Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

2.120. Vom vorzeitigen Tod

Schmerz: Und was ist, wenn ich vorzeitig sterbe?

Vernunft: Niemand stirbt, bevor sein Tag gekommen ist. Aber nicht alle sterben am gleichen Tag. So sagt der größte aller Dichter: „Jedem ist sein Tag bestimmt.“ Wenn dieser gekommen ist, hat er das Ende erreicht. Es gibt kein Zurück und keinen Stillstand. Man muß weitergehen.

Schmerz: Ich sterbe aber vor meinem Tag.

Vernunft: Dies wäre möglich, wenn du Schulden hättest, die auf einen bestimmten Tag festgelegt wären. Ansonsten bist du jeden Tag ein Schuldner. Und so ein Schuldner muß täglich mit der Anforderung des Gläubigers rechnen und das Geliehene immer in Bar bereithalten. Und das hat er, solange er einen sterblichen Körper hat. Damit besteht keine Notwendigkeit, weitere Kredite aufzunehmen, und auch kein Grund für Zinsen. Er hat immer im Haus, was er bezahlen muß. Wohin er auch geht, er hat es bei sich, sozusagen in seiner Hand, was ihn erlöst. Sobald dies bezahlt ist, schuldet er der Natur nichts mehr, noch irgendwelchen anderen Göttern des Himmels, wie Virgil sagt. Also hör auf, dich zu beschweren! Etwas, das jeden Tag fällig ist, kann nicht vor seinem Tag verlangt werden. Du solltest eher dankbar sein, daß es so ist, wie ich es sage, daß du weder Anleihen, noch Eigentum, Sicherheiten oder Zinsen brauchst. Dies waren angeblich auch die letzten Worte eines tapferen Spartaners, dessen Name unbekannt blieb, aber sicherlich jeden Ruhm verdiente, als er zu seinem Tod geführt wurde, furchtlos und bereit, die Gesetze von Lykurg zu erfüllen, indem er sein Leben darbrachte. (Er sprach: „Wahrlich, ich bin ihm sehr dankbar, daß er mich mit einer Strafe belegt hat, die ich ohne Anleihe bezahlen kann.“, Cicero, Tusculanen 1.42.100)

Schmerz: Ich sterbe wirklich vor meinem Tag.

Vernunft: Ich verstehe nicht, was es bedeutet, vor seinem Tag zu sterben. Es sei denn, es bedeutet das, was gemeinhin „vor Tagesanbruch“ genannt wird, was die beste Zeit für die Übung des Geistes ist, mit der du dich jetzt beschäftigst. Ansonsten, wer ist es, der jemals vor seinem Tag stirbt, wenn doch der Tag, an dem er stirbt, und kein anderer, sein Tag ist?

Schmerz: Ich sterbe vor meiner Zeit.

Vernunft: Du stirbst nicht vor oder nach deiner Zeit, sondern zu deiner Zeit. Es sei denn, du betrachtest als „deine Zeit“ diejenige, die von dir selber und nicht von der Natur oder dem Schicksal bestimmt wurde. Wie dem auch sei, du kannst nicht vor deiner Zeit sterben, genausowenig wie du nach ihr noch leben kannst.

Schmerz: Ich sterbe aber vor meiner Zeit.

Vernunft: Wer außer einem Wahnsinnigen würde sich darüber beklagen, daß er vor seiner Zeit von seinen Ketten befreit und aus dem Gefängnis entlassen wird? Dann solltest du froh sein, daß es früher passiert, als du erwartet hast! Und doch passiert nichts „vor seiner Zeit“, und kann auch nicht passieren. Alles hat seine eigene Zeit. Jetzt ist dein festgelegtes Ende erreicht, und hier hat er die Ziellinie gesetzt, der dich in den Lauf dieses Lebens gebracht hat. Wenn du dich über dieses Ende beschwerst, dann müßtest du dich genausogut über jedes andere beschweren!

Schmerz: Ich sterbe früh.

Vernunft: Früh wurdest du geboren, und wer alt geworden ist, kann nicht mehr früh sterben. Es sei denn, du wärst nicht alt geworden, aber das beseitigt deine Klage in einer anderen Hinsicht, denn es ist unmöglich, nicht alt zu werden, wenn das Alter der letzte Teil des Lebens ist, wenn jemand stirbt. Ich betrachte das Alter, wie es auch das gewöhnliche Volk pflegt, nur als eine Anhäufung von vielen Jahren, die im Gegensatz zu den anderen Lebensabschnitten des Menschen zwangsläufig mit dem Tod enden müssen. Beim Eintritt in das Alter müssen viele Meinungen über die Leistungsfähigkeit der alten Menschen, ihre körperliche Gesundheit und geistige Leistungsfähigkeit relativiert werden. Was alles darauf hinausläuft: Du mußt aufhören, Fehler zu finden, entweder an der frühen Ankunft des Todes oder an den Trübsalen eines längeren Lebens, die wachsen, wenn sich der Tod hinauszögert. Aber ihr, ewig mit euch zerstritten, wollt weder sterben noch alt werden, obwohl ihr natürlich beides oder wenigstens eines tun müßt.

Schmerz: Ich könnte aber länger leben.

Vernunft: Nein, das kannst du sicherlich nicht, denn wenn du es könntest, glaube mir, du würdest es tun! Du wolltest wohl damit sagen „ich wünschte“ oder „ich hoffte“, länger zu leben. Und es fällt mir leicht, dir in beiden Punkten zuzustimmen, soweit der Geist der Sterblichen auf das Leben gerichtet und bereit ist zu hoffen. Aber wenn du sagen wolltest „ich hätte länger leben sollen“, weil du andere gesehen hast, die ein paar Tage länger gelebt haben, dann kann ich dir nicht zustimmen. Denn manche leben länger, und viele auch kürzer als du, aber niemand lebt ewig. Unter ihnen gibt es nur eine Gemeinsamkeit, dieses eine Gesetz, das für alle Sterblichen gilt, nämlich das Gesetz des Todes, auch wenn sie auf diese oder jene Art oder in verschiedenen Lebensabschnitten sterben. Die Umstände sind vielfältig und auch die Zeiten. So sollte jeder seiner Art und seiner Zeit des Todes entgegensehen. Lebe nicht mit Begierde und Haß, beschwere dich nicht über die Natur und hadere nicht mit ihren Gesetzen, wie es unwissende und undankbare Menschen tun!

Schmerz: Ich habe nur eine kurze Zeit gelebt.

Vernunft: Niemand hat jemals lange genug gelebt, um nicht zu denken, daß er nur eine kurze Zeit gelebt hat. Und es ist in der Tat eine kurze Zeit, die man auf dieser Erde lebt. Wenn du also länger leben möchtest, dann suche nach dem Leben, das ewig währt! Dieses Leben ist nicht hier, aber es wird hier verdient.

Schmerz: Es ist wirklich nur eine kurze Zeit, die ich lebte.

Vernunft: Und hättest du länger gelebt, wäre das auch nur eine kurze Zeit? Lebenslängen sind ungleich und ungewiß, aber haben eines gemeinsam: Sie sind alle kurz (im Vergleich zur Ewigkeit). Wer achtzig Jahre lebt, was hat er mehr als der, der acht Jahre lebte? Betrachte dies am sorgfältigsten in dir selbst, und laß dich nicht vom Wahnsinn der Menge täuschen! Ich frage, was hat ein Mensch mehr, der ein längeres Leben führt, wenn du Sorgen, Mühe, Kummer und Leid nicht zu seinem Gewinn zählst? Was hätte er also mehr, wenn er achthundert Jahre lebte? Ich gebe zu, daß es auch eine Erwartung gibt. Aber sobald die Zeitspanne eines dieser langen Leben abgelaufen ist, glaube mir, dann kannst du nichts finden, was ein längeres Leben zu einem glücklicheren Zustand gebracht hätte.

Schmerz: Ich sterbe aber gerade, als ich Gutes tun wollte.

Vernunft: Warum beabsichtigst du, Gutes zu tun, anstatt es einfach zu tun? Wie lange denkst du schon darüber nach, Gutes zu tun? Es gibt viele Menschen, die immer Gutes tun wollen, aber nie dazu kommen. Aber wenn du begonnen hast, deine Absicht auszuführen, dann mache dir keine Sorgen, daß der Tod deinen Bemühungen ein Ende setzen könnte, auch wenn dies die Meinung der Blinden um dich herum sein mag, die du ignorieren solltest. Nichts von deinen Bemühungen wird dir vom unfehlbaren Richter der Dinge genommen. Die Belohnung wird in vollem Umfang gewährt, sowohl für deine Taten als auch für deine Absichten.

Schmerz: Ich sterbe inmitten all meiner Vorbereitungen.

Vernunft: Das ist nicht die Schuld des Todes, sondern der Sterbenden, die fieberhaft versuchen, noch den kürzesten Faden ihres Lebens zu verweben, kurz bevor er abgeschnitten werden soll. Besser wäre es, sie würden ihre Lebenspflichten zuvor erledigen, bevor sie der Tod überrascht. Dann könnten sie weiterleben, nachdem sie ihre Pflichten erfüllt und vollendet haben. Kein Leben könnte süßer sein! Aber du wirst dieser Süße beraubt, nicht durch die Kürze des Lebens, sondern durch die Trägheit der Lebenden. Für sie ist kein Leben lang genug. Egal wie lange sie leben, sie leben nie, sondern planen immer nur zu leben. Auch wenn sie alt und grau sind, brüten sie immer noch über Pläne für ein weiteres Leben, und ein schnelles Ende trifft ihr langsames Beginnen.

Schmerz: Ich sterbe gerade jetzt, da ich mich auf große Taten vorbereite.

Vernunft: Das ist vielen großen Männern passiert, eigentlich fast allen. Der Mensch irrt in vielen Dingen, vor allem aber, wenn es um den Tod geht. Niemand weiß, wann er kommt, und jeder hofft, ihn hinauszuzögern und redet sich ein, daß er weit weg ist, obwohl er immer nah ist. Dies sorgt für die Kürze des Lebens, den flüchtigen Lauf der Zeit und erhöht die Macht des Schicksals sowie die Menge der Gefahren, die den Menschen von allen Seiten belästigen. Oh seltsame Blindheit, daß du nicht wenigstens manchmal von anderen lernst, was du zu erwarten hast! Aber so geht es: Der Verstand ist abgeneigt, sich mit bitteren Gedanken zu beschäftigen. Während sich jeder ein sehr langes Leben verspricht und auf das Alter von Nestor oder, wie Cicero sagt, auf das Glück eines Metellus hofft, und während sich jeder für das Lieblingskind der Natur hält und über Vorhaben nachdenkt, kommt das Ende über sie, und während sie allerlei planen, nähert sich unerwartet und heimlich der Tod und reißt sie inmitten ihrer Vorbereitungen hinweg.

Schmerz: Ich sterbe in jungen Jahren.

Vernunft: Das hat zumindest den Vorteil, daß man sicher sein kann, nicht als Greis schmachten zu müssen. Obwohl das Alter nicht belastend ist, wie Laelius bei Cicero sagt und wir oben besprochen haben, nimmt es doch jene Frische, die Scipio zugeschrieben wird und die du wohl jetzt noch fühlst. So werden dich vielleicht von nun an viele vermissen, aber keiner wird dich satt haben, was schwer zu vermeiden ist, egal wie tugendhaft du lebst, wenn du nur lange genug lebst.

Schmerz: Ich sterbe als junger Mensch.

Vernunft: Du weißt, was dir bisher in deinem Leben widerfahren ist, aber du weißt nicht, was noch kommt. Glaube mir, wer auch immer unter dieser unbeständigen und grausamen Herrschaft des Schicksals früh stirbt, wird vom Schicksal erlöst und entkommt dieser Herrschaft.

Schmerz: Der Tod hält mich davon ab, das zu beenden, was ich begonnen habe.

Vernunft: Und das zu Recht! Du willst tun, was du schon vor langer Zeit hättest tun sollen. Aber nichts wird jemals fertig, und das ist im Wesentlichen auch der Grund, warum dir der Tod so traurig und elend erscheint. Wenn du deine Arbeit unverschuldet nicht beenden konntest, dann reicht es selbstverständlich aus, daß du dies beabsichtigt hattest. Aber wenn du aus Faulheit alles aufgeschoben hast, sollte es dich wirklich beunruhigen, daß du so nachlässig warst. Wie dem auch sei, hinter deinen Klagen steckt nur der törichte Wunsch, länger zu leben und den Tod hinauszuzögern. Doch früher oder später wirst du dich schämen, dich auf diesen so beliebten Wunsch eingelassen zu haben.

Hört mich, ihr Sterblichen, die ihr euch so sehr nach dem Leben sehnt! Ich fordere eure Antwort darauf: Was ist dieses Leben, abgesehen von der Übung der Tugend, anderes als eine langweilige und nutzlose Zeitspanne, die, egal wie lange sie dauert, nur sehr kurz sein kann? Hierher gehört der Spruch eines guten Mannes, den Augustinus erwähnte, der auf seinem Sterbebett, als seine Freunde ihn zu trösten versuchten und sagten, es sei unwahrscheinlich, daß er an seiner Krankheit sterben würde, antwortete: „Müßte ich nie sterben, dann wäre das gut. Muß ich aber irgendwann sterben, warum nicht jetzt?“

Schmerz: Ich sterbe mitten in meiner Arbeit.

Vernunft: Wenn du an Menschen denkst, die für ihre Taten oder ihren Verstand berühmt waren, dann starben die meisten von ihnen mit einer unvollendeten Arbeit. Nur wenigen ist es vergönnt, in diesem kurzen Leben die von ihnen geplanten oder bereits begonnenen Arbeiten zu vollenden. So hast du dich, wie es bei Menschen üblich ist, in diese Bedrängnis gestürzt. Und weil das Vergangene jetzt nicht wiederhergeholt werden kann, solltest du nun die einzige Gelegenheit ergreifen, die dir bleibt, um dich davon zu befreien, und nicht sinnlos die Arbeit beklagen, die du nie beendet hast, sondern mannhaft das vollenden, was noch zu tun ist, nämlich gut zu sterben.

Petrarcameister - Vom vorzeitigen Tod

Mit den Worten „Und was ist, wenn ich vorzeitig sterbe?“ gibt die Klage das Thema des Kapitels. Sebastian Brant kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß er den Petrarca-Meister hier sehr ungenau beraten hat, vielleicht im Übereifer, ein ihm besonders vertrautes Beispiel aus antiken Schriften anbringen zu können. Er hat aus der „Aeneis“ seines Lieblingsautors Virgil geschöpft, die schon für seine Dichtung des „Narrenschiffes“ eine Hauptquelle war. Dido, die sagenhafte Gründerin von Karthago, nahm sich das Leben, als sie ihre Liebe von Aeneas verschmäht sah. Sie tötete sich mit dem Dolch auf dem Scheiterhaufen, in dessen Flammen ihr Hochzeitsbett verbrannte. Die Götterbotin Iris eilte, auf dem Regenbogen herabsteigend, herbei und schnitt ihr das Haar ab, damit die im Körper der Selbstmörderin gefangene Seele entweichen konnte. - Ist diese Erzählung bekannt, dann findet der Betrachter alle Einzelheiten im Bild wieder: den Scheiterhaufen, Dido mit dem Dolch, Iris und den Regenbogen. Auch sind die Irrfahrten des Aeneas mit den Schiffen auf hoher See angedeutet. Jedoch ist in diesem Kapitel des „Glücksbuches“ gar nicht vom Selbstmord die Rede, sondern von einem vorzeitigen Tod inmitten des besten Schaffens.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man oben unterhalb des Himmels das Meer des Lebens bzw. der Ursachen oder Möglichkeiten sehen, auf dem die Seelenschiffe wie Wellen des Bewußtseins mehr oder weniger verirrt hin und her segeln und rudern. Daraus erscheint links das Ichbewußtsein als Bauer, der auf seinem persönlich abgezäunten Acker vor dem Baum von Gut und Böse seine Karma-Saat ausbringt. An dem kleinen Tor sieht man, wie sich damit das Bewußtsein verengt und in das Körperbewußtsein fällt, das nun vom Tierwesen angegriffen, überwältigt, herabgezogen und auch getötet wird. Hund und Bär könnten hier auch an die Gegensätze von Begierde und Haß erinnern. Weiter sieht man dann, wie der Geist in die Körperstadt kommt, wo er ringsherum von Mauern und Häusern umgeben steht und staunt. Denn er ist nun alt geworden und offenbar weise genug, um innerhalb dieser körperlichen Stadt das Wesen der Natur wie in einem Schaubild zu erkennen, warum es den Tod gibt, und warum Menschen früher oder später sterben müssen. Er sieht die Natur auf einem vierstufigen Feueraltar, der an die vier Elemente erinnert, wo sie sich als Königin wegen enttäuschter, verratener und verlorener Liebe selbst tötet und verbrennt, solange die große mystische Hochzeit zwischen Geist und Natur nicht wahrhaft erreicht wird. So verbrennt sie sozusagen im besudelten Hochzeitsbett, denn das Ichbewußtsein mit dem Verstand, das sich mit ihr verbunden und sie befruchtet hat, wie der obige Bauer das Ackerfeld, war noch nicht der wahre König, der erst mit dem göttlichen Bewußtsein einer ganzheitlichen Vernunft erscheint. So erkennt nun der Weise die Natur im vielfarbigen Licht des doppelten Regenbogens in der natürlichen Vielfalt äußerlich und innerlich, wie darin das Göttliche als geistige Einheit herabkommt, um die Seele zu befreien, in dem sie die Haare bzw. Gedanken abschneidet, welche das Bewußtsein an die persönliche bzw. ichhafte Körperlichkeit binden.

2.121. Vom gewaltsamen Tod

Schmerz: Ich erleide aber einen gewaltsamen Tod.

Vernunft: Wenn du unfreiwillig stirbst, ist jede Art von Tod gewaltsam. Wenn du freiwillig stirbst, keine.

Schmerz: Ich sterbe gewaltsam.

Vernunft: Wenn es gewaltsam geschieht, welchen Unterschied macht es, ob es ein Fieber oder ein Schwert ist, solange du in die Freiheit kommst? Und welche Rolle spielt es, ob sich die Türen deines Gefängnisses von selbst öffnen oder gewaltsam?

Schmerz: Ich sterbe aber gewaltsam.

Vernunft: Es gibt viele Arten zu sterben, aber es gibt nur einen Tod, und wer stirbt, muß selbst entscheiden, ob es gewaltsam ist oder nicht. Die größere Kraft überwindet die kleinere, und die Zustimmung bringt die Entscheidung. Der Weise hat gelernt, Dingen zuzustimmen, denen er nicht widerstehen kann. Aber du fragst vielleicht: „Schlägst du denn vor, ich solle meinem Angreifer zustimmen?“ Einige haben nicht nur zugestimmt, sondern sich sogar bei ihrem Henker bedankt. Wie Er, der die Unwissenheit seiner Mörder entschuldigte und mit seinem letzten Atemzug für ihre Vergebung betete (Luk. 23.34). Doch ich sage dir damit nicht, daß du deinem blutbespritzten Folterknecht zustimmen sollst, sondern dem unausweichlichen Schicksal, dem gehorcht werden muß, entweder freiwillig oder durch Gewalt.

Schmerz: Ich sterbe durch die Hand meines Feindes.

Vernunft: Glaubst du, daß es dein Freund sein könnte, durch dessen Hand du stirbst? Das ist unmöglich, es sei denn, es passiert zufällig.

Schmerz: Ich sterbe aber durch die Hand meines Feindes.

Vernunft: Damit entkommst du den Händen des Feindes! Während er seinem Zorn folgt, sorgt er für deine Freiheit, entzieht dich seiner Macht und kann dich nicht weiter besiegen.

Schmerz: Ich werde von der Hand des Feindes geschlagen.

Vernunft: Es ist besser, von einem ungerechten Feind geschlagen zu werden als von einem gerechten König, denn das erste beinhaltet ein Verbrechen, das der Totschläger begangen hat, das zweite aber ein Verbrechen, das der Geschlagene begangen hat.

Schmerz: Ich werde vom Feind getötet, mit dem Schwert in der Hand.

Vernunft: Was kümmert dich die Hand und das Schwert, das dich tötet? Wir beklagen uns nicht über die bewaffnete Hand, sondern über die Wunde, obwohl wir auch lesen, daß Pompeius bei Lucan wünschte, durch Caesars eigene Hand zu sterben, um seinen Tod zu trösten. Bei Statius tröstet Capaneus auf diese Weise Ipseus, bei Virgil, Aeneas Lausus und Camilla Ornytus, der von ihrem Speer fiel.

Schmerz: Ich sterbe durch das Schwert.

Vernunft: Dieses Schicksal teilst du mit den Größten der Menschen, da der beste Teil der Allerbesten, deren Leben auf Erden als überaus glücklich galt oder die jetzt für immer unter den Seligen wohnen, durch das Schwert umgekommen ist. Sie aufzuzählen kann nicht die Aufgabe eines kurzgefaßten Ratgebers sein, sondern würde einen langatmigen Historiker erfordern.

Schmerz: Ich komme durch das Schwert um.

Vernunft: Andere kommen auf andere Weise um, manche durch das Seil und andere durch einen Sturz, die Klauen eines Löwen oder die Stoßzähne eines Ebers. Viele wünschten sich den Vorteil einer Klinge und sehnten sich danach, lieber durch das Schwert zu sterben.

Schmerz: Ich werde von einem Schwert geschlagen.

Vernunft: Woher weißt du, daß du damit nicht vor einer viel größeren Katastrophe bewahrt wirst, so daß dich dieses vermeintlich größte Übel in Wirklichkeit vor einem viel größeren beschützt? Ich habe dir bereits erzählt, daß auch Plotin, dieser Ruhm der Philosophie, der nur noch von Plato übertroffen wird, von der pestartigen Lepra angegriffen wurde. Aber ich habe dir noch nicht erzählt, daß Euripides, der neben Homer das zweite Licht der antiken griechischen Poesie war, von Hunden in Stücke gerissen wurde. Lucretius Carus, einer der größten Dichter deines Landes, bei dem sich Virgil selbst nicht schämte, reichlich zu borgen, trank aus einem Kelch einen Liebestrank und wurde tobsüchtig, so daß er schließlich zum Schwert greifen mußte, um Abhilfe zu schaffen. Herodes, der König von Judäa, starb an so vielen Krankheiten, daß er sich neidisch nach einer möglichen Abkürzung durch das Schwert sehnte. Prinz Hadrian, angewidert von den Leiden der Krankheit, wurde ungeduldig und hätte seinen Schmerz mit einem Dolch abgekürzt, wenn er nicht daran gehindert worden wäre. Und in diesem Zeitalter soll auch ein großer Mann von Würmern gefressen worden sein, die in seinen Körper krochen, und ein anderer von Mäusen! Angesichts all dieser schrecklichen Katastrophen, die den menschlichen Körper bedrohen, wer wäre schwach genug, den Tod durch das Schwert nicht vorzuziehen, wenn er die Wahl hätte?

Schmerz: Und wenn ich durch das Feuer sterbe?

Vernunft: Manche meinen, daß Feuer die Kraft und Natur der Seele ist, und denken daher, daß es auch der einfachste Weg zu sterben wäre.

Schmerz: Dann werde ich von Flammen verzehrt.

Vernunft: So wird dein sterblicher Körper vor den Würmern bewahrt und muß nicht verwesen.

Schmerz: Und wenn ich im Meer ertrinke?

Vernunft: Dann ist es ein Festmahl für die Fische, und ein großes, edles und funkelndes Grab für dich. Welche Rolle spielt es, ob dein irdischer Körper in die Erde oder in das Wasser zurückkehrt?

Schmerz: Dann ertrinke ich im Wasser.

Vernunft: Entscheidend ist nicht wo, sondern wie man stirbt. Ob man gut oder schlecht stirbt, hängt nicht vom Ort ab, sondern vom Geist, der einen glücklichen oder unglücklichen Tod bewirkt.

Schmerz: Ich komme auf dem Meer um.

Vernunft: Ich weiß, viele sind überzeugt, daß es schlimmer ist, im Meer zu ertrinken, weil damit der luftige und feurige Geist der Seele seinem Gegensatz erliegt. Aber wie ich bereits sagte, der Ort spielt keine Rolle, nur dein Geist ist entscheidend. Aus diesem Grund mag ich die Antwort, die ein Seemann jemandem gab, der ihn fragte, wo sein Vater gestorben sei. Er antwortete: „Auf hoher See.“ Dann fragte er dasselbe über seine Großväter und Urgroßväter und deren Großväter und erhielt für jeden dieselbe Antwort. Daraufhin fragte er: „Warum hast du dann keine Angst, zur See zu fahren?“ Und der Seemann antwortete schlau: „Nun, wo ist dein Vater gestorben?“ - „In seinem Bett.“ - „Und wo sind deine Großväter gestorben?“ - „Meine Großväter, Urgroßväter und alle meine anderen Vorfahren starben in ihren Betten.“ Darauf sagte der Matrose: „Warum fürchtest du dich dann nicht, ins Bett zu steigen?“ Eine elegante Antwort, viel tiefgründiger, als man es von einem Seemann erwarten würde. Darum überlaß die Sorge um deinen Tod der Natur und die Art deines Todes mit Ort und Zeit dem Schicksal!

Schmerz: Und wenn ich durch Gift sterbe?

Vernunft: Dieses Thema haben wir bereits besprochen, und ich habe dir gesagt, daß du viele berühmte Gefährten auf diesem Weg hast. Der Tod von Königen geschieht häufiger durch Gift als durch das Schwert. Trotzdem ist es völlig lächerlich, sich über das Werkzeug des Todes zu sorgen, wenn man dazu bestimmt ist zu sterben!

Petrarcameister - Vom gewaltsamen Tod

Sebastian Brant hat zur Illustrierung der Klage des Schmerzes „Aber ich sterbe eines gewaltsamen und unrechten Todes“ wieder ein Beispiel aus der „Aeneis“ des Virgil verwendet, das im Text Petrarcas nicht genannt wird. Aeneas hat Turnus im Zweikampf besiegt. Turnus erbittet Gnade um seines alten Vaters willen. Aeneas ist schon bereit, den Besiegten ziehen zu lassen, da erblickt er an ihm den mit Metallbuckeln verzierten Gürtel des Pallas, den Turnus im Kampf erschlagen hatte. Der Anblick reizt seine Rachsucht von neuem, und nunmehr tötet er Turnus. - Im Bild des Petrarca-Meisters kniet Aeneas auf der Brust des gefallenen Turnus, hält mit der Linken den mit Buckeln oder Schellen verzierten Gürtel empor und sticht mit der Rechten sein Schwert in den Hals des Besiegten. - Das Beispiel ist als Illustration für einen unrechten und gewaltsamen Tod vorzüglich gewählt. Seine Aussage wird noch durch die Darstellung der Steinigung des hl. Stephan unterstrichen, der links im Bild mit Steinen zu Tode geworfen wird.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht geht es in diesem Bild offenbar um die Frage, ob und wie ein gewaltsamer Tod möglich ist. So sieht man im Vordergrund zwei Egos in ihrer Rüstung gegeneinander kämpfen. Das ältere und scheinbar weisere siegt, unterwirft den Gegner und ist zur Vergebung bereit, so daß die Vernunft erwachen könnte. Doch dann erblickt es den Narrengürtel des angeeigneten Eigentums und der egoistische Haß kehrt zurück und begehrt den Tod. Weil aber die Trennung nur eine Illusion bzw. Unwissenheit des Ichbewußtseins ist, kämpft es hier praktisch gegen sich selbst, und zwar mit dem Schwert der Unterscheidung, das einerseits den Tod zwischen Kopf und Körper bzw. Geist und Natur verursacht, und anderseits dieses Schwert der Unterscheidung unter seiner eigenen Verkörperung bzw. Körperlichkeit begräbt und unwirksam macht, so daß dem Ichbewußtsein der Tod wie ein unbewußter Zustand begegnet, in dem es nichts mehr unterscheiden kann. Das Ganze geschieht vor dem Baum der Gegensätze, so daß diese Tat wie ein gewaltsamer Tod erscheint. Eine andere Antwort läßt sich in dem Heiligen finden, der von drei Gesellen gewaltsam getötet werden soll, die uns an Begierde, Haß und Unwissenheit erinnern. Damit soll das Gottesbewußtsein, das die Wolken der Unwissenheit durchdrungen sowie Begierde und Haß überwunden hat und das Göttliche bzw. Ganzheitliche im ungetrübten Licht erkennt, mit Steinen bzw. schwerer und dunkler Materie gewaltsam erniedrigt und verdeckt werden. Doch das geschieht vor dem Hintergrund der ewigen Stadt Jerusalem mit ihrem heiligen Tempel und dem Segen Gottes, so daß dieses göttliche Bewußtsein auch mit aller Gewalt keinem Tod begegnen kann, weil es keine Trennung mehr kennt.

2.122. Vom schändlichen und ehrlosen Tod

Schmerz: Aber es ist ein schändlicher und ehrloser Tod.

Vernunft: Nicht die Art oder Umstände machen den Tod schändlich und ehrlos, sondern die Ursache für diese „Hinrichtung“.

Schmerz: Ich sterbe schändlich.

Vernunft: Kein guter Mensch stirbt schlecht, und kein schlechter Mensch stirbt gut. Ein ehrenhafter Tod kommt nicht durch Beerdigungspomp, Sargträger, Purpurgewänder, Ehrenwachen mit Schild und Schwert, Volkstrauer um ihren Herrscher, schluchzende Frauen und trauernde Kinder, Schwarzgekleidete mit gesenkten Köpfen vor und hinter dem Leichenwagen, die ihr Gesicht mit reichlich Tränen benetzen, und schließlich auch Redner, die den geliebten Menschen loben. Er kommt auch nicht durch vergoldete Büsten eines reichen Grabes und in Marmor eingravierte Titel des Verstorbenen bis zu seinen letzten Tagen, bis der Tod sogar die Steine zertrümmert. Sondern es braucht Tugend und den Namen eines verdienten Mannes, der sich ohne äußerliche Berühmtheit durch seine eigene Herrlichkeit auszeichnet, nicht durch die vorschnelle und blinde Gunst des Volkes, sondern der sich durch wahrhafte Heldentaten und reinen Lebenswandel verdient macht, durch tatkräftige Verteidigung von Wahrheit und Gerechtigkeit, wenn nötig bis zum Tod, und durch einen unerschrockenen und unerschütterlichen Geist, der selbst unter Todesdrohung voll göttlichen Vertrauens ist. Kannst du inmitten dieser Herrlichkeiten eines ehrenvollen Todes einen Platz für Schande finden? Wie kann jemand schändlich sterben, der so stirbt? Natürlich dürfen sie Peitschen wie für Sklaven bringen, oder die Seile und Äxte der Henker, oder Galgen, Räder und Pfosten aufstellen, oder Wagen in entgegengesetzte Richtungen rasen lassen, um Körper zu zerreißen, oder auch Feuer und Roste über glühenden Kohlen und kochende Kessel mit siedendem Öl, oder die Zähne hungriger wilder Tiere, oder auch Haken, um die zerfetzten Leichen durch die Straßen zu ziehen, oder welche anderen Mißhandlungen und Verbrechen an lebenden oder toten Körpern begangen werden können. Ein solcher Tod kann sehr grausam erscheinen, aber muß nicht schändlich sein. Tatsächlich ist der Tod manchmal sogar ruhmreicher, je grausamer er ist.

Daher sind die äußerlichen Werkzeuge, der Tumult, die Trompeten, die grausamen Gesichter der Henker oder die zornige Stimme des Tyrannen ohne Belang. Zieh dich in dein Selbst zurück! Dort mußt du dich suchen und stärken, und so wappne dich für diesen letzten Kampf mit aller Kraft, die dir noch im Geist bleibt. Verschließe deine Ohren vor dem haßerfüllten Lärm, wende deine Augen vom Schrecken des Schafotts ab und sammle still all deinen Geist, um dich zu ermutigen. Untersuche das Wesen der Dinge und nicht ihre äußerlichen Schatten! Und wenn du es wagst, dem Tod direkt in die Augen zu sehen, dann wirst du weder das Schwert, noch die Schlinge, den Giftbecher oder den blutbefleckten Henker fürchten. Wenn du den Feind selbst verachtest (bzw. durchschaust), wird es auch sinnlos, seine glänzende Rüstung und seine Banner zu fürchten.

Schmerz: Ich wurde aber zu einem schändlichen Tod verurteilt.

Vernunft: Oft sind Ankläger und Informant anrüchig, die Zeugen unehrlich und die Richter zwielichtig, während der Angeklagte ehrlich ist. Oft wird ein Tod als schändlich angesehen, aber derjenige, der ihn stirbt, als edel und glorreich. Abgesehen von allen anderen gewaltsamen Todesarten, die so zahlreich wie auch seltsam sind, welcher Tod wäre schändlicher als das Sterben am Kreuz? An dem das höchste und glorreiche Licht des Himmels und der Erde hing, damit kein menschlicher Zustand jemals wieder als schändlich angesehen werden sollte. Da es nichts Höheres als das Höchste gibt, muß ich hier aufhören. Die Tugend macht jeden Tod ehrenhaft, und der Tod kann die Tugend nicht beflecken.

Petrarcameister - Vom schändlichen und ehrlosen Tod

„Es ist aber ein schändlicher und unehrlicher Tod“ klagt nun der Schmerz. Die Vernunft wendet mit Recht ein: „Den Tod macht schändlich nicht die Art oder Weise, sondern die Ursache des Todes...“ Für die Darstellung des unehrenhaften Todes hat der Petrarca-Meister ein Beispiel aus seiner Zeit genommen, eine Art von „Ausnahmegericht“, das bei dem Befund der „Landschädlichkeit oder Gemeinschädlichkeit“ zusammentrat und nicht nach dem sonst üblichen Gerichtsverfahren arbeitete. War sonst zur Verhaftung ein Tatbefund nötig und zur Verurteilung ein, wenn auch durch die Folter erpreßtes Geständnis, so durften „landschädliche“ Leute ohne Tatbefund verhaftet und dem Richter vorgeführt werden. Das Gericht bestand aus dem Ankläger und sechs Eideshelfern. Deren zu siebent abgegebener Schwur, daß der Angeklagte „landschädlich“ sei, genügte zur Verurteilung, auch war ein Reinigungseid des Angeklagten gegen das Urteil nicht möglich. - Der Petrarca-Meister zeichnet, wer in seiner Zeit als „landschädlich“ galt und gegen wen sich dieses Willkürgericht wandte. Es ist ein Handwerker oder ein Bauer, der barfuß und in Eisen gelegt dem Richter und den sechs Eideshelfern vorgeführt wird. Patrizier und Magister sprechen hier Urteil. Uninteressiert sitzen sie in ihren Bänken und verhängen die greulichsten Todesstrafen, als ob sie einer langweiligen Ratssitzung beiwohnen müßten. Im Hintergrund werden die Strafen gezeichnet, mit denen die „landschädlichen“ revolutionären Bauern und Handwerker bedacht wurden: Da wird gerädert, gehenkt, gepfählt, gepeitscht, enthauptet und verbrannt, wie es aus den Urkunden, die von den Bestrafungen nach dem Zusammenbruch der Bauernaufstände berichten, bekannt ist. - Der Petrarca-Meister unterstreicht das gräßliche Geschehen durch den Kontrast einer friedlichen Seelandschaft, in der ein Fischer geruhsam seinen Kahn führt.

Soweit schreibt Walther Scheidig, und man sollte hinzufügen, daß auch im Sozialismus, nicht anders als damals und heute, „revolutionäre“ Bauern und Handwerker schändlich verurteilt wurden, wenn man sie als „systemschädlich“ erkannte. So könnte man nun aus geistiger Sicht eine Fortsetzung des Ego-Kampfes aus dem letzten Bild erkennen und sehen, wie links im Vordergrund das Ichbewußtsein mit dem Schwert der Unterscheidung den Bauern bzw. Körper als Körperbewußtsein für seine Ziele versklavt, bindet und in Ketten legt. Und wenn er nicht dem Willen des Egos folgt, tritt es als Ankläger auf und will ihn zu schändlicher Strafe verurteilen, um jeden künftigen Widerwillen zu brechen, damit das Ego allmächtig werden kann. So steht nun die Frage: Wer verurteilt die Körperlichkeit oder die Natur im weitesten Sinne? Dazu könnte man rechts die sieben geistigen Kräfte im Menschen wiederfinden, die diese „Beurteilung“ und schließlich auch „Verurteilung“ bewirken, also die fünf Sinne mit dem Verstand und über allem die Vernunft, die als höchster Richter auftreten und nicht vom Ego-Willen beherrscht sein sollte. Sinne und Verstand erscheinen als Ratsherrn oder „Eideshelfer“, und jeder reagiert natürlich etwas anders, so daß man im Hintergrund auch sechs Arten der schändlichen Strafe sehen kann, die doch im Grunde mehr das Ichbewußtsein trifft als den Körper, also mehr den Ankläger als den Angeklagten. Denn auch diese Strafen fügt sich das Ichbewußtsein selber zu, wie bereits im letzten Bild angedeutet. Darin liegt auch die Ursache des Leidens, und man kann angesichts des Bildes gut darüber nachdenken, wie „wahnsinnig“ wir mit der Natur im Kleinen und Großen umgehen, wenn sie nicht unserem eigennützigen Willen folgt, und wieviel Leiden wir uns damit selber schaffen. Die Lösung bzw. Erlösung könnte wieder im Hintergrund angedeutet werden, mit dem Fischer bzw. Fährmann, der die Seele aufnimmt und auf dem Meer der Ursachen bzw. Möglichkeiten aus der Welt der Gegensätze von Gut und Böse, Mein und Dein oder Leben und Tod zum „anderen Ufer“ bringt. Und diesbezüglich kann man die „Seele“ auch als eine „Welle des Bewußtseins“ auf dem „ewigen Meer der Möglichkeiten“ betrachten.

2.123. Vom plötzlichen Tod

Schmerz: Aber ich sterbe zu plötzlich.

Vernunft: Wenn ich mich richtig erinnere, sagtest du vorhin, du seiest gealtert. So frage ich mich, wie plötzlich der Tod eines alten Mannes sein kann, der doch den Tod ständig vor Augen hat, wenn er nicht völlig in den Wahn versunken, um nicht zu sagen, senil geworden ist. Wenn es für alle Altersstufen ein vernünftiger Ratschlag ist, sich bewußt zu sein, daß jeder Tag der letzte ist, den sie zu leben haben, ist es für alte Menschen angebracht, sich jeder Stunde als ihrer letzten bewußt zu sein und nicht so sehr auf Cicero zu hören, der sagt: „Niemand ist so alt, daß er nicht glaubt, noch ein Jahr leben zu können.“ Ja, nicht einmal auf Seneca, der hier von einem Tag spricht.

Schmerz: Ich sterbe so plötzlich.

Vernunft: Was kann ich dir sonst noch sagen, außer zu wiederholen, was in alten Zeiten der Größte aller Männer gesagt hat, der nicht weniger weise als reich war (Julius Cäsar)? Nur einen Tag vor seinem Tod erklärte er in einem Gespräch, als wolle er vorausahnen, was er erleben würde, daß ein plötzlicher und unerwarteter Tod am meisten zu wünschen sei. Diese Meinung weicht jedoch von jener Religion ab, die Gott auf Knien darum bittet, von dieser Art des plötzlichen Todes befreit zu werden (z.B. Psalm 102.25). Und wenn ich die Wahl hätte, ich würde seinen Standpunkt nicht annehmen. Aber du solltest darüber nachdenken, denn ich sage zwar nicht, daß diese Art des Todes zu wünschen ist, aber daß sie leichter zu ertragen sei. Darüber hinaus besteht kein Zweifel, daß ein weiser Mann alles aus der Ferne vorhersehen kann und ihm nichts unerwartet passiert. Daraus folgt, daß der Tod nicht unvorhersehbar sein kann, wenn du vorausschauend gelebt hast. Wie könnte jemand das Wichtigste vernachlässigen, der daran gewöhnt ist, kleine, ja selbst kleinste Dinge sorgfältig abzuwägen? Und kannst du mir unter allen menschlichen Dingen eines zeigen, das wichtiger wäre als der Tod?

Schmerz: Ich sterbe aber zu schnell.

Vernunft: Je schneller, desto leichter, solange der Tod keine Überraschung aus Mangel an Achtsamkeit ist. Wenn er Leiden verursacht, wird es kurz sein. So wird die Erfahrung des Leidens durch die Schnelligkeit des Sterbens verringert, was wiederum die bitterste Zutat des Todes vermindert, nämlich die Angst vor dem Tod.

Petrarcameister - Vom plötzlichen Tod

Für den plötzlichen Tod wählt der Petrarca-Meister ein Beispiel aus seiner Zeit und stellt dazu recht unvermittelt eine von Sebastian Brant angegebene sagenhafte Szene. Ein Bote wird unterwegs von einem Felssturz begraben und stirbt einen unerwarteten einsamen Tod. Den griechischen Tragödiendichter Aeschylus hat der Fabel nach ein plötzlicher Tod ereilt, als ein Adler eine erbeutete Schildkröte ihm hoch aus der Luft auf den Kopf fallenließ. (Der Legende nach hatte er sich dort auf die Felder zurückgezogen, weil ihm ein Orakel geweissagt hätte, daß er beim Einsturz eines Hauses sterben sollte. Da flog ein Adler mit einer Schildkröte vorbei, die er auf einem Felsen zerschellen lassen wollte, um an ihr Inneres zu gelangen. Der Vogel verwechselte Aischylos’ Glatze von oben mit einem Stein, ließ los, und die Beute erschlug den Dichter. - z.B. nach Plinius Naturgeschichte 10.3, um 50 n. Chr.) Fraenger hat mit Recht darauf hingewiesen, wie komisch diese Darstellung ist: Der zeternde Greis, dem die Schildkröte auf die Glatze fällt. Um so eindringlicher wirkt die Szene vom Unglück des Boten. - In seinen durch den Mund der Vernunft gegebenen Betrachtungen wird Petrarcas Schwanken zwischen überliefertem Glaubensdogma und erworbener antiker Lebensweisheit wieder deutlich. Er versucht, die antike Sehnsucht nach einem jähen und schmerzlosen Tode sich zu eigen zu machen, kommt aber dabei von der Furcht vor einem plötzlichen Ende, „unversehen“ mit geistlichem Zuspruch und letzter Ölung, nicht los.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht dreht sich das Bild offenbar um die Frage: Wie vorhersehbar kann der Tod sein? Zum einen durch tote Materie verursacht, wenn „zufällig“ Felsen herunterfallen. Zum anderen durch lebendige Wesen, die „zufällig“ durch Unwissenheit „vom Himmel fallen“ und den Tod verursachen. Und doch wurde er vom „Orakel“ vorausgesagt. Nun, die Frage des „Zufalls“ ist auch heute noch offen. Zum einen glauben wir an die Verkettungen von Ursache und Wirkung in einem „Mechanistischen Weltbild“, so daß prinzipiell alles vorausgesagt bzw. berechnet werden könnte. Zum anderen ist dieses Weltbild seit der Quantenphysik und Chaosforschung nicht mehr haltbar und dazu kommt noch der „Freie Wille“ des Menschen. Eine Antwort könnte im Hintergrund des Bildes auf dem Meer des Lebens zu sehen sein, wie die Körperschiffe alle auf dem gleichen Meer schwimmen und damit auch alles miteinander verbunden ist. Links das Ruderboot mit eigener Kraft und rechts das Segelschiff im Wind. Und zwischen ihnen erreicht vielleicht der Fährmann aus dem letzten Bild das jenseitige Ufer mit dem göttlichen Tempel der Ganzheit, und man sagt, dort erübrigt sich die Frage nach der Vorhersehung von Zufall oder Kausalität im Spiel der Gegensätze von Leben und Tod, denn es gibt nur ein reines Bewußtsein.

Die Seele ist das Schiff,
Die Vernunft das Steuer
Und die Wahrheit der Hafen.
(Türkisches Sprichwort)

2.124. Vom Krankwerden in der Fremde

Schmerz: Ich bin in einem fremden Land krank geworden.

Vernunft: Was spielt es für eine Rolle, welches Land es ist? Die Krankheit ist trotzdem dein.

Schmerz: Du machst dich lustig über mich. Ich bin krank und weit weg von meinem Land.

Vernunft: Wer außerhalb seines eigenen Landes ist, ist sicherlich in einem anderen Land. Außerhalb aller Länder kann niemand krank oder gesund sein.

Schmerz: Du streitest um Worte! Ich bin weit weg von zu Hause krank geworden.

Vernunft: Dieses Übel beinhaltet auch ein Gutes, denn niemand belagert dein Bett, keine klagende Ehefrau und keine Kinder, die doch im Grunde nur um ihr eigenes Wohlergehen besorgt sind und weniger um deines. Was denkst du, wie oft schon das Sterben durch ein Kissen beschleunigt wurde, mit dem die Frau ihren Mann, einen Sohn seinen Vater oder ein Bruder seinen Bruder erstickt hat, was ein Fremder niemals getan hätte? So finden wir die größte Sympathie oft dort, wo sie am wenigsten erwartet wird. Und so kannst du auch sicher sein, daß keiner von denen, die jetzt um dein Bett herumstehen, froh ist, daß du krank wurdest, noch daß dich einer von ihnen tot sehen will. Fragst du nach einem Grund? Keiner von ihnen erwartet dein Erbe! Denn jede Missetat wird durch irgendeine Hoffnung oder Begierde motiviert. Den ruhigen Zustand, den du hier genießt, hättest du zu Hause nicht erreichen können, wo sich viele Belagerer deines Bettes scheinbar wohlwollend, aber sehnsüchtig nach deinem Begräbnis drängen würden, was, wenn ich mich nicht irre, wie eine zweite Krankheit für den Kranken ist, der damit von allen Seiten bedroht wird, hier von Wölfen und dort von Geiern, die ihn gierig beäugen und in Gedanken schon seinen Kadaver verschlingen.

Schmerz: Ich bin aber krank, weit weg von zu Hause.

Vernunft: Woher weißt du das? Vielleicht kehrst du schon bald in deine (wahre) Heimat zurück! Der direkteste und kürzeste Weg nach Hause ist der Tod.

Schmerz: Ich bin so weit in der Fremde!

Vernunft: Ach, die immer nutzlosen und wertlosen Sorgen der Menschen! Warum sollte dein Fieber in der Fremde mehr brennen oder deine Gicht schlimmer sein? Alles, was dir schlecht erscheint, geschieht freiwillig und unterliegt deiner eigenen geistigen Kraft, wie alle anderen Übel, die durch falsche Meinung in die Köpfe eindringen.

Petrarcameister - Vom Krankwerden in der Fremde

Die Tröstungen des Petrarca sind oberflächlichster Art, aber doch charakteristisch für seine Familienfeindlichkeit: „Bist du in der Fremde krank, dann plagen dich nicht deine Frau und deine Kinder…“ - Demgegenüber ist die Darstellung des Petrarca-Meisters von tiefem Empfinden für die Not des Kranken in der Fremde erfüllt: Allein und verlassen liegt ein aussätziger Wanderer am Ufer von fremden Meeren. Ein anderer lahmer Wanderer sucht sich in der Fremde vergeblich mit dem hochmütigen Arzt zu verständigen, der, das Schwert stolz zur Seite, keinen Blick für den Kranken hat, sondern nur auf das Uringlas schaut und danach seinen Heiltrank bemißt.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man im Hintergrund wieder das Meer des Lebens sehen, auf dem die Körperschiffe segeln oder rudern und auch in die „Untiefen“ der oberflächlichen irdischen Welt kommen, wo nun die Seele wie ein Pilger in einem fremden Land wandert. Dort wird sie von der körperlichen bzw. materiellen Trägheit eingeholt, erlahmt und kommt als Körperbewußtsein nur auf den Krücken der äußerlichen Sinne und des begrifflichen Verstandes schwerfällig voran. Das Wasser ihres weltlichen Lebens muß sie in ihrem Eimer der eigenen Körperlichkeit mühsam aus dem Fluß holen, so daß sie oft unter Durst leidet. Damit trifft sie auch auf das stolze Ichbewußtsein mit dem Schwert der Unterscheidung, von dem sie sich Glück und Heilung erhofft. Doch das Ichbewußtsein kann natürlich die eigentliche Krankheit nicht erkennen und gibt nur weltlichen Heiltrank, der mehr süchtig macht als heilt, während die höhere Vernunft oder das Christusbewußtsein, das Wasser des ewigen Lebens geben könnte, welches jeden Durst stillen kann (Joh. 4.13). Entsprechend sieht man rechts im Vordergrund den gealterten Geist auf seiner „Insel des Bewußtseins“, wie er unter dem Baum der Gegensätze am „Aussatz“ bzw. an der Unwissenheit erkrankt und vom körperlichen Wandern und Suchen müde in den Schlaf und schließlich auch in den Tod fällt, weil er nicht erkennt, wie er von seiner Trauminsel in seine wahre Heimat zurückkehren kann.

2.125. Vom Sterben in der Fremde

Schmerz: Ich sterbe in einem fremden Land.

Vernunft: Passiert dir das als Reisender oder als Verbannter? Wenn du wegen eines Besuchs, zum Lernen oder sogar wegen religiöser Hingabe in der Fremde zurückgehalten wurdest, dann solltest du dich freuen, daß der Tod dich inmitten ehrenvoller Tätigkeit fand. Wenn du wegen eines gerechten Urteils in der Verbannung bist, sollte sie nicht nur mutig ertragen werden, sondern auch bereitwillig, denn es gibt keinen besseren Weg, die Übertretungen eines Menschen zu sühnen, als bereitwillig und still die verdiente Strafe zu ertragen. Und wenn das Urteil zu Unrecht von einem Tyrannen verhängt wurde, solltest du dich trotzdem nicht darüber ärgern. Ich denke, das haben wir ausreichend diskutiert, als wir über die Verbannung ins Exil sprachen (im Kapitel 2.67).

Schmerz: Ich sterbe aber weit weg von zu Hause.

Vernunft: Ich sagte dir ja schon, daß dies der direkteste und kürzeste Weg ist, um nach Hause zurückzukehren. Oder hast du die Geschichte von Eudemus, dem Freund von Aristoteles aus Zypern, vergessen, über den Aristoteles und auch Cicero geschrieben haben? Dieser Eudemus wurde in Thessalien schwer krank und träumte, daß er bald genesen und fünf Jahre später nach Hause zurückkehren würde, aber der Tyrann Alexander von Pherai, in dessen Stadt er sich befand, bald sterben würde. Als Eudemus wider Erwarten nach einigen Tagen gesund und der Tyrann von seinen Schwiegereltern ermordet wurde, begann er zu glauben, daß sich sein ganzer Traum erfüllen würde, und er erwartete, auch innerhalb der versprochenen Zeit nach Hause zurückzukehren. Doch am Ende des fünften Jahres wurde er in der Schlacht bei Syrakus getötet. Die Traumdeuter sagten, damit ein Teil seines Traums nicht falsch erscheinen sollte, daß er auf diese Weise tatsächlich nach Hause zurückgekehrt sei. Was ich über Träume denke, habe ich dir an anderer Stelle erklärt. Hier erwähne ich nur das, was mir in den Sinn kommt, wenn wir über das Heimgehen sprechen.

Schmerz: Ich werde aber gezwungen, in einem fremden Land zu sterben.

Vernunft: Als wir über das Exil sprachen, habe ich erklärt und wiederhole es jetzt: Entweder stirbt niemand in einem fremden Land oder es ist das Schicksal aller. Die guten Gelehrten sind der Meinung, daß jeder Teil der Erde die Heimat der Menschheit ist, besonders für Menschen mit einem starken Geist, welcher nicht zu sehr an dieser oder jener bestimmten Region der Welt hängt. Andere meinen, das Heimatland sei dort, wo es sich gut leben läßt. Und umgekehrt sagen manche, daß der Mensch nirgendwo auf dieser Erde zu Hause ist. Ersteres ist die allgemeine Ansicht und Letzteres ein Grundsatz der höheren Philosophie.

Schmerz: Ich sterbe weit weg von der Heimat, in der ich geboren wurde.

Vernunft: Wo auch immer du stirbst, dort wird es mit Sicherheit auch deine wahre Heimat geben. Sie wird dich viel länger halten als jedes andere Land, dich nicht wieder umherwandern lassen und dich als dauerhaften Bewohner an seinen Busen ziehen. Lerne sie zu lieben, und sie wird dich in ihren Einwohner verwandeln, auch wenn du woanders geboren wurdest.

Schmerz: Ich sterbe und werde weit weg von zu Hause begraben.

Vernunft: All die heiligen und göttlichen Menschen, die in der ersten Zeit (nach Christi) wie du in ihrem Heimatland geboren wurden, starben und wurden an vielen verschiedenen Orten über die ganze Erde verstreut begraben, in Ephesus, Syrien, Persien, Armenien, Äthiopien, Indien, Griechenland, Rom oder in der äußersten Region Spaniens (bezüglich der Apostel Christi). Einige wurden angeblich von den Orten entfernt, an denen sie starben, und sind jetzt in bestimmten Städten Italiens begraben. Ich spreche natürlich von ihren irdischen Überresten, weil ihre Seelen zweifellos schon lange im Himmel sind.

Schmerz: Ich muß aber in einem fremden Land sterben.

Vernunft: Was soll ich über die Männer der zweiten Periode (um 400 nach Christi) sagen? Über den (Hieronymus), der zuerst von Stridon nach Bethlehem und nach seinem Tod nach Rom gezogen ist? Ihn (Martin von Tours), der von Pannonien kam und in Gallien starb, ihn (Dionysius), der von Paris kam und in Athen starb, oder andere (wie Damasus) die von Griechenland oder Spanien kamen und in Rom starben? Es gibt einen (Ambrosius von Mailand), den Mailand zu seinen Lebzeiten aus Rom erhielt, und einen (Augustinus), der nach seinem Tod aus Afrika nach Sardinien und kurz darauf nach Pavia kam, nämlich die beiden leuchtenden Lichter des Abendlandes, verwandte Geister mit gleichen Verdiensten und leibliche Nachbarn. Du erkennst, von wem ich spreche, und ich kann viele weitere übergehen und mich beeilen. Doch damit es nicht an Beispielen aus der dritten Periode (bis 1200) mangle: Zypern begrub einen von Palästina, Kampanien einen von Nursia und Italien zwei von Spanien, einen in Bologna (Dominikus) und einen anderen in Padua (Antonius).

Schmerz: Ich verstehe die Beispiele gut. Aber ich bin immer noch unglücklich darüber, weit weg von zu Hause zu sterben.

Vernunft: Und ich verstehe den Grund dafür gut. Diese heiligen Geister, die natürlich immer den Blick auf den Himmel gerichtet hatten, machten sich keine Sorgen um ihre Heimat auf dieser Erde. Davon bist du noch nicht frei. Aber glaube mir, du mußt dich davon befreien, um in den Himmel zu kommen. So laß mich noch einige andere Freunde der Tugend hinzufügen, die sich des Himmels bewußt waren, aber auf der Suche nach dem Himmel die Erde noch nicht vergessen hatten: Metaponto beherbergt die sterblichen Überreste von Pythagoras von Samos. Cicero, geboren in den Arpine und aufgewachsen in Rom, hat in der Nähe des Hafens von Caieta sein Leben aufgegeben. Plinius, den der Fluß Athesis als Kind badete, wurde als alter Mann von der Asche des Vesuvs bedeckt. Virgil kam in Mantua zur Welt und hat sie in Brindisi oder nach anderen Aussagen in Taranto verlassen, und Neapel beherbergt jetzt sein Grab. Ovid wurde in Sulmo geboren und starb in Pontus (Tomis an der Schwarzmeerküste) im Exil. Der Komödien-Dichter Terenz, der angeblich in Karthago geboren wurde, wurde in Rom unterrichtet und ruht jetzt in Arkadien (Griechenland). Horaz wurde in Apulien geboren, Ennius in Kalabrien, Statius in der Provinz Narbonne, Ausonius in Gascogne, und Cordoba brachte die drei Annaei hervor oder, wie manche sagen werden, die vier, nämlich die beiden Senecas, Gallio und Lucan. Sie alle, sowie Plautus von Arpine, Lucilius von Suessa Aurunca, Pacuvius von Brindisi, Juvenal von Aquinum, Propertius von Umbrien, Valerius Flaccus von Antium, Catullus von Verona, Varro von Cremona, Gallus von Forli, Accius von Pesaro, Cassius von Parma, Claudian von Florenz, Persius von Volterra und tausend andere wurden von Rom angezogen, und die meisten sind auch dort begraben. Nur der in Padua geborene Livius wurde sozusagen in letzter Minute zur Beerdigung an seinen Geburtsort zurückgebracht. Ebenso gebar Rom viele Große, die an anderen Orten sterben sollten.

So ist diese ganze Welt wie ein enges, verwinkeltes Haus, in dem die Menschen von einem Ende zum anderen gehen, um hier zu leben und dort zu sterben. Für tapfere Geister bedeutet dies nicht mehr, als beispielsweise vom Speisezimmer ins Bad oder von einer warmen Kammer für den Winter auf eine sommerliche Veranda zu wechseln! Solche Ortswechsel sind bei allen üblich, besonders bei angesehenen Leuten.

Schmerz: Ich weiß, daß es so ist. Aber es macht mich traurig, außerhalb meiner Heimat sterben zu müssen.

Vernunft: Du wärst nicht weniger traurig, wenn du dort sterben müßtest, was du deine Heimat nennst. Denn du vergießt gerne Tränen und suchst Gründe für deine Trauer, als ob es ein besonderes Vergnügen wäre. Und weil deinem Verstand, der von den Irrtümern der gewöhnlichen Menschen befallen ist, durch meine Beispiele von heiligen und auch gelehrten Männern der Mäßigung nicht geholfen wurde, werde ich mich jetzt den wohlhabenderen Größen zuwenden und dir zeigen, daß das, was du bedauerst, auch Königen, Kaisern, Generälen und den berühmtesten Herrschern widerfahren ist. Vielleicht finde ich dann heraus, ob du prinzipiell ablehnst, was das Schicksal aller Menschen ist.

Schmerz: Ich ahne, was du sagen willst und welche Beispiele du meinst. Aber was nützen solche Worte? Ich leide, weil ich außerhalb meiner Heimat sterben muß, und die fremde Umgebung verschlimmert die Todesqualen.

Vernunft: Ich verstehe, du fürchtest die heilende Hand. Trotzdem werde ich weitermachen, wie erfolgreich, wirst du selbst beurteilen müssen. Mir genügt es, die Wahrheit zu sagen und dich gewissenhaft zu beraten: Alexander wurde in Pella geboren , in Babylon getötet, und Alexandria hat sowohl den Namen seines Gründers als auch seine Asche. Ein anderer Alexander wuchs im königlichen Palast von Epirus auf und ertrank in einem Fluß in Lukanien. Der jüngere Cyrus wuchs in Persien auf, wurde aber bei den Skythen in Stücke gehackt. Sowohl Marcus Crassus als auch der Große Pompeius wurden in Rom und im gesamten Römischen Reich bewundert. Und so wie ihre Heimat mit der Vortrefflichkeit dieser Männer leben konnte, hätte sie auch ihre Asche aufnehmen können, wenn es das Schicksal zugelassen hätte. Doch der erste liegt in Assyrien jenseits des Euphrats begraben, und der zweite treibt in den Strömungen des ägyptischen Golfs.

Dem jüngeren Cato gab Rom sowohl Leben als auch Namen, aber Utica gab sowohl sein Ende als auch seinen Nachnamen (Cato Uticensis). Die Scipios Corneliusse wuchsen in Rom aus den besten Samen, die für das Gemeinwesen am gewinnbringendsten waren, dem sie immer ruhmreich dienten, und doch wurden sie ihrem Schicksal entsprechend verstreut: Die beiden, welche die Großen genannt werden, sind von der Erde Spaniens bedeckt. In fremden Gräbern begraben sind auch Africanus Major in Liternum, Scipio Nasica in Pergamon und Lentulus in Sizilien. Von der ganzen Familie sind die einzigen, die in Rom liegen, Scipio Asiaticus und Africanus Minor. Und es wäre vielleicht besser gewesen, wenn sie woanders gestorben und begraben wären, sogar in der Fremde, weil Asiaticus mit Gefängnis bestraft wurde und der andere mit dem Tod. So kommt es häufig vor, daß man woanders besser lebt und besser stirbt als in seiner Heimat.

Auch die drei Decii (obwohl die Geschichte nur zwei von ihnen feiert) starben tapfer in der Fremde, denn der Vater kämpfte gegen die Latiner, der Sohn gegen die Etrusker und der Enkel, den Cicero hinzufügt, gegen Pyrrhus. Soll ich jetzt auch, wie sie mir in den Sinn kommen, diese ausgezeichneten Führer aufzählen, die alle in Rom geboren und anderswo gestorben sind? Afrika sah Atilius Regulus, der grausam und glorreich starb, seinem Vaterland diente und dem Feind treu blieb. Im nächsten Krieg sah Cortona wie Gaius Flaminius starb, Cumae sah Aemilius Paulus, Venusia sah Claudius Marcellus und Lucania sah Tiberius Gracchus. Keiner von ihnen war dazu bestimmt, in Rom zu sterben. Die beiden großen Hoffnungen des Römischen Reiches, Drusus und Marcellinus, wurden in der Blüte ihrer Jugend niedergeschlagen, beide auf dem Heimweg, aber fern von Rom, der eine in Deutschland und der andere in Baiae.

Bist du stolzer als Tarquin und mächtiger als Sulla? Doch ersterer starb in Cumae und jener als großer Herr in Puteoli. Und was kann ich über die Männer aus jüngerer Zeit sagen? Augustus Caesar, Vater des Landes, starb außerhalb von Rom in Nola in Kampanien. Tiberius, ihm gleich an Macht, aber nicht im Verhalten, starb in Misenum in Kampanien. Vespasian und Titus, zwei hervorragende Herrscher, starben, wie es sich für Vater und Sohn gehört, in derselben Villa, nicht weit entfernt, aber nicht in Rom. Trajan wurde im Westen geboren, starb aber im Osten. Septimius Severus, aus einfachen Verhältnissen in Afrika geboren, regierte stolz in Rom, ist aber in York in England begraben. Theodosius wurde in Spanien geboren, starb in Mailand und liegt in Konstantinopel, das zuvor auch seinen gleichnamigen, aber anderswo geborenen Gründer begraben hatte. Und was kann ich über andere sagen? Lykurg floh aus Sparta und wurde von Kreta aufgenommen, demselben Kreta, das sah, wie König Saturn ging, vertrieben von seinem Sohn, um sich in Italien zu verstecken und dort begraben zu werden. Hannibal, der Ruhm Afrikas, ruht jetzt in einer Urne in Bithynien. Theseus, Themistokles und Solon, die drei Kronjuwelen von Athen, hat das Schicksal so weit auseinander verstreut, daß der erste in Syrien, der zweite in Persien und der dritte in Zypern begraben ist, in Gräbern, die solcher Toten nicht würdig sind. Der Tag hat nicht genug Stunden, um alle anderen aufzuzählen, und meine Aufgabe ist es auch nicht, dich mit Geschichte zu überhäufen, sondern damit zu warnen.

Schmerz: Ich verstehe und stimme zu, daß alle Aufgezählten und viele andere außerhalb ihres Heimatlandes gestorben sind. Aber ich bestreite, daß sie es freiwillig getan haben, und ich glaube, es hat sie sehr betrübt.

Vernunft: Wie kannst du das glauben? Vielleicht nur, weil alle Unwissenden andere so beurteilen, wie sie sich selbst beurteilen, und denken, daß das, was für sie schwierig ist, für andere nicht einfach sein kann. Vielleicht hast du auch schon einmal das alte Sprichwort gehört: „Es ist gut, im Ausland zu leben, aber es ist schlecht, dort zu sterben.“ Man könnte allerdings auch sagen, daß beides gleich gut ist, wenn sich darin Tugend, Geduld und Rechtschaffenheit zeigen, und beides schmerzhaft ist, wenn man Böswilligkeit, Jammern und Trägheit entgegensetzt. Was ich hinzufüge, mag dich überraschen, da es dem Sprichwort widerspricht. Aber wenn Beschwerden über den Ort überhaupt einen Wert haben, dann würde ich es umkehren und sagen, daß dem Lebenden die Heimat mehr bedeuten sollte, als dem Sterbenden, der an jedem Ort gehen muß, egal wo er ist.

Schmerz: Das macht Sinn, aber ich sterbe trotzdem lieber zu Hause.

Vernunft: Ja, der menschliche Wille ist stur und hemmungslos, wenn er nicht durch Tugend und Weisheit gezügelt wird. Bei genauerer Überlegung wirst du zugeben müssen, daß dich die ganze Sache eigentlich nichts angeht, weil du selbst hier nicht länger bleiben kannst, und deine Knochen nicht unterscheiden können, wo sie mehr oder weniger angenehm in der Erde liegen. Und wohin du gehst, dahin kannst du von woanders nicht schneller oder einfacher gelangen. Anaxagoras, der im Ausland starb, sagte es elegant. Als ihn seine Freunde fragten, ob er in seiner Heimat beerdigt werden wolle, antwortete er, das sei nicht nötig, und begründete dies damit, daß von jedem Ort der Weg unter die Erde gleich weit sei. Und diese Antwort ist für diejenigen, die in den Himmel aufsteigen, nicht weniger gültig als für diejenigen, die in die Hölle fallen.

Schmerz: Ach, wenn ich nur zu Hause sterben könnte!

Vernunft: Wenn du dort wärst, würdest du vielleicht woanders sein wollen. Akzeptiere, wie es ist, und lerne damit im Sterben, was du zu Lebzeiten hättest lernen sollen. Warum ist es so schwer für euch Sterbliche, etwas ohne Klagen und Zagen zu akzeptieren? Alles, was ihr habt, ist immer das Schlimmste, und was euch fehlt, das Beste.

Schmerz: Ach, könnte ich zu Hause sterben!

Vernunft: Dort könntest du viele Dinge sehen, die dir das Sterben nur schwerer machen würden. Stell dir also vor, daß du von zu Hause weg bist, um alle Sorgen loszuwerden und frei zu sein, um an nichts anderes als an Gott und deine Seele zu denken.

Petrarcameister - Vom Sterben in der Fremde

Der Klage des Schmerzes gegenüber weist die Vernunft verschiedene Wege, um sich über das Los eines Todes in fremden Landen zu beruhigen. Petrarca lehnt diesmal den christlichen Trost ab, der auf den Himmel als unser aller Vaterland verweist. Ebenso ist er Renaissancemensch mit einem festen Begriff von Ruhm und Ehre seines römischen Vaterlandes, wenn er dem Gedanken absagt, dort sei des Menschen Vaterland, wo es ihm wohl ergehe. Am ehesten läßt Petrarca noch den Spruch des Anaxagoras bei seinem Tod im fremden Land gelten: „Es ist aller Orten gleich nahe zur Erde.“ - Auf die sehr zahlreichen Beispiele, die Petrarca dem Leser anbietet, verzichtet Sebastian Brant bei seinen Angaben für die Illustration. Er wählt ein Beispiel aus der christlichen Heiligenlegende. So stellt der Petrarca-Meister einen frommen Einsiedler dar, der im fremden Land, wo Palmenbäume wachsen, vor der Höhle gestorben ist, die ihm jahrelang als Zuflucht gedient hatte. Auch in seiner Einsamkeit hat ihn Gott im Tod nicht vergessen. Auf göttliche Weisung hin graben zwei Löwen ein Grab. Wenn Sebastian Brant bei seinen Anweisungen an den Tod des ersten Einsiedlers Paulus von Theben gedacht hat (siehe auch Bild und Geschichte in Kapitel 1.18), dann ist der jugendliche Mönch nicht zu erklären, der an der Leiche des Einsiedlers betet. - Als Parallele aus der eigenen Zeit hat der Petrarca-Meister im Hintergrund den frommen Pilger in fremden Landen dargestellt, der plötzlich und einsam stirbt. Auch er ist nicht verlassen, der Engel nimmt seine Seele in Gnaden in Empfang.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man im Vordergrund des Bildes die Natur sehen, die sich um das Körperliche kümmert, so daß zwei Löwen das Grab in der Erde bereiten, vielleicht als Symbol für die irdische Macht der Natur im Spiel der Gegensätze. Dagegen sieht man im Hintergrund, wie sich der Geist um das Seelische kümmert, so daß ein Engel als Symbol für die himmlische Macht des Geistes herabkommt und die aufstrebende Menschenseele in Empfang nimmt, damit sie als Welle des Bewußtseins auf eine höhere Ebene aufsteigen kann. In diesem Sinne ist es natürlich unwichtig, an welchem Ort der Mensch auf der Erde stirbt, denn Natur und Geist bzw. Bewußtsein sind überall gegenwärtig. Zwischen diesem Vordergrund der Natur und dem Hintergrund des Geistes könnte man wie ein Band oder eine „Verbindung“ den Fluß des Lebens erkennen. Und man sagt, um sich aus dieser Gegensätzlichkeit zu erheben, müßte man sowohl die körperliche als auch die geistige Anhaftung des Ichbewußtseins an bestimmte Formen auflösen, also den Weg der weltlichen Entsagung allen „Eigentums“ gehen. Diesen Weg könnte man im jungen Mönch erkennen, der im Wald dieser Welt sowohl das Körperliche als auch das Geistige in einer Gottheit bzw. Ganzheit verehrt und damit den heiligen Einsiedler in seiner körperlichen Höhle und den heiligen Pilger auf seinem geistigen Weg miteinander vereint.

2.126. Vom Sterben in Sünde

Schmerz: Ich sterbe in einem Zustand der Sünde.

Vernunft: Dies ist nicht die Schuld der Natur oder des Schicksals, sondern deine eigene.

Schmerz: So sterbe ich in einem Zustand der Sünde.

Vernunft: Wer hat dich eigentlich zum Sündigen gezwungen? Als nächstes, wer hat dir verboten zu bereuen, nachdem du gesündigt hattest? Und zuletzt, wer verhindert jetzt deine Reue, auch wenn es spät ist? Diese Freiheit hat dein Geist bis zum allerletzten Atemzug.

Schmerz: Ich werde meine Sünden mitnehmen, wenn ich sterbe.

Vernunft: Paß auf, daß du das nicht tust! Lege dieses giftige und tödliche Gepäck ab, solange noch Zeit ist! Du hast Ihn, der wegnimmt und auslöscht, wie geschrieben steht: „Er wirft deine Sünden hinter seinen Rücken in die Tiefe des Meeres (Mich. 7.19). Und so weit der Osten vom Westen entfernt ist, so weit hat er sie von dir entfernt (Psalm 103.12).“ Vernachlässige nicht diese kostbare Stunde, die nicht wiederkehrt, wenn sie einmal vergangen ist! Dies gilt zwar für alle Stunden, denn sie vergehen und kommen niemals wieder, aber oft kann das, was in einer Stunde vergessen wurde, in einer anderen nachgeholt werden. In der letzten Stunde des Lebens ist jedoch jede Nachlässigkeit irreparabel. Es wird gesagt, daß man während des innerlichen Gesprächs in seinem Geist entdecken kann, daß die Sünden im Leben wie leichte Stürze auf einer weichen Wiese sind, wo man einfach wieder aufstehen kann. Aber die Sünde im Tod ist wie ein schwerer Sturz in einen tiefen Abgrund, nach dem es keine Möglichkeit mehr gibt, wieder auf die Beine zu kommen. Die erlittene Verletzung ist so schwer, daß sie nicht geheilt werden kann. Heile also, solange du Zeit hast, und denke nicht nur daran, was die moderneren Autoren sagen, sondern auch was Cicero rät, wenn er in seiner Abhandlung über die Wahrsagerei von denen spricht, die sterben: „Strebt vor allem danach, löblich zu sterben, weil diejenigen, die anders gelebt haben, als sie sollten, in einer solchen Zeit den größten Schmerz über ihre Sünden empfinden.“ Wie um alles in der Welt könnte man das genauer und nützlicher ausdrücken? Laß es also geschehen, wie gesagt wurde, und bereue, selbst zu dieser späten Stunde! Alle Aufschübe sind riskant und gefährlich. Viele sind getäuscht worden, die wissentlich und willentlich die Reinigung ihres Gewissens aufgeschoben haben, die so schnell wie möglich erfolgen sollte, und bis zum Ende gewartet haben, wo sie dann, gedrängt durch die Zeit und betäubt vom Herannahen des Todes, versäumten, was sie beabsichtigten. Obwohl von zeitgenössischen Autoren viel darüber gesagt wurde, ist es keineswegs unwichtig, auch Virgil zuzuhören, der sozusagen ein antiker Zeuge ist, nämlich den Worten, mit denen er sich auf die träge Nachlässigkeit der Sühne bezieht. In einer Passage beschreibt er den für Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit bekannten Richter in der Unterwelt, der „züchtigt, die Geschichte der Schuld hört und Geständnisse der Verbrechen fordert, wann immer in der oberen Welt ein Mensch, der sich an eitlem Betrug erfreut, die Sühne bis zur späten Stunde des Todes hinausgeschoben hat.“

Aber so gefährlich das auch sein mag, nichts ist gefährlicher als die Verzweiflung. Sie ist das Schlimmste, was der Feind deiner Erlösung erfunden hat. Alle seine anderen Strategien können durch Heilmittel gemildert werden. Aber dieses größte und äußerste Übel, das die Seele bedrückt, wenn sie abreist, ist nicht heilbar. Der Verzweiflung muß jederzeit und mit ganzer Entschlossenheit widerstanden werden, wenn der Tod nahe ist und immer bösartiger droht. Nun spricht nichts mehr dafür, zu zögern und damit diesen letzten Ratschlag für dein Heil abzulehnen. Laß dich nicht von der Angst zurückhalten, noch von der Scham und dem Kummer darüber, so zögerlich gewesen zu sein! Es ist besser, sich abends zu regen, als gar nicht. Und wenn es schlecht ist, etwas aufzuschieben, dann ist es noch viel schlechter, es ganz zu versäumen!

Schmerz: Ich sterbe ohne Hoffnung.

Vernunft: Falsch! Ergreife die weggeworfene Hoffnung wieder, nimm sie an deine Brust, umarme sie mit deiner ganzen Seele, halte sie fest und bewahre sie!

Schmerz: Meine Sünden sind zu groß!

Vernunft: Keine Sünde des Menschen kann größer sein als die Barmherzigkeit Gottes.

Schmerz: Wer könnte so viele Sünden vergeben?

Vernunft: Wer schon, wenn nicht der, der seine Feinde in Erstaunen versetzte, die über ihn stritten und fragten: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt? (Luk. 7.49)

Schmerz: Wer könnte jemals die Vergebung so vieler Sünden verdienen?

Vernunft: Niemand könnte es jemals verdienen, noch hat es jemand jemals verdient. Aber viele haben Gnade gefunden und werden sie weiterhin finden, die Gott in Glauben und Ehrfurcht darum gebeten haben. Es wird berichtet, daß einige versuchten, Kaiser Konstantin davon zu überzeugen, daß es keine Vergebung der Todsünden gebe. Daß diese Lehre falsch ist, wird jedoch nicht nur von deinen (christlichen) Gelehrten anerkannt, die die Vergebung der Sünden durch Taufe und Buße akzeptieren. Auch die Heiden glaubten es, wenn auch nicht mit vollem Recht, denn diese Medizin war damals noch kraftlos, weil der himmlische Heiler (Christus) noch nicht gekommen war. Doch wenn die Seele nicht von der Sünde gereinigt und die Ungerechtigkeit nicht ausgetilgt werden könnte, hätte dieser große Sünder (Konstantin), der zu einem großen Heiligen geworden ist, all seine Gebete vergeblich erhoben.

Schmerz: Das Wissen um meine Sünden schließt jede Hoffnung aus.

Vernunft: Die Erinnerung an deine Sünden sollte Reue und Kummer in deinem Geist hervorrufen, aber nicht die Hoffnung zerstören. Ihr Menschen betrügt euch in allen Belangen! Feurig, wenn ihr sündigt, kalt erstarrt, wenn ihr gesündigt habt. So brennst du vor Lust, wenn du sündigst, und verzweifelst, wenn du dich daran erinnerst. Dagegen gibt es auch viele, die sündigen, weil sie auf Vergebung hoffen. Beides ist falsch. Mein Rat an Letztere wäre, ihre unheilsame Hoffnung von Anfang an aufzugeben, und an Erstere, bis zuletzt ihre heilsame Hoffnung zu bewahren.

Schmerz: Der drohende Tod löst schwere Schuldgefühle aus. Was soll ich machen?

Vernunft: Was anderes als das, was du schon längst hättest machen sollen: Lege diese unglückliche Last schnell ab! Sobald du sie los bist, kannst du ruhig gehen, anstatt kopfüber zu fallen. Du wirst schreiten, nicht gebeugt und schwankend, sondern aufrecht, mit sicheren und festen Schritten und in guter Hoffnung. Geh jetzt, zögere nicht und verzweifle nicht! Er ist nahe, der auf dein Gebet hin die Last von deinen Schultern nehmen wird, der schon viel schwerere Lasten aufgehoben hat und für den nichts zu schwer oder zu schwierig ist. Deine lange Verzögerung entbehrt jeder Entschuldigung. Aber deiner Umkehr wird es nicht an Lob fehlen, auch wenn sie spät kommt. Lieber spät zur Vernunft kommen als gar nicht! Kopf hoch, entspanne dich! Ein paar fromme Tränen haben schon viele vom Abgrund der Hölle zurückgerufen.

Er steht auf der rechten Seite am Kopfende deines Bettes, der dem Kranken nicht nur gesagt hat „Ich werde dich heil machen! (Matth. 8.3)“, sondern auch einem, der bereits stank, weil er vier Tage begraben war, befahl, herauszukommen (Joh. 11.39). Jetzt erwartet Er von dir, daß du heil gemacht werden und herauskommen willst, nicht weniger liebevoll oder mächtig als damals. So liegt es an dir zu entscheiden, in welchem Zustand du sterben wirst. Du kannst immer noch frei von Sünde sterben, nicht weil du niemals welche gehabt hättest, sondern weil sie dir vergeben wird. Plinius dachte, daß Gott keine Macht über das Vergangene habe außer dem Recht des Vergessens (bzw. Zurücklassens). Was dieser äußerst wißbegierige Mann nicht wahrnahm, war, daß Gott auch das Recht der Auflösung ausübt. Wenn auch das, was du getan hast, nicht rückgängig gemacht werden kann, so können doch Sünden, die deiner Tat entsprungen sind, wieder aufgelöst werden, so daß sie nicht mehr existieren. Wie auch geschrieben steht: „Seine Sünde wird gesucht und nicht gefunden werden. (Psalm 11.15)“ Aber nicht, daß der Mensch selber die Macht hätte, sich von den Fesseln der Sünde zu befreien, sondern daß es dem frommen Willen und reuigen Herzen der Menschen nie an göttlicher Hilfe mangelt.

Petrarcameister - Vom Sterben in Sünde

Der Petrarca-Meister hat wortwörtlich illustriert. Er teilt seine Darstellung und unterscheidet zwischen dem zufälligen und dem willentlichen Tod in Sünden. In der Darstellung der rechten Bildhälfte werden ein Mönch und eine reich gekleidete Frau, die in inniger Umarmung im Wald liegen, von einem Alten unvermutet mit dem Schwert erstochen. Sie sterben inmitten der Sünde. Dagegen ist der Sachverhalt der Darstellung in der linken Bildhälfte komplizierter. Eine Frau sitzt anscheinend sterbend im Wald. Neben ihr stehen zwei Freundinnen oder Verwandte, die auf sie einreden. Auch die drei Männer im Vordergrund gestikulieren zu ihr hinüber. An der Totenbahre, die links steht, sitzt wartend ein Priester mit Weihrauchfaß, Weihwasser und Wedel, um die Beichte zu empfangen und die Absolution zu erteilen. Er ruht müßig, seine Dienste werden abgewiesen. Dagegen fliegt der Teufel heran, auf einer nackten Hexe mit Pferdehufen reitend. Mit fliegender Peitsche beschleunigt er den Flug, um sich der sündig gebliebenen Seele rechtzeitig zu bemächtigen. So ist der Sachverhalt des willentlichen Verharrens in der Sünde in der Tat sinnfällig zur Darstellung gekommen.

Soweit schreibt Walther Scheidig zum Bild. Aus geistiger Sicht kann man hier das weltliche Spiel zwischen Männlich und Weiblich bzw. Geist und Natur erkennen und wie die Sünde überwunden werden kann, so daß der Priester am Ende nichts mehr zu tun hat, um den Toten noch zu reinigen. Dazu sieht man links drei junge Gesellen auf der hellen Seite des Bildes im Licht des Geistes, die sich von den Verführungen der Natur auf der dunklen Seite im Wald fernhalten. Sie erinnern uns an Begierde, Haß und Unwissenheit, die unter der Herrschaft der höheren Vernunft ihre Macht verlieren, so daß auch das eigenwillige Ichbewußtsein mit seiner Anhaftung an die Formen der Natur schwindet, welches als trennendes Bewußtsein die Ursache der Sünde bzw. Trennung von Gott ist. Dazu sieht man links oben über der Ego-Burg, wie der tierhafte Ego-Teufel auf der Natur reitet und sie an den Haaren ergreift, um seine unersättlichen Begierden zu sättigen, so daß die Natur mit ausgesaugten Brüsten hexenhaft häßlich und sündhaft am geistigen Himmel über dem Sarg als Ursache des Todes erscheint. Mit seiner Peitsche treibt er den auf der linken Bildseite dargestellten „Teufelskreis“ im Ego-Spiel der Verführung durch Begierde, Haß und Unwissenheit an, dem es zu entkommen gilt. Dazu kann man zwischen den drei Gesellen des Geistes und den drei Verführungen der Natur einen holen Baumstumpf erkennen, der an den Baum der Gegensätze erinnert, der durch die Entsagung seine Kraft verliert und keine Früchte mehr tragen kann. Und an diesem Baumstumpf vorbei führt der „Ausweg“ aus dem Teufelskreis aus der äußerlichen in die innerliche Natur hinein, auf dem man die Vernunft als altgewordenen Geist sehen kann, der dort ein Liebespaar „in inniger Umarmung“ findet. Im Gegensatz zum Teufel, der auf der Natur reitet, erinnert der Mönch, der aus dem vorhergehenden Bild bekannt und nun alt und weise geworden ist, an einen reinen und armen Geist und die junge Frau an eine schöne und reiche Natur, die sich hier im Inneren wieder vereinen. Und das zweihändig geführte Schwert der Vernunft ist dann kein Schwert der Unterscheidung zum Töten, sondern ein Schwert der Entscheidung zum „Überleben“, das alle Gegensätze besiegt und damit auch den Tod und die Sünde, so daß es keine Trennung mehr vom Ganzen bzw. von Gott geben kann. Und wenn man genau hinschaut, kann man hinter dieser Vernunft mit dem Schwert der „Entscheidung“ im Wald versteckt noch ein weibliches Wesen erkennen, das vielleicht daran erinnert, daß die ganze Natur hinter diesem ganzen Geist steht und ihr ganzer Sinn darin besteht, dieses höchste Ziel zu erreichen, damit dann im Vordergrund in der Einheit von Geist und Natur der Baum des ewigen Lebens in den Himmel wachsen kann.

2.127. Vom Sterben in Sorge um Güter und Kinder

Schmerz: Was passiert mit meinen Gütern, und was mit meinen Kindern?

Vernunft: Deine Güter finden ihre Besitzer und deine Kinder ihre Schicksale.

Schmerz: Was wird mit meinen großen Reichtümern passieren?

Vernunft: Zweifellos werden sie deinen Erben nicht allzugroß erscheinen. Nie gibt es Reichtümer, die groß genug sind, daß nicht irgendetwas fehlt. Überlaß diese Sorge ihnen, die deine Güter herumwirbeln und deinen vielgeliebten Gewinn hier und da verstreuen.

Schmerz: Was wird meinen Kindern passieren?

Vernunft: Weil sie ihres irdischen Vaters beraubt sind, wird sie der himmlische Vater in seine Obhut aufnehmen, der sie nicht so zurückläßt, wie du es tun mußt, und sie nicht zu Waisen machen wird. Er wird sie von Kindesbeinen an ernähren und lehren, vorausgesetzt, sie sind bereit zu lernen, und wird sie nicht im Stich lassen bis ins hohe Alter, in den Tod und ins Grab. Wenn ein Mensch geboren wird, ist seine große Hoffnung Gott, nicht sein irdischer Vater, egal wie reich er sein mag, selbst wenn er ein König wäre. Man sollte sein Haus nicht auf Sand bauen, sondern auf einen Felsen. Alle Hoffnungen auf Menschen sind kurzlebig und schwach. Daher werden deine Kinder, die von der Hoffnung, die sie in dich gesetzt haben, getäuscht wurden, sich jetzt auf Gott verlassen und mit David singen: „Denn mein Vater und meine Mutter haben mich verlassen, aber der Herr hat mich aufgenommen. (Psalm 27.10)“ Die Begabungen und die Saat der Tugend in ihrem Geist wurden schon bei vielen Kindern durch die Liebkosungen der Eltern verdorben, so wie sie umgekehrt durch den Verlust der Eltern und durch Armut von ihrer ungezügelten Verweichlichung befreit wurden.

Schmerz: Wohin werden alle meine Reichtümer gehen?

Vernunft: Sie werden dorthin zurückkehren, woher sie kamen, nämlich in die Hände des Schicksals. Und von dort werden sie immer wieder von einem zum anderen gehen und nie lange bei jemandem bleiben. Sie sind ruhelos und schwer faßbar, was ein gewisses Rätsel aufwirft. Einige spekulieren, daß dieses rätselhafte Verhalten auf die runde Form der Münzen zurückzuführen ist und sagen, daß dies ein Hinweis auf den Umlauf des Geldes sei: Eine witzige Anspielung, die ich sicherlich nicht leugnen kann. Aber es wäre wohl nicht weniger umlaufend, wenn die Münzen dreieckig oder quadratisch wären. Was den Fluß des Reichtums anbelangt, ist es seine Natur, umzulaufen und wegzurollen, verschlossene Geldtruhen zu hassen und sich an vielen verschiedenen Besitzern zu erfreuen, entweder um Rost zu vermeiden oder um möglichst viele durch seinen Umlauf zu täuschen oder mit seinen Besitzern an Vergänglichkeit zu wetteifern.

Lege nun im Sterben diese Sorge ab, die selbst für die Lebenden überflüssig ist! Wenn du reich stirbst, erkenne an, daß die Glücksgöttin selten treu ist, und wenn du dich dem Ende näherst, meide den Reichtum, den du nicht brauchst, und überlasse ihn anderen. Wenn du arm stirbst, gehst du unbelastet davon. Ob deine Besitztümer riesig, spärlich oder gar nicht vorhanden sind, das betrifft dich nur eine kurze Zeit. Von nun an werden sie dir nichts mehr nützen, abgesehen von der Tatsache, daß du vielleicht erkennst, daß das Leben ohne sie bequemer ist, und wieviel mühseliger diese Besitzlasten oder besser gesagt diese Foltergeräte dein Leben und jetzt deinen Tod gemacht haben.

Schmerz: Und was passiert mit den Kindern?

Vernunft: Sie sind es, die deinen Namen verewigen, sofern sie gut sind. Wenn es dir ein Trost ist: Durch sie scheinst du nicht ganz tot zu sein. Deine Freunde spüren, daß du in den Eigenschaften und im Verhalten der Kinder irgendwie anwesend bist, und das genießen sie. Und wenn deine Kinder schlecht sind, dann solltest du um so mehr darauf bedacht sein, sie zu verlassen, denn du konntest sie nicht gut machen. Übergib sie also der Welt und dem Schicksal, damit sie gezähmt und gut werden. So seufze im Sterben nicht traurig über die, die nur darüber seufzen, daß dein Tod so lange dauert, und die, wenn du tot bist, vielleicht seufzen werden, daß du nicht früher gestorben bist!

Schmerz: Und was passiert mit meinem Besitz?

Vernunft: Hast du Angst, daß er keinen neuen Besitzer findet, wenn du ihn einmal verlassen hast? Er wird schon jetzt erwartet, gewünscht und geschätzt! Was zu befürchten ist, ist nicht seine Vernachlässigung, sondern ein leidiger Kampf um ihn. Dein Besitz hört jetzt auf, dein Reichtum zu sein. Aber wer soll ihn als nächstes haben? Warum denkst du, daß er zu deinen Kindern gehen würde? Tatsache ist, daß es unmöglich ist zu wissen, wohin er gehen wird, und so soll es sein! Es genügt dir zu wissen, daß er einst dir gehörte, zumindest soweit er jemals dir gehörte und nicht jener großen Glücksgöttin, die über alle eitlen und vergänglichen Dinge herrscht und den Namen „Schicksal“ trägt. Aber vorausgesetzt, er war dein Eigentum, dann doch nur für kurze Zeit. Und nun ist die Zeit gekommen, daß du gehst und deinen Besitz wieder abgibst. Laß ihn anderen für kurze Zeit gehören, gemäß seiner gewöhnlichen Unbeständigkeit. Es sei denn, du möchtest als ein pompöser Mensch sterben und, wie manche Narren, dein Geld mit dir begraben lassen, was zumindest ein Segen für spätere Grabräuber wäre. Kurz gesagt: Laß alle deine Sorgen um Gold und diese Erde hinter dir! Richte nun endlich deinen Geist auf den Himmel und deine Seele!

Schmerz: Mein Besitz läuft mir davon!

Vernunft: Hast du geglaubt, er würde bleiben, wenn dein Leben vergeht und du selbst immer weiter davonläufst?

Schmerz: Was passiert mit meinem Besitz, wenn er nicht mehr mir gehört?

Vernunft: Was passierte mit ihm, bevor er dir gehörte?

Schmerz: Ich hinterlasse viele Reichtümer und muß nackt gehen.

Vernunft: Nackt kommst du und nackt gehst du. Daran ist nichts zu beanstanden. Du solltest dich bedanken, denn während deiner ganzen Zeit hast du fremde Güter genutzt. Es wird dir nichts Eigenes weggenommen, sondern nur das Geliehene und Gebrauchte zurückgerufen. Wie auch Fremde, die über Nacht in einer Herberge bleiben und ehrlich sind, den geliehenen Hausrat zurückgeben.

Schmerz: Ach, von allem Reichtum, den ich besitze, kann ich nichts mitnehmen!

Vernunft: Du nimmst soviel mit, wie du mitgebracht hast, oder wenn es dir besser gefällt: Nicht mehr als ein König mitnehmen kann.

Schmerz: Was werden meine kleinen Kinder tun?

Vernunft: Wenn sie überleben, werden sie erwachsen und alt, gehen ihre eigenen Wege und ringen mit ihrem Besitz und ihren Schwierigkeiten im Leben. Inzwischen sind sie in Gottes Hand. Vielleicht bist auch du ohne Vater aufgewachsen und hast trotzdem gelebt!

Petrarcameister - Vom Sterben in Sorge um Güter und Kinder

Auf seinem Totenbett ist der Sterbende von seinen Angehörigen verlassen. Zwei Teufel sind um ihn, die sein Gemüt zu verwirren suchen. Der eine verdeckt das Bild der Kreuzigung Christi, das tröstlich an der Wand hängt. Der andere verleumdet die Kinder und macht den Sterbenden glauben, daß sie vor den Weinfässern, den Prunkgefäßen und den gefüllten Säcken sich um die Erbschaft streiten. Fraenger hat darauf hingewiesen, daß die Hauptgedanken der Darstellung den weit verbreiteten Texten und Bildern der „Ars Moriendi“ entstammen. Dies ist zwar der Fall, doch sind dabei Ausnahmen, die für den Petrarca-Meister kennzeichnend sind. In der „Ars Moriendi“ stehen Weinfässer, Pferd, Prunkgeschirr als Inhalt der irdischen Gedanken, die den Sterbenden trotz des nahen Todes noch erfüllen. Beim Petrarca-Meister sind sie Realitäten, die von den Erben ins Auge gefaßt werden. - In die Gruppe der Erben hat der Künstler noch eine Antithese hineingetragen, indem er einen der Söhne sich von den feilschenden Geschwistern abwenden läßt. Mit verschränkten Armen sieht er gedankenvoll zum Sterbebett des Vaters hinauf.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir nun im Gegensatz zum vorhergehenden Bild der Erlösung wieder den menschlichen Geist als nackte Seele auf seinem Karma-Bettkasten und Wohlfühlkissen in seinem Körperhaus sehen und wie auch am Ende des Lebens das Ichbewußtsein unermüdlich tätig ist. Dieses von Gott abgefallene Bewußtsein wird hier als zwei äußerliche Teufel in Gestalt tierischer Wesen dargestellt, die natürlich innerlich im menschlichen Geist wirken. Sie sorgen dafür, daß die christliche Vision der Erlösung vom Leiden am Kreuz dieser Welt durch das ganzheitliche Christusbewußtsein von äußerlichen Hüllen verdeckt wird und der Geist weiter auf das körperliche Eigentum an Kindern, Tieren und Gütern gerichtet bleibt und auch bildlich nur in diese Richtung schaut. In den sechs Kindern könnte man symbolisch die fünf Sinne mit dem begrifflichen Verstand wiederfinden, die im Spiel von Männlich und Weiblich bzw. Geist und Natur an den äußerlichen Formen anhaften, darin versunken sind oder darum streiten. In dem angebundenen Pferd im Stall könnte man das menschliche Tierwesen bzw. Körperbewußtsein sehen, das den Geist bisher getragen hat, und in den Gütern im Regal und in den Fässern und Säcken das sonstige Eigentum, welche sich das Ichbewußtsein im Laufe des Lebens angeeignet und sich damit identifiziert hat. So liegt im Sterben die letzte große Chance im Leben, diese persönliche Anhaftung zu überwinden, das Bewußtsein zu erweitern und zu erheben und damit die Gegensätze von Gut und Böse, Mein und Dein sowie Leben und Tod aufzulösen oder zumindest in diese Richtung der Erlösung zu schauen. Dazu sieht man wohl auch die beiden Schuhe neben dem Bett in zwei verschiedene Richtungen stehen, in welche die Seele auf ihrem Weg weitergehen kann, denn diese Wahlfreiheit hat der menschliche Geist.

2.128. Vom Sterben in Sorge um die Ehefrau

Schmerz: Was passiert mit meiner geliebten Frau, wenn ich gegangen bin?

Vernunft: Vielleicht wird sie wieder heiraten. Was kümmert es dich?

Schmerz: Was wird aus meiner lieben Frau?

Vernunft: Von deinem Joch befreit, könnte sie das eines anderen auf sich nehmen oder ihre neue Freiheit genießen oder sich eine Weile ausruhen und überlegen, ein ruhiges Leben in Einsamkeit zu führen.

Schmerz: Was wird meine geliebte Frau tun?

Vernunft: Warum fragst du, was sie tun wird, wenn sie dich loshat? Weißt du denn, was sie getan hat, solange sie mit dir lebte? Die Mehrheit der Sterblichen weiß nicht, was in ihren eigenen Häusern vor sich geht, während sie darüber nachdenken, was draußen im Himmel oder auf der Erde vor sich geht. So überlaß die Gedanken über ihr Tun deiner Frau oder ihrem nächsten Ehemann, denn diese Sorge betrifft dich nicht mehr.

Schmerz: Ich habe Angst, daß meine Frau nach meinem Tod wieder heiratet.

Vernunft: Manche Ehefrauen heiraten sogar erneut, während ihre Ehemänner noch leben. Bei den Hebräern tat dies Herodias, bei den Afrikanern Sophonisbe und bei den Römern sowohl Marcia als auch Livia, obwohl diese beiden entschuldigt sind, weil sie auf Befehl ihrer Ehemänner handelten, die damit einverstanden waren. Und deine Frau soll nicht noch einmal heiraten dürfen, auch wenn ihr erster Mann verstorben ist? Nur sehr wenige Ehefrauen bleiben ihren Männern zu Lebzeiten treu. Verlangst du, daß sie sogar deiner kalten Asche treu bleibt? Wenn dir deine Frau bis zum letzten Tag deines Lebens treu geblieben ist, hat sie dann das Ehegelübde nicht reichlich erfüllt?

Schmerz: Ich fürchte aber, daß meine Frau einen zweiten Mann nimmt.

Vernunft: Es gab vielleicht mehr Grund zur Furcht, als sie den ersten nahm, und das betraf dich. Die zweite Ehe betrifft einen anderen. Aber so geht es: Du ignorierst die Dinge, die du fürchten solltest, aber fürchtest die Dinge, die du ignorieren solltest, denn du kannst nichts richtig beurteilen! Du gingst selbstherrlich in das Duell des Ehebettes, ohne dir der Gefahren bewußt zu sein, in die du läufst. Fürchtest du jetzt, daß ein anderer dasselbe tun könnte?

Schmerz: Ich gebe zu, ich möchte nicht, daß meine Frau einen anderen Mann heiratet.

Vernunft: Es ist wahr, daß für die vollkommene Keuschheit einer Frau eine zweite Ehe soweit wie möglich zu vermeiden wäre. Aber noch gefährlicher kann eine ungezügelte Witwenschaft sein, so daß eine Ehe nicht nur erlaubt, sondern sein sollte, denn für eine schöne Frau ist es schwierig, allein und keusch zu leben.

Schmerz: Wie könnte meine ehrenhafte Frau jemand anderen heiraten?

Vernunft: Selbst unter den Frauen, die du ehrenhaft nennst, wird selten eine sein, die nicht schon zu Lebzeiten ihres jetzigen Mannes über den nächsten nachgedacht hat. Sie denken: „Mein Mann ist ein Sterblicher. Wenn er mal stirbt, wäre dieser oder jener der Beste für mich. Ein Mann von Mut, von hoher Geburt, voller Charme, Eloquenz oder Schönheit?“

Schmerz: So kann wohl meine Frau einen anderen heiraten.

Vernunft: Nicht wirklich „deine“ Frau. Der Tod verfügt, daß sie nicht länger dir gehört. Es ist nicht verwunderlich, daß auch Ehepartner getrennt werden, wenn die Bande von Leib und Seele gelöst sind.

Schmerz: Wird meine Frau wieder heiraten?

Vernunft: Sogar die Frauen römischer Feldherren haben wieder geheiratet, und du mußt es als eine Tatsache des Lebens akzeptieren, die du mit deinen Vorfahren teilst.

Schmerz: Dann wird meine Frau einen anderen heiraten!

Vernunft: Römische Feldherren und Fürsten heirateten Witwen. Auch der gottesfürchtigste König David nahm zwei Witwen zur Frau, die mit Männern von niedrigerem Rang verheiratet waren. Vielleicht soll auch deine Frau einen Mann heiraten, der höher steht als du. Überlaß ihm diese Sorge, denn wohin du gehst, heiratet niemand mehr.

Schmerz: Ach, meine geliebte Frau wird jemand anderen heiraten.

Vernunft: Wenn sie einen besseren Mann heiratet als dich, dann freue dich am Glück von ihr, die du geliebt hast. Wenn es ein schlechterer ist, dann freue dich trotzdem, daß sie öfter an dich denken und dich dafür um so mehr schätzen wird. Viele Frauen haben ihren ersten Ehemann erst in ihrer zweiten Ehe wirklich kennen und lieben gelernt.

Petrarcameister - Vom Sterben in Sorge um die Ehefrau

Petrarca sucht mit seinen Vernunftgründen die Gleichmut des Sterbenden zu wecken. „Wenn sie einen besseren Mann heiratet als dich, dann freue dich…“ Daneben aber unterläßt es Petrarca in seiner notorischen Ehefeindlichkeit nicht, mit vielen Beispielen auch zu belegen, daß die Frauen oft schon vor dem Tod des Ehemannes andere Männer gesucht haben. - Diesen Hinweis hat Sebastian Brant wohl an den Petrarca-Meister weitergegeben. Der Sterbende hat sich auf seinem Bett aufgerichtet und vertraut seine Sorgen dem Geistlichen oder dem Arzt an. Hinter seinem Rücken erscheint der Teufel als ein Untier mit Insektenflügeln. Er pocht dem Sterbenden auf den Rücken und möchte seinen Blick auf die offene Tür hinlenken, wo die Hausfrau mit einem schmucken, ritterlich gekleideten Mann steht. Sie führt zwar das Tuch weinend an die Augen, aber sie wendet sich schon halb dem Liebhaber zu und reicht ihm die Hand.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht sieht man nun die angezogene bzw. verkörperte Seele auf dem Karma-Bett in ihrem Körperhaus, wie sie dem Tod als eine Trennung von Geist und Natur begegnet, symbolisch als Ehemann und Ehefrau dargestellt, die im Leben zwar verbunden waren, aber nie vollkommen vereint. Für die Ursache dieser Trennung wird rechts vom Bett der Teufel als ein gefallener Engel dargestellt, der in das tierhafte Geist-Natur Wesen gefallen ist, was vermutlich mit den männlichen und weiblichen Körpermerkmalen angedeutet wird. Dieses gefallene Bewußtsein steht hinter der verkörperten Seele und verursacht das Ichbewußtsein, welches im Leben das Eigentum ansammelt, das man rechts als Schatztruhe sieht. Einerseits dient es als Nahrung zum Trinken und Essen und anderseits als weltlicher Stand, wie die Schuhe darunter andeuten. Aus diesem weltlichen Stand wird dann der begriffliche Verstand, den man als Gelehrten auf der anderen Seite des Bettes stehen sieht, wie er auf das teuflische Ichbewußtsein zeigt, mit dem er eng verbunden ist, und wie er zwischen Geist und Natur steht und damit auch bildlich die Trennung zwischen Geist und Natur bewirkt, die dann wie in einem anderen Raum erscheint. Interessant ist nun, daß auch das Ichbewußtsein doppelt erscheint, zwischen denen ebenfalls der begriffliche Verstand steht, einerseits als „Ich“ und anderseits als der „Andere“, der nun mit der Natur weiterleben kann, die bisher mit „Mir“ verheiratet war, während „Ich“ sterben muß. Und darauf weist sogar das teuflische Ichbewußtsein ausdrücklich hin, um diese Trennung noch zu vertiefen, die Trauer über einen Verlust zu verstärken und die Vorstellung des Todes zu realisieren. In dieser Richtung des trennenden Bewußtseins gibt es wohl keinen Ausweg aus dem verwirrenden Spiel der Gegensätze, wie auch im Bild wunderbar zu sehen ist, wie der Geist vom begrifflichen Verstand und teuflischen Ichbewußtsein von beiden Seiten völlig verwirrt wird, und der Weg aus dem Körperhaus heraus in eine ganz andere Richtung nach vorn führt, weg vom teuflischen Ichbewußtsein und weg vom eigennützigen Eigentum.

2.129. Vom Sterben in Sorge um das Heimatland

Schmerz: Was wird aus meiner Heimat, wenn ich weg bin?

Vernunft: Es gibt nur eine Heimat für alle guten Menschen, genauso wie es nur eine für die schlechten gibt. Sei vorsichtig, in welchem der beiden du wohnen möchtest, denn es gibt keine dritte Wahl, nur eine Herberge für den Durchgang (oder ein vorrübergehendes Gasthaus für die Reisenden).

Schmerz: Was wird aus meinem Heimatland?

Vernunft: Das Heimatland, in das du gehst, ist immer da. Das Land, das du verläßt, ist nicht dein Land, sondern, wie ich oft betont habe, dein Exil.

Schmerz: Was wird mein Land tun, wenn ich weg bin?

Vernunft: Dies war früher die Sorge der Könige, was mit ihren Königreichen und Städten nach ihrem Tod geschehen würde. Wir lesen, daß sich der große König von Assyrien und auch der größte aller römischen Kaiser darüber Sorgen machten. Solche Sorgen überwiegen private Sorgen. Doch solange du bis zuletzt geneigt bist, diese Fabrik des Elends und Krankenstation des Leidens dein Land zu nennen, wo du ein kurzes Leben in großer Mühsal gelebt hast, von den Tränen und Seufzern ganz zu schweigen, und wissen willst, was daraus wird, kann ich dir nur sagen, daß es tun wird, was es schon immer getan hat und wie es alle tun. Und wenn du fragst „Was genau?“, dann ist die Antwort: Es wird in Aufruhr sein, im Streit und von Aufständen und verfeindeten Parteien zerrissen, und es wird Herrscher und Gesetze ändern und zwar beides meistens zum Schlechteren und selten zum Besseren. Es wird seine aufrichtigen Bürger mißbrauchen, die Unwürdigen fördern, die Unschuldigen unterdrücken und die Betrüger und Ganoven in den Himmel loben. Es wird die schmeichelnden Lügner lieben, die Wahrhaftigen hassen, gute Menschen verachten, die Mächtigen anbeten, die Feinde der Freiheit ehren und die Verteidiger des Gemeinwohls verfolgen. Es wird weinen und lachen, Gold und Edelsteine begaffen, Tugenden ablehnen und sich in Vergnügen suhlen. Dies sind die Sitten eurer Städte. Das können dir alle Menschen bestätigen, es sei denn, sie haben immer nur auf dem einsamen Land gelebt und die Städte mit geschlossenen Ohren und Augen betreten.

Schmerz: Was passiert dann mit meinem Heimatland, nachdem ich gestorben bin?

Vernunft: Warum machst du dir Sorgen, warum ärgerst du dich? Was auch immer mit deinem Heimatland passieren wird, dein Haus ist dann sicher vor Feuer, Dieben und Zerstörung. Die Zeiten der Pest und der Extreme von Hitze, Dürre, Regen, Hagel, Schnee, Eis und Frost, sowie die Plagen wilder Tiere, Vögel, Termiten und Heuschrecken, Erdbeben und tosende Stürme, Hungersnöte, feindliche Überfälle oder Bürgerkriege - all das bedeutet dir dann nichts mehr.

Schmerz: Ach, was wird das Schicksal meines Heimatlandes sein? Und welches Ende wird es finden?

Vernunft: Was für ein anderes Ende als das, zu dem die größten aller Städte kamen, nämlich Staub, Asche, bröckelnde Steine und nur noch ein leerer Name! Ich könnte das mit unzähligen Argumenten untermauern, aber du kennst ja die Geschichte. Kurz gesagt: Nichts, was der Mensch aufbaut, besteht ewig, nichts, was den Menschen betrifft, außer seiner unsterblichen Seele. Werke vergehen, Felder verfallen und Gebäude stürzen ein. Warum quälst du dich, warum machst du dir solche Sorgen? Wenn du in den Himmel kommst, kannst du dein Heimatland mit allen anderen weltlichen Dingen seinlassen. Und diejenigen, die in die Hölle kommen und so jede Chance auf Barmherzigkeit verloren haben, sie müssen sowohl Gott als auch die Menschen hassen, ebenso wie die Werke Gottes und der Menschen.

Petrarcameister - Vom Sterben in Sorge um das Heimatland

Petrarca, der 1347 die römische Volkserhebung Cola di Rienzos als ihr geistiger Vater begrüßt hatte und von Avignon aus in die neu geordnete Hauptstadt seines Vaterlandes eilen wollte, dachte wohl bei seinen „Tröstungen“ an die Zustände in den Stadtstaaten seiner italienischen Heimat, wie sie sich nach dem Scheitern von Rienzos Reformversuch ergaben: „Dein Heimatland wird in Aufruhr sein, im Streit und von Aufständen und verfeindeten Parteien zerrissen…“ Der Petrarca-Meister faßt diese düstere Vision der Vernunft als Einflüsterung auf, mit der der Teufel den Sterbenden in Erregung bringt. Neben dem Sterbebett steht der Böse und weist dem Kranken die Greuel der künftigen Schicksale seiner Vaterstadt. Er erreicht seine Absichten, denn der Sterbende wendet sich ab von dem Priester, der mit der Hostie in den Händen an seinem Bett steht. Der Altar, die knienden beiden Ministranten, die brennenden Kerzen werden nicht mehr beachtet, nur dem Schicksal der Heimat gelten noch die letzten Gedanken des Sterbenden.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man nun die nackte Seele mit ihrer Schlafmütze auf ihrem Karma-Bett mit doppelten Wohlfühlkissen sehen wie ihr das trennende bzw. teuflische Ichbewußtsein bildlich vor Augen stellt, wie die Körperburg enden wird, die der Mensch sein Leben lang mühselig als seine Heimat aufgebaut und befestigt hat. Diese Burg wird von innen und außen zerstört werden, und es gibt keine Hoffnung für den König als Besitzer der Burg, denn er wird fallen. Das ist die düstere Aussicht des Teufels und auch das, was die Vernunft vorhersagt, aber mit einer anderen Absicht. Der Teufel will den Geist mit auswegloser Verzweiflung in eine geistige Dunkelheit treiben, während die Vernunft auf den Weg der Entsagung verweist, um das Bewußtsein vom trennenden Ichbewußtsein zu einem ganzheitlichen Gottesbewußtsein zu erweitern und ins göttliche Licht zu erheben. So kann das fallende Ichbewußtsein in ein aufsteigendes Christusbewußtsein gewandelt werden, und der menschliche Geist muß eigentlich auf seinem Karma-Bett nichts anderes tun, als sich umzukehren. Dann erscheinen sogar die drei Gesellen von Begierde, Haß und Unwissenheit, die ihn ein Leben lang begleitet und alles bewegt haben, als geistige Helfer und Priester, die das reine Licht halten, die rufende Glocke läuten und das heilige Abendmahl reichen. Und die Schatztruhe aus dem vorhergehenden Bild wird zum Altar Gottes, um das große Opfer der Hingabe am Ende des irdischen Lebens darzubringen. Das ist möglich, weil im Grunde alles reines Bewußtsein ist, aus Gott bzw. der Ganzheit nichts herausfallen kann und die Gegensätze von Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, Himmel und Erde, Mein und Dein oder Leben und Tod in diesem großen Opfer der Hingabe wieder aufgelöst werden können, wie sie auch durch das Greifen nach den Früchten vom Baum der Versuchung entstanden sind.

2.130. Vom Sterben in Sorge um den Ruhm nach dem Tod

Schmerz: Was werden die Leute über mich sagen, nachdem ich gestorben bin?

Vernunft: Eine Sorge zur falschen Zeit! Darüber hättest du dir schon in früher Jugend Gedanken machen sollen, denn so wie dein Leben ist, wird auch dein Ruhm sein.

Schmerz: Was werden sie über mich sagen?

Vernunft: Welche andere Antwort sollte ich dir geben als die von Cicero, dem gelehrtesten und redebegabtesten aller: „Laß das, was andere über dich sagen, ihre eigene Angelegenheit sein, was auch immer sie sagen werden! Denn ihr ganzes Reden beschränkt sich auf eine begrenzte Sicht auf dich und wird nichts Bleibendes sein. Denn was die Menschen sagen, stirbt mit ihnen und erlischt in der Vergessenheit der Nachwelt.“

Schmerz: Was werden die nach mir Geborenen über mich sagen?

Vernunft: Ich würde es dir mit eigenen Worten erklären, wenn ich dächte, ich könnte es besser als Cicero. Er fragte: „Wie wichtig ist es für dich, daß die nach dir Geborenen von dir sprechen, über den vor deiner Geburt niemand gesprochen hat?“ Und er fügt noch hinzu, was zu seiner Zeit vielleicht fragwürdig war, aber heute absolut sicher und ohne Zweifel wahr ist: „Viele von ihnen waren sicherlich keine besseren Menschen.“ Denn ich frage dich: Wer zweifelt daran, daß künftige Generationen weniger gut als die vergangenen sein werden? Denn alles wird jeden Tag schlimmer und nähert sich dem Untergang. Daher scheint es sehr erstaunlich, daß du dich darum sorgst, was diese Unwissenden, die dich nie kennengelernt haben, über dich sagen werden, wenn du schon die Meinungen und Worte der hervorragenden und ruhmreichen Menschen deiner eigenen Zeit verachtest.

Schmerz: Wie wird mein Ruf sein, wenn ich weg bin?

Vernunft: Möglicherweise viel besser als zu Lebzeiten, weil die Bosheit zum Schweigen gebracht wurde. Denn der Neid überdauert selten das Leben eines Menschen. So wie die Tugend die Wurzel allen Ruhms ist, so ist der Neid ihr Verleumder, und wie der böswillige Zeigefinger, solange er da ist, das Wachstum von berechtigtem Lob verhindert, so wird es wachsen, sobald er verschwindet. Daher hat das Grab für viele den Neid entfernt und wurde damit zur Vorhalle eines großen Ruhms.

Schmerz: Wie lange wird mein Ruhm andauern?

Vernunft: Vielleicht lange, zumindest, was du unter „lange“ verstehst. Denn bei euch Menschen hält nichts ewig. Nur die Tugend kann erreichen, was nicht nur von langer Dauer, sondern ewig ist, und besonders die Gerechtigkeit, denn es steht geschrieben: „Die Gerechten werden in ewiger Erinnerung bleiben. (Psalm 112.6)“ Und das meint auch unser Dichter (Virgil), als er schrieb, daß es das Privileg der Tugend ist, den Ruhm der Taten zu vergrößern.

Schmerz: Welchen Ruf werde ich nach dem Tod haben?

Vernunft: Was ist daran wichtig, was du bald nicht mehr kennen und beachten wirst? Was kümmert dich die Stimme der Menschen, wenn du selbst keine Stimme mehr hast? Ich wundere mich nicht darüber, daß jemand, der noch atmet und spricht, sich für eine angenehme Nahrung der Ohren interessiert, aber für einen Verstorbenen wäre es sehr seltsam.

Schmerz: Was werden sie nach meinem Tod über mich sagen?

Vernunft: Nun, was denkst du? Gutes und Schlechtes, viel, wenig oder gar nichts, je nach deinem Verdienst. In mancher Hinsicht ist der Ruhm ein Lügner, aber in vielen sagt er auch die Wahrheit, denn sonst könnte er nicht lange dauern, weil die Wahrheit die Grundlage für Beständigkeit ist, wie die Lügen für Vergänglichkeit.

Schmerz: Welche Art von Ruhm werde ich haben, wenn ich weg bin?

Vernunft: Dein Ruhm wird wie das Leben sein, das du vor deinem Tod geführt hast, vor allem zur Zeit, als du starbst. Laß das die Sorge der Vergangenheit und vor allem der Gegenwart sein! Du solltest akzeptieren, daß jeder Ruhm, den ein Mensch nach seinem Tod haben wird, am besten an seinem Sterben erkannt wird. So geschieht es seltsamer Weise vielen, die ein ganzes Leben lang unrühmlich im Dunkeln gelebt haben, daß sie allein der Tod ans Licht brachte!

Petrarcameister - Vom Sterben in Sorge um den Ruhm nach dem Tod

Eine neue Sorge des Sterbenden: „Was werden denn die Leute nach meinem Tod von mir sagen?“ Wieder liegt ein Sterbender auf seinem letzten Lager, ähnlich wie in den vorangegangenen Darstellungen. Bei ihm steht ein Harfenspieler in phantastisch orientalischer Tracht, der in pathetischer Haltung singt. Was er singt, wird mit der großen Glocke deutlich gemacht: Es werden die Taten des Sterbenden „an die große Glocke geschlagen“. Es ist die Glocke des Rühmens, nicht die Sterbeglocke, die hier schwingt, und mit ihrem Schall wird auch der Ruhm verflogen sein. Die Nichtigkeit des Rühmens der Taten ist der Inhalt des Bildes des Petrarca-Meisters. - Leider ist diese Darstellung schon bei ihrer ersten Veröffentlichung von 1532 verstümmelt gewesen. In dem jetzt leeren Feld über dem Sterbenden hat sich sicher eine religiöse Darstellung befunden, mit der ein besserer Trost als das Ruhmeslied des Sängers gegeben werden sollte. Sie ist ausgeschnitten worden wie andere auch, weil sie wohl beim Entstehen des Holzschnittes um 1520, nicht aber bei der Veröffentlichung um 1532 für die Leser passend erschien.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kommt nun der Petrarca-Meister langsam zum Ende, und die Bilder werden entsprechend immer subtiler und für den begrifflichen Verstand unverständlicher. Doch versuchen wir unser Bestes: Hier könnte man wieder die nackte Seele mit der Schlafmütze auf dem Karma-Bett sehen, wie sie am einschlafen bzw. sterben ist. Im Vordergrund könnte man die Vernunft als einen „Weisen aus dem Morgenland“ erkennen, der mit der himmlischen Harfe ähnliche einer Äolsharfe den großen Ruhm der Heiligen und Weisen preist, die im Sterben nicht in die Dunkelheit gefallen sind, sondern sich zum göttlichen Licht erhoben haben, dem reinen Licht der „reinen Weisheit“, in dem alle Formen vollkommen enthalten sind, aber unser gewöhnlicher begrifflicher Verstand nichts mehr unterscheiden kann, wie vielleicht auch in der „Sprechblase“ bzw. Vision über dem Weisen angedeutet wird, und zwar im Gegensatz zum dunklen Hintergrund der Körperhäuser mit den Mauern der eigenen Körperlichkeit. Der große Vorhang ist aufgezogen, und mit dieser Vision verweist die Vernunft auch auf die große Glocke, die im vorhergehenden Bild im Kleinen erklang, welche vom Verstand als Gehilfen der Vernunft geläutet wird, um die Seele aus ihrem Traumzustand aufzuwecken, damit sie sich erheben kann. Und damit ist wohl auch der wahre Ruhm gemeint, der einem Menschen noch lange und auch zeitlos in die Ewigkeit nachfolgen wird, wenn er diesen heiligen Weg der Weisheit auf Erden gegangen ist und das Bewußtsein im Sterben zum Göttlichen ins reine Licht erheben konnte.

Es muß also nicht immer so sein, wie die Kunsthistoriker meinen, daß dort etwas fehlt, wo die gewöhnlichen Augen nichts sehen. Dazu spricht auch Meister Eckhart: »Paulus stand auf von der Erde, und mit offenen Augen sah er nichts.« Ich kann nicht sehen, was Eins ist. Er sah nichts: Das war Gott. Gott ist ein Nichts, und Gott ist ein Etwas. Was etwas ist, das ist auch nichts. Was Gott ist, das ist er ganz. Daher sagt der erleuchtete Dionysius, wo immer er von Gott schreibt: Er ist Über-Sein, er ist Über-Leben, er ist Über-Licht. Er legt ihm weder dies noch das bei, und er deutet damit an, daß er ich weiß nicht was sei, das gar weit darüber hinaus liege. Siehst du irgend etwas oder fällt irgend etwas in dein Erkennen, so ist das Gott nicht. Eben deshalb nicht, weil er weder dies noch das ist. (Meister Eckhart, Predigt 37)

2.131. Vom Sterben ohne Kinder

Schmerz: Ich sterbe ohne Kinder.

Vernunft: Damit solltest du bereitwilliger sterben und weniger zögerlich abreisen, weil du niemandem den Rücken kehren mußt, der dir nachweint. Dir gehört nicht die große Trauer des Sterbens, die aus dem Bedauern eines Menschen entsteht, seine Kinder verlassen zu müssen, insbesondere die kleinen, die der elterlichen Führung bedürfen, weil sie unreif und vielen Verletzungen und Gefahren ausgesetzt sind.

Schmerz: Die Kinder, die ich mir als Erben gewünscht und erhofft habe, sind mir in den Tod vorausgegangen.

Vernunft: Das sollte dir ein kleiner Trost sein, dich zu beeilen und dich ihnen anzuschließen, anstatt es zu bereuen, sie zurücklassen zu müssen.

Schmerz: Der bittere Tod zwingt mich, ohne Kinder zu sterben.

Vernunft: Wenn du das so erbärmlich findest, was hat dich gezwungen, ohne Kinder zu leben und jetzt so zu sterben? Gibt es nicht genug geeignete junge Männer, die du dir zum Sohn erwählen könntest, Jugendliche, die vielleicht gehorsamer und liebevoller wären als die aus deinem eigenen Fleisch und Blut? Denn deine leiblichen Kinder kommen zufällig zu dir, aber nicht die adoptierten, die sorgfältig ausgewählt werden können. Erstere waren deine Nachkommen, bevor du sie überhaupt kennengelernt hast. Aber diese sind dir bekannt, werden von dir geprüft und erwählt, bevor du dich entscheidest, sie zu deinen Kindern zu machen. Die Ersteren schreiben es Mutter Natur zu, daß sie dir gehören, aber die Adoptierten schreiben es deiner Wohltätigkeit zu, was sie oft zu höchst ausgezeichneten Nachfolgern gemacht hat, denen nicht nur ein normales Erbe, sondern sogar Königswürde und Königreich anvertraut werden konnten.

Du weißt ja, daß Julius Cäsar, der keine eigenen Kinder hatte, Augustus adoptierte, und dieser adoptierte Tiberius, auch gegen sein besseres Wissen. Später adoptierte Nerva Ulpius Trajan, dieser adoptierte Aelius Hadrian, der wiederum Antoninus Pius zu seinem Sohn machte, und letzterer adoptierte Marcus Aurelius, der damit einen anderen anstatt seines leiblichen Sohnes Commodus wählte, der für niemanden angenehm und eine einzige Schande seines so großen Vaters war. Er war eines der wenigen Beispiele völliger Verdorbenheit unter den Herrschern des Römischen Reiches und ein sehr stichhaltiges Argument dafür, wieviel nützlicher eine Adoption sein kann als die natürliche Fortpflanzung. Denn während die ersten Kaiser jeder lange und glücklich in geordneter Weise regierten, verachtete Commodus die Wege so vieler großer Fürsten und folgte dem Abweg in einer kurzen, aber schrecklichen Herrschaft oder vielmehr Tyrannei, die das Reich beschmutzte. So fand er ein jämmerliches Ende, das seiner Ungerechtigkeit entsprach, nachdem sich die öffentliche Empörung gegen ihn gewandt hatte. Und lange vor all diesen Fürsten im Donnerschlag des Dritten Punischen Krieges, war der Hammer für Karthago „vom Sohn des großen Africanus zum Ruhm der Familie adoptiert worden. Denn der Enkel war vom Schicksal dazu bestimmt, die Stadt Karthago zu zerschmettern, die der Großvater erschüttert hatte.“ So schrieb der Historiker Florus. Dieser Scipio wurde aus der Gens Aemilia in die Familie der Cornelianer adoptiert, was kein kleiner Segen für beide war, wenn auch der letzte.

All das zeigt dir, daß weder dir noch einem König ein Sohn fehlen muß und vor allem, daß für gute Männer immer eine gute Auswahl möglich ist. Diese Wahl könnte dir die Art von Sohn bescheren, die dir deine Ehefrau nicht geben konnte. Damit kannst du den Nutzen einer Ehe ohne eheliche Bindung erreichen, und das menschliche Gesetz gleicht die Unvollkommenheit der Natur aus.

Schmerz: Wie verfüge ich jetzt über mein Erbe, wenn ich kinderlos sterbe?

Vernunft: Verpasse nicht diese Gelegenheit für große Verdienste und großes Lob, die sich bietet! Was auch immer du deinen Kindern hinterlassen wolltest, die vielleicht undankbar wären oder es böse horten, zum Schlimmsten verwenden oder in kurzer Zeit verschwenden würden, gib es ehrenhafter, nützlicher und nachhaltiger!

Attalus, König von Pergamon, setzte in seinem Testament das Volk von Rom zu seinem Erben ein, das sicherlich nichts brauchte und kurz darauf von den Reichtümern Asiens verdorben wurde. Deshalb laß mich dir eine andere Art von Menschen zeigen, denen du deinen Besitz überlassen kannst: Auf dieser Seite deines Sterbebettes stehen deine Freunde, auf jener viele arme Leute. Du kannst Kinder aus beiden Gruppen adoptieren. Und wenn du gegangen bist, werden dich deine Freunde mit süßer Erinnerung in ihrem Gedächtnis bewahren und die Armen werden dir mit ihren Gebeten vorangehen, wohin du auch gehst, damit du dort hundertfach findest, was du ihnen hier gegeben hast. Es gibt keinen fruchtbareren Ertrag und keine sicherere Verpflegung für den Weg, den du gehen mußt.

Schmerz: Ich sterbe aber ohne einen Sohn!

Vernunft: Wenn du viele hättest, würdest du einen zum Hüter deines Hauses und Geldes ernennen, welche dir dann nicht mehr gehören. Oder auch einen, der dir im Kampf mit dem Tod helfen und dich bis zum Grab begleiten soll, obwohl er selbst natürlich sterblich ist. Aber weiter können sie dir nicht folgen, wie auch die Kinder von Metellus. Der Weg vom Sterbebett zum Grab ist kurz, und was spielt es für eine Rolle, wer dich hier begleitet? Das sind völlig nutzlose und eigenwillige Gründe für einen Wunsch nach Kindern. Und wenn du in der üblichen Weise hoffst, deinen Namen durch sie zu bewahren und zu verewigen, begehst du auch den üblichen Fehler. Denn gewöhnlich kann die Unrühmlichkeit der Kinder den Namen der Eltern weder aufwerten noch bewahren. Und in dem seltenen Fall, daß die eigenen Kinder an Berühmtheit gewinnen, trägt dies zu ihrem eigenen Ruhm bei, aber verdeckt und verdunkelt durch ihre Nähe die Eltern, so wie die Sonne die kleineren Sterne auslöscht. Was am besten im Fall des Vaters von Julius Cäsars verdeutlicht wird, dessen Name durch die helle Ausstrahlung seines Sohnes so gut wie ausgelöscht wurde.

Kurz gesagt: Wer die Pflege seines Namens seinem Sohn anvertraut, gibt eine äußerst subtile und schlüpfrige Substanz in einen porösen Tontopf, und noch dümmer, in einen Topf, der ihm nicht gehört. Was den gewöhnlichen Menschen ein großes Anliegen ist, weniger den Weisen, aber dennoch von beiden nicht verachtet wird. Doch es wäre bei weitem ehrlicher und sicherer, wenn du deine Hoffnungen auf ein eigenes verläßliches Gefäß setzen würdest, nämlich auf deine Tugend in Tat, Wort und Schrift.

Schmerz: Ich sterbe nun kinderlos.

Vernunft: Du solltest dir darum keine Sorgen machen, sondern dich auf dich selbst konzentrieren, damit du besser vorbereitet und unbelasteter abreisen kannst. In dir selbst kannst du abwägen und entscheiden, wie glücklich oder unglücklich du stirbst. Dann mußt du nicht in der Ungewißheit sterben, ob dieses Elend oder Glück durch die Schande oder das Verdienst anderer vermehrt oder vermindert wird. Obwohl manche einen anderen Standpunkt vertreten haben, dem ich nicht ganz widersprechen möchte, wissen wir, daß die großen Philosophen glauben, daß Kinder im Allgemeinen das Glück ihrer Eltern zerstreuen. Darüber hinaus ist alles Gute fragwürdig, das für morgen verheißen wird und von anderen abhängt. Wenn wir diese Meinung akzeptieren, kannst du dein Begehren überdenken. Jedenfalls besteht kaum ein Zweifel, daß viele ohne Kinder glücklicher und unbelasteter aus diesem Leben gegangen wären.

Petrarcameister - Vom Sterben ohne Kinder

Petrarca wiederholt seine von der römischen Geschichte abgeleiteten Gedanken über angenommene Kinder: Leibliche Kinder würden oft schlechte Nachfolger, angenommene aber wären vortreffliche Herrscher geworden. - Dem Petrarca-Meister sind solche Gedankengänge fremd, und er hat dargestellt, wie ein Unwürdiger mit Gewalttaten die Herrschaft erlangt. Ein Kaiser liegt auf dem Sterbebett, er trägt noch die Kette als Zeichen seiner Würde. Die hohe Krone aber hat er abgenommen und gibt sie mit einer Urkunde, die die Adoption bestätigt, einem jungen Mann. Wie ehedem bei dem Sterbenden, der in Sorge um seine Frau war, steht der Teufel hinter dem Kaiser, klopft ihm auf den Rücken und möchte ihn auf die Vorgänge vor der Tür aufmerksam machen. Dort liegen die leiblichen Söhne des Sterbenden und sind von dem Erbschleicher ermordet worden. Wie die Teufelsgestalt, so spricht auch das einfältige Gesicht des jungen Mannes, in deutlichen Gegensatz zu dem schönen Greisenkopf des Kaisers gestellt, für die Hinterlist, mit der ein Nichtswürdiger hier höchsten Rang erlangt.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht steht natürlich die Frage, welches Interesse der Teufel daran hat, den „Erbschleicher“ zu entlarven und auf sein Verbrechen hinzuweisen? Diesbezüglich könnte man in dem stolzgeschwellten jungen Mann das wachsende Ichbewußtsein sehen, das von der Vernunft die Krone und Urkunde der Herrschaft erwartet. Und die Vernunft scheint sogar bereit, die Herrschaft zu gewähren, weil ihr der Teufel zeigt, daß dieses Ich die drei Gesellen draußen in der Natur überwältigt und getötet hat, die uns an Begierde, Haß und Unwissenheit erinnern. Eine so tückische Illusion eines äußerlichen Sieges, daß das Ichbewußtsein diese mächtigen Kräfte im Spiel der Gegensätze besiegen kann und sich damit die Krone der ganzheitlichen bzw. göttlichen Vernunft verdient, ist eine typische Verführung des Teufels bzw. des Ichbewußtseins selbst und führt praktisch genau dahin, was im Bild zu sehen ist, nämlich daß die Vernunft als ganzheitliches Bewußtsein stirbt und das trennende Ichbewußtsein die Herrschaft im Körperhaus übernimmt. Das heißt, das ganzheitliche Bewußtsein der Vernunft kann man nicht anderen übergeben, weder den eigenen Kindern noch anderen Menschen. Auch das Ich kann es nicht mit Gewalt erzwingen. Es muß von innen her erwachen und sich erheben. Ich, Eltern oder Lehrer können höchstens günstige Bedingungen dafür schaffen, aber die Vorstellung des gewaltsamen Tötens „Ich habe die Unwissenheit besiegt und die Begierde getötet!“, über die sich der Teufel freut, gehört sicherlich nicht dazu.

2.132. Vom Sterben ohne Beerdigung

Schmerz: Ich werde unbeerdigt liegengelassen.

Vernunft: Mißgönnst du den Vögeln, wilden Tieren oder Fischen ihre Nahrung? Wenn du sie fürchtest, solltest du einen Stock bereithaben und Wache halten, um sie von deiner Leiche zu vertreiben.

Schmerz: Du scherzt, während ich verzweifelt bin! Aber sicherlich werde ich nichts fühlen.

Vernunft: Warum hast du dann Angst, wenn du nichts fühlst? Und wenn du noch etwas fühlst, dann solltest du froh sein, unbeerdigt zu bleiben, denn jemanden zu beerdigen, der fühlt, bedeutet, ihn zu töten.

Schmerz: Ich werde unbeerdigt daliegen.

Vernunft: Wenn die Erde nicht auf dir liegt, dann liegst du auf der Erde. Und wenn die Erde dich nicht bedeckt, dann bedeckt dich der Himmel, wie der berühmte Spruch sagt: „Wer kein Grab hat, den bedeckt der Himmel. (Lucan)“ Und noch bekannter ist dieser: „Gar leicht entbehr ich des Grabes. (Virgil)“ Und zwar so leicht, daß es kein Leichteres gibt!

Schmerz: Ich werde unbeerdigt bleiben, was eine ernste Sache ist.

Vernunft: Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, weil es so einfach ist. Denn sicherlich ist es viel einfacher, ohne Grab zu sein, als ohne Dach über dem Kopf, ohne Decke oder ohne Kleidung.

Schmerz: Ich werde unbegraben liegen, ein abscheulicher Anblick!

Vernunft: Vielleicht für andere abscheulich, aber für dich ohne Belang! Die Gelehrten, Ärzte und andere Autoritäten sowie die Tatsachen selbst stimmen darin überein, daß alle Bestattungsriten zum Wohle der Lebenden bestimmt sind. Daß dem so ist, belegen die typischen Merkmale eurer Gräber, die innerlich grob und unansehnlich für ihre Bewohner sind, aber äußerlich prachtvoll mit großem Aufwand an Skulpturen aus Marmor und Gold von feinster Handwerkskunst für die Betrachter geschmückt werden.

Schmerz: Ich werde ohne Beerdigung daliegen, wie abstoßend anzusehen!

Vernunft: Hast du nichts anderes zu tun, als dich in die Sorgen anderer einzumischen? Mögen sich doch jene darum kümmern, die sich daran stören! Du wirst sicherlich nichts Abstoßendes daran sehen.

Schmerz: Ich armer Mensch werde unbeerdigt bleiben!

Vernunft: Ein Mann wie der Große Pompeius lag unbeerdigt oder besser gesagt, er lag nicht, sondern wurde in das wogende Meer geworfen und versenkt. Ich denke, du bist nicht so verrückt, zu glauben, daß er in einem Grab glücklicher gewesen wäre, so wie es auch seinem Unglücksgefährten Marcus Crassus nicht schlechter ging, nur weil niemand da war, um ihn zu begraben. In jeder anderen Hinsicht war das Ende der beiden fast identisch, nur daß der Kopf von Crassus, wie es sich für den reichsten und gierigsten aller Männer gehört, vom Gold schwerer war. Doch beide erlitten den gleichen öffentlichen Spott. Auch ein dritter Mitstreiter von ihnen war nicht glücklicher, der auf dem höchsten und herrlichsten Koloß mit Blick auf die höchsten Tempel plaziert und ausgestellt wurde. Ich gebe zu, daß er im Krieg mehr Glück hatte, aber bestreite, daß er in seinem Grab glücklicher war. Der Stein mag ihn zwar schöner gemacht haben, aber keinesfalls glücklicher, weil dieses Glück kein fühlendes Wesen betraf, sondern nur einen Stein und was darin eingeschlossen war. Wenn ein Grab einen glücklich machen könnte, würde niemand glücklicher sein als Mausolus!

Schmerz: Ich werde unbeerdigt liegen.

Vernunft: Solche großen Männer wie Aemilius Paulus und Claudius Marcellus wären unbeerdigt geblieben, wenn sie nicht ihr Todfeind begraben hätte, in Bewunderung für ihren Mut und ihre Tapferkeit. Sicherlich nicht vom Pflichtgefühl getrieben, das ihm so fremd war, daß ich denke, daß diejenigen, die er begraben hat, es vorgezogen hätten, unbeerdigt zu bleiben, wenn sie die Wahl gehabt hätten. Kyros, König der Perser, lag ebenfalls unbeerdigt. Weder dieser noch jene grausige Leiche trugen zu seiner Schande bei, da beides den grausamen Sitten der Skythen entsprach, die solch bittere Verachtung rechtfertigten. Aber warum Beispiele von einzelnen Leichen zusammentragen, seien es römische Fürsten oder fremde Könige, denen nicht nur die letzte und zur Ehre erhoffte Bestattung genommen wurde, so geschmacklos sie auch sein mag, sondern ihre Leiche auch so verstümmelt und zerstückelt wurde, daß es als beneidenswert gelten kann, irgendwo mit seiner ganzen Leiche zu liegen? Erinnern wir uns nicht an die Leichenberge ganzer Nationen, die unbeerdigt liegen? Allein mit König Cyrus, den ich eben erwähnt habe, starben 200.000 Perser, mit Crassus 16 der tapfersten Legionen und bei Cannae mehr als 85.000 Römer und verbündete Truppen, sowie 56.000 Karthager, Spanier, Ligurer und Gallier am Fluß Metaurus zusammen mit ihrem Feldherrn. Und in den beiden von Marius ausgetragenen Schlachten starben 200.000 Germanen bei Aquae Sextiae, wie der Ort unweit des Fußes der Alpen heißt, und 150.000 Zimbern, wie einige Autoren sagen, und diejenigen, die weniger berichten, sprechen von 60.000. Sie fielen und blieben unbeerdigt. Bei Philippi ernährten die verbündeten Streitkräfte der Könige und aller Nationen mit der Blüte und Stärke der italienischen Krieger gemäß den Wünschen der Götter die thessalischen Felder sowie die wilden Tiere und Geier. Und was ist mit der punischen Flotte, die vor den Ägäischen Inseln versenkt wurde? Oder die Schiffe in Marseille, die vor ihren eigenen Häfen liefen und tapfer versuchten, ihre Stadt zu beschützen?

Doch um nicht nur über italienische Katastrophen zu sprechen, was ist mit den athenischen Seestreitkräften, die vor der Stadt Syrakus zerstört wurden? Was für eine Art von Begräbnis erhielten sie? Ich möchte auch Salamis und Marathon erwähnen und die 300.000 Perser, die dort getötet wurden, obwohl einige sagen, daß es mehr als doppelt so viele waren. Wie auch die jüdischen Kriege und die Schlachten der Skythen, der Amazonen, der Araber, der Parther und der Meder. Oder die Siege Alexanders von Mazedonien und seinen Mord an vielen hilflosen Menschen. Oder die Plagen von solcher Grausamkeit, daß die Leichen der geliebten Menschen ungeachtet aller Hingabe unbegraben bleiben mußten. Oder die Überfälle von Schlangen und wilden Tieren, die, wie Cicero von Dicaearchus berichtet, ganze Stämme von Menschen ausgelöscht haben. Oder die Stürme, täglichen Schiffbrüche oder verheerenden Brände, von denen niemand sagen wird, daß sie noch eine Beerdigung brauchen. Oder die Bürgerkriege und inneren Konflikte, von denen wir lesen, daß sie ihren Führern nur selten ein Begräbnis gönnen, und dies gilt um so mehr für den Krieg mit äußeren Feinden. Oder die Zerstörung ganzer Städte wie Troja, Jerusalem, Karthago, Korinth, Numantia, Sagunt und vieler anderer, wo die Mehrheit der Bürger von den einstürzenden Mauern bedeckt liegen und zusammen mit ihren Häusern begraben wurden. Oder die Erdbeben, die den Sterblichen die Eingeweide von Mutter Erde als Grab hinterlassen haben, eine häufige Katastrophe in alten Zeiten sowie in der Gegenwart an verschiedenen Orten, aber nirgendwo tödlicher als in Asien, wo Berichten zufolge an einem einzigen Tag zwölf Städte von den klaffenden Abgründen der Erde verschlungen wurden.

Das alles sage ich dir, um dich von dieser lächerlichen Angst zu befreien, die dich den Verlust eines Grabes mehr fürchten läßt als den Tod selbst. Hör auf, deprimiert darüber zu sein, daß deine ärmliche kleine Leiche das entbehren sollte, was bekanntlich so viele tausend Männer und Helden und, was viel beschämender ist, sogar Heilige entbehrten!

Schmerz: Es ist aber zu hart, daß mir die Erde verweigert wird, wenn ich tot bin.

Vernunft: „Es“ ist nicht zu hart, sondern „du“ bist zu weich. Du stöhnst darüber, verletzt zu werden, obwohl du nichts fühlst!

Schmerz: Es ist wirklich eine Schande, daß mir die Erde verweigert wird, wenn ich gestorben bin.

Vernunft: Warum? Meinst du, daß du dann nicht der Erde gehörst? Auch wenn dir die Erde verweigert wird, so kannst du doch der Erde nicht verweigert werden. Zufall oder feindlicher Mutwille können dich der Bestattung in einem Grab berauben. Aber soweit du aus Erde gemacht wurdest, mußt du auch zur Erde zurückkehren. Das hast du aus dem Mund des Herrn gehört (1.Mose 3.19, Pred. 12.7), und das kann nicht falsch sein.

Schmerz: Die Erde hält mich nicht an ihrem Busen.

Vernunft: Aber du hältst sie am Busen deines nackten Körpers. Und was kann dir dies nach deinem Tod noch bedeuten? Spielt es noch eine Rolle, wo du einst die abgeschnittenen Fingernägel oder Haare, das Fieberblut, das Kleid deiner Kindheit und die Windellappen hinterlassen hast, die dich als Baby eingewickelt hatten? Oder hast du die überlegene Antwort von Theodorus von Cyrenae in Cicero vergessen, als König Lysimachos ihm mit Kreuzigung drohte? Er sprach, soweit ich mich erinnere: „Ich bitte dich, mache deine abscheulichen Drohungen gegenüber deinen Höflingen in den purpurroten Roben: Diesem Theodorus macht es keinen Unterschied, ob er am Boden oder in der Luft verrottet.“ Die Erde hält dich vielleicht nicht an ihrem Busen, aber sie hält dich an ihrer Oberfläche. Dort kleidet dich das Gras, und die Blumen schmücken dich und sind froh, dich als Gast zu haben. Der Regen wird dich befeuchten, die Sonne wird dich verbrennen, das Eis wird dich erfrieren, und die Winde werden dich bewegen. Vielleicht ist dies eine natürlichere Art, den Körper wieder in die vier Elemente aufzulösen, aus denen er besteht.

Schmerz: Es ist trotzdem schrecklich zu hören, daß ich unbestattet bleiben werde.

Vernunft: Das Schreckliche liegt in deiner Meinung und nicht in der Tatsache. Einige haben es für schrecklich gehalten, mit Erde bedeckt zu sein, und für angenehm, von den Flammen des Scheiterhaufens verzehrt zu werden, was, wie wir wissen, auch die Ansicht deiner Vorfahren war. Andere haben gedacht, daß die Toten von wilden Tieren oder von Hunden in Stücke gerissen werden sollten. Unzählig sind die Bestattungsriten verschiedener Völker. Viele von ihnen wurden von Chrysippus gesammelt und von Cicero zusammengefaßt. Du wirst nackt auf dem Boden liegen. Ein anderer wird von einem schrecklichen Stein niedergedrückt, mit Erdklumpen bedeckt oder in das wogende Wasser geworfen. Oder er hängt im Wind schwingend, vom Hagel geschlagen und von den Krähen zerfleischt. Und diejenigen, die mit kostbaren Düften einbalsamiert und in Purpur gehüllt sind, werden schnell von Würmern verzehrt. Was hat der mehr, der in Marmor und Gold gebettet wird, als jener, der bei Virgil stöhnt: „Jetzt hält mich die Welle und Winde werfen mich an den Strand!“ Obwohl auch er, dem gängigen Irrtum folgend, darum bittet, in der Erde begraben zu werden. Vielleicht glaubst du auch das alte Ammenmärchen, daß die Seelen derer, die unbegraben liegen, noch hundert Jahre lang an den Ufern des Stroms im Tartarus umherwandern, was sicherlich jeder vernünftige und religiöse Geist ablehnt.

Schmerz: Mir wird damit ein Grab in meiner Heimat verweigert.

Vernunft: Wenn dir dort ein Stück Grasland übrigbleibt, ist es schon gut. Dann hast du, was ein so großer Mann wie Phokion beneidete, dem das undankbare Athen die Beerdigung innerhalb seiner Grenzen verweigerte, obwohl er ein verdienstvoller Bürger war - eine unerhörte Form von Grausamkeit! (Valerius Maximus, Buch III 2.11)

Schmerz: So werde ich unbeerdigt liegengelassen.

Vernunft: Mögen sich die Lebenden um den Körper kümmern. Und du kümmere dich um deine Seele!

Petrarcameister - Vom Sterben ohne Beerdigung

In dem Schlußkapitel wird der sonst oft so trockene und beispielüberladene Text des Petrarca noch einmal geistreich und erhebt sich zur Selbstverspottung. Auf die Klage des Schmerzes „Ich werde unbegraben weggeworfen“, antwortet die Vernunft: „Mißgönnst du den Vögeln, wilden Tieren oder Fischen ihre Nahrung? …“ - Der Petrarca-Meister hat seine Darstellung deutlich als Schlußbild gezeichnet. Groß hat er die Jahreszahl 1520 auf den Sarkophag gesetzt. Auch dem Inhalt nach gibt er ein Schlußbild. Der reiche Sterbende liegt mit sorgenvoll verzerrten Zügen auf seinem letzten Lager. Seine Ängste wegen der Bestattung werden von den Totengräbern zerstreut, die Hacke und Spaten schon in den Händen haben und auf den Sarkophag hinweisen, der prächtig geschmückt für den Sterbenden bereitsteht. Die Angstvision erscheint im Hintergrund: Dort streiten sich Füchse, Wölfe und Raben um einen nackten Leichnam. Als Sinnbild des ewigen Wechsels zwischen Tod und Leben, mit dem der Petrarca-Meister das Schlußbild wieder mit dem Anfang verknüpft, zeichnet er vor dem Sarkophag liegend eine schwangere Frau, die einen Totenkopf küßt.

In Lebensfluten, im Tatensturm
Wall ich auf und ab, webe hin und her!
Geburt und Grab, ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben, ein glühend Leben:
So schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
(Goethe, Faust I)

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir wieder die nackte Seele auf ihrem Karma-Bett unter dem „schönen Himmel“ sehen, wie sich nun die Mauern des Körperhauses und die Vorhänge des Geistes ringsherum lichten und die Sicht in die geistige Natur freigeben. Ein Zaun deutet immer noch die Blase des Ichbewußtseins an, doch innerhalb dieser Begrenzung des Bewußtseins kann man nun das gegensätzliche Paar von Begierde und Haß gemeinsam vereint als Totengräber sehen, welche schließlich die Unwissenheit mit der egoistischen Freude und dem klagenden Schmerz begraben. Damit erfüllt die Begierde als Kraft der Verkörperung und Geburt zusammen mit dem Haß als Kraft der Trennung und des Todes ihr letztes und höchstes Amt, und die menschliche Seele kann sich als Welle des ewigen Bewußtseins aus dem umzäunten bzw. begrenzten Ichbewußtsein erheben. Das ist wohl das eigentliche Begräbnis, die Beerdigung und das Ende der drei Gesellen, die den Menschen durch sein irdisches Leben getrieben haben. Dazu sieht man auf dem Sarkophag der Unwissenheit das persönliche Bild, das von den teuflischen bzw. egoistischen Gegensätzen gehalten wird, sowie die Lebenszeit, die ebenfalls von den Gegensätzen zwischen den Feuern der Vergangenheit und Zukunft gehalten wird. Diese Unwissenheit wird „beerdigt, verwest und verdaut“ und geht wieder in die ewige Natur zurück, zur großen Mutter und Königin, die vor dem Sarkophag auf der Erde liegt und den ewigen Kreis von Geburt und Tod darstellt. Und man sieht an ihrem Kuß deutlich, daß gerade die Vergänglichkeit der höchste Ausdruck ihrer Liebe ist. Denn ohne Vergehen gäbe es kein Werden, ohne Tod keine Geburt, und so auch ohne den Tod der Unwissenheit keine höchste Geburt des Christusbewußtseins einer ganzheitlichen Vernunft. Damit erinnert der Sarkophag auch an die biblische Bundeslade als ein Grabmal der Unwissenheit und ein mächtiges Symbol, um alles Getrennte im Ganzen bzw. Göttlichen zum ewigen Bund zu vereinen.

Im Hintergrund könnte man wieder das Meer des Lebens mit den beiden Ufern erkennen, auf dem die Seelenschiffe wie Wellen des Bewußtseins unterwegs sind. Auf dem diesseitigen Ufer der Vergänglichkeit sieht man, wie die angesammelte Körperlichkeit im gegensätzlichen Spiel der Natur wieder verzehrt werden soll. Und am jenseitigen Ufer der Ewigkeit winkt der Tempel Gottes mit der sicheren Burg und dem Berg, der in den Himmel ragt. Und dazwischen am Zaun stehen zwei Bäume: Der eine grünt als Baum des Lebens, der die Gegensätze von Gut und Böse, Geist und Natur, Mein und Dein sowie Leben und Tod vereint und überwindet. Und der andere verdorrt als Baum der Gegensätze, von dessen Früchten der Geist bisher gelebt und sich verkörpert hat.

Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird's Ereignis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist's getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.
(Goethe, Faust II, Schluß)

Ende des zweiten Buches „Von der Heilung des Unglücks“


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