Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

2.70. Von der Angst, im Krieg zu verlieren

Schmerz: Ich habe Angst, im Krieg zu verlieren.

Vernunft: Dann suche Frieden!

Schmerz: Ich habe aber große Angst zu verlieren.

Vernunft: Mäßige Besorgnis führt zu Vorsicht, übermäßige Angst zu Verzweiflung. Es gibt nichts Besseres im Krieg als das Erstere, aber nichts Schlimmeres in allen Situationen als das Letztere.

Schmerz: Ich zittere in großer Angst vor dem Kampf.

Vernunft: Was die Angst in einen Kampf anrichten kann und welche Niedergeschlagenheit solche Angst auslöst, erlebte Flaminius in Trasimene, Crassus in Carrhae und Pompeius in Thessalien. In all diesen und anderen Fällen bewahrheitete sich der poetische Satz: „Angst ist in der Ungewißheit der schlechteste Prophet.“

Schmerz: Ich fürchte vor allem den Beginn der Schlacht.

Vernunft: Dann warte, bis deine Zuversicht zurückkehrt. Es ist nicht ratsam, das zu tun, wovor dich dein Geist mit der Angst warnt. Der Geist besitzt eine gewisse Kraft der Vorahnung, die mit dem Verstand oft schwer zu verhindern ist. Es bedarf dazu keiner Menge von Beispielen, die sowohl aus der Antike als auch aus der Neuzeit verfügbar sind. Die drei besten, die ich bereits genannt habe, sollten ausreichen.

Schmerz: Ich habe Angst, den bevorstehenden Kampf zu verlieren.

Vernunft: Dann prüfe dein Anliegen genau, denn niemand kann das besser als du selbst. Finde heraus, ob es die Natur der Umstände, ein Mangel an Kräften oder auch die Feigheit ist, die dich dazu bringt, diese Vorahnung zu haben, die alles als schrecklich und schwierig betrachtet. Wenn dieses Angstgefühl deinen Ruhm oder dein Wohlergehen gefährdet, sollte es mit Hilfe der Tugend eingeschränkt werden. Dazu muß der Mut geweckt und erkannt werden, daß die Gefahren oft geringer sind, als sie deiner ängstlichen Erwartung erscheinen, und daß die falschen Bilder von schrecklichen Ereignissen, die vor deinen Augen schweben, einige so in die Irre geführt haben, daß sie sich dem Feind ergaben und den Sieg verschenkten, der eigentlich ihnen gehörte. Denn eingebildete Ängste sind nicht weniger lebhaft als echte und oft noch heftiger. Die irrige Befürchtung der Verängstigten läßt alles größer erscheinen, als es wirklich ist, und treibt sie überstürzt an. Aber der obige Dichter sagt auch: „Eile dient in allem schlecht!“ Wenn du deinen Geist mit solchen Gedanken nicht erheben kannst, und die Angst immer noch deinen Mut überwältigt, dann bleibe dem Schlachtfeld fern! Selten ist gut gemacht, was man mit Angst macht! Wenn dies deine Geisteshaltung ist, wenn du in die Schlacht ziehst, dann geht etwas mit dir, das dich bekämpfen wird, weil der größere Teil von dir gegen dich selbst rebelliert. Angst ist zu jeder Zeit ein schlechter Gast, aber im Krieg ist sie der schlimmste Begleiter, den dein Geist haben kann.

Petrarcameister - Von der Angst, im Krieg zu verlieren

Man kann nicht sagen, daß der Petrarca-Meister mit der schwierigen Aufgabe, die Furcht darzustellen, überzeugend fertig geworden wäre. Er stellt als Kriegsbild zwei Reiterscharen kampfbereit einander gegenüber. Die Furcht befällt den Führer der einen Schar: Ein großer Vogel fährt ihm ins Gesicht, so daß er zurückprallt und die Lanze fallenläßt. Dazu geht ein Unwetter mit Regen und Hagel über ihm und seiner Schar nieder. Ein Vogel, der in irgendeiner Art ein Sinnbild der Furcht wäre, ist uns nicht bekannt. Auch der Hagel scheint nicht treffend als ein Sinnbild von Furcht. In den Ausgaben des Buches von 1572 an ist der Vogel und auch der Hagelschlag aus dem Holzschnitt entfernt worden. Das Bild hat im ganzen dadurch gewonnen, der zurückprallende Ritter scheint nun von inneren Kräften gehemmt zu werden.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man im Zentrum des Bildes wieder das Ichbewußtsein in seiner Ritterrüstung und dem großen Federbusch am Helm sehen, wie es auf dem Tierwesen des Körpers in den Kampf reitet, um seine Ego-Blase zu erhalten. Wenn es sich selber auch unabhängig und getrennt von der Natur betrachtet, so ist es doch praktisch immer mit der Natur verbunden, die auf dieses Bewußtsein einwirkt und es angreift, in diesem Fall durch unheilvolle Omen, wie den Vogel, vermutlich ein Rabe, der als Bote von Tod und Unglück galt, und das Unwetter, das mit Blitzen und Hagel vom Himmel herabschlägt. So scheut sein Pferd als sein Körperbewußtsein, und das darauf sitzende Ichbewußtsein wird entsprechend von großer Angst ergriffen und überwältigt, so daß ihm sogar die Lanze als seine Angriffswaffe entgleitet, an der die Fahne befestigt war, unter der seine Kräfte gesammelt und gerichtet waren, die nun gefallen am Boden liegt. Dazu trägt das Pferd auf seiner Rüstung das mystische Zeichen „VV“, vermutlich ein Schutzsymbol („Virgo Virginum“ - „Jungfrau der Jungfrauen“), wie auch das Körperbewußtsein die Aufgabe hat, das Ichbewußtsein vor seiner stolzen Überheblichkeit zu schützen und entsprechend zu zügeln. Dagegen sieht man auf der rechten Seite eine andere, eng geschlossene Gruppe, die gemeinsam unter einer wehenden Fahne als geistige Einheit in den Kampf zieht, was an eine höhere Vernunft erinnert, die hier über die einzelnen Ego-Krieger herrscht, so daß ihnen Natur und Himmel günstig erscheinen. Schließlich könnte man noch über den hohlen Baumstamm nachdenken, der rechts im Vordergrund in einer grünenden Natur gezeichnet wurde. Vielleicht soll er uns an den Baum der Illusion erinnern, der innerlich hohl und saftlos ist, seine Wurzeln in der Erde hat, aber mit seiner Krone den Himmel nicht erreichen kann und zusammenbricht, wie der Turmbau zu Babel. Das wäre dann der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse sowie Mein und Dein oder Leben und Tod. Und daneben liegt ein abgebrochener Stein, der an unseren materiellen Körper erinnert, der sich ebenfalls vom Ganzen abgetrennt hat, und dieses egoistisch-körperliche Bewußtsein der Trennung ist sicherlich eine Hauptursache für unsere tiefverwurzelte Angst.

2.71. Von einem närrischen und unbeherrschten Mitkämpfer

Schmerz: Ich habe einen närrischen und unbeherrschten Mitkämpfer.

Vernunft: Ich muß gestehen, daß du damit einen Grund zur Sorge hast. Aber auf der anderen Seite hast du auch Grund zur Hoffnung, weil dies zwar einigen den Untergang, aber anderen auch Ruhm gebracht hat. Die Unbesonnenheit von Terentius Varro führte zum Tod von Aemilius Paulus, doch die Unbesonnenheit von Lucius Furius und Minucius brachte Furius Camillus und Q. Fabius Maximus einzigartigen Ruhm ein. Diese Geschichten sind ja bekannt.

Schmerz: Ich habe einen hastigen und unbeherrschten Mitkämpfer.

Vernunft: Dann mußt du standhaft und beherrscht sein. Die Tugend strahlt am hellsten, wenn sie mit ihrem Gegenteil verglichen wird. Warum beherrschst du ihn nicht, anstatt dich in rasende Eile treiben zu lassen?

Schmerz: Mein Mitkämpfer ist überheblich stolz und unverschämt.

Vernunft: Hast du vergessen, daß sich fünf Amtskollegen Camillus bereitwillig unterwarfen, als er Tribun der Soldaten mit konsularischer Vollmacht war? Leuchtende Tugend verleiht ihren Besitzern gebieterische Würde, und denen, die sie bewundern, Ehrfurcht und Scham. Es gibt keinen besseren Weg, die Unverschämtheit deines Mitkämpfers einzudämmen, als mit Hingabe und Tugend. Auf diese Weise beschämst du ihn, sich als Ebenbürtigen dir gegenüber zu bezeichnen, so wie sich Minucius geschämt hat. Und er könnte sich dir freiwillig unterwerfen, was ehrenwerter ist, als mit der Gewalt von Gesetzen in eine untergeordnete Position degradiert zu werden, oder daß jeder erkennt, daß er dir nur dem Namen nach gleich ist, und die Erfolge mehr dir zu verdanken sind, als ihm.

Schmerz: Ich habe mich auf einem törichten und boshaften Mitkämpfer eingelassen.

Vernunft: Manche Dinge werden am besten durch ihre Gegensätze erkannt. Lehrer von trägen Schülern sind es gewohnt, ein zweideutiges Thema vorzuschlagen, das den Verstand des Schülers überfordert und es ihm erleichtert, auf die eigentliche Wahrheit zu kommen. Dazu fällt mir die bemerkenswerte Aussage eines einfachen Mannes ein. Es geschah vor nicht allzu langer Zeit, als die Stadt Florenz ihre Verfassung änderte - was sie insgesamt zu oft und zu leichtfertig tut - und die Zügel der Regierung in die Hände des einfachen Volkes fielen. Einer der Stolzen, die diese Zügel bisher in der Hand hatten, bedauerte deren Verlust, blickte verächtlich auf den bescheidenen Handwerker herab, der sein armer Nachbar war, und sagte: „Du hast keine Bildung, noch warst du jemals außerhalb dieser Stadt. Du hast dein Leben unter deinesgleichen mit armseligem Handwerk ernährt. Wie willst du jemals diese riesige und edle Stadt regieren?“ Aber der Handwerker blieb unbeirrt und sprach: „Was für eine große Aufgabe soll das sein? Jeder weiß, wie (verwerflich) ihr gehandelt habt. Wenn wir also in allem das Gegenteil tun, können wir unmöglich etwas falsch machen.“ Welche Worte, die dem Genie eines gelehrten Mannes würdig sind! Jetzt mußt auch du nur das Beispiel deines Mitkämpfers betrachten und ganz anders werden als er.

Petrarcameister - Von einem närrischen und unbeherrschten Mitkämpfer

Es ist eigentlich nicht einzusehen, weshalb der Petrarca-Meister, ob nach den Angaben Sebastian Brants oder nicht, die Klage über einen unbedachten Mitamtmann in das Soldatenleben überträgt. Zwei Hauptleute stehen auf einer Anhöhe und sehen zu, wie eine befestigte Siedlung handstreichartig überfallen wird. Der Überfall scheint zu gelingen, die Angreifer dringen über Leitern durch Fenster und Luken in die Häuser ein. Mitgeführte große Schutzdächer decken sie gegen die Wurfgeschosse. Was nun da unbedacht gewesen ist, läßt sich nicht erkennen. Deshalb mußten wohl auch die Eselsohren herhalten, die der rechts stehende Hauptmann reich mit Federbüschen verziert statt des Barettes auf dem Haupt trägt. - Es ist zu bedauern, daß Sebastian Brant dem Petrarca-Meister nicht die kleine Geschichte zu illustrieren gegeben hat, die Petrarca am Ende des Textes erzählt.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man hier den begrifflichen Verstand sehen, der das wachsende Ego mit Federbusch und Eselsohren vor dem Kampf zurückhält, den sie aus der Ferne beobachten, während links im Hintergrund andere Kämpfer mit ihren Waffen in den Kampf ziehen oder auch ähnlich zögern. Diesbezüglich baut das Bild sicherlich auf das vorhergehende auf, und es geht neben der Angst vor dem Kampf um die Frage, in wie weit die Stimme des Verstandes für das närrische Ego ratsam ist, das einerseits von unbeherrschter Habgier getrieben wird und anderseits unter schrecklicher Angst vor Verlust und Tod leidet. Dazu sieht man rechts im Bild wieder eine eng geschlossene Gruppe unter einem Schutzdach, was vermutlich an die Vernunft erinnern soll, während daneben die Einzelkämpfer öfters fallen. Entsprechend könnte man über den Sinn dieses Kampfes nachdenken, wenn es darum geht, die Mauern zu überwinden und einzureißen, die in unserer Welt erbaut wurden, natürlich vor allem die eigenen, in die sich das ängstliche Ichbewußtsein eingemauert hat. Das erinnert uns an die denkwürdigen Tage als 1989 die Berliner Mauer überwunden und eingerissen wurde. Doch die Ego-Mauern sind noch viel mächtiger und stärker, und sind auch nach diesem Mauerfall, auf den so große Hoffnungen gesetzt wurden, nur noch härter und unnachgiebiger geworden. Wäre das nicht ein edlerer Kampf? Aber unser Verstand sagt: Nein! So können wir links im Bild wieder den Baum der Erkenntnis sehen, wie er zwar noch grünt und wächst, aber bereits ein großes Geschwür am Stamm hat.

2.72. Von einem unvorsichtigen und unbeherrschten Feldherrn

Schmerz: Ich habe auch einen unvorsichtigen und unbeherrschten Feldherrn.

Vernunft: Ich bestreite nicht, daß das noch gefährlicher ist. Frage nur die Legionen, die an der Trebia, am Trasimenischen See, in Cannae und an vielen anderen Orten begraben liegen! Wenn du nach einem Heilmittel suchst, dann halte dich von zweifelhafter Kriegsführung fern. Aber wenn das nicht möglich ist, dann mußt du deine Mission tapfer und fleißig ausführen, damit deine Tugend trotz der Fehler deines Feldherrn erstrahlt, so daß du vom Untergang eines anderen nicht überwältigt wirst und vielleicht sogar, wenn es einen Weg gibt, mit deinen eigenen Schultern das Vaterland vor dem Untergang bewahrst.

Was ich verlange, ist schwierig, aber nicht unmöglich und nicht unerhört. Denn wie die Unfähigkeit eines Feldherrn der Fluch vieler Soldaten sein kann, so kann auch der Mut eines Mannes die ganze Armee und ihren Feldherrn retten. Doch damit ich nicht länger rede, als es das Thema erfordert, solltest du selbst die Geschichten nachlesen, während ich mich darauf beschränke, mich an die Namen und Anlässe zu erinnern: Publius Decius im Samnitenkrieg, Calpurnius Flamma im ersten Punischen Krieg oder der jüngere Africanus im dritten Punischen Krieg, sie alle waren Offiziere und Retter von Feldherren und Heeren.

Deine Tugend und dein Glück können so groß sein, daß sogar die Schande eines anderen zu deinem eigenen Ruhm führt. Das ist zwar eine zweifelhafte Angelegenheit, aber unter besonderen Umständen wirklich möglich. Denn ganz gleich, wie das Schicksal andere herumwirbelt, wenn du mir (der Vernunft) folgen willst, wirst du nicht aufhören, dich von der Tugend leiten zu lassen, weder im Frieden noch im Krieg, weder im Leben noch im Sterben.

Petrarcameister - Von einem unvorsichtigen und unbeherrschten Feldherrn

Erst in dieser Betrachtung spricht Petrarca von Unbesonnenheit in der Kriegsführung, wie sie der Petrarca-Meister im vorangegangenen Bild darzustellen versucht hat. Diesmal gelingt es besser, Frevel und Torheit anschaulich zu machen. Ein Zug schwerer Reiter ist mit seinem Hauptmann unterwegs. Er ist auf einen unbewaffneten feindlichen Boten gestoßen, der an langer Stange einen Fehdebrief nach Kriegsbrauch mit sich führt. Ihn läßt der Hauptmann gegen Kriegsrecht und gegen Vernunft am Baum aufknüpfen. Solche Vorgänge waren von dem Fehdeunwesen her in der Zeit des Petrarca-Meisters wohlbekannt, und die Illustration wird seinen Lesern sogleich verständlich gewesen sein.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man nun sehen, wie das Ichbewußtsein als trennendes Bewußtsein zum Feldherrn oder Hauptmann geworden ist und sich alle seine geistigen Kräfte unter die Fahne des Eigenwillens untergeordnet haben. Dazu reitet das in schwere Rüstung gehüllte Ego mit dem Federbusch am Helm auf seinem Tierwesen, das nun ein Sonnensymbol trägt, denn die göttliche oder ganzheitliche Sonne des Himmels ist zu einer körperlichen Sonne des eigenen Körperbewußtseins geworden. Damit hat sich dieses Bewußtsein auch von der äußeren Natur abgetrennt, die ihm nun feindlich im Hintergrund als eine Armee im Wald entgegensteht und ihren Boten mit dem Fehdebrief bzw. der Kriegserklärung schickt. Doch anstatt aufzuwachen und die Wurzel für diese Feindseligkeit zu erkennen, rät der begriffliche Verstand dazu, lieber den Boten zu töten, also die Wirkung anstatt der Ursache, was schon immer eine große Dummheit war und schreckliche Folgen hatte, weil diese Art von Verstand viel zu kurzsichtig oder „unvorsichtig“ denkt. Entsprechend wird auch der Bote im Bild am Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aufgehängt, auf den der Verstand zeigt und den er an einem Ast ergreift. Doch man sieht bereits, wie der Stamm dieses Baumes im Inneren hohl ist und sicherlich nicht mehr lange halten wird.

2.73. Von einer unglücklichen Schlacht

Schmerz: Aber ich wurde im Kampf besiegt.

Vernunft: Damit ist die Angst vorbei, und du beginnst wieder zu hoffen. Dies ist die natürliche Abfolge solcher Gefühle. Sowohl Hoffnung als auch Angst blicken in die Zukunft. Was du in der Zukunft befürchtet hast, ist jetzt vorbei, und was du erhoffst, steht dir nun bevor.

Schmerz: Ich wurde in einem großen Kampf besiegt.

Vernunft: Wichtig ist, daß dein Mut nicht besiegt wurde, denn wenn der einmal fällt, ist alles verloren. Du solltest dich daran erinnern, wie Marcellus, als er im Kampf besiegt wurde, am nächsten Tag an die Front zurückkehrte und seinen Eroberer in einem zweiten Kampf besiegte und einen weitaus größeren Sieg errang als sein Feind zuvor. Auch Julius Cäsar, der bei Dyrrhachium besiegt wurde, gewann kurz darauf die große Schlacht bei Pharsalus. So haben viele, die eine Schlacht verloren haben, dennoch den Krieg gewonnen. Der Mut tapferer Männer wird nicht durch die Pannen eines einzigen Tages erschüttert, denn die Tapferkeit solcher Männer ist nicht nur groß, sondern auch beständig. Und heute besiegt, kämpfst du morgen vorsichtiger! Unglückliche Schlachten lehren die Kunst des Kampfes wie strenge und würdige Schulmeister, die dich mit der Rute ermahnen, wenn du dich geirrt hast. So belehrt eine schlechte Ernte den Bauern, der Einsturz von Häusern den Baumeister, häufige Stürze vom Pferd den Reiter und wilde Stürme den Seefahrer, denn aus Fehlern lernt man.

Schmerz: Ich bin aber besiegt worden.

Vernunft: Niemand ist besiegt, es sei denn, er glaubt, daß er besiegt ist, und hat seine Hoffnungen entwurzelt und zerstört und die Waffen des Geistes niedergelegt. Schau dir den Geist der Römer an, die immer unerschrocken waren, aber besonders während des zweiten Punischen Krieges. So wurde Rom weder durch den Abfall seiner Verbündeten besiegt, noch durch die Verschwörung von Königen und Nationen, durch so viele verlorene Schlachten oder durch völligen Untergang. Von Feigheit war nie die Rede und von Verzweiflung keine Spur, sondern nichts als mutige und unerschütterliche Entschlossenheit. Das nennt man „die Schwere des Schicksals durch die Kraft des Mutes erleichtern“, so daß die Schicksalsgöttin gezwungen wird, sich selbst zu schämen und dich zu lieben. Damit standen die Römer immer wieder auf, wie sie es verdient hatten, und stiegen, nachdem sie tausendmal niedergeschlagen wurden, zu solchen Höhen auf, daß ihr Mut und ihr gewonnenes Schicksal ihnen nicht nur viele Feinde unterwarfen, die sich bedrohlich gezeigt hatten, sondern zur rechten Zeit die ganze weite Welt.

Schmerz: Ich gebe zu, daß ich in die Flucht geschlagen wurde.

Vernunft: Endlich beginnst du die Schicksalsgöttin Fortuna zu erkennen, und du hast sie wenigstens durch deine Flucht wahrgenommen. Niemand lernt Großartiges, ohne den Preis dafür zu bezahlen! So haben viele durch Erfahrung gelernt, was sie in der Schule nicht lernen konnten. Der für seine Lehrer taube Kopf lernt nun mit den Augen, was er mit den Ohren nicht hören wollte. Es gibt keinen wirksameren Lehrer für menschliche Angelegenheiten als die Widrigkeiten des Lebens, und niemanden, der besser darin wäre, Irrtümer aufzudecken.

Schmerz: Ich wurde vom Schicksal bis ins Mark verwundet.

Vernunft: Dann steh auf und bleibe nicht liegen! Die Größe des Geistes erscheint nie deutlicher als inmitten der Wunden, die das Schicksal schlägt. Jetzt mußt du „dich selbst erkennen“. Nachdem du schwer getroffen wurdest, mußt du die große Macht erkennen, die du selbst noch hast.

Schmerz: Ich habe den erhofften Sieg verloren!

Vernunft: Wenn du damit eine unverhoffte Weisheit gewonnen hast, dann sollte diese Veränderung nicht als nachteilig betrachtet werden.

Schmerz: Ich wurde aber im Krieg besiegt.

Vernunft: Wer im Krieg besiegt wird, hat immer noch seine Freiheit und sein Leben. Aber wer von seinen Lastern besiegt wird, verliert beides. So ist nur derjenige wirklich besiegt, welcher der Sünde erliegt.

Schmerz: Ich bin besiegt worden.

Vernunft: Vielleicht sollten wir auch zu dir den Spruch sagen, den Pompeius nach seiner Niederlag in Thessalien hörte: „Der Sieg wäre schlimmer gewesen!“ Der Besiegte erleidet zwar mehr Schaden als der Sieger, aber seine Schuld wird geringer. Dies ist ein großer Segen, der für einige so wünschenswert ist, daß sie sich nicht nur dafür entscheiden, besiegt zu werden, sondern auch dafür zu sterben. Und in der Tat ist es ein guter Handel, den Tod des Körpers gegen die Errettung der Seele einzutauschen. Dennoch freuen sich viele über ihre Übel und beklagen, was ihnen nützt: Solche Blindheit beherrscht den Verstand der Menschen!

Schmerz: Ich bin besiegt worden.

Vernunft: Das könnte dir auch rein zufällig und nicht wegen schlechter Kriegsführung geschehen sein. Denn nirgendwo handelt die Schicksalsgöttin „zufälliger“ als in der Schlacht, und es heißt, sie hat überall viel Macht, aber vor allem in einer Schlacht.

Schmerz: Ich kehre aus dem Kampf besiegt zurück.

Vernunft: Das heißt aber nicht, daß du jetzt mittelos bist. Waffen können den Besiegten abgenommen werden, aber sie behalten die wahren Güter, welche die Waffen des Geistes sind. Diese bringst du aus Feuer und Schiffbruch sowie auch aus einer verlorenen Schlacht wieder mit. Nicht nur die Macht, die im Geist verborgen ist und keine Waffe zerstören kann, sondern auch das, was im Kampf am verletzlichsten und dem Schwert ausgesetzt erscheint, nämlich die Kriegerehre eines Mannes, die nicht jeder verliert, der in einem Krieg besiegt wird. Auch wenn er auf der Flucht vom Schlachtfeld seine Rüstung verliert oder schlimmstenfalls sogar verendet, kann er trotzdem den Namen eines großen Helden bewahren. So berichten die griechischen Geschichten, wie Leonidas bei Thermopylae nicht besiegt, aber erschöpft vom Siegen getötet wurde und inmitten der vielen Feinde lag, die er tötete, was Virgil auch von Deiphobus besingt. Und laut Lucan „blieb die unglückliche Armee in guter Ordnung“ auf dem Schlachtfeld von Emathia. Es wird auch gesagt, daß man im letzten Kampf gegen Hannibal in Afrika „weder die Armee besser aufstellen noch tapferer kämpfen konnte“, darüber sich die Sieger und Besiegten gegenseitig Zeugnis gaben, die sicherlich am besten zu einem Urteil fähig waren. Was verliert also jemand, der weder den wahren Ruhm seiner Macht verliert noch das Gewissen seiner guten Taten?

Petrarcameister - Von einer unglücklichen Schlacht

Für Petrarca ist dieses Thema Anlaß, mit vielen Beispielen seinen Leser römische Geschichte zu lehren. Dagegen bleibt der Petrarca-Meister mit seinem Bild in seiner Zeit. Er zeichnet den wilden Kampf zwischen zwei Scharen von schweren Reitern. Lanzen und Schwerter sind allein ihre Waffen. Der Ausgang des Kampfes ist deutlich: Die auf der rechten Seite kämpfende Schar ist unterlegen und flüchtet, den König mit der Krone auf dem Helm in ihrer Mitte. - Der Künstler löst die Schlacht in Einzelkämpfe auf, er beobachtet und stellt den Kampf Mann gegen Mann dar. Dadurch gewinnt die gesamte Darstellung an Lebendigkeit und Anschaulichkeit, verliert aber an Klarheit. Gegenüber den zahlreichen Kampfbildern, die wenige Jahre vorher in Augsburg für den „Weißkunig“ Kaiser Maximilians geschnitten worden waren, ist der Holzschnitt des Petrarca-Meisters weit realistischer. Er ist vor allem von dem Schematismus der gleichgerichteten Speerwälder abgegangen, der die Holzschnitte im „Weißkunig“ zwar als Kompositionen sehr klar erscheinen läßt, die Kampfhandlungen selbst aber lahm.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man das Ego aus dem letzten Bild wiedererkennen, wie es in schwerer Rüstung mit dem Federbusch am Helm auf dem stolzen Roß zusammen mit seinen Kräften einen Sieg in der Schlacht erringt und den feindlichen König in die Flucht schlägt, dessen Fahne und Kräfte mehr oder weniger tot am Boden liegen. Interessanterweise geht es aber in diesem Kapitel um eine „unglückliche Schlacht“, wie man es auch nach der Tötung des Boten und allen Vorzeichen der vorherigen Bilder erwartet hätte. Damit werden wir zur Frage geführt, wer eigentlich der bärtige König mit dem seltsamen Helm ist, der nun auf dem Pferd mit dem Sonnensymbol flieht, auf dem im letzten Bild noch das Ego saß? Hat vielleicht das Ego die Mächte der Natur besiegt und gleichzeitig die Vernunft, die eigentlich der König des Tierwesens bzw. Körperbewußtseins sein sollte? Nun, aus dieser Perspektive wäre es wirklich die „unglücklichste Schlacht“, die das Ego in dieser Welt gewinnen könnte. Denn wenn das trennende Ichbewußtsein siegt, dann geht das ganzheitliche Gottesbewußtsein unter, oder anders gesagt, wenn der Verstand gewinnt, dann flieht die Vernunft. Und ohne ganzheitliche Vernunft bleibt die Natur feindlich und schroff, wie der Felsen im Hintergrund, und der Mensch wird sich selbst und seiner Natur zum Feind, wie die folgenden Kapitel noch zeigen werden.

2.74. Vom inneren Bürgerkrieg

Schmerz: Wir werden vom Bürgerkrieg heimgesucht.

Vernunft: Dieser Begriff deutet auf die Bürger hin, und du bist einer von ihnen. Daher sei achtsam, daß du nicht zum Mittäter und Mitschuldigen an diesem Übel wirst! Denn so entsteht Bürgerkrieg: Einer heizt den anderen an, bis ein öffentlicher Aufstand entbrannt ist, und dieser öffentliche Aufstand hetzt und provoziert wiederum andere Bürger. Keine öffentliche Störung beginnt von selbst, aber wenn sie um sich greift, infiziert sie die gesamte Gemeinschaft und kann sogar die Regierung stürzen. Sucht man jedoch nach den Wurzeln einer solchen Umwälzung, dann findet man oft Fehler, die von Einzelnen begangen wurden. Deshalb bitte ich dich, nicht zu denen zu gehören, welche die Flammen des Bürgerkriegs durch Taten oder Worte anfachen. Viele schüren dieses Feuer, das sie bald bereuen, und beklagen sich darüber, wie über Wunden, die ihnen andere zugefügt haben. So sind viele in ihrem eigenen Feuer umgekommen. Doch wenn du dich nicht schuldig fühlst, so etwas zu tun, dann wirst du zwar als guter Bürger dieses Leid des Bürgerkrieges erfahren, aber durch deine Unschuld getröstet werden. Denn kein menschliches Leiden ist schlimmer als die Schuld, und große Denker meinen sogar, daß es gar kein anderes Übel gibt.

Schmerz: Wir werden vom Bürgerkrieg geplagt.

Vernunft: Dann sei inmitten der wütenden Bürger ein Verfechter des Friedens! Auch wenn dies vergeblich erscheint und du ganz allein bist, dann handle dennoch für Freiheit und Gerechtigkeit. Das mag für dein Heimatland nutzlos sein, aber für dich ist es sicherlich verdienstvoll. Eine Stadt bietet dir Beispiele für beides: Menenius Agrippa und den jüngeren Porcius Cato.

Schmerz: Die Bürger sind in einen unerbittlichen Krieg verwickelt.

Vernunft: Wenn du selbst machtlos bist, dann nimm die Hilfe anderer in Anspruch. Überzeuge, plädiere, widerspreche, kritisiere, beschwöre und verdeutliche so gut wie möglich, daß dies den Untergang der Gemeinschaft und damit den Untergang jedes einzelnen Bürgers bedeutet, den zwar niemand will, der aber allen widerfährt. Kurz gesagt, versuche, ihre Meinung zu beeinflussen, und appelliere an die Wahrhaftigkeit und auch an ihre Ängste. Und wenn du bei den Menschen keinen Erfolg hast, dann bete zu Gott, daß die Bürger zur Vernunft kommen. Bitte um die Rettung deiner Heimat und erfülle in jeder Hinsicht die Pflichten eines guten Bürgers.

Schmerz: Die ganze Gemeinde wurde durch einen Bürgerkrieg an den Rand der Zerstörung gebracht.

Vernunft: Damit dir in Bürgerkriegen oder auch äußerlichen Kriegen nichts Unerwartetes widerfährt und du von den Ereignissen überwältigt wirst, weil du nicht vorbereitet bist, sei dir immer bewußt, daß nicht nur Menschen sterblich sind, sondern alles in der Welt des Menschen sterblich ist, außer seiner Seele. Wie Menschen haben auch Städte und große Imperien ihre Krankheiten, von denen einige von außen befallen wurden und andere von innen aus ihrem eigenen Körper, darunter Aufstände, Feindschaften, Zwietracht und Bürgerkriege. Alles hat seine festgelegte Grenze, die nicht überschritten werden kann. Deshalb findet alles Sichtbare sein Ende, und wenn es auch verzögert werden kann, so wird es doch kommen. Wo stehen die großen Städte? Wo einst wilde Wälder wuchsen, und vielleicht werden sie bald wieder dort wachsen. Es ist geistlos zu erwarten, daß eine Stadt erreichen könnte, was selbst Rom als Königin der Städte verwehrt blieb. Nur das ist der Unterschied zwischen den Schicksalen der Menschen und der Städte: Wegen der großen Zahl und Menge der Menschen und der Kürze ihres Lebens steht uns ihre Sterblichkeit ständig vor Augen. Dagegen wird der Untergang der Städte wegen ihrer geringen Zahl und ihres viel längeren Lebens nur einmal in vielen Jahrhunderten mit großem Erstaunen beobachtet. Diese Überlegungen sollten dich auf alle möglichen Unfälle vorbereiten, sei es öffentlich oder privat. Darüber hinaus sollten sie dir auch den Weg von Armut, Exil und Sterben erleichtern und diese erträglicher, wenn nicht sogar nützlich machen. Sie sollen dich lehren, daß dies kein besonderes Übel deiner Heimatstadt ist, sondern allen gemeinsam geschieht.

Petrarcameister - Vom inneren Bürgerkrieg

Die Klage des Schmerzes „Wir werden mit dem bürgerlichen und inneren Krieg beschwert“, geht von den Verhältnissen in den italienischen Städten zur Zeit Petrarcas aus. Sie waren Sebastian Brant und dem Petrarca-Meister fremd, denn bis zum Krieg zwischen den Bürgern einer Stadt ist es in Deutschland vor 1520 kaum gekommen. Die Handwerkeraufstände des 14. und 15. Jahrhunderts in Deutschland gegen das patrizische Stadtregiment hatten, so bedeutsam sie waren, doch nie den Charakter eines Bürgerkrieges, wie etwa die Kämpfe in Florenz im 14. und 15. Jahrhundert. Ob der Petrarca-Meister sie aber absichtlich besonders farblos und uninteressiert geschildert hat, um die Obrigkeit seiner Stadt Augsburg nicht zu erzürnen, die eben - 1517 - an einem Aufstand der Weber nahe vorbeigegangen war, steht dahin. - Über die Mauern einer Stadt hinweg ist der Blick auf weite Plätze geöffnet. Dort schlagen Landsknechte und Bürger mit Schwertern und Spießen aufeinander ein, entsetzte Frauen mit Kindern sind zwischen den Kämpfenden. Parteien sind nicht angedeutet. Auffällig ist die Halle mit den drei Bogenöffnungen nahe der Bildmitte, in der sich geängstigte Frauen zusammendrängen. Vielleicht darf man sie als eine Art „Loggia de' Lanzi“ erklären, die nach einer Beschreibung vom Künstler gezeichnet wurde, um den dargestellten Bürgerkrieg nach Florenz zu lokalisieren.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht sehen wir nun als Fortsetzung der vorhergehenden Bilder, wie die Feindschaft zwischen Geist und Natur bzw. Männlich und Weiblich auch in die Körperstadt eindringt, trotz der festen Mauern, die sich das Ego als Stadtherr ringsherum errichtet hat. Das geschieht natürlich, wenn das trennende Ichbewußtsein mit dem begrifflichen Verstand anstatt der ganzheitlichen Vernunft im Körper regiert. Dann wird es immer Feindschaft und Zwietracht geben, und die inneren Kräfte bzw. „Bürger“ können niemals lange im Frieden zusammenleben. Die Halle mit den drei Bogenöffnungen im Zentrum, in der Geist und Natur gemeinsam wie in einem Tempel Zuflucht suchen, soll uns vermutlich an die Lösung des Problems erinnern, an die Heilige Dreieinigkeit, die mit dem Heiligen Geist bzw. göttlichen Bewußtsein die geistigen und natürlichen Gegensätze vereinen und lösen kann, was im nächsten Bild weiter erklärt wird.

2.75. Von innerlicher Feindschaft

Schmerz: Ich leide unter innerlicher Feindschaft des Geistes.

Vernunft: Kein Krieg ist schlimmer als dieser, auch kein Bürgerkrieg, denn er findet zwischen Bürgern statt, während sich hier der Mensch gegen sich selbst aufhetzt. Bürgerkrieg wird zwischen Fraktionen auf den Straßen ausgetragen, aber diese Art von Krieg findet zwischen den Teilen des Geistes im Geist selbst statt. Es gibt wohl schlimmere Konflikte als Bürgerkriege, wenn nicht nur Bürger, sondern auch Verwandte gegeneinander kämpfen, wie es bei Cäsar und Pompeius geschah, von denen gesagt wird: „Hier standen sich Brüder und dort Eltern gegenüber.“ Aber noch gerechtfertigter ist der Begriff „Krieg“, wenn es nicht um Vater gegen Sohn oder Bruder gegen Bruder geht, sondern um einen Menschen gegen sich selbst in einem Streit, in dem der Geist weder Frieden noch Sicherheit findet.

Schmerz: Mein Geist ist mit sich selbst nicht einverstanden und wird von widersprüchlichen Stimmungen geplagt.

Vernunft: Beende diese Widersprüche und beginne, dich auf das Eine zu konzentrieren. Dann kann es unerschütterlichen Seelenfrieden geben und deine widersprüchlichen Stimmungen, die wie rebellische Bürger sind, werden zu ein und derselben Ansicht (bzw. „Einsicht“) gelangen. Wie gegensätzliche und kranke Säfte ein Fieber im Körper verursachen, so verursachen gegensätzliche Stimmungen ein Fieber im Geist, das viel gefährlicher ist, weil der Geist über dem Körper steht und das ewige Verderben unendlich schrecklicher als der zeitliche Tod ist. Der Weg, diese beiden Fieber zu heilen, besteht darin, durch angemessene Mäßigung wieder ein gewisses Gleichgewicht zu finden.

Schmerz: Mein Geist ist im Streit und kann sich deshalb nicht entscheiden.

Vernunft: Jetzt verwechselst du das Übel und die Ursache des Übels. Dein Geist befindet sich im Streit, weil er sich nicht „ent-scheidet“. Sobald er sich entscheidet, wird der Streit sofort beendet. Ich hoffe aber, dein Verstand entscheidet sich, Gutes zu wollen, denn wenn er das Böse will, wird er immer mehr streiten, weil die Laster gegeneinander kämpfen, während zwischen den Tugenden (der Weisheit) immer eine vollkommene Harmonie herrscht.

Schmerz: Mein Geist ist in widersprüchliche Teile zerrissen.

Vernunft: Die Philosophen teilen den Geist (der Seele) in drei Teile, von denen sie den ersten ganz oben, wie in einer Zitadelle plazieren, also im Kopf. Dies ist der Herrscher des menschlichen Lebens, himmlisch, heiter und immer nahe bei Gott, wo der Wille ruhig und ehrlich wohnt. Der zweite Teil befindet sich in der Brust, wo Zorn und Bosheit kochen. Und der dritte darunter, der Wollust und Begierde beherbergt. Dort sind die Stürme auf dem innerlichen Meer gegensätzlich, und du kannst selbst erkennen, was dagegen zu tun ist. Benimm dich wie Menenius, den ich bereits erwähnte. Er überredete die Plebejer, zurückzukehren und sich von den Patriziern regieren zu lassen, eine Bitte, die durch guten Rat die Einheit einer zweigeteilten Stadt wiederherstellte. Auch du mußt durch Rat oder Zwang die widersprüchlichen niederen Teile in deinem Körper überreden, dem Höheren zu gehorchen. Auf keine andere Weise kannst du auf Seelenfrieden hoffen. Sonst kann das menschliche Leben nicht anders sein, als für immer ungewiß und ziellos, unruhig und unbeständig und damit völlig blind und elend. So verlassen viele dieses Leben, bevor sie wissen, was sie eigentlich tun sollten.

(Cicero Tusculanae 1.20: Xenokrates leugnete, daß die Seele eine Gestalt und Körperlichkeit habe, er nannte sie eine Zahl; denn die Kraft der Zahl hatte er, wie schon zuvor Pythagoras, in der ganzen Natur als höchst bedeutend erkannt. Sein Lehrer Platon dachte sich eine dreifache Seele: ihrem ersten Teil, d.h. der Vernunft, wies er den Sitz im Haupte, wie in einer Burg an; die beiden anderen Teile, Affekt und Begierde betrachtete er als unterworfen, trennte den Sitz beider und ließ den Affekt in der Brust, die Begierde unter dem Zwerchfell wohnen.)

Schmerz: Ja, ich schwanke in meinen Gedanken und weiß nicht, was ich will.

Vernunft: Ich sagte bereits, daß dies vielen geschieht, nicht nur zeitweise, sondern ihr ganzes Leben lang, bis zu ihrem Ende. Doch von allen Übeln, über die du zu mir gesprochen hast oder noch sprechen wirst, ist dies zweifellos das Schlimmste.

Schmerz: Ich schwanke und werde von widersprüchlichen Gedanken geplagt.

Vernunft: Das Schwanken ist eines der wichtigsten Symptome eines geplagten Geistes. So wie sich der kranke Körper auf dem Bett hin und her wälzt, so schwankt der kranke Geist in seinem Urteil, ein Zustand, für den es keine einfache Heilung gibt. Ich habe diesbezüglich mehr Hoffnung für jemanden, der hartnäckig an seinen Lastern festhält, weil er wahrscheinlich ebenso entschlossen in seiner Tugendübung sein wird, wenn er bekehrt würde. Aber ein schwankender Geselle, der nie etwas fertigbringt, wird es bald leid, etwas Sinnvolles zu tun, hält nicht durch und bleibt unverbessert. Ein solcher Mensch läßt uns Senecas rätselhafte Bemerkung verstehen, daß „wir unser ganzes Leben damit verbringen, etwas anderes tun“. Denn von denen, die mal das eine, mal das andere und nie das Entscheidende tun, kann man tatsächlich sagen, daß sie immer etwas Belangloses tun, obwohl diese Worte auf unterschiedliche Weise interpretiert werden können. (Seneca Epistulae 1: Doch der schimpflichste Verlust ist der, der aus Nachlässigkeit erwächst; und betrachten wir's genauer, so verfließt den Menschen der größte Teil der Zeit, indem sie Übles tun, ein großer, indem sie nichts tun, und das ganze Leben, indem sie andere Dinge tun als sie sollten.)

Schmerz: Ich bin hin- und hergerissen zwischen allerlei Sorgen.

Vernunft: Wie von Sturm und Wellen getrieben, scheint das Schiff deines Lebens ohne weise Führung eines Kapitäns dem Untergang nahe. Versuche einen sicheren Hafen anzusteuern, solange du noch das Ruder halten kannst, und gehe dort friedlich vor Anker, bevor dich der Sturm deines Geistes überwältigt!

Schmerz: Ich schwanke und bin mir des Zieles nicht sicher.

Vernunft: In den unzähligen und immensen Gefahren des Geistes erscheint auch dein Gesichtsausdruck vielfältig und schwankend, genau wie der Geist, der dein Gesicht formt, wie Cicero sagt. Solange du dich in einem solchen Zustand befindest, bald fröhlich, bald traurig, bald ängstlich, bald furchtlos, bald schnell, bald langsam, machst du mit deiner schwankenden Launenhaftigkeit ein Schauspiel aus dir, wie man von Lucius Catilina berichtet. Aber wenn du anfängst, dich zu beruhigen und auf eine Sache nach der anderen zu konzentrieren und nur dieses Eine zu wollen, dann sollte es besser etwas Gutes (und Beständiges) sein, denn das Kennzeichen des Lasters ist immer Wankelmütigkeit. Ich behaupte, auf diesem Weg wirst du nicht nur das Beste von allem finden, sondern auch einen beständigen und gelassenen Gesichtsausdruck, den weder hoffnungsvolle Erwartung noch Angst, Trauer oder Freude jemals ändern können. Dies ist eine bewundernswerte Eigenschaft, die nur wenigen Menschen zuteil wurde, und welche die alten Griechen in Sokrates und deine Vorfahren in Laelius und in jüngerer Zeit in ihren Fürsten Marcus Aurelius Antoninus und Aurelius Alexander verehrten.

Petrarcameister - Von innerlicher Feindschaft

Das Bild des Petrarca-Meisters steht in engem Zusammenhang mit der Darstellung im ersten Band zu Kapitel 121, wo die Hoffnung auf Frieden des Gemütes das Thema war. Dort sproß eine Lilie aus der Brust des Menschen hervor, die aber sogleich vom bösen Geschmeiß umgeben war. Hier ist das Gemüt als ein Baum dargestellt, der der Brust des Menschen entwächst. Der zwiespältige Charakter wird durch drei Zweige gezeigt, von denen einer ein Haupt, der zweite einen strahlenden Homunculus, der dritte ein Herz trägt. Diese Sinnbilder einer Dreigliederung des Gemütslebens sind dem Text des Petrarca entnommen und durch Sebastian Brant dem Künstler übermittelt worden. Petrarca erklärt, daß die Weisen das Gemüt aus drei Quellen herleiteten: Aus dem Haupt, von woher das Leben regiert werde; aus dem Herzen, wo Zorn, Ungestüm und Wüten sich entzündeten; und aus der Region unterhalb des Herzens, wo unreine Begierden wohnten. Das wäre also die uralte Teilung in Gedankenleben, Empfindungsleben und Triebleben. Die vom Petrarca-Meister gezeichneten Symbole stimmen mit diesen Angaben überein, doch ist die Glorifizierung des „Homunculus“, der für das Triebleben steht, recht auffällig. Die Radikalkur, wie sie der Petrarca-Meister den Mann mit dem zerrissenen Gemüt ausführen läßt, ist bei Petrarca nicht vorgesehen. Seine „Vernunft“ rät zur Konzentration auf ein Ziel, zu stoischer Überwindung von Empfindungs- und Triebleben, um Frieden des Gemütes zu erlangen. Der Hinweis auf die Kirche als Friedensbringer unterbleibt bei Petrarca.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir hier den ewigen Baum des Lebens der dreifachen Seele nach der Beschreibung von Platon sehen, wie die nackte Seele vom reinen Licht der Vernunft beherrscht wird, die als ein reines Bewußtsein zusammen mit dem „Gesicht“ auf die reine Liebe schaut und damit die Gegensätze von Zorn und Begierde oder Haß und Liebe durchdringen und harmonisch vereinen kann. Die Frage ist nun: Wer ist dieser seltsame Mann bzw. Geist der sich von dieser reinen Seele als Baum des ewigen Lebens abtrennt? Hier könnten wir an den begrifflichen Verstand denken, der eng mit dem Ichbewußtsein verbunden ist und mit der vielbenutzten Säge der Unterscheidung, die zwischen den Gegensätzen hin- und hergezogen wird, den Motor von Begierde, Haß und Unwissenheit antreibt, der diese irdische Welt bewegt. Das ist auch die „Nervensäge“ oder „Gedankenmühle“, die uns nicht zur Ruhe kommenläßt, denn der begriffliche Verstand ist nicht fähig, die natürlichen Gegensätze in einer Harmonie zu vereinen und zu lösen. Was vermutlich auch das unterschiedliche Schuhwerk andeutet, auf denen der „Verstand steht“, der im Text sagt: „Ich bin hin- und hergerissen zwischen allerlei Sorgen.“ Dazu steht vermutlich links im Bild der dazugehörige Baum der Erkenntnis der Gegensätze und dahinter das Körperhaus in der Natur, wie auch die steinerne Balustrade, über die sich der körperliche Mantel des Geistes erstreckt, so daß der Geist bzw. das Bewußtsein in dieser Welt entsprechend beschränk und eingeschlossen wird und damit seine ursprüngliche Allmacht verliert.

2.76. Vom zweifelhaften Stand

Schmerz: Ich bin in einem zweifelhaften Zustand.

Vernunft: Woran zweifelst du? Ob Sterbliche sterben müssen? Ob Vergängliches verschmäht und kein Vertrauen in vergänglichen Wohlstand gesetzt werden soll? Ob der Lauf der Dinge unvermeidlich ist, aber ertragen werden kann? Oder ob das Schicksal, das sich niemals beugt, gebrochen werden kann? All diese Dinge sind zweifellos sicher.

Schmerz: Ich bin voller Zweifel und weiß nicht, was aus mir werden soll.

Vernunft: Du kannst zweifeln, wo, wann und wie du sterben wirst, aber du mußt sterben. Doch wer bis zum Ende zum Guten gelebt hat, kann nicht im Bösen sterben. Wer sein ganzes Leben lang den Pflichten eines guten Menschen nachgekommen ist, wird nie zu früh sterben. Denn es gibt keinen Zweifel daran, daß dies nicht genug sei. Wer die ganze Welt zu seiner Heimat gemacht hat, wird nirgendwo anders als zu Hause sterben. Und wer sich nach dem wahren Vaterland sehnt, wird nirgendwo anders als in der Verbannung sterben. Es sei denn, du willst unwissend sein.

Woher kommt diese Unwissenheit? Vielleicht von der Glücksgöttin Fortuna? Wird sie dir treu sein, die selten jemandem treu ist? Wird sie nicht lieber ihren Gewohnheiten folgen, wie das sturmgepeitschte Meer, bald mit vorgetäuschter Ruhe täuschend, bald mit bergigen Wellen drohend, bald mit Schiffbruch erschreckend? Wenn du wirklich Erfahrung mit solchen Dingen hättest, würdet du daran nicht zweifeln. Egal, wie rätselhaft die Ereignisse auch sein mögen, die Tugend (der Weisheit) gibt dir die Gewißheit inmitten von Ungewißheit und hilft, alle Zweifel zu überwinden. Sobald du dich ganz der Tugend hingegeben hast, wird alles erkennbar (bzw. durchschaubar) und nichts mehr zweifelhaft sein.

Schmerz: Ich bin aber voller Zweifel.

Vernunft: Nur Gott hat keine Zweifel. Das sollte dich beruhigen. Glaube im Vertrauen auf Ihn und sprich: „Mein Schicksal ist in deinen Händen!“ Sprich es mit frommer Hingabe und lege Unsicherheit, Zweifel und Angst beiseite. Er weiß, was mit dir zu tun ist, denn Er zweifelt an nichts. Mit einem winzigen, aber sehr verläßlichen Boot segelst du durch den riesigen Ozean, denn Er ist dein treuer und dein liebevollster Lotse, der dich zur Erlösung führt. Was macht es aus, daß der Reisende den Kurs nicht kennt, solange er dem Führer des Schiffes bekannt ist?

Petrarcameister - Von zweifelhaftem Stand

Mit dem Thema ist der Zweifel am Sinn des Lebens gemeint, dem Petrarca diesmal mit dem Hinweis auf den Glauben begegnet: „Herr, in Deinen Händen stehen alle meine Sachen.“ Brant hat sich als Angabe für den Petrarca-Meister diese Philosophie Petrarcas zu eigen gemacht. In der Zeichnung erscheint die Hand Gottes, die strahlend das Unwetter durchbricht, segnend über den betenden Händen des zweifelnden Menschen. Der Mensch ist umgeben von den Widersprüchen des irdischen Daseins, die ihn zu seinem Zweifeln gebracht haben: Sturm und Unwetter wechselnd mit Sonnenschein über friedlich-heiterer Landschaft. Dazu sind vier Sinnbilder dargestellt, die an die vier Dinge erinnern, welche Salomo in seinen Sprüchen unbegreiflich genannt hatte: „Drei Dinge sind mir wunderbar, und das vierte verstehe ich nicht, des Adlers Weg am Himmel, der Schlange Weg auf Erden, des Schiffes Weg mitten auf dem Meer und den Weg des Mannes in der Jugend. (Spr. 30.18)“ Der Petrarca-Meister hat die Symbole soweit wie möglich sinnvoll in seine Darstellung von gutem und schlechtem Wetter eingebaut. Die Schlange liegt in der Sonne auf dem Felsen, der Adler fliegt gegen den Sturm an. Den Weg des Schiffes und des Kindes aber hat der Künstler in einer reizvollen Darstellung vereint: Im Unwetter treibt das Kind im Boot dahin und freut sich, wie lustig sein Windrädchen spielt, unbekümmert um Regen, Sturm und Wellen. Die Symbole stammen nicht von Petrarca, sondern von Sebastian Brant. Er hatte sie schon in dem Kapitel „Von bösen Weibern“ in seinem „Narrenschiff“ angeführt und hatte dort zu den vier Unbegreiflichkeiten Salomonis noch als fünfte die Wege einer ehebrecherischen Frau hinzugefügt.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht geht es nun um die Frage nach dem Zweifel am begrifflichen Verstand, ein Zweifel bzw. „Zwei-Fall“, den unsere moderne Wissenschaft nicht gern hat, der aber offenbar ein Wesen des Verstandes ist. So sieht man nun im Bild den verständigen Menschen auf der festen Erde stehen, inmitten der Natur und vom Meer des Lebens bzw. Meer der Ursachen umgeben. Und zwischen all den Gegensätzen der vier Elemente, Sonne und Mond, Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, greift er nach der göttlichen Hand im Himmel mit dem Licht eines höheren Bewußtseins, um etwas Beständiges und Verläßliches zu finden. Und das nicht nur auf der „Schönwetterseite“, sondern auch im Unwetter kann sich das Bewußtsein ins göttliche Licht erheben, denn wahre Sicherheit kann man nur im Ganzen jenseits der Gegensätze finden. Aus dem Ganzen kann nichts herausfallen, am Ganzen kann nichts falsch sein, und nur am Ganzen kann man nicht zweifeln. Doch diese große Frage, was die Welt als Ganzes im Innersten zusammenhält, ist auch heute immer noch ungeklärt, und je tiefer der Mensch hier eindringt, um so weniger kann der begriffliche Verstand noch folgen, wie zum Beispiel die Entwicklung der Quantenphysik im Kleinen und die Relativitätstheorie im Großen deutlich zeigt. Warum ist die Luft gasförmig, das Wasser flüssig und der Felsen fest? Warum fliegt der Adler, schwimmt das Schiff und kriecht die Schlange? Und warum wächst ein Mensch und fragt und forscht, wie ein Kind in einem kleinen Boot auf dem Meer des Lebens?

2.77. Von zugefügten Wunden

Schmerz: Mich plagen schwerste Wunden.

Vernunft: Ach, wie leicht würden sie dir erscheinen, könntest du die Wunden deiner Seele sehen! Aber dein so empfindlicher Körper hat eine fast gefühllose Seele. Dein Körper ist nicht bereit, irgendetwas zu leiden, aber deine Seele muß alles erleiden, und was noch rätselhafter ist, daß dir dieses seelische Leiden nicht bewußt wird.

Schmerz: Ich leide unter den Wunden, die mir zugefügt wurden.

Vernunft: Die Klinge des Feindes durchbohrt deine Rüstung, aber nicht deine Seele, die von keinem Schwert verwundet werden kann, es sei denn, sie verletzt sich selbst mit ihren eigenen Waffen. Dazu gibt es auch eine Argumentation eines großen Mannes (Johannes Chrysostomus) in einem kleinen, aber weisen Buch, daß niemand verletzt werden kann, es sei denn, er verletzt sich selbst („Nisi a semet ipso neminem ledi posse“). Ein Ausspruch, den ich für wahr halte, obwohl er nach Meinung vieler Menschen völlig unannehmbar ist.

Schmerz: Ich wurde von vielen schwersten Wunden verletzt.

Vernunft: Keine Wunde kann schwerer sein als eine tödliche Wunde, und die kann einem lebendigen Körper nur einmal zugefügt werden. Aber wenn es nur eine schwerste Wunde gibt, dann müssen alle anderen weniger schwer sein. Cäsar wurde dreiundzwanzig Mal erstochen, aber nur eine Wunde war tödlich. Wenn alle dreiundzwanzig Wunden tödlich gewesen wären, hätte er dann mehrmals sterben müssen? Egal wie zahlreich und wie tief, alle diese Wunden hatten nur eine Wirkung. Und weitere unmenschliche Verletzungen eines toten Körpers tragen nicht zum Leiden des Verwundeten bei, sondern zur Grausamkeit des Verwundenden.

Schmerz: Ich bin durch Wunden verkrüppelt.

Vernunft: Ich hoffe, daß auch der Stolz mit seinen Schwestern verkrüppelt ist, und daß die Demut deine Wunden begleitet! Denn mit gutem Grund steht geschrieben: „Du hast den Stolzen gedemütigt wie einen Verwundeten. (Psalm 89.11 nach Vulgata)“ Dann ist es eine nützliche und kostbare Wunde, die als Heilmittel für viele andere und schwerwiegendere Wunden dient.

Schmerz: Ich wurde durch Wunden verunstaltet.

Vernunft: Hast du den jungen Mann vergessen, den ich in unseren Gesprächen schon zweimal erwähnt habe? Es ist wohl nun zu spät für dich, freiwillig das zu tun, was du beklagst, daß es dir von anderen angetan wurde. (Es heißt: Als der adlige Jüngling und Römer Spurina bemerkte, daß der Liebesgott sich seiner schönen Gestalt bei den Frauen bedienen wollte, hat er sogleich sein Angesicht zerkratzt und häßlich verdorben, damit er und andere damit nicht an Tugend verderben.)

Schmerz: Eine Wunde entstellt mein Gesicht.

Vernunft: Denke nicht an die Wirkung der Wunde, sondern denke über die Ursache der Wunde nach! Eine Narbe, die ein aufrichtiger Mann in einem gerechten Kampf erlitten hat, ziert auf wunderbare Weise sein Gesicht. Denn eine für Gerechtigkeit erlittene Wunde ist schön, und noch viel schöner ist ein solcher Tod.

Schmerz: Ich hinke wegen der Wunde, die ich mir zugezogen habe.

Vernunft: Du erinnerst dich vielleicht an die Antwort von Horatius Codes. An dem Tag, an dem er allein das ganze Heer des toskanischen Königs an der Brücke von Sublicia mit unglaublich wunderbarem Mut und Zähigkeit aufhielt, wurde der Brückenbogen hinter ihm von den Händen seiner eigenen Kameraden zerstört und niedergerissen. Nachdem ihm jeder Rückzug vom Feind abgeschnitten und er von allen Seiten mit Tausenden von Speeren überschüttet worden war, sprang er in voller Rüstung von oben in den Tiber und schaffte es, ans andere Ufer zu schwimmen. Obwohl er ansonsten unverletzt war, hatte er sich beim Sprung eine Beinwunde zugezogen, die ihn hinken ließ. Als er später für ein Amt kandidierte und auf seine Behinderung hingewiesen wurde, entkräftete er seinen Kritiker mit der Antwort: „Ich bin überhaupt nicht lahm. Doch die unsterblichen Götter haben angeordnet, daß ich mit jedem Schritt, den ich mache, an meine glorreiche Heldentat erinnert werden soll!“ Ein Ausspruch, der genauso brillant war, wie seine Tat!

Schmerz: Ich wurde verwundet und habe eine Hand verloren.

Vernunft: Wenn es deine linke Hand war, ist der Verlust weniger schwerwiegend. Aber wenn es deine rechte war, solltest du dasselbe Mittel anwenden, das Marcus Sergius verwendet hat. Er war ein tapferer Mann, der sich, nachdem er im Punischen Krieg seine Schwerthand verloren hatte, eine eiserne Hand anfertigen ließ, mit der er in vielen blutigen Schlachten kämpfte. Und wenn das für dich nicht funktioniert, dann übertrage die Fähigkeiten der rechten Hand auf deine linke. Denke auch daran, wie Acilius, einer von Cäsars Soldaten in der Seeschlacht von Massilia, seine rechte Hand verlor, mit der er das Heck eines feindlichen Schiffes hielt. Doch dann hielt er es mit der linken fest, bis es in den Wellen versank.

Schmerz: Mir wurden beide Hände vom Schwert abgeschlagen.

Vernunft: Je größer der Ansturm des Schicksals, desto schwieriger die Aufgabe der Tugend! Aber alle Hiebe der Schicksalsgöttin können durch Tugend pariert werden, und so gerüstet kannst du auch ohne Hände tapfer bleiben. Denke an Kynaigeiros von Athen, der nach der Schlacht von Marathon in einer unsterblichen Leistung die Feinde von Miltiades festhielt, die in ihren Schiffen fliehen wollten. Als seine rechte Hand, die eines der Schiffe am Abfahren hinderte, abgeschlagen wurde, benutzte er schnell seine linke, und als auch diese Hand abgeschlagen war, hielt er sich wie ein wildes Tier mit den Zähnen am Schiff fest, weil er nicht anders konnte. Du solltest auch jenen Soldaten in Cannae nicht vergessen, der durch seine Wunden seine Hände nicht mehr gebrauchen konnte, und dafür seine Zähne anstelle seiner Hände gegen einen seiner Bezwinger einsetzte, der ihn berauben wollte, und nicht nachließ, bis er dem Mann Ohren und Nase abgebissen und sein Gesicht verstümmelt hatte. So gerächt, starb er und verging mit einem Lächeln. (Valerius Maximus, Buch III 2.11)

Aber das sind grausame Beispiele. Es gibt süßere Heilmittel, die für sanftere Gemüter geeignet sind. So solltest du deinen Körper wie jedes andere zerbrechliche und vergängliche Ding betrachten, das dich schnell verläßt. Bist du dann verwundet, sei nicht niedergeschlagen und unangemessen besorgt! Wenn du den Dienst deiner Körperglieder verloren hast, dann ziehe dich in das Innerste deines Geistes zurück, wo du etwas Großartiges und Mächtiges finden wirst, mit dem du sprechen und handeln kannst, ohne Zunge und Hände zu benötigen.

Schmerz: Ich wurde durch Wunden verunstaltet.

Vernunft: Ich habe dir bereits gesagt, daß die Wunden, die einen gerechten Grund haben, einen tapferen Mann dafür ehren und adeln, daß er etwas Bedeutendes und Schwieriges im Kampf um die Gerechtigkeit unternommen hat. Sein Gesicht sollte nicht angesehen werden, als wäre es von häßlichen Wunden verunstaltet, sondern vielmehr mit glorreichen Zeichen geschmückt, die weniger Narben und Wunden sind, als vielmehr Abzeichen des Verdienstes auf der Stirn von dem, der sie verdient hat.

Cassius Scaeva, ein Centurio in Caesars Armee, war ein Mann von außergewöhnlichem Mut, auch wenn er nicht besonders gerecht war. Doch zerrissen und verstümmelt von tausenden Wunden, wurde er sogar von den feindlichen Soldaten verehrt, die in ihrer Bewunderung seine Wunden küßten und in den Tempeln ihrer Götter Teile seiner Rüstung und Pfeile verehrten, die sie aus der Leiche schnitten, als wenn sie etwas Heiliges wären. Daraus kannst du schließen, was von den kostbaren Wunden eines wirklich tapferen und gerechten Mannes zu halten ist.

Schmerz: Viele Wunden machen mich schwach und häßlich.

Vernunft: Ach du Unglücklicher! Kümmere dich doch um jene Wunden, die dich für immer plagen werden, wenn sie jetzt nicht geheilt werden! Die Erde wird sich um die anderen kümmern, wenn sie dich zudeckt, dich verzehrt und deinen vernarbten Körper erneuern und wieder heil machen wird.

Schmerz: Ich bin an diesem und jenem Körperteil von Wunden verletzt, die mir zugefügt wurden.

Vernunft: Du kämpfst um Teile, während du das Ganze mißachtest!

Petrarcameister - Von zugefügten Wunden

Zur Klage des Schmerzes über empfangene Wunden, besonders über die beiden abgehauenen Hände, hat der Petrarca-Meister eine Darstellung gefügt, mit der er deutlich macht, daß ein Zweikampf mit dem blanken Schwert keine Entscheidung über „Glück“ und „Unglück“ bringen kann. Im Hof eines Renaissancepalastes sitzt der Sieger mit abgelegten Waffen auf einem Stein vor dem gegnerischen König, der tödlich durchbohrt ist. Der Sieger ist unwahrscheinlich schwer verwundet, viele klaffende Schwertstreiche hat er empfangen, und beide Hände sind ihm abgehauen. Mag es auch unlogisch erscheinen, daß er die Hände noch eingebüßt hat, nachdem er den Gegner mit dem Schwert durchbohrt hatte, so ist doch drastisch gesagt, daß der überlebende „Sieger“ kaum glücklicher als der Tote zu preisen ist, wenn er nun verkrüppelt und hilflos sein Leben weiter fristen muß.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir nun das Ichbewußtsein in seinem Körperpalast sehen, wie es in einem Kampf seine beiden Hände verloren hat. Mit ihnen hat der Verstand im letzten Bild noch zu Gott gebetet. Nun sitzt er am ganzen Körper verwundet auf einem großen Stein, hinter ihm sein Schutzschild und neben ihm sein Schutzhelm mit dem Federschmuck sowie die zerbrochene Schwertscheide und die abschlagenden Hände. Doch welchen feindlichen König hat das Ego in seinem Körperpalast getötet, der nun mit bärtigem Gesicht und Krone vom Ego-Schwert durchbohrt neben seinem eigenen Schwert am Boden liegt? Darin könnten wir wieder die höhere Vernunft als ein ganzheitliches Bewußtsein sehen, das mit dem Schwert der „Entscheidung“ eigentlich König sein sollte, aber nun vom Schwert der „Unterscheidung“ getötet wurde und auf den steinigen Boden der materiellen Welt gesunken ist. Damit verliert auch der Handelnde im Körperhaus seine nützlichen Hände, nicht nur, um zu Gott zu beten, sondern auch im Weinberg Gottes an der Ganzheitlichkeit zu arbeiten. Das sind die eigentlichen inneren Wunden, die sich der Geist bzw. das wirkende Bewußtsein selbst zufügt, und unter denen der Mensch mehr und länger zu leiden hat, als unter allen äußerlichen Wunden des Körpers, wie auch Petrarca im Text erklärt. Dann könnte der Stein auch ein großer Baumstumpf sein und an den Baum des ewigen Lebens erinnern, auf dessen toter Wurzel nun das Ichbewußtsein sitzt und seinen Schmerz beklagt. Was für ein Drama innerhalb der Palastmauern, die bereits Risse zeigen!

2.78. Von einem König ohne Sohn

Schmerz: Ich habe ein Königreich, aber keinen Sohn.

Vernunft: Belastet dich dein Reich nicht genug mit Sorgen und Nöten? Möchtest du die große Verantwortung der Erziehung eines Sohnes noch hinzufügen? Aber Menschen erfreuen sich offenbar an Lasten und lieben es, einer Last zu erliegen. Denn keine öffentliche Pflicht ist schwerer als das Königtum, und keine private Last schwerer als ein Sohn, und doch ist keine so wertvoll.

Schmerz: Wem soll ich mein Königreich hinterlassen, wenn ich keinen Sohn habe?

Vernunft: Dann lasse den Bürgern ihre Freiheit! Du kannst ihnen nichts Willkommeneres und für dich Würdigeres tun. Es gab Menschen, die darüber zu Lebzeiten nachdachten, obwohl es ihnen an einem Nachfolger nicht mangelte, wie Hieron von Syrakus und Augustus Cäsar. Es ist doch besser, vielen Gutes zu tun, als zu überlegen, wie man einem einzigen schaden könnte. Denn was ist besser und lieblicher, als in Freiheit zu leben? Und was ist schlimmer und gefährlicher, als ein König zu sein?

Schmerz: Ich habe keinen Sohn, den ich zum Erben meines Reiches machen könnte.

Vernunft: Damit hast du nicht das nötige Vermögen, um deine Tyrannei fortzusetzen. Denn was sind Königreiche anders als alte Tyranneien? Der Lauf der Zeit macht nicht gut, was von Natur aus bösartig ist. Und man muß hinzufügen, daß diejenigen, die ein Königreich erben, nur allzuoft die Wege ihrer Vorfahren verlassen. Beispiele dafür sind der Tyrann Hieronymus von Sizilien und der Numidier Jugurtha, die beide die Freundschaft des römischen Volkes, die deine Großväter so vertrauensvoll und treu gepflegt hatten, verletzten und zugrunde gingen: Der eine wegen seines Ehrgeizes, und der andere wegen seiner verräterischen Doppelzüngigkeit. Wenn du also keinen Nachfolger für deine Herrschaft hast, wirst du auch keinen Zerstörer für das haben, was du aufgebaut hast, sondern ein Volk, das deinen Namen lieben und verehren wird und dich jahrhundertelang als denjenigen in Erinnerung behält, dem es seine Freiheit verdankt. Glaube mir, die Schicksalsgöttin Fortuna hat dich viel besser behandelt, indem sie dir einen Sohn weggenommen oder verwehrt hat, als damals, als sie dir dein Königreich gab.

Schmerz: Ich bin ein König ohne Sohn.

Vernunft: Dann solltest du um so gerechter und großzügiger regieren. Die Liebe zum eigenen Sohn lenkt oft von der Liebe zur Tugend ab. Du hast sicherlich gelesen, daß auf der großen Insel Taprobane (heute Sri Lanka), die weit hinter Indien im östlichen Ozean liegt, diagonal gegenüber Großbritannien, der König durch die Zustimmung des Volkes gewählt wird. Sie wählen die besten ihrer Männer aus. Familie und Vermögen zählen nichts. Nur Tugend führt zur Erwählung, und Gefälligkeiten beeinflussen niemals das Ergebnis. In der Tat eine gesegnete und nützliche Art zu wählen, die ich auch für deine Könige wünschte, damit schlechte nicht von schlechteren abgelöst würden, und schlimmere von allerschlimmsten. Denn so wird die ganze Welt durch Bosheit und Stolz verdorben, welche von königlichen Vätern an ihre Söhne weitergegeben werden. Dort, in Taprobane, kann ein Mann, der durch die einstimmige Billigung aller gewählt wird, noch so gut und vollendet sein, aber er kann kein König werden, es sei denn, er ist ein alter Mann ohne Sohn, damit der Eifer der Jugend oder die Liebe zu seinem Sohn ihn nicht verändert und daran hindert, das Richtige zu tun. Er kann also das Königtum nicht übernehmen, wenn er einen Sohn hat, und wenn ihm ein Sohn geboren wird, nachdem er König geworden ist, wird er sofort seines Amtes enthoben. Denn selbst die weisesten Männer sind der Meinung, daß es unmöglich ist, daß ein Mann gleichzeitig für das Volk und einen Sohn sorgt.

Petrarcameister - Von einem König ohne Sohn

Aus dieser Klage und aus dem Trost spricht wieder der humanistische Erzieher Petrarca, der Beispiele aus der Geschichte der Alten Welt in seiner Gegenwart wirksam machen möchte. Von diesen Beispielen hat dann Sebastian Brant oder der Petrarca-Meister eines für das Bild gewählt, das den Menschen seiner Zeit das Ideal der Wahl eines Kaisers oder Königs zeigen sollte. Petrarca sagt: „Hast du gelesen, wie in der sehr großen Insel Taprobane, weit über Indien im Meer gegen Aufgang der Sonne ...“ Dies nun illustriert der Petrarca-Meister zu einer Zeit, wo seit dem Augsburger Reichstag vom August 1518 bis zur Wahl in Frankfurt am 28. Juni 1519 ein unerhörter Handel um die Kaiserwürde geschah. Mit 100.000 Gulden wurde der Kardinal Albrecht, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, bestochen, und mit 50.000 der von Köln, um dem Spanier Carl zur Kaiserwürde zu verhelfen. In Augsburg, wo der Petrarca-Meister arbeitete, schossen die Fugger dem künftigen Kaiser das erforderliche Kapital vor.

Der Künstler zeichnet einen würdigen älteren Mann, der zum König gekrönt wird. Eine Volksmenge von Männern und Frauen ist um den Thron versammelt und gibt mit erhobenen Händen den Beschluß der Wahl kund. Nur ein Ritter steht abseits und blickt grimmig zu dem Thron und der wählenden Menge hinüber. Er ist der Vertreter der „erblichen Schalkheit und Hoffart“. Er gehört, deutlich auch der Komposition nach, zu dem jungen Königssohn, der rechts mit Knüppeln von Handwerkern und Bürgern aus dem Land getrieben wird. Hält man zu diesem Bild, daß Carl V. bei seiner Erwählung zum Kaiser 19 Jahre alt war und daß Kurfürst Friedrich von Sachsen mit seinen 56 Jahren der Gegenkandidat war, auf den als Landesherrn Luthers und als Deutschen vielfältige Hoffnungen gesetzt wurden, dann darf die Darstellung deutlich, ja fast kühn genannt werden.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir hier die ganzheitliche Vernunft sehen, die vom Weisen mit einer zweiten Krone zum König und Kaiser über alle geistigen und natürlichen Kräfte gekrönt wird, die „hinter ihm stehen“ und den Thron stützen. Das trennende Ichbewußtsein mit dem stolzen Federhut schaut mißmutig oder zumindest zweifelnd zu, und der dazugehörige Verstand wird von den Gegensätzen der Männer und Frauen bzw. von Geist und Natur davongejagt, weil er diese Gegensätze nicht lösen und keinen Frieden schaffen kann. Und das Ganze geschieht mitten in der Natur auf einer Insel im Wasser des Lebens vor dem Hintergrund der körperlichen Menschenhäuser. Und der kleine Hund vor dem Thron erinnert vielleicht an das Tierwesen, das zum Ichbewußtsein gehört, und nun ebenfalls unter der ganzheitlichen Herrschaft dieses Kaisers steht.

2.79. Vom verlorenen Königreich

Schmerz: Ich wurde aus meinem Königreich vertrieben.

Vernunft: Jetzt sollte es dir ein Trost sein, keinen Sohn zu haben.

Schmerz: Ich wurde aber aus meinem Königreich vertrieben.

Vernunft: Ein nützlicher Untergang! Du hast an einem Abgrund gesessen, und jetzt bist du sicher auf dem Grund. Blicke zurück auf die gewaltige Höhe hinter dir, und du wirst sehen, daß du nach dem Abstieg vom königlichen Thron in ein friedliches privates (bzw. innerliches) Leben aufgestiegen bist. Ohne Sicherheit kann es weder wahre Freude noch Glück geben, und du wirst bald feststellen, wieviel angenehmer und glücklicher und auch wieviel höher du jetzt im Vergleich zu früher bist.

Schmerz: Ich wurde wirklich aus meinem Königreich vertrieben.

Vernunft: Dann danke dem, der dich daraus vertrieben hat! Was ich dir sage, ist hart für deine Ohren, aber angenehm für deine Seele. Du wurdest von dem vertrieben, was du verlieren mußt, und damit gezwungen, das zu tun, was du selbst hättest tun sollen. Die Macht, die dich vertrieben hat, ist zu begrüßen, nicht zu beklagen. Welche Scham hat schließlich ein Mensch, der als Mensch geboren wurde, aber über Menschen herrschen will und sich weigert, allen anderen gleichgestellt zu werden? Sich zu übertreffen ist natürlich gut und erstrebenswert. Und sollte diese Vorzüglichkeit nicht in der herrlichsten aller Betätigungen wünschenswert sein? Deshalb beharre nicht auf überheblichem Stolz und Zügellosigkeit, sondern nimm die Tugend an! Die wahre Krone der Könige besteht aus Tugend, nicht aus Edelsteinen und Gold. Niemand ist so gierig nach Gold und Edelsteinen, daß er dies leugnen würde. Welcher Mensch, frage ich, erkennt nicht, daß der wahre König unter den Menschen durch seine Menschlichkeit gekrönt wird, nicht durch den Reichtum, der einen Menschen wohlhabend, aber nicht menschlicher macht, also sicherlich nicht besser, geschweige denn überlegen gegenüber anderen Menschen. Aber das ist einer deiner vielen Fehler. In deinem Streben nach Vorzüglichkeit suchst du nach ihr, die zufrieden in ihrem Reich sitzt, genau dort, wo sie nicht ist, ohne dir der wahren Abfolge der Ereignisse und ihrer Ursachen bewußt zu sein. So wie man sich unter Reichen durch Reichtum auszeichnet, unter Starken durch Stärke, unter Anmutigen durch Anmut und unter Redenden durch Beredsamkeit, so sollte man sich doch unter Menschen durch Menschlichkeit auszeichnen.

Schmerz: Ich wurde von meinem Thron geworfen.

Vernunft: Wenn du unverletzt bist, ist das sicherlich ein seltenes Ereignis. Denn wer so fällt, verliert mit seinem Reich auch meistens seine Seele. Doch wenn die Seele unverletzt ist, wird das Leben für einen Weisen ruhiger und angenehmer sein. Daran hatten diejenigen keinen Zweifel, die auf das Kaisertum verzichteten oder aus dem Pontifikat austraten, das erhabener ist als Königtum und Reich, nicht weil sie schwach waren oder vertrieben wurden, sondern aufrecht auf ihren zwei Beinen und aus freiem Willen. Unter solchen Großmütigen ist Diokletian berühmt, der freiwillig als Kaiser zurücktrat. Und als er ins Reich zurückgerufen wurde, lehnte er die verwirrenden Reichtümer und die schlüpfrigen Höhen des Amtes ab, die von so vielen anderen begehrt und mit so viel Blutvergießen verfolgt wurden, was er wiederholt miterlebt und verabscheut hatte. Mit ernster Nachdenklichkeit scherzte er mit seinen Freunden und sagte, er ziehe nichts dem Gemüse vor, das er selbst in seinem kleinen Garten anpflanzte.

Schmerz: Ich wurde auch aus dem königlichen Palast gejagt.

Vernunft: Dieser Palast war voll lauernder Gefahren, inmitten derer du mit blindem Geist von goldenen Fesseln und Beineisen gehalten wurdest, die dich nicht weniger einschränkten, nur weil sie glitzerten. Jetzt bist du frei davon! Zurück am hellichten Tag kannst du sehen, wie die Schicksalsgöttin Fortuna um diejenigen wirbelt, die sich ihren riskanten Spielen anschließen. Wer wäre so geizig, daß er nicht mit Gold zahlt, um sein Augenlicht wiederzuerlangen, und dann lieber in Armut die Wahrhaftigkeit dieses wertvollen Sinnes genießt, als im Reichtum blind zu leben? Und wenn das körperliche Sehen schon so wertvoll ist, dann ist das geistige noch unendlich wertvoller. Du solltest dich also freuen, daß du mit dem Verlust eines wankenden Reiches so Großes mit so geringen Kosten zurückgekauft hast. Und nicht nur diese eine Sache, denn mit deinem Reich ging nicht nur die Blindheit verloren, sondern die Freiheit kehrte zurück, und du wurdest von den öffentlichen Pflichten befreit.

Schmerz: Mir wurde aber die königliche Majestät entzogen.

Vernunft: Glaube denen, die es bereits erlebt haben! Königliche Gewänder, Zepter und Krone sind die schwersten Lasten. Hör also auf, dich darüber zu beklagen, daß dir eine so große Last abgenommen wurde!

Schmerz: Ich habe mein Reich verloren.

Vernunft: Nein, du bist ihm entkommen und nackt aus riesigen Wellen herausgeschwommen. Männer, die sicher auf festes Land zurückgekehrt sind, sollten ihre Beschwerden zügeln und ihre Gelübde erfüllen.

Schmerz: Ich habe das Glück verloren, König zu sein.

Vernunft: Ja, du solltest es „elendes Glück“ oder „glückliches Elend“ nennen. Dann stimme ich zu, daß du es verloren hast, und damit gleichzeitig ein falsches Glück und ein wahres Elend.

Schmerz: Mit meinem Königreich habe ich sowohl die Macht als auch den Reichtum eines Königs verloren.

Vernunft: Du solltest dich darüber freuen, das verloren zu haben, was dich hätte zerstören können.

Schmerz: Mir fehlt aber die königliche Macht.

Vernunft: Und damit königliche Sorgen und Nöte, sowie Ermüdung und Abneigung, die schon einige dazu gebracht haben, ihren Thron aufzugeben, wie Augustus es wollte, getrieben von Bescheidenheit, und Nero, getrieben von Angst. Nicht wenige traten zurück, wie ich bereits erwähnt habe. Und diejenigen, die aufgrund ihrer sturen und unbeherrschten Veranlagung dazu nicht freiwillig in der Lage waren, sollten der Notwendigkeit des Zwanges dankbar sein, der sie in einen Zustand gebracht hat, der viel wünschenswerter ist.

Die wichtigste Neigung eines guten Geistes sollte es sein, bereitwillig auf guten (vernünftigen) Rat zu hören, damit er nicht zum Gehorsam gezwungen werden muß. Was Antiochus nicht entgangen ist, jenem syrischen König, der aus ganz Asien vertrieben und nach Rom geschickt wurde. Dort dankte er dem Senat, daß sie ihn von einer so großen Verantwortung befreit und in die Bescheidenheit zurückgebracht hatten. Das sprach er mit Humor, wenn er Späße machte, aber auch mit ernster Weisheit, wenn er aufrichtig war.

Schmerz: Ich mußte vom königlichen Thron zurücktreten.

Vernunft: Ich habe es bereits einen schamlosen Stolz genannt, und jetzt füge ich die achtlose Torheit hinzu, dein wahres Wesen zu vergessen und das zu verachten, was du bist, und etwas zu sein zu wünschen, was du nicht bist. Nicht jeder Mensch kann König sein, und so laß es genügen, daß du ein Mensch bist! Wer nach dem Königtum giert, befleckt der nicht seine Menschlichkeit? Beruhigt euch, ihr Elenden! Diejenigen, die aufgehört haben, Könige zu sein, sehen darin etwas Gutes. Denn von allen Nöten, denen Sterbliche ausgesetzt sind, ist das Los eines Königs das schwerste. Wenn er ein tadelloses Leben führt, bedeutet es nichts als Ärger, wenn er ein schlechtes Leben führt, bedeutet es Schande, und in beiden Fällen ist er ständig der Gefahr ausgesetzt. Wohin er sich auch wendet, sieht er überall um sich herum die Klippen der Schwierigkeiten, das drohende Scheitern von Plänen und Bemühungen. Aber du betrachtest es als ein Elend, all dem zu entkommen, obwohl das, was du als schwerstes Unglück beklagst, in Wirklichkeit das größte Glück bedeutet, das du jemals hattest.

Schmerz: Ich bin aber betrübt zu sehen, daß mein Königreich an einen anderen fällt.

Vernunft: Dieses Königreich war sicherlich nicht deins, sondern gehört der Schicksalsgöttin Fortuna. Wenn sie dir etwas geben kann, warum sollte sie es dir nicht nehmen, wenn sie will, und es jemand anderem übergeben? Hüte dich nur davor, daß es neben dem Willen des Empfängers, der an sich ausreichend ist, noch andere Gründe für diese Übergabe gibt, zum Beispiel jene, von denen die Weisen sprechen: „Um Gewalt, Unrecht und Geizes willen kommt ein Königreich von einem Volk aufs andere. (Sir. 10.8)

Schmerz: Ich habe nun aufgehört, ein König zu sein.

Vernunft: Und begonnen, ein Mensch zu sein. Die Unverschämtheit der Könige ist so groß, daß sie sich schämen, Mensch genannt zu werden. Doch der König der Könige (Jesus Christus) schämte sich dessen nicht.

Petrarcameister - Vom verlorenen Königreich

Eine vergleichsweise farblose Darstellung, in der ein König von den Hohen seines Landes vom Thron gestürzt wird. Krone und Zepter rollen davon. An seiner Statt soll ein „Weiser“ König werden, dem links im Hintergrund ein Ritter die Krone anbietet. Er wehrt entsetzt ab und verdeckt die Augen mit der Hand, um nicht vom Glanz der Krone geblendet und verführt zu werden. Ein feister Patrizier mit der Geldtasche am Gürtel ist Zuschauer bei der Szene, er kann anscheinend die Abneigung des Weisen nicht begreifen.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man den altgewordenen Ego-König sehen, wie er von seinem weltlichen Thron im Körperpalast gestürzt wird und sein weltliches Reich verliert, und zwar von den bekannten drei Gesellen von Begierde, Haß und Unwissenheit, die in dieser Welt alles wie in einem drehenden Rad bewegen, Werden und Vergehen, Gewinn und Verlust, Glück und Unglück oder auch Macht und Ohnmacht. So entgleitet ihm die vermeintliche Macht, er fällt, und links gehen die Stufen in die Tiefe und vielleicht auch irgendwann in die Freiheit, wie Petrarca hofft, wenn sich das Bewußtsein entsprechend erheben kann. Praktisch ist es zunächst ein schrecklicher Schmerz, die eigene Macht zu verlieren, die das Ich in diesem kleinen Körper zu haben glaubte. Und doch streben wir immer noch danach und hoffen, die eigene Macht zu einer Allmacht zu steigern und auszubauen: Politiker streben nach der Weltherrschaft und Geschäftsleute nach dem Weltmarkt, Wissenschaftler und Kirchengelehrte kämpfen um die Weltreligion, Sportler wollen Weltmeister werden und Künstler Weltstars. Doch gerade ihre Biographien lesen sich oft wie Horrorgeschichten mit tiefsten Abgründen und Sümpfen. Als Lösungsvorschlag könnte man links im Hintergrund sehen, wie sich die Weisheit einer höheren Vernunft davon nicht verführen läßt und dagegen wehrt, eine solche Krone als König auf dem weltlichen Thron im Körperhaus anzunehmen, die ihm der stolze Ego-Ritter zusammen mit dem übergewichtigen Patrizier als begrifflichem Verstand zu deren Eigennutz anbietet. Dazu stehen vermutlich rechts im Hintergrund die drei weltlichen Gesellen des Weisen, die sich dieser „Entscheidung“ unterordnen und entsprechend zurückhalten.


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