichkeit in Form der gemauerten Häuser. Der Wagen selbst wird von einem Tierwesen gezogen, auf dem das stolze Ich-Bewußtsein mit der Peitsche reitet. Das große Wagenrad erinnert an das Rad von Glück und Unglück oder Werden und Vergehen, und die herumliegenden Steine an die Beschwerlichkeit des Weges. Und um dieses „Eigentum“ an Schuld und Haben streiten sich im Vordergrund zwei Gestalten, die wir auch als ichhaften Verstand und ganzheitliche Vernunft erkennen können oder ganz allgemein als die Gegensätze in dieser Welt von Mein und Dein.

Die Frage der Schuld bzw. Bürgschaft, die der Geist für das Handeln des Ich-Bewußtseins wie für einen „guten Freund“ in dieser Welt übernimmt und die auch Petrarca mit dem Fegefeuer anspricht, ist natürlich ein uraltes und großes Thema, das aber heutzutage nur noch wenig öffentliche Beachtung findet. Obwohl wir in der Naturwissenschaft am Energieerhaltungssatz nicht mehr zweifeln, so zögern wir doch sehr, dieses natürliche Gesetz auch in der geistigen Welt anzuerkennen. Das liegt wohl vor allem daran, daß unser gedanklicher Verstand der höheren Vernunft hart an die Kehle greift, ihr den Lebensatem und sogar ihren Mantel nimmt, um sich selbst als Vernunft auszugeben. Deswegen kennt heute auch kaum noch jemand den Unterschied zwischen Verstand und Vernunft.

2.15. Vom Verlust der Zeit

Schmerz: Ich beklage den Verlust meiner Zeit.

Vernunft: Ja, diese Beschwerde ist berechtigter als deine vorherige, denn Zeitverlust ist schwerwiegender als Geldverlust. Geld ist für ein gutes Leben nicht nötig, und wenn es verlorengeht, kann es zurückgewonnen werden. Doch Zeit ist notwendig und kann unmöglich zurückgewonnen werden. Trotzdem geht das Geld oft gegen den Willen der Menschen verloren, während Zeit freiwillig verschwendet wird. Doch obwohl ich die entstandenen Schäden durch das Selbstverschulden des Leidenden für die schwerwiegendsten halte, bezweifle ich doch die Berechtigung deiner Klage, weil der Schaden freiwillig erlitten wurde.

Schmerz: Aber ich verliere ungewollt Zeit!

Vernunft: Was zwingt den Unwilligen außer der Habgier, die Mutter aller Geschäfte? Der Komiker (Terenz) sagt: „Es gibt nur diesen einen Makel, den das Alter einem Mann bringt: Wir alle denken zu viel an Geld.“ Er bezieht sich auf alte Männer, aber jeder ist in dieser Hinsicht ein „alter Mann“ geworden. Habgier befällt jedes Alter, jeden Lebensbereich und jedes Geschlecht. Sie zwingt die Menschen dazu, ihre Zeit zu verlieren und beraubt sie in ihrem kurzen Leben an dem, was wirklich nützlich wäre. Nur mit der Habgier beschäftigt, vergeudest du dein ganzes Leben ohne Rücksicht auf dich selbst oder deine (wahre) Freude. Doch nur, wenn diese Plage die Menschen gegen ihren Willen befallen würde, würden sie auch gegen ihren Willen die Zeit verlieren, und ihre Klagen über den Verlust einer so wertvollen Gabe wären berechtigt.

Schmerz: Es ist keine Gier, sondern Notwendigkeit, die mir die Zeit raubt.

Vernunft: Dann laß mich fragen, was für eine Notwendigkeit es ist, die dir das raubt, was allein dir gehört? Ich sage das, weil Reichtümer, Ehren, Macht, Autorität, Herrschaft und ähnliches die Glücksgöttin nach ihren Regeln gibt oder nimmt. Doch die Zeit kann sie dir nicht gegen deinen Willen nehmen, denn sie fließt ganz von selbst. Auch wenn du sie nicht beachtest und gebrauchst, verrinnt sie allmählich, bis sie weg ist. Erst dann beklagst du dich, aber zu spät und zwecklos. Du beklagst den Zeitverlust, verschweigst aber, wessen Schuld es war.

Schmerz: Nur die Not zwingt mich, Zeit zu verlieren.

Vernunft: Ich frage dich noch einmal: Was ist das für eine Not? Vielleicht bist du so sehr mit den Angelegenheiten deines Herrn beschäftigt, daß du deine eigenen vernachlässigst, und zwar getrieben von deiner Habgier und unersättlichen Hoffnung auf Gewinn. Wenn du deine persönlichen Wünsche beiseite legen würdest, müßtest du dich nicht für die Wünsche deines Herrn versklaven. Aber dieses unheilbare Gift ist in deinen Adern, versengt deine Eingeweide, trübt deine Sinne und stiehlt nicht nur deine Zeit, sondern auch deine Freiheit und dein Leben, ohne daß du es überhaupt bemerkst. Wenn du aber deine Zeit nicht mit der Verfolgung eigener oder fremder Geschäftsinteressen, sondern mit ehrenhaften Staatsangelegenheiten zum Gemeinwohl verbringst, dann verlierst du diese Zeit nicht, sondern verwendest diese Kostbarkeit in lobenswerter Weise für das Kostbarste, was es auf dieser Welt zu haben gibt, und benimmst dich als guter Mann und rechtschaffener Bürger. Ich weiß, daß es unter Menschen eine übliche Angewohnheit ist, alles, was nicht im habgierigen Streben nach eigenem Gewinn getan wird, als Zeitverschwendung zu betrachten, obwohl in Wirklichkeit gerade diese Zeit verschwendet wird. Verwendest du den Ausdruck „Zeit verlieren“ in diesem gewöhnlichen Sinne? Wenn das so wäre, dann müßte ich aufhören, eine unheilbare Krankheit heilen zu wollen, und zugeben, daß du nicht nur deine Zeit verloren hast, sondern daß du dich selbst völlig verloren hast. Doch wenn es wirklich so ist, dann sage ich, gib nicht auf, sondern gib deine Zeit Gott zurück, worauf ich sehr hoffe und was nicht ohne wahre Hingabe geschehen kann. Dann wisse, daß dies ein großer und unschätzbarer Gewinn sein wird, denn für ein wenig Zeit kannst du die Ewigkeit gewinnen. Welcher Händler hat jemals so gewinnbringend gehandelt?

Schmerz: Die Ursache meines Zeitverlustes ist aber ganz anders.

Vernunft: Ich verstehe nicht, von welcher „Ursache“ du sprichst. Wenn du denkst, daß du von Zorn, Sorgen, Liebe oder einer anderen Leidenschaft des Geistes getrieben wirst, dann irrst du dich, denn sie alle haben den gleichen Grund in der Habgier, über den wir zuvor gesprochen haben. Und alles geschieht freiwillig, keines davon wird dir aufgezwungen, was für jeden gesunden Menschenverstand offensichtlich ist und von Cicero in vielen seiner Schriften wiederholt diskutiert wurde. Wenn dies also nicht deine Ursache ist, was könnte es anderes als Trägheit und Träumerei sein? Also kehren wir zu dem zurück, was Seneca sagte: „Der schändlichste Verlust ist der, der durch Unachtsamkeit entsteht.“

Schmerz: Sorgenvolle Not zwang mich, Zeit zu verlieren.

Vernunft: Ich verstehe das Problem immer noch nicht. Selbst wenn dich der Feind in Ketten hielte und dein Tod bevorstände, dann könnte dich dies zwar von guten Taten abhalten, aber nicht von frommen und heilsamen Gedanken, die in solchen Situationen besonders leuchtend und verdienstvoll sind und sicherlich kein Zeitverlust. Auch unter anderen Umständen sind sie es nicht weniger: Solche Gedanken können sogar im Faß von Regulus, im Stier von Phalaris oder am Kreuz von Theodorus von Kyrene gedacht werden. Egal wie du es betrachtest, die Schuld für die verlorene Zeit liegt bei dir und nur bei dir. Aber du beschuldigst wie gewöhnlich die Natur, die Zeit vergänglich gemacht zu haben, obwohl nichts auf dieser Erde unvergänglich existiert, und sprichst dich selber für alles frei, obwohl du doch an allem schuld bist! Denn fast täglich verschwendest du die Zeit, wirfst sie weg und verachtest sie, als wäre sie etwas Niederes und Wertloses. Oh wie wünschte ich, du würdest deine Zeit der Tugend und dem Ruhm widmen, nicht der erbärmlichsten Schande und der unentschuldbaren Befleckung! So kann in Wirklichkeit alles als verloren betrachtet werden, was nicht für den Zweck verwendet wird, für den es dir gegeben wurde. Dazu wurde der Mensch sicherlich auch geboren und erhielt die Gabe der Zeit, um seinen Schöpfer anzubeten, ihn zu lieben und an ihn zu denken. Alles, was darüber hinaus getan wird, ist zweifellos ein Zeitverlust. Auf diese Weise kannst du erkennen, wieviel Zeit du verschwendet und wieviel Zeit du genutzt hast.

Petrarcameister - Vom Verlust der Zeit

Gleichsam wie ein zweiter „Hieronymus im Gehäus“ sitzt ein bärtiger Alter sinnend am Tisch. Drei Uhren messen seine Zeit, und doch klagt er: „Ich beweine den Verlust der Zeit.“ Eine Sanduhr steht direkt vor ihm auf dem Tisch, eine große Turmuhr ist ihm gegenüber in die Mauer eingelassen, und an der rückwärtigen Wand hängt eine Wanduhr mit einem Gewicht. Beide Räderuhren zeigen auf 12, auch die rückwärtige, nur daß bei ihr die 12 nicht an höchster Stelle im Zifferblatt steht, sondern dort, wo bei den Uhren gewöhnlich die 2 liegt. Neben den Stunden zeigt die Turmuhr die zwölf Zeichen des Tierkreises. Auch sie sagen, daß die Zeit abgelaufen ist, denn der Zeiger steht auf den Fischen, dem Zeichen des letzten Wintermonates. Nach der astrologischen Lehre ist diesem Zeichen das phlegmatische Temperament zugeordnet, zu dessen typischen Klagen damals wie heute: „Ich beweine den Verlust der Zeit“ gehört. Viel besser als Petrarca läßt also der Künstler hier sein Bild dem Schmerz antworten: „Starre nicht auf den Ablauf der Zeit, fülle sie mit Arbeit aus, und du wirst keinen Grund haben, über Verlust von Lebenszeit zu klagen!“

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht sieht man nun nach dem Beladen des Seelenwagens den alternden bärtigen Geist in seinem gemauerten Körperhaus am Tisch eines Reichen sitzen, wie er die vergehende Zeit seines körperlichen Lebens betrachtet, die ihm nun als Gegensatz in Form der Natur entgegensteht. Denn was ist Zeit? Zeit ist Veränderung der Formen und Gestaltungen der Natur. Daß sich also etwas verändert, daß sich sozusagen die Uhren bewegen, das bestimmt die Natur, aber was sich verändert, das bestimmt der Geist bzw. das Bewußtsein als Betrachter. Entsprechend sieht man auf dem Bild, wie der Geist die verschiedenen Zeitzyklen der Natur auf unterschiedlichen Uhren betrachtet: Die große Uhr für den Jahreszyklus, die kleinere für den Tag, die Sanduhr und vermutlich einige Pendel für noch kleinere Zyklen, bis zu den herabbröckelnden Steinen, die uns an den allgemeinen Prozeß von Werden und Vergehen in der Natur erinnern, zu dem auch Geburt und Tod gehören. In diesen Zyklen der Natur hat nun der körperlich gewordene Geist die Möglichkeit, sich zu verändern und die Zeit zu nutzen, um sich entweder aus dieser materiellen Körperlichkeit zu erheben oder darin noch tiefer zu versinken, sich entweder in einem Lernprozeß an sein wahres Wesen zu erinnern oder sich noch mehr an die Illusion von Materie, Raum und Zeit zu binden. Dazu sieht man wieder die beiden Symbole an seinem Gürtel, die Gebetskette und den Geldbeutel. Ein interessantes Symbol ist auch der „Zeiger“, der das Bewußtsein in eine bestimmte Richtung lenkt. Das Spiel mit der Position der 12 an der Tagesuhr könnte also symbolisch gemeint sein und uns daran erinnern, daß die Zeit etwas zyklisch Kreisendes ist und die Vorstellung von einem Anfang und einem Ende in diesem Kreis eine Frage der Betrachtung und willkürlichen Festlegung des Betrachters bzw. Bewußtseins ist. Und die Hand am Zeiger der großen Jahresuhr könnte bedeuten, daß auch das Betrachten ein Handeln ist, also ein kreativer Prozeß, was auch die Quantenphysiker behaupten und an der Wurzel unserer Welt anerkannt wird, aber noch nicht in der Welt selbst. Der pinselförmige Gegenstand am Haken neben der Tagesuhr ist unklar. Die drei Stricke könnten Pendel sein, und der Pinsel erinnert vielleicht an den Prozeß der Reinigung, der wohl auch immer mit der Zeit verbunden ist.

2.16. Vom Verlust im Würfelspiel

Schmerz: Ich habe beim Würfeln verloren.

Vernunft: Habe ich dir damals nicht erklärt, als du gewonnen hast, daß das kein wahrer Gewinn war, sondern ein Darlehen mit hohen Zinsen?

Schmerz: Das Spiel hat mich völlig ausgeraubt.

Vernunft: Dieses Spiel gleicht den Ärzten, die eine bittere Pille verschreiben, die dich viel Geld kostet. So glaube mir, es gibt jetzt mehr Grund zur Freude, als wenn du gewinnst und in illusorischer Freude jubilierst. Denn eine leidvolle Prügelstrafe ist besser als eine schmeichlerische Illusion! Unbedeutende Gewinne haben dich in den Sumpf des Glücksspiels gelockt, und dieser Verlust kann dir nun helfen, dich wieder herauszuziehen. Es ist besser, mit ärmlichen Zügeln auf dem richtigen Weg zu traben, als mit goldenem Zaumzeug in die falsche Richtung zu stürmen.

Schmerz: Ich habe bei einem Würfelspiel alles verloren.

Vernunft: Aber du hast im Spiel der Erfahrung gewonnen, wenn du achtsam erkennst, was du getan hast. Sonst sind alle Medikamente nutzlos für eine unheilbare Krankheit, wenn dich weder Verlust noch Schande aus diesem Sumpf herausholen können. Denn wenn es die (praktische) Erfahrung nicht leisten kann, dann sind auch alle (theoretischen) Worte nutzlos.

Petrarcameister - Vom Verlust im Würfelspiel

Hatte der Petrarca-Meister im ersten Band als Illustration zum Spielerglück der Freude sehr drastisch das Unheil des Würfelspiels gezeichnet (Kap. 1.27), so begleitet er hier die Klage „Ich habe beim Würfeln verloren“ mit einer kaum mehr als beschreibenden Darstellung. Vier Würfelspieler sitzen in einer Laube, einer von ihnen hat anscheinend den anderen dreien ihre ganze Habe abgenommen. Der neben dem Gewinner Sitzende kehrt auf dem Tisch seinen leeren Geldbeutel um, doch wird der Verlust allerseits friedlich hingenommen. Die Raufenden rechts sehen mehr nach spielenden Kindern als nach wütenden betrogenen Spielern aus. Rechts im Hintergrund ist eine größere Menge von Menschen, als Bürger und Patrizier gekennzeichnet, um Spielbretter versammelt, auf denen Glücksspiele um einen Einsatz von Geld gespielt werden. Dem Inhalt des Blattes kann wenig Interesse abgewonnen werden. Um so mehr packt die Darstellung der Menschen, von denen der Landsknecht in der Mitte des Bildes ein Galgenvogel von unvergeßlichem Ausdruck ist.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht erscheint nun der bärtige Geist mit seinem stolzen Federschmuck auf dem Kopf am Spieltisch dieser Welt vor seinem Steinhaus in der lebendigen Natur unter einem Blätterdach von einem lebendigen Baum, der das Bild in eine innerliche und eine äußerliche Welt teilt. Dort sitzt er nun zusammen mit drei unterschiedlichen Gestalten im Inneren: Der vordere scheint als Landsknecht gierig seinen letzten Reichtum zu setzen, der nächste ballt zornig seine rechte Faust, und der dritte klagt traurig über seinen leeren Geldbeutel. Hier könnte man an die drei Geistesgifte von Begierde, Haß und Unwissenheit denken, die auch im Buddhismus als die Achse vom Rad des Lebens gelten, um welche sich die ganze Welt dreht. Dagegen scheint der Geist, der nun offenbar in das Ich-Bewußtsein versunken ist und nach persönlichem Gewinn sucht, tatsächlich auch viel zu gewinnen, obwohl das „Ich“ im Text von Petrarca über einen großen Verlust im Spiel klagt. Vielleicht stellt der Petrarca-Meister damit die Frage, ob der weltliche Reichtum wirklich ein Gewinn für den Geist ist? Denn man sagt ja nicht umsonst: „Materiell gewonnen ist geistig verloren!“ Es könnte aber auch gemeint sein, daß sich der Geist nun das „Vermögen“ dieser drei Geistesgifte im Spiel aneignet, was sicherlich auch kein wahrer Gewinn ist, sondern mehr ein großer Verlust, nämlich der seiner ursprünglichen Allmacht. Und besonders glücklich sieht er auch nicht aus. Es ist auch gut gezeichnet, daß die Würfel als Symbol für den „Zufall“ auf Seiten des Geistes und sogar in seiner Hand liegen, das heißt, dem Geist „fällt alles“ zu, jeder Gewinn und jeder Verlust, weil er auch der Betrachter von allem ist.

Rechts hinten im Bild sieht man, wie so viele Menschen dieser weltlichen Gewinnsucht im Spiel des Lebens verfallen sind. Und vor ihnen soll vielleicht die allgemeine Ursache dafür verdeutlicht werden, nämlich das Spiel der natürlichen Gegensätze. Das heißt, wo Gewinn ist, muß auch Verlust sein, wo ein Plus ist, ist auch ein Minus. Und daß sie gegenseitig ihre Haare ergreifen, erinnert uns auch an das weltliche Spiel der streitenden Gedanken und Empfindungen, das wohl jeder kennt. Schließlich könnte man noch fragen, warum gerade der gierige Landsknecht im Zentrum dieses Bildes bzw. Spiels sitzt? Nun, auch Petrarca sprach im vorherigen Kapitel über die Habgier als Ursache aller Verluste und macht auch die Unachtsamkeit dafür verantwortlich, die wir hier in dem „Hut“ wiedererkennen können, den der Knecht abgenommen und an den Baumstamm gehängt hat.

2.17. Vom Verlust der Braut an einen anderen

Schmerz: Meine Braut wurde mir durch ein Gerichtsurteil weggenommen.

Vernunft: Wohl von einem anderen Mann durch Betrug oder offene Gewalt?

Schmerz: Ich habe meine Braut durch eine gerichtliche Entscheidung verloren.

Vernunft: Andere haben ihre Frauen durch Betrug, durch das Schwert und, was die verkommenste Art ist, durch Gold verloren. Der Mensch hat hier kein wahrhaftes Eigentum, und daher gibt es erst Diebstähle und Betrug, dann Plünderungen, dann Fluch und Verlust und zuletzt den Tod. Auf diesem Rad wandert der Besitz an irdischen Gütern, und was einem gehörte, bekommt ein anderer, der es bald wieder an andere übergeben muß. Dies sollte man erdulden, wenn es sich um nützliche Dinge handelt, und begrüßen, wenn es sich um schädliche Dinge handelt. Was ist so erstaunlich daran, daß menschliche Besitztümer dem Wandel unterworfen sind? Der Mensch selbst wandelt sich, steht nicht still, sondern wie geschrieben steht: „Er kommt hervor wie eine Blume und vergeht, und flieht wie ein Schatten und bleibt niemals in demselben Zustand.“ Du betrauerst den Verlust deiner Braut, wobei du selbst von Stunde zu Stunde dahinschwindest und dich ständig verlierst!

Schmerz: Ich habe aber meine Braut vor Gericht verloren.

Vernunft: Andere kämpfen auf dem Schlachtfeld, aber es scheint wohl sicherer, vor Gericht zu kämpfen als in der Schlacht, mit Statuten statt mit Schwertern. Hast du bei Virgil gelesen, wieviel Streit es unter Lavinias Verehrern gab und wie der Kampf endete? Der Sieger gewann die Braut, der Besiegte verlor sein Leben. Du hast die Braut verloren, aber dein Leben erhalten!

Schmerz: Der Richter hat mir meine Braut weggenommen.

Vernunft: Auch ein Verführer oder anderer Räuber könnte sie entführt haben! Es ist aber leichter, eine Braut zu verlieren als eine Ehefrau. Mit dem ersten verlierst du eine Hoffnung, mit dem zweiten eine Realität. Der Verlust von etwas, auf das man hofft, ist geringer als der Verlust von dem, was man erreicht hat. Oder anders ausgedrückt, es ist leichter, eine Hoffnung zu verlieren als einen Besitz.

Schmerz: Durch ein Urteil habe ich meine Braut verloren.

Vernunft: Du hast sie nicht verloren. Du hast nur erfahren, daß sie nicht dein war.

Schmerz: Ich habe aber meine Braut verloren.

Vernunft: Wer seine Frau verliert, wird von einer vielfältigen Krankheit geheilt. Wer seine Braut verliert, wird davor bewahrt. Beide Umstände sind nützlich, aber das Zweite ist noch besser. Denn es ist besser, eine Verletzung zu vermeiden, als eine zu erleiden, die geheilt werden muß. Aber, wie der satirische Dichter (Juvenal) sagt: „Getrieben von feurigem und blindem Verlangen in euren Herzen, wünscht ihr euch die Ehe…“ Und wenn das Ersehnte erreicht ist, verliert man sich in zunehmender Ermüdung und endlosen Klagen, und bedauert eine Tat, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, so daß die Reue wertlos und vergeblich ist.

Schmerz: Ich habe meine Braut und damit alle Hoffnung auf Nachkommen verloren.

Vernunft: Verdopple deine Beschwerden nicht! Letzteres ist der zweite Teil dieses vorschnellen Verlangens der Sterblichen, und Juvenal sagt: „Du wünschst dir Ehe, Frau und Nachwuchs. Aber die Götter gewähren nicht immer angenehme Dinge, sondern Dinge, die gut für dich sind.“ Erinnere dich, wie in der Erzählung von Apuleius von Madaura das arme Mädchen, das den Dieben in die Hände gefallen war, den Esel, auf dem sie fliehen wollte, mit dem Zaumzeug in die gefährlichste der drei Richtungen einer Kreuzung drängte. Aber der Esel bestand darauf, den sichereren Weg zu nehmen, und wies das törichte Mädchen im Stillen zurecht, das versuchte, sich selbst zu vernichten. Und während sie kämpften, fielen die Diebe, denen sie ausgewichen zu sein glaubten, über sie her und zerrten die Jungfrau, die so auf ihren Untergang bedacht gewesen war, zurück in das Elend der Gefangenschaft. So ähnlich ist der Kampf zwischen göttlicher Vorsehung und menschlicher Torheit über die Führung dieses Lebens: Seine Vorsehung bezüglich der Zukunft führt dich dahin, wo alles angenehm und sicher ist, während deine Dummheit blindlings strebt und dein eigenes Elend begünstigt. So schaffst du dir Hindernisse, die durch Gehorsam und Glauben vermeidbar gewesen wären, bis dich unerwartetes Elend überwältigt.

Schmerz: Ich wurde aber vor Gericht besiegt und verlor meine Braut.

Vernunft: Du hattest es wohl verdient, gewonnen zu haben. Denn wenn zwei Männer um eine Frau streiten, ist derjenige der Verlierer, der sie bekommt. Wer hier siegt, wurde besiegt! Und der Besiegte ist der wahre Sieger und obendrein ein freier Mann.

Petrarcameister - Vom Verlust der Braut an einen anderen

Der Sachverhalt, den der Advokatensohn Petrarca hier zum Thema seiner Betrachtung genommen hat, wird vom Petrarca-Meister illustriert, ohne auf den Text größere Rücksicht zu nehmen. Petrarcas Äußerungen zum Thema Heirat sind von einer solch ausgesprochenen Ehefeindlichkeit, daß sie dem deutschen Humanisten und Künstler fremd geblieben sind. - Das Bild ist so zu erklären, daß der junge Mann, der vor dem selbstgefälligen Richter steht und sich mit einer Geste der Verlegenheit an den Kopf faßt, durch den richterlichen Spruch seine Braut verliert. Hinter ihm stehen seine und der Braut Eltern, rechts steht die Braut mit ihrem neuen Verlobten. Die Gestalten sind mit ihrer Kleidung als Angehörige verschiedener Stände charakterisiert: Der enttäuschte Bräutigam als stutzerhafter Handwerksgeselle, seine ihm zunächst stehenden Eltern als Meisterehepaar, der Brautvater als Magister oder Doktor, der neue Bräutigam mit langem pelzverbrämtem Rock doch wohl auch als Angehöriger des Gelehrtenstandes. Der Petrarca-Meister erklärt also die Ungleichheit des Standes der Verlobten als die Ursache des Urteils. Damit hat er den Sachverhalt für die deutschen Leser des Buches durchaus verständlich gemacht. Es hatten die Zünfte das Recht, gegen das Verlöbnis von Kindern der Zunftangehörigen Einspruch zu erheben, wenn das vermeintliche Ansehen der Zunft durch die beabsichtigte Ehe verletzt schien. Die indifferente Haltung der Braut paßt durchaus zu diesem Sinn der Darstellung, denn die Töchter hatten wenig zu sagen, wenn die Frage ihrer Vermählung zur Diskussion stand.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht ist die Beziehung zwischen Mann und Frau bzw. Geist und Natur ein weites Thema. Zum einen gibt es eine „Verbindung“ zwischen Geist und Natur, die beide im Spiel der Gegensätze aneinander bindet und damit auch begrenzt und einschränkt, sozusagen eine Verlobung oder weltliche Ehe mit egoistisch-begehrender Liebe. Zum anderen gibt es eine „Vereinigung“, welche die Gegensätze zwischen Geist und Natur überwindet und als Einheit in der Vielfalt auf dem Weg zur Freiheit bzw. Befreiung von jeglicher Bindung das große Ziel ist, also ein Herz und eine Seele in heiliger Ehe mit reiner Liebe, denn „was Gott vereint, soll der Mensch nicht scheiden“. Zu diesem Thema folgen nun noch weitere Texte und Bilder. Auf diesem Bild sieht man zunächst die Gegensätze von Männlich und Weiblich, wie sie in ihrer weltlichen Verbindung vor- und hintereinander stehen und sich gegenseitig anschauen. Dazwischen steht der Geist als junger „Stutzer“ oder stolzer Mann vor dem mächtigen Richter des weltlichen Verstandes, der das „begriffliche Urteil für die Trennung“ in der Hand hält, und versucht, sein natürliches Begehren nach der Natur einzufordern. Das grundsätzliche Problem ist hier wieder das stolze Ich-Bewußtsein, das diesen Zustand der Vereinigung oder Einheit nie erreichen kann, weil es ein trennendes Bewußtsein ist, das zwischen Mein und Dein, Subjekt und Objekt, Betrachter und Betrachtetes, Geist und Natur unterscheidet. Diese Gegensätze kann es nicht überwinden, ohne sich selbst zu überwinden. Deswegen ist es auch gut, daß ich nicht alles erlangen kann, was ich von der Natur begehre, sondern im wahrsten Sinn des Wortes „ent-täuscht“ werde, denn sonst gäbe es kein Erwachen. Und das meint wohl auch Petrarca, wenn er die weltliche Ehe als Bindung des Geistes nicht als einen Sieg oder Gewinn betrachtet, sondern wie eine Krankheit oder einen Verlust an Freiheit.

2.18. Vom Verlust der Ehefrau

Schmerz: Ach, ich habe leider meine Ehefrau verloren!

Vernunft: Was für ein absurder Geist, was für ein sinnloser Mann, der bei der Beerdigung seiner Frau weint und bei der Hochzeit tanzt!

Schmerz: Ich habe aber meine Frau verloren.

Vernunft: Sei kein Narr! Singe das Hochzeitslied, denn jetzt ist es Zeit für den Kranz und die Siegergirlande, nun laß uns Blumensträuße sehen! Du hast in einer großen Schlacht einen Sieg gewonnen und wurdest von einer langen Belagerung befreit.

Schmerz: Ich habe wirklich meine Frau verloren.

Vernunft: Du solltest „ich habe verloren“ im Sinne von einem Fiebertraum oder einer juckenden Hautkrankheit verwenden.

Schmerz: Aber ich habe meine Frau verloren.

Vernunft: Könnte es sein, daß dir kein anderer Tag so großen Gewinn gebracht hat? Wie vielen Ketten bist du entronnen? Aus welchem sinkenden Schiffswrack bist du davongeschwommen?!

Schmerz: Aber ich habe eine gute Frau verloren.

Vernunft: Das sagen alle Männer, auch die, die das Gegenteil wissen. Obwohl eine gute Ehefrau oder besser gesagt eine gute Frau allgemein auf dieser Erde etwas Seltenes und Außergewöhnliches ist, werde ich um des Friedens willen zugeben, daß du eine solch gute Frau hattest, über deren Verlust du klagst. Ich werde dir auch nicht so antworten, wie damals, als dieselbe Frage in Senecas Remedies diskutiert wurde, und ich sagte: „Wenn du eine zum Guten geführt hast, wirst du auch eine zweite gut machen, oder du kannst eine zweite finden, die so gut wie die erste war.“ Ich ändere meine Meinung, denn ich möchte nicht, daß du an einem so gefährlichen Weg festhältst, der töricht wäre, ihn zu wiederholen, auch wenn er einmal Gutes gebracht hatte. Denn es ist leichter, hundert schlechte Frauen zu finden, als eine gute. Wer deswegen einmal eine schlechte hatte, muß eine weitere schlechte befürchten, und wer eine gute hatte, darf nicht auf eine zweite wie sie hoffen. Beide müssen sich hüten, damit nicht der eine sein Unglück fördert und der andere sein Glück verdirbt. Daher ist es am besten, eine zweite Ehe zu vermeiden, egal was passiert. Wenn du also eine gute Frau verloren hast, wie du sagst, dann erfreue dich lieber an der Vergangenheit als auf die Zukunft zu setzen und dein Schiff wieder in den Sturm zu steuern, nur weil du jetzt heil an Land bist.

Schmerz: Ihr Tod hat das Band der Ehe, das uns verbunden hatte, durchtrennt.

Vernunft: Dann unterwirf dich keiner weiteren Bindung! Denke daran, wie wünschenswert und unvergleichlich gut deine Freiheit ist, und nimm den Rat von Cicero an. Er hatte eine (zweite) sehr lebhafte und junge Frau, von der er sich bald wieder scheiden ließ, weil keine Abhilfe durch ihren Tod zu erwarten war. Als seine Freunde ihm zu einer anderen Ehefrau rieten, antwortete er, daß er sich nicht gleichzeitig einer Frau und dem Streben nach Weisheit widmen könne.

Schmerz: Ich habe wirklich eine gute Frau verloren.

Vernunft: Was wäre, wenn das kein Verlust, sondern ein Gewinn ist und du einer großen Gefahr entkommen bist? Denn selbst, wenn du eine gute Frau gefunden hast, wo könntest du eine unvergängliche finden? Wir kennen doch den Spruch des größten Dichters (Virgil): „Immer ist die Frau ein wechselhaftes und veränderliches Wesen.“

Schmerz: Ich mußte mich von einer guten Frau trennen, obwohl wir noch nicht alt waren.

Vernunft: Ist das Wesen von Frauen nicht hinreichend bekannt? Wie viele keusche junge Mädchen sehen wir, wie sie sich in schamlose und gierige alte Frauen verwandeln? Sobald die Glut der Lust in den Knochen einer alten Frau ist, brennt sie so heftig wie ein Feuer im trockenen Holz. Nun besteht keine Gefahr einer solchen Veränderung im Leben mehr, und du hast diese zukünftige Last und das Übel ihres Alters vermieden. Denn das Joch der Ehe lastet schon schwer genug auf jungen Menschen, auf alten jedoch ist es erdrückend, grausam und unerträglich.

Schmerz: Ich mußte mich von meiner jungen Frau trennen.

Vernunft: Ob du nun Nachwuchs oder sinnliches Vergnügen begehrst, als Ehemann oder mehr als Lüstling, die Jugend ist für beide Zwecke am besten geeignet. Doch ganz gleich, ob du von deiner Frau gute Kinder oder wollüstiges Vergnügen suchst, dein Kummer zeigt, daß du wohl beides oder zumindest eines von beiden bis ins Alter erhoffst hast, was die Natur nicht geben kann. Ist das nicht ein sinnloser Wunsch und eine vergebliche Hoffnung?

Schmerz: Ich mußte mich von meiner süßen Frau trennen und bin nun einsam.

Vernunft: Eine beneidenswerte Einsamkeit, ohne störende Gesellschaft zu sein! Es gibt nichts Weicheres als ein leeres Bett, und nichts Härteres als ein von Körpern belegtes, besonders, wenn man gerne ruhig schläft oder wachbleibt, um sich mit wahrhaft Großem und Wertvollem zu beschäftigen. Denn nichts lenkt den Geist mehr von Großem ab, als der Umgang mit Frauen. Ich weiß, was jene sagen, die in ihrem eigenen Elend zu schwelgen pflegen, daß nur jene die Ehe verurteilen, die sie nicht kennen, ganz nach dem alten Sprichwort: „Wer keine Frau hat, verurteilt Frauen.“ Doch im Gegenteil höre ich niemanden über die Ehe klagen, außer denen, die unter der Last einer Ehe leiden.

Schmerz: Ich habe die beste Frau verloren.

Vernunft: Doch gerade diejenigen, die ihren Männern am besten und liebevollsten erscheinen, werden oft heftiger als alle anderen von Eifersucht und Argwohn entflammt, ein Feuer, das unbarmherzig den häuslichen Frieden verzehrt. Worüber beklagst du dich denn? Ja, du hast eine Frau verloren, aber dafür Freiheit, Keuschheit, Frieden, Schlaf und Ruhe gewonnen, und du kannst die Nächte friedlich ohne Kampf verbringen.

Schmerz: Ich habe aber nun keine Frau mehr.

Vernunft: Und auch keinen Gegensatz mehr. So fängst du an, Herr über dich selbst und deine Angelegenheiten zu sein. Du kannst vor Sonnenaufgang aufstehen, das Haus früh verlassen und spät zurückkehren. Du kannst den ganzen Tag verbringen, mit wem du willst, und mußt niemandem Rechenschaft ablegen.

Schmerz: Ach, ich habe meine Frau verloren.

Vernunft: Nun rufe Ruhe und Frieden in deine Kammer zurück, die du damals verloren und verachtet hattest! Sie sind bessere Gefährten als jede Frau.

Schmerz: Ach, ich habe eine so gute und schöne Frau verloren.

Vernunft: Nur ein Narr liebt die Ketten, die ihn binden, auch wenn sie aus purem Gold sind.

Petrarcameister - Vom Verlust der Ehefrau

In dem schön gebauten Bild zeigt der Petrarca-Meister eindrucksvoll die Verzweiflung des Mannes und den Schmerz der Kinder über den Tod der Frau und Mutter. Befremdlich ist aber wieder, daß die Frau ohne Sarg, nur mit Tüchern bedeckt auf einer Bahre liegend, zu Grabe getragen wird. Eine ähnliche Darstellung fand sich schon im 1. Buch Kapitel 76. Gegenüber dieser von sittlichem Ernst getragenen Darstellung nimmt Petrarca im Wortlaut der Übersetzung von 1532 beinahe den Ton von Wilhelm Busch aus dem 19. Jahrhundert voraus, um seine Ehefeindlichkeit auszudrücken: „Oh du Unsinniger, sing einen Hochzeitsgesang, es ist jetzt Zeit, wir haben dich gebunden, gekrönt und einen Kranz tragen gesehen, nun setz würdigere Kränze auf! Du hast in einem großen Streit gewonnen und bist von langer Belagerung befreit.“

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht argumentiert Petrarca in seinem Text vor allem gegen die Bindung des Geistes an die Natur und lobt den Weg zur Befreiung von dieser Bindung. Auf dem Bild könnte man zunächst die Trauer über den Tod der Natur sehen. Links im Vordergrund steht Vater Geist mit den flehenden und jammernden Kindern, die ihm Mutter Natur geboren hat und von denen wir hier vier sehen, zwei Mädchen und zwei Jungen. Auch er selbst faltet die Hände um eine Gebetskette, aber sein Gesicht ist geschickt verdeckt, so daß man eigentlich nicht sieht, ob es ein Dank- oder Klagegebet ist. Denn er ist nun in eine trostlose Stadt aus toten Mauern, Häusern und Burgen gefallen und macht die Erfahrung der Vergänglichkeit. Die natürliche Reaktion des Schmerzes ist dann eine große Trauer und Klage über den Verlust, wie man an den Kindern sieht. Dagegen kann die geistige Reaktion der Vernunft eine tiefgründige Erkenntnis über den großen Sinn der Vergänglichkeit sein, wie auch Petrarca beide Reaktionen von Schmerz und Vernunft im Text anklingen läßt. So könnte sich der Geist hier im Bild bewußt werden, wie dieser mystische Leichenzug der Körperlichkeit von ihm selbst ausgeht. Dann erkennt und durchschaut er auch die tiefe Bedeutung der verschiedenen natürlichen Prinzipien, die hier in sieben Paaren und drei einzelnen Gestalten mit verschiedenen symbolischen Ritualgegenständen als männlich und weiblich getrennt erscheinen und den toten Körper der Natur als „Materie“ tragen. Denn „Trennung ist Tod, Verbindung ist Leben, und Vereinigung ist Überleben“. Deshalb gehen sie ihren Weg zur „heiligen Kirche“, um diese Vielfalt der Natur wieder in der göttlichen Einheit des Heiligen Geistes zu vereinen. Nun, eine solche tiefgründige und ganzheitliche Erkenntnis mithilfe der Vernunft wäre sicherlich ein guter Grund für ein Dankgebet, denn sie befreit den Geist von seiner Bindung an die vergängliche Körperlichkeit. Und so zeigen sich auch rechts unten im Bild wieder die ersten kleinen Lebenszeichen einer erwachenden Natur in dieser sonst so trostlos wirkenden Menschenstadt.

2.19. Von unangenehmer Ehefrau

Schmerz: Ich leide unter einer belastenden Ehefrau.

Vernunft: Es wäre wohl besser gewesen, diese Last verloren zu haben! Aber du hast dich ja so sehr über diesen Verlust beklagt.

Schmerz: Ich leide unter einer ungestümen Frau.

Vernunft: Ein Mann, der zum ersten Mal einen Fehler macht, sollte vielleicht entschuldigt und bemitleidet werden. Aber beim zweiten Mal verdient er schon kein Mitleid mehr. Wer sich nach einer Frau nicht ausreichend bestraft fühlt, hat sicherlich weitere verdient!

Schmerz: Ich leide unter einer feindseligen Frau.

Vernunft: In anderen Angelegenheiten kannst du die Glücksgöttin Fortuna auf die eine oder andere Weise beschuldigen. Aber wenn es um eine Ehefrau geht, besonders um eine zweite, ist wohl niemand außer dir selbst schuld. Du allein hast dir dieses Übel zugezogen.

Schmerz: Ich leide unter einer unverschämten Frau.

Vernunft: Zünde etwas feuchtes Stroh an und zerbrich ein paar Dachziegel, und der Rest erledigt sich von selbst, denn dann hast du alles, was einen Mann aus dem Haus treibt: Beißender Rauch, ein undichtes Dach und eine unverschämte Frau.

Schmerz: Ich leide unter einer untreuen Frau.

Vernunft: Das ist nicht ungefährlich. Agamemnon wurde von seiner Frau getötet, wie auch Scipio Africanus, und ganz zu schweigen von Amphiaraus, Deiphobus, Samson und einer langen Liste anderer. Darüber hinaus gibt es natürlich unzählige, die von ihren Frauen weder zum Sterben gezwungen noch am Leben gelassen werden.

Schmerz: Du nennst mir wohlbekannte Verbrechen, aber ich brauche ein Heilmittel.

Vernunft: Es gibt Leute, die dir zur Bestrafung raten werden, und daß du dich ganz darauf verlassen sollst, um das bösartige Verhalten deiner Frau zu heilen. Was halte ich von Bestrafung? Wenn es wirklich hilft, sie zu bestrafen, mißbillige ich es nicht. Aber wenn dies nicht der Fall ist, bleibt nur die Geduld. Dann versuche, sie zu lieben, und tue damit bereitwillig, wozu du sonst gezwungen werden würdest. Varro schrieb eine Satire namens Menippeae über die Pflichten des Ehemanns, wo du die kurzen, aber effektiven Ratschläge dieses großen Gelehrten zu diesem Thema lesen kannst. Und dies sind seine Worte: „Die Fehler einer Frau müssen entweder entfernt oder hingenommen werden.“ Er verwendet „entfernen“ im Sinne von „korrigieren“ und begründet kurz, aber elegant seine Aussage: „Wenn ein Fehler dieser Art bei einer Frau nicht korrigiert werden kann, sollte er erduldet werden, sofern der Mann ihn ehrenhaft ertragen kann. Denn solche Fehler sind nicht so schwerwiegend wie Gewalt.“ Das meinte Varro, und nichts anderes.

Schmerz: Meine Frau ist unverschämt und launisch.

Vernunft: Ertrage ihre Eigenschaften, wenn sie sich nicht ändern lassen, und lerne in deinem Haus von Sokrates, wie man in der Welt besteht. Wenn er zwei Ehefrauen ertragen konnte und noch andere Frauen mehr, warum sollst du unter der Last von einer zusammenbrechen?

Schmerz: Ich habe wirklich eine lästige Frau.

Vernunft: Und wer kann schon eine lästige Frau vermeiden, außer jenem, der die Ehe konsequent vermieden hat? Kaiser Hadrian und sogar Augustus, dieser größte und gütigste Kaiser von allen, beide hatten strenge und lästige Frauen. Der erste hatte Sabina, und Augustus seine Scribonia, die beide schlechtgelaunt und gemein genug waren, um sich scheiden zu lassen. Und Cato Censorius, ein Mann von solch gezügeltem und unerschütterlichem Geist, mußte sich mit einer gewissen Paula auseinandersetzen, seiner gewalttätigen und stolzen Ehefrau, die erstaunlicherweise sogar aus einer einfachen Familie stammte. Deshalb sollte kein Mann hoffen, daß er den Schwierigkeiten der Ehe entkommen kann, indem er eine Bürgerliche oder sogar eine arme Frau heiratet oder auf andere Weise, außer dem Zölibat. Aber diejenigen, die nicht davor fliehen können, sollten erkennen, daß Geduld aufgebracht werden muß, und sollten sich nicht durch Klagen und Widerstreben selbst quälen, verzweifelt darauf bedacht, ein Joch abzuwerfen, das sie freiwillig angenommen haben.

Schmerz: Aber groß ist die Last einer lästigen und widerspenstigen Ehefrau!

Vernunft: Du trägst, was du ertragen sollst, denn man muß ertragen, was nicht abgelegt werden kann, egal wie schwer es ist.

Schmerz: Ach, meine Frau ist so ärgerlich!

Vernunft: Ein guter Weg des Lernens für lobenswerte Geduld, sich nach Ruhe und Frieden zu sehnen, das Haus gern zu verlassen und ungern dahin zurückzukehren, wo du deine laute Stimme und deine Rute gebrauchen mußt.

Petrarcameister - Von einer lästigen Ehefrau

Die Klage des Schmerzes „Ich leide unter einer lästigen Frau“ ist drastisch illustriert. Dabei kann der Petrarca-Meister als Menschenkenner bewundert werden, wenn er die „lästige“ Frau als eine große und schöngewachsene Frau darstellt, die mit lächelnder Miene ihrem Mann in die Haare fährt. Die Szene ist in die Stadt verlegt, und es scheinen Handwerkerehepaare zu sein, die hier im Kampf stehen. Aus Hans Sachs' Dichtungen ist hinreichend bekannt, daß es mit dem Ehefrieden der Handwerker nicht zum Besten stand, weil die Mehrzahl der Ehen mit Rücksicht auf Zunftgesetze, Erhaltung der Werkstatt und Erlangung des Meisterrechtes geschlossen werden mußten.

Soweit schreibt Walther Scheidig zum Bild. Aus geistiger Sicht sehen wir nun den leidvollen Streit zwischen Mann und Frau bzw. Geist und Natur im Spiel von Begierde, Haß und Unwissenheit, der wohl solange andauert, bis die Gegensätze zwischen beiden aufgelöst und ausgeglichen sind. Man erkennt hier gut, wie die Natur aus allen Richtungen angreift, sowohl aus den gemauerten Häusern von Innen als auch vom Baum her aus der äußerlichen Natur voll kräftigen Lebens. Einerseits schreiend mit offenem Haar, Knüppel schwingend und einen Krug werfend, und anderseits wohlverhüllt mit lächelndem Gesicht. In dem Knüppel könnten wir die treibende Begierde sehen, im Geschrei den ärgerlichen Haß und im leeren Gefäß die Unwissenheit oberflächlicher Begriffe, die uns an den Kopf geworfen werden. Der Geist reagiert unterschiedlich: Vor der innerlichen Bedrohung sucht er das Weite und flieht, während er symbolisch nach seinem „Hut“ greift, um die Achtsamkeit und Wahrhaftigkeit nicht zu verlieren. Den äußerlichen Angriff auf seine Haare bzw. Empfinden und Denken versucht er zu ertragen und ergreift selbst die Hände, die nach ihm greifen. Entsprechend trägt der eine die Gebetskette des geistigen Vermögens am Gürtel und der andere den Geldbeutel des weltlichen Vermögens. Und das Ganze geschieht auf dem steinigen Boden der materiellen Körperlichkeit.

Lieber Gott, gib mir die Gelassenheit,
das hinzunehmen, was ich nicht ändern kann,
den Mut, das zu ändern, was ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
(Gebet nach Reinhold Niebuhr)


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