Heilung von beiderlei Glück - Francesco Petrarca

2.100. Von der Trägheit des Verstandes

Schmerz: Ich habe einen trägen und schwerfälligen Verstand.

Vernunft: Das ist eine Last, die wirklich etwas lästiger ist. Aber auch sie kann verringert werden, wenn du dich achtsam bemühst.

Schmerz: Ich bin aber faul und stumpfsinnig.

Vernunft: Warum denkst du, daß Groll und Wehklagen bei dieser Krankheit helfen können? Die Sache erfordert eine ganz andere Abhilfe. Entsage (übermäßigem) Schlaf, Müßiggang, Essen und Trinken, und höre nicht auf dummes Gerede, suche keine Gründe für dumme Ausreden und gib nicht der Trägheit nach, die dir durch eigene Schuld zur zweiten Natur geworden ist. Bleibe lange wach, denke nach, bereue, seufze, bemühe und erhebe dich! Fordere die Kraft deines Geistes heraus, vermeide den Stumpfsinn, vertreibe die Trägheit, verzichte auf Vergnügen und konzentriere dich auf dein Studium. Nichts ist so schwer, daß es nicht durch ernsthafte Anstrengung gehoben werden könnte, nichts ist so hart, daß es nicht erweicht werden kann, nichts ist so stumpf, daß es nicht geschärft werden kann, nichts ist so taub, daß es nicht erregt werden kann, nichts ist so verborgen und vergraben, daß es nicht entdeckt werden kann, und nichts schläft so tief, daß es nicht geweckt werden kann.

Schmerz: Ich habe einen langsamen Verstand.

Vernunft: Ich weiß, daß diejenigen, die einen schnellen Verstand preisen, gern den langsamen als eine Schande bezeichnen. Ich ziehe jedoch einen langsamen und demütigen Geist einem schnellen und rücksichtslosen vor, denn wenn auch der erstere nicht viel Hoffnung auf Ruhm und große Errungenschaften birgt, so fördert doch der letztere das Gespenst schwerer Irrtümer und gemeiner Schande. Es ist viel akzeptabler ohne Ruhm zu leben, als in Schande.

Schmerz: Ich habe einen trägen Verstand.

Vernunft: Dann behandle dich, wie man träge Pferde behandelt, und lege dir die Sporen an! Du darfst deinen Zustand nicht als Entschuldigung benutzen, sondern mußt ihn zum Grund für harte Arbeit machen. Einige denken, daß man alles aufgeben sollte, was nicht voranzukommen scheint. Dränge trotzdem weiter! Immer weiter, und bemühe dich! Ein tapferer Geist gedeiht in Schwierigkeiten, wird durch Mühsal genährt, versucht sein Bestes und funktioniert am besten, wenn er auf hartnäckigen Widerstand trifft. So ist auch zu lesen, daß es eifrige Anstrengung war, die Sokrates geistig überlegen und Demosthenes beredt machte. Ähnliches ist mit anderen passiert. Aber nur die wenigsten gelangen zu einem berühmten Namen, denn der Ruf stellt sich seltener ein als die Taten, die ihn verdienen würden.

Schmerz: Ich habe einen zurückgebliebenen Verstand.

Vernunft: Damit ist die Hoffnung auf Fortschritt noch nicht verloren, und du erkennst, daß du daran arbeiten mußt. Es ist viel herrlicher, aufgrund von Anstrengung Fortschritte zu machen als aufgrund der eigenen natürlichen Begabung, wie es auch besser ist, etwas Sinnvolles absichtlich und nicht zufällig zu tun.

Schmerz: Ich habe aber einen sehr langsamen und ungelehrten Verstand.

Vernunft: Wenn du nicht nach Gelehrtheit streben kannst, dann strebe nach Tugend! Diese kann niemand durch Klügelei erreichen, denn Tugend erfordert keinen scharfen Verstand, sondern reinen Willen. Und man sagt, daß dieser nicht durch Wissen erlangt werden kann, sondern oft sogar dadurch verhindert wird. Daher haben einige ihre Studien aufgegeben, sich in die Wildnis zurückgezogen und die Unwissenheit des Bücherlernens gegen außergewöhnliche Einsichten eingetauscht. Es ist schwierig, diese Menschen zu beurteilen. Aber was dein Problem betrifft, hier ist mein letzter Ratschlag: Laß dich von niemandem täuschen! Gib weder der üblichen Gedankenlosigkeit der gewöhnlichen Leute noch den Ratschlägen von Dummköpfen nach. Es ist eine größere Leistung und viel sicherer, sich durch Tugend auszuzeichnen, als durch Gelehrtheit. Wenn du darüber nachdenkst, ist das eine immer wünschenswert, während das andere oft ein großes Risiko birgt. Wenn sich jedoch das Licht der Gelehrsamkeit kraft des Geistes zur Tugend hinzugesellt, dann haben wir in der Tat etwas Vollkommenes und Ganzes, soweit es in menschlichen Angelegenheiten eine Vollkommenheit geben kann.

Petrarcameister - Von der Trägheit des Verstandes

Gegen die Klage des Schmerzes „Ich habe einen trägen und schweren Verstand“ wendet die Vernunft im Text des Petrarca ein, daß mit Klagen allein nichts zu bessern sei. Man müsse fleißig sein und die Trägheit zu überwinden suchen… - Auf diesen Text hat die Darstellung des Petrarca-Meisters wenig Bezug. Vielmehr hat Sebastian Brant in seinen Hinweisen auf sein „Narrenschiff“ zurückgegriffen und einen Narren darstellen lassen, der sich in seiner Geistesträgheit recht wohl befindet. Er liegt in Narrentracht am Boden, und seine Trägheit spottet der Mühen des Magisters, der ein Rutenbündel nach dem anderen an ihm zerschlägt. Ja, die Anstrengungen des Magisters scheinen nur noch einen ärgeren Narren zu erzeugen, denn der Künstler läßt einen kleinen Narrenengel in den Mund des Liegenden hineinfliegen, so wie sonst die Seele bei Sterbenden, dem Körper entweichend, dargestellt ist. - Die eindrucksvolle Komposition mit dem riesenhaften Narren und dem eifrigen Magister ist Eigentum des Petrarca-Meisters, sie ist im „Narrenschiff“ nicht vorgebildet.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man den in sich selbst vernarrten Geist sehen, der innerhalb der Zäune, Burgen und Mauern des begrifflichen Verstandes auf seinem Bauch mit der Geldtasche im Rücken am Boden liegt und mit der einen Hand seinen Kopf mit der Narrenkappe stützt, während er mit der anderen Hand alles andere abwehrt. Entsprechend wird das Bewußtsein eingeschränkt und begrenzt, so daß es immer träger und „schwerfälliger“ wird und schließlich sogar „kristallisiert“, wie auch die moderne Physik weiß, daß aus leichtem Licht schwere Materie werden kann. Damit kann auch die Seele nicht zum reinen Licht des Bewußtseins aufsteigen, sondern der gefallene Engel des Ichbewußtseins tritt mit der Narrenkappe für den Kling-Klang der gegensätzlichen Gedanken in die Verkörperung ein, so daß auch die Seele immer tiefer fällt. Dazu ist vermutlich auch der hohle Baum von der Erkenntnis der Gegensätze links hinter den Narrenbeinen dargestellt. Und die allgemeine Weisheit, die sich auch in dieser Welt verkörpert hat, versucht wohl vergebens, mit ihren Heilmitteln, zu denen auch die Ruten des Leidens gehören, einen solchen träge und alt gewordenen Narren wachzurütteln.

2.101. Vom schlechten und schwachen Gedächtnis

Schmerz: Mein Gedächtnis ist schlecht und schwach.

Vernunft: Dies ist eine weitere „Schande“ des Alters, kaum wahrer als die anderen, aber wenn es auftritt, kann es durch Studium gelindert werden.

Schmerz: Mein Gedächtnis läßt nach.

Vernunft: Dann sorge dafür, daß es nicht ganz versagt, und unterstütze es, wenn es versagt, mit stetiger Übung. Behandle es so, wie du eine Mauer behandelst, die einzustürzen droht, und stelle dort, wo es nötig ist, Stützpfeiler auf und verstärke die Schwachstellen mit vielen kräftigen Balken.

Schmerz: Mein Gedächtnis geht verloren.

Vernunft: Dann finde es wieder mit Achtsamkeit und Geschick! Fleißiges Üben hilft bei allen Mängeln des Geistes und Gedächtnisses. Eine solche Übung kann erreichen, daß nichts verlorengeht und nichts verringert wird. Es ist die Übung, die betagten Philosophen und Dichtern einen kräftigen Geist und Stil verleiht, wie auch alternden Rednern eine ruhige Stimme, starke Lungen und ein beharrliches Gedächtnis. Sonst wäre Solon nicht in der Lage gewesen, alt zu werden und jeden Tag etwas zu lernen, und selbst als er dabei war, seinen letzten Atemzug zu tun, den Freunden, die ihn umgaben, den Anschein zu geben, sich irgendwie über den Tod selbst zu erheben. Auch hätte Chrysippus in seinem hohen Alter nicht das brillanteste und tiefgründigste Buch vollendet, das er als junger Mann begonnen hatte, noch hätte Homer in einem ähnlichen Alter sein göttlich-heiliges Gedicht verfaßt. So konnte auch Simonides mit achtzig Jahren nicht nur mit jugendlichem Eifer, sondern auch mit der Reife des Alters in den poetischen Wettbewerb eintreten. Isokrates konnte sein Werk voller Inspiration mit vierundneunzig Jahren schreiben, und Sophokles hatte als ein strahlendes Licht des tragischen Stils seinen Ödipus mit fast hundert Jahren vollendet. Und der achtzigjährige Cato der Ältere konnte sich noch mit fester und lauter Stimme und ohne Gedächtnislücken gegen die schweren Anschuldigungen wehren und sich als berühmtester Redner vor Gericht stellen.

Schmerz: Mein Gedächtnis wird unzuverlässig.

Vernunft: Dann verlasse dich nicht darauf! Rechne mit ihm ab, fordere unverzüglich, was du ihm anvertraut hast, und tue heute, was du morgen tun könntest. Es ist gefährlich zu zögern, solang man aus dem Übel noch etwas Gutes machen kann. Sich auf einen Partner zu verlassen, erzeugt Faulheit, aber Mißtrauen erzeugt Fleiß.

Schmerz: Ich habe kaum noch Erinnerungen.

Vernunft: Das ist der menschliche Zustand: Je weniger man sich erinnert, desto weniger Grund hat man zu trauern. Wo es keine Hoffnung auf Besserung und keinen Platz für wirksame Buße gibt, was bleibt dann noch, als die Hilfe des Vergessens?

Petrarcameister - Vom schlechten und schwachen Gedächtnis

Die vielen Weisen des Altertums, die Petrarca als Beispiele dafür nennt, daß hohe geistige Leistungen auch noch im Alter trotz schwachen Gedächtnisses vollbracht werden können, zeichnet der Petrarca-Meister als eine Versammlung von alten Männern, die ihr Wissen den Büchern entnehmen oder es darin bewahrt haben. Als Antithese mit der Aussage, daß nicht nur der Weise und Studierte großer geistiger Leistungen fähig sei, hat Sebastian Brant auf seinen Lieblingsdichter Aesop hingewiesen, dessen vermeintliche Werke er selbst 1502 in Basel herausgegeben hatte („Esopus Leben und Fabeln“). Von Aesop erzählt die Fabel, daß er ein buckliger und häßlicher Sklave in Samos gewesen sei. Ihn habe die Göttin Isis mit Weisheit und Schärfe der Zunge begabt, daß er seine berühmten Fabeln habe erfinden können. So zeichnet denn auch der Künstler den buckeligen Zwerg, wie ihm die als Engel in antikischer Rüstung gestaltete Göttin die Zunge berührt. - Die Gestalt des Aesop war den Menschen zur Zeit des Erscheinens des Buches von vielen Holzschnitten her geläufig, so daß das Bild auch ohne seine Erwähnung in Petrarcas Text verständlich war.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man hier wieder die sieben geistigen Prinzipien in ihrem Körperhaus sehen, das nun im Alter immer dunkler wird, weil das äußerliche Licht der Sinne nachläßt. Links wäre dann der gedankliche Verstand mit dem Gedächtnis der Lebensgeschichte des Ichbewußtseins, welcher im Alter zum buckligen Zwerg schwindet und verstummt. Aber wenn er sich vor der Göttin der Natur beugt, sie verehrt und damit mehr dem Ganzen dient als dem trennenden Ichbewußtsein, dann belebt die Göttin als ganzheitliches Naturwesen die Zunge des Verstandes mit Weisheit, was in diesem Sinne ein Segen des Alters wäre. Damit kann auch die ganzheitliche Vernunft im Alter reifen und wachsen, die auf der rechten Seite mit dem Buch des Lebens zu sehen ist, das aus dem allgemeinen Meer der Ursachen schöpft. Sie ist von den fünf Sinnen umgeben, die sich nun ebenfalls mit einer gewissen Altersweisheit mehr ins Innere bzw. Geistige zurückziehen, so daß sich die „Weisen als Gemeinschaft“ um das ganzheitliche Bewußtsein versammeln, welche der Verstand zuvor durch „äußerliches Bücherwissen“ kennengelernt hat und zum Wesentlichen verdauen konnte. Und wenn nun die höhere Vernunft die Herrschaft hat, wie im Bild zu sehen, dann kann sich der Mensch auch im Alter noch geistig zum Licht erheben. Ansonsten übernimmt das Körperbewußtsein die Herrschaft, und es wird immer dunkler im Körperhaus.

2.102. Vom Mangel an Beredsamkeit

Schmerz: Mir fehlt es an Beredsamkeit.

Vernunft: Damit fehlt dir auch ein Werkzeug, um sich Neid und Haß zu verdienen. Erkenne es als einen Segen der Natur, die dir zwar einen großen Vorteil gegenüber gefährlichen Anklägern verwehrt, aber auch einen beträchtlichen Anteil an schicksalhaftem Leiden genommen hat. Denn viele gehen an ihrer Beredsamkeit zugrunde. Wenn du das bezweifelst, dann befrage die Meister der beiden Arten der Beredsamkeit (bzgl. Ruhm und Ruin). Denn schon viele kleine Redner sind überall in der Welt wegen ihrer Kunst umgekommen, und die der Meisterschaft näherkamen, waren durch ihre Bekanntheit ebenso nahe an dieser Gefahr. Manche von ihnen versuchten sogar, sich durch einen Decknamen zu schützen. Doch selbst, wenn die Beredsamkeit keine Gefahr wäre, bleibt eine stetig große Mühe. Nichts auf dieser Welt ist so substanzlos und wird doch mit so viel Mühe gesucht. Und dieser flüchtige Hauch erregt den Geist in einem Maße, daß man glauben könnte, es liege eine wahrhaftige Tugend in den Worten!

Schmerz: Ich habe keine Beredsamkeit.

Vernunft: Aber vielleicht viel mehr Sicherheit, die dir durch Beredsamkeit verlorengegangen wäre. Denn es gibt viele, die sicherer im Leben gewesen wären, wenn sie weniger geredet hätten.

Schmerz: Ich kann aber ohne Beredsamkeit nichts bewirken.

Vernunft: Dann sorge dafür, daß deine Weisheit, Ehrlichkeit und Tugend etwas bewirken! Beredsamkeit gehört nur wenigen, aber diese gehören allen. Laß dich nicht vom Mangel an vorzüglichen Dichtern und Rednern täuschen. Und wenn es dich reizt, einer der Vorzüglichen zu sein, dann laß mich dir raten, etwas anderes tun, um einen sichereren Weg zu dieser wünschenswerten Vorzüglichkeit zu gehen. Vielleicht ist es banal, aber es gibt nichts Besseres und Vorzüglicheres als die Tugend. Vorzügliche Tugend ist sogar noch viel seltener als vorzügliche Beredsamkeit, die, wie gesagt, nur wenige haben. Doch jeder weiß, daß man gern vernachlässigt, was jeder haben kann, und daß jeder begehrt, was nur wenige haben können.

Schmerz: Mir fehlen aber oft die Worte.

Vernunft: Dann richte deinen Geist auf die Taten! Worte bedeuten nur flüchtigen Atem, Mühe und Gerede. Aber Taten bedeuten Gewißheit, Tugend und Glück.

Schmerz: Ich bin kein guter Redner.

Vernunft: Viele, die wenig wußten, haben Großes unternommen. Setze jemanden auf ein Pferd, der noch nicht reiten kann, und du wirst ihn bald nicht mehr herunterbringen. Wenn du also nicht sprechen kannst, dann laß dich von deiner Verlegenheit im Schweigen üben. Wenn du nicht sprechen kannst, damit andere dir zuhören, dann lerne zuzuhören, wenn andere sprechen! Es ist nicht weniger eine Kunst zu schweigen als eine Rede zu halten. Und es ist sogar viel sicherer und einfacher.

Schmerz: Ich kann nicht in Worte fassen, was in meinem Herzen ist.

Vernunft: Wenn du einen kreativen Geist hast, aber nicht die angenehme Stimme und die beeindruckenden Formulierungen, um das Große und Erhabene deiner Gedanken auszudrücken, dann entspanne dich. Versuche nicht, etwas zu tun, was du nicht erfolgreich tun kannst. Setze statt dessen dein Vermögen schweigsam ein und drücke damit deine Freude aus. Überlaß anderen, was ihnen gehört, und versuche nicht, es ihrem Ausdruck und Stil gleichzutun. Ich sage, laß andere reden und begnüge dich damit, sie gut zu verstehen. Dieses Vergnügen, das der Verstand bereiten kann, ist geheimer, aber auch intensiver als das, was man durch Beredsamkeit erreicht. Es ist beständiger, viel friedlicher und bringt weniger Neid.

Schmerz: Ich bin zu schüchtern, öffentlich vor einem großen Publikum zu sprechen.

Vernunft: Wir wissen, daß dies vielen großen Männern geschehen ist, aus Mangel an Mut und nicht aus Mangel an Worten oder Intelligenz. Wenn du dich auch nicht fähig fühlst, vor einer großen Menschenmenge zu sprechen, dann sage es nur ein paar Menschen oder auch nur einem. Zugegeben, öffentliche Reden sind prestigeträchtiger, aber du wirst nicht leugnen, daß private Gespräche viel wohltuender sind. Und wenn du dich selbst dazu nicht durchringen kannst, dann wende dich an dich selbst und sprich mit dir selbst, wie ich bereits vorgeschlagen habe, und rege diesen inneren Gesprächspartner an, der immer bei dir ist und dich nie betrügt, auslacht, verleugnet oder verachtet. Er fordert auch keine besonders genaue und mühsame Beredsamkeit, sondern genießt einfach und spontan das Geschichtenerzählen und duldet auch gern dein Schweigen, nachdem du viel geredet hast. Lerne, mit diesem inneren Zuhörer zufrieden zu sein, der sich nicht darum kümmert, wie du etwas sagst, sondern was du sagst, oder besser noch, was du beabsichtigst zu sagen. Lerne, die wahrhaftigste aller Bühnen zu betreten, die direkt in deinem Herzen ist. Lerne, nicht den Beifall der Menschen zu schätzen, sondern Gottes Wahrheit und etwas zu genießen, ohne laut zu reden und zu schreien, nur von der stillen Befriedigung erfreut, die oft durch übermäßige Beredsamkeit gestört wird. So lerne auch, nicht für die Show zu leben und zu sprechen, was eines der größten Übel des menschlichen Lebens ist.

Schmerz: Ich bin auch ein Stotterer.

Vernunft: Beklagst du etwa das, was du mit Moses gemeinsam hast, diesem so großen Mann und Freund Gottes (2.Mose 4.10)? Wenn du die Vergangenheit oder Gegenwart untersuchst, wirst du viele herausragende Männer mit Sprachfehlern finden und auch viele bösartige, die hervorragend reden können, aber nur sehr selten solche, die außergewöhnliche Beredsamkeit und strahlende Tugend in sich vereinen.

Petrarcameister - Vom Mangel an Beredsamkeit

„Viele sind durch ihre Reden um Leib und Leben gekommen“, erwidert die Vernunft auf die Klage des Schmerzes. Im Bild ist dargestellt, wie ein Kaiser einen Hohen hinrichten läßt, der sich durch seine Reden verhaßt gemacht hat. In der Darstellung auf der rechten Seite verlieren zwei Magister ihr Leben, weil sie so eifrig miteinander disputieren, daß sie den Überfall durch Landsknechte nicht bemerken. - Im Ganzen stimmt die Illustration nicht sehr gut zum Text und zur Klage des Schmerzes. Da der Holzschnitt auch in der Cicero-Ausgabe des gleichen Verlegers im Jahre 1531 Verwendung gefunden hat, ist es möglich, daß er für den Cicero geschaffen und in Petrarcas „Glücksbuch“ übernommen wurde. Für die Entstehung zum Cicero spricht, daß dort im deutschen Text von dem Wechsel des Glücks die Rede ist: „Fürwahr, welche gefürchtet sein wollen, denen ist not, daß sie dieselben Furchtsamen auch fürchten.“ Zu diesem Sinne würde das Hauptbild nicht schlecht passen, wo ein „Gefürchteter“ sein Leben verliert. Auf die mangelhafte Darstellung der Beine und Füße des Henkers sei noch hingewiesen, die eine relativ frühe Entstehung des Holzschnittes vermuten läßt.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Die seltsame Darstellung der Beine ließe sich mit einem Hofknicks erklären, der heute noch von adligen Damen üblich ist, und auch der Schattenwurf legt nahe, daß es kein Versehen ist. Aus geistiger Sicht können wir das trennende Ichbewußtsein als König auf dem Thron im Körperhaus sehen, dem der begriffliche Verstand dient und mit dem Schwert der Unterscheidung der ganzheitlichen Vernunft den Kopf abtrennt, um damit wie ein Weiser vernünftig reden zu können. Aber das eigentliche Wesen der Vernunft bleibt unbeachtet hinter ihm liegen. Die leere Schwertscheide daneben könnte andeuten, daß dieses Schwert der „Unterscheidung“ ursprünglich der Vernunft gehörte und ein Schwert der „Entscheidung“ bzw. ganzheitlichen Erkenntnis war, das im Dienst des Verstandes für das Ichbewußtsein zum Schwert der Trennung bzw. Unterscheidung der Gegensätze wurde. So sieht man auch rechts in der Natur neben dem verzweigten Baum der Gegensätze die beiden Gelehrten, die mit dem begrifflichen Verstand wie Weise disputieren, aber keine Achtsamkeit auf das Ganze um sich herum haben, so daß sie von den Gegensätzen der Natur mit ebendiesem Schwert der Unterscheidung überfallen und überwältigt werden.

2.103. Vom Verlust der Zunge und Sprache

Schmerz: Was ist, wenn ich mit meiner Zunge auch die Sprache verloren habe?

Vernunft: Was ist mit der Tatsache, daß du damit Sicherheit und Frieden gefunden hast? Wie viele unschuldige Menschen werden von ihrer Zunge umgebracht! Es ist ein törichtes Vergnügen, das von vielen gesucht wird, die so tun wollen, als hätten sie etwas getan, was sie nicht getan haben und auch nicht tun können. Wie jener gelogen hatte, der behauptete, den König der Israeliten und seinen Sohn getötet zu haben, und trotz seiner Unschuld an der Tat die höchste Strafe wegen seiner Lüge erleiden mußte (2.Sam. 1.1). Doch nicht geringer als diese Gefahr ist die viele Mühe, zu sprechen, zu antworten, zu plaudern und so zu tun, als würde man Worte elegant arrangieren, seine Sätze abwägen und nachdenken, was man sagt und wie man es sagt, damit die Worte süß durch die Luft schweben, denn so beurteilt man die Stimme und nicht nur, wie man seine Zunge bewegt, sondern auch den Rest des Körpers. Dies ist ein großes Thema der Rhetorik, wie auch die Art und Weise, wie man seinen Blick auf den Boden richten muß, um nachdenklich zu erscheinen, wie man mit den Händen gestikuliert oder mit den Füßen auf den Boden stampft. Und diese zermürbenden Feinheiten scheinen immer noch nicht genug, und man quält sich wie in einem Musikstück, damit die Worte einen süßeren Klang bekommen. Macht das nicht das Sprechen zur lästigen Pflicht und das Schweigen zu glückseliger Ruhe?

Schmerz: Ich kann einfach nicht sprechen.

Vernunft: Was ich über mangelnde Beredsamkeit gesagt habe, gilt um so mehr für den Verlust der Sprache. Wenn du nicht sprechen kannst, mußt du schweigen. So tue bereitwillig, wozu dich die Not zwingt, was auch diejenigen, die sprechen können, öfters tun sollten, anstatt bereuen zu müssen, zu viel gesprochen zu haben. Mein Rat ist, still zu bleiben und nicht das Gefühl zu hegen, daß dies ein großer Verlust sei. Denke in Ruhe nach und sprich im Stillen mit dir selbst! Kein erfahrener Redner wird bestreiten, daß dies viel besser ist, als laute Reden zu halten.

Schmerz: Ich bin stumm geworden.

Vernunft: Wenn Cicero und Demosthenes stumm gewesen wären, hätten sie länger gelebt und wären friedlicher gestorben.

Schmerz: Ich habe meine Sprache verloren.

Vernunft: Und damit die Gewohnheit zu lügen, das Handwerk des Betrugs und die Mittel, um Haß und Schande zu verdienen. Viele sind mehr wegen ihrer Zunge als wegen ihrer Taten berüchtigt geworden. Kein Teil des Körpers ist schneller im Verletzen und schwerer zu beherrschen. Daher wird tatsächlich etwas Großes und Kostbares angeboten von dem, der sagte: „Ich werde auf meine Wege achten, damit ich nicht mit meiner Zunge sündige. (Psalm 39.2)“ Dazu heißt es: Als ein heiliger Mann, der gekommen war, um die Heilige Schrift zu studieren, diese Zeilen hörte, wollte er nichts weiter hören und ging davon. Und als ihn der Lehrer nach seiner langen Abwesenheit fragte, warum er das gerade begonnene Studium durch seine lange Abwesenheit vernachlässigt habe, soll er geantwortet haben, daß ihm diese erste Aussage genug Arbeit gab, und er dies immer noch nicht völlig erreichen konnte, egal wie sehr er es versuchte. Diese Achtsamkeit und Zügelung sind dir von der Natur oder dem Glück geschenkt worden. Verachte sie nicht, laß dich bereitwillig beherrschen und versuche nicht, dich deinem Los zu widersetzen!

Schmerz: Mir fehlt meine Zunge.

Vernunft: Jetzt kannst du mehr denn je mit aller Achtsamkeit dein Herz bewahren, wie es dir der Weise gebietet. Da zwei Aufgaben der Achtsamkeit auf eine reduziert wurden, und du von der Hälfte des erforderlichen Aufwands befreit bist, ist es einfacher, dieses eine zu bewahren, und du kannst um so sorgfältiger auf das Kostbarste achten.

Schmerz: Ich habe aber meine Zunge verloren.

Vernunft: Es gibt sehr wenige, deren Zunge sich als edle und heilsame Gabe erweist. Für die Mehrheit der Menschen ist es etwas Schädliches und Pestartiges, was viele besser nicht hätten. So gilt es nicht nur für Sklaven, wenn Juvenal sagt, die Zunge sei das Schlimmste an einem schlechten Sklaven, sondern auch für viele Freie, denen die Natur unmöglich etwas Schlimmeres als ihre Zunge hätte geben können. Streit, Verrat, Verführung und fast alle Formen der Verleumdung würden zum Stillstand kommen, wenn nicht die Zunge ihren bösen Samen verbreiten und nähren würde.

Schmerz: So habe ich nun meine Zunge verloren.

Vernunft: Wenn es eine schlechte Zunge war, hast du damit viel gewonnen. Denn es ist ein großer Reichtum, Bösartiges zu verlieren. Wer es nicht hat, ist reich geboren. Und wer es verliert, wird reich. Und bereichert, wie er durch seinen neuen Gewinn ist, hat er durch das Verlieren gefunden, was er durch das Finden verloren hatte. Aber wenn du eine gute Zunge verloren hast, dann sage ich noch einmal, dann behüte dein Herz (Spr. 4.23). Du hast zwar etwas verloren, mit dem du den Menschen gefallen könntest, aber nun bewahre Gott, zu dem du mit deinem Herzen sprechen kannst, auch wenn dir die Zunge fehlt. Denn von den Gottlosen steht geschrieben: „Mit trügerischen Zungen und doppeltem Herzen haben sie gesprochen. (Psalm 12.3)“ Warum sollten dann nicht fromme Zungen in den Herzen der Gerechten sein, damit auch sie mit ihrem Herzen sprechen können, in dem Gottes Ohren lauschen? Denn wahr ist, was derselbe Mann an anderer Stelle schrieb: „Mein Mund ist dir nicht verborgen, den du heimlich gemacht hast. (Psalm 139.15)“ Noch ist der geheimste Gedanke jemals vor Gott verborgen, der die Schweigenden ebenso hört wie die Schreienden. Bei Ihm ist kein Ruf wichtiger und lauter als der Ruf des Herzens, denn Er liebt diese Stille. Ein solcher Ruf mit geschlossenen Lippen kam auch von dem, der zuerst Schafhirte und später der angesehenste Hirte seines Volkes war, und der sich als würdig erwies, die Stimme Gottes zu hören, die zu ihm sprach: „Warum schreist du zu mir? (2.Mose 14.15)“ Er sprach nicht und schrie nicht mit der Zunge. Nein, er sprach mit dem Herzen. So wie derjenige, der Gott hört, nicht taub ist, so ist derjenige, den Gott hört, nicht stumm.

Petrarcameister - Vom Verlust der Zunge und Sprache

Die Abhandlung Petrarcas zu diesem Thema steht in engem Zusammenhang mit dem vorigen Abschnitt, und wieder dienen ihm Cicero und Demosthenes als Beispiele für das Unglück, das die Redekunst über Menschen gebracht hat: „Wären Cicero und Demosthenes stumm gewesen, dann hätten sie länger gelebt und wären eines leichteren Todes gestorben.“ Die Darstellung des Petrarca-Meisters scheint antithetisch ausgebaut zu sein, gleichwohl ist sie nicht sehr klar. Rechts steht ein „Weiser“ mit dem Rosenkranz in der Hand. Ihm schneidet ein jüngerer Mann in bürgerlicher Tracht, das Schwert an der Seite, die Zunge ab. (Er führt das Messer mit der linken Hand.) Ein anderer alter Mann, ebenfalls bürgerlich gekleidet und ein Schwert an der Seite, hält den Greis ohne besondere Gewalt am Arm. Eine Operation zu Heilzwecken ist unseres Erachtens nicht dargestellt, aber auch für eine Bestrafung am Glied, das gesündigt hat, ist die Szene zu zahm, auch träfe dann die Strafe einen „Weisen“ und „Frommen“. Die in den Käfig gesperrte Elster bei dieser Gruppe könnte allenfalls bedeuten, daß der kluge und listige Vogel durch den Käfig hilflos geworden ist, so wie der „Weise“ es nun mit dem Verlust der Zunge wird. Dann wäre der freie Papagei auf der linken Seite des Bildes das Gegenstück, der „unkeusche“ Vogel, der wegen seines sinnlosen Geplappers gehegt und gepflegt wird. Zu ihm gehört die eitle Jungfrau, die ihm mit Futter und einem Stöckchen in der Hand das Schwatzen beibringt. Auch der Narr gehört zu denen, die Freiheit im Schwatzen genießen. Seiner hatte Sebastian Brant schon in seinem „Narrenschiff“ im Kapitel „Vom vielen Schwatzen“ gedacht und hatte danach dem Künstler die Darstellung nahegelegt. - Im Ganzen scheint gesagt zu werden, Narren, törichte Frauen und Papageien dürfen schwatzen soviel sie wollen, der „Weise“ aber wird durch Krankheit oder durch Urteil zum Schweigen verdammt.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man rechts das Ichbewußtsein bzw. Ego mit der Geldtasche und dem Schwert der Trennung in seinem Körperhaus sehen, das der Vernunft mit seinem „begrifflichen Helfer“ des Verstandes die Zunge abschneidet, um sie nicht mehr hören zu müssen. Entsprechend wird das Bewußtsein in den Käfig des begrifflichen Verstandes eingesperrt und kann sich nicht mehr erheben, wie die Elster in ihrem Käfig. Auf der linken Seite könnte man noch eine Ebene niedriger das Körperbewußtsein der weiblichen Natur sehen, in das sich der männliche Geist „vernarrt“ hat, so daß nun der naturgebundene Geist in seinem Stolz „mit Zuckerbrot und Peitsche“ versucht, das tierhafte Körperbewußtsein wie einen Papagei zu erziehen, um mit ihm sprechen zu können. Ähnlich meinen auch heute noch viele Naturwissenschaftler, daß die Materie im Laufe der Natur-Evolution das menschliche Sprechen gelernt hat, Verstand ausbildet und manchmal sogar Vernunft. Entsprechend arbeiten wir heute auch daran, daß nicht nur Tiere wie Menschen sprechen, sondern auch Maschinen, um uns mit ihnen zu unterhalten. Soweit ist unser menschliches Bewußtsein bereits gesunken…

2.104. Vom Mangel an Tugend

Schmerz: Mir fehlt es an Tugend.

Vernunft: Das ist ein echter Mangel, und dein Kummer ist berechtigt, abgesehen von der Tatsache, daß alle anderen Mängel entweder der Natur, dem Glück oder der Gewalt geschuldet sein können, während dieser ohne jeden Zweifel deinem eigenen freien Willen geschuldet ist. Die anderen betreffen den Körper, den Verstand und das Gedächtnis, die Sprache oder äußerliche Dinge, die alle geschehen, nicht weil sie gewollt sind, sondern aufgrund der Launen des Schicksals. Nur dieser eine Mangel entsteht durch deinen eigenen Willen, den jeder nach seinem Belieben lenkt und ausübt. Dazu muß dieser Wille des Menschen größer sein, als nur die Tugend so zu wollen, wie er dies oder jenes will. Denn sonst würde es diesem Willen nicht anders gehen, wie auch der Mensch gegen seinen Willen einen Mangel an körperlichem Wohlbefinden, Verstand, Sprache oder sonstigem Besitz erfährt.

So ist dein Wille nicht in einer Art festgelegt, sondern wird dir von Geburt an nach eigenem Ermessen gegeben, um in Freiheit auf dieses und jenes gerichtet zu werden. Andernfalls würde die Tugend kein Lob und die Sünde keine Strafe verdienen. Auf das Gute gerichtet, macht er dich gutartig, und auf das Gegenteil gerichtet, macht er dich bösartig. Du kannst ihn verwenden, wie du möchtest. Wie es dir gefällt, kannst du ihn gut gebrauchen, was zweifellos ein Geschenk Gottes darstellt, und wenn du ihn schlecht gebrauchst, wirst du dessen Verkehrtheit erfahren. So ist offensichtlich, daß der Wille zum Guten die Wurzel der Tugend ist und der Wille zum Bösen die Wurzel des Lasters. Niemand leidet an Tugendmangel, wenn er es nicht will, weshalb das Wollen der erste und wichtigste Teil aller Tugend ist.

Schmerz: Was ist, wenn ich Tugend haben möchte, aber sie nicht erreichen kann?

Vernunft: Viele denken, sie möchten, was sie eigentlich nicht wollen, und sie möchten nicht, was sie eigentlich wollen. So betrügt sich jeder selbst und versucht, nicht nur andere, sondern auch sich selbst davon zu überzeugen, daß man eifrig nach dem Guten strebt. Und niemand ist leichter davon zu überzeugen, wie entzückend wahre Tugend ist, da die illusorische Meinung über die Tugend so sehr erfreut, und es auch angenehm erscheint, andere Menschen sowie seine Freunde zu täuschen und wiederum betrogen zu werden.

Schmerz: Ich weiß, daß ich Gutes auf die richtige Weise tun möchte, aber ich scheine einfach nicht in der Lage zu sein, es zu tun.

Vernunft: Wenn dem so ist, dann ist dein Wollen noch nicht gut genug. Man muß es wollen, nicht halbherzig, sondern mit ganzer Kraft! Du aber begehrst leidenschaftlich das Bösartige und nur halbherzig das Gute. Daher kommt es, daß es viele Reiche gibt, aber sehr wenige Gute. Denn offenbar kommt ein leidenschaftlicher Wille schneller zum Gewünschten, als ein halbherziger.

Schmerz: Ich würde tugendhaft sein, wenn ich nur könnte.

Vernunft: Probiere es einfach aus, denn du kannst es! Wenn du wirklich tugendhaft sein willst, dann zögere nicht und fang gleich an. Wenn schon die kleinsten Dinge nicht ohne Anstrengung zu haben sind, was erwartest du dann von der Tugend, nicht als Zeitvertreib und Entspannung vom Geschäft des Lebens, sondern als den einzigen und direkten Weg zur Glückseligkeit? Nimm dir Zeit für die Tugend und verfolge sie mit größter Anstrengung und der ganzen Kraft deines Geistes. Widme nicht nur einen Teil deiner Zeit dem Streben nach Tugend, wie einem angenehmen Vergnügen, sondern betrachte sie als das wichtigste Ziel im Leben, das dich segnet, so daß du nichts anderes brauchst. Widme ihr all deine Zeit, streng dich an, wie du es oft getan hast, um leidenschaftliche Ziele zu verfolgen, und erinnere dich an die Maxime von Marcus Varro, die mehr heilsam und wirksam als elegant ist, der in seinem Buch der Satiren sagt: „Hättest du nur ein Zwölftel der Mühe, die du aufwendest, damit dir dein Bäcker gutes Brot gibt, der Philosophie gewidmet, dann wärst du längst ein guter Mensch geworden.“ Ich möchte, daß du dies nicht als eine irdische Philosophie verstehst, die verspricht, durch wiederholte Taten Gewohnheiten zu entwickeln - denn wir wissen aus Erfahrung, wohin das führt - sondern als himmlische Weisheit, die der beste Heiler und Ratgeber ist, um dich zur Tugend zu führen. Nur ihr verdankst du allen Seelenfrieden, den du erreichen kannst. Und du solltest dankbar mit andächtiger Zustimmung anerkennen, was geschrieben steht, nämlich daß niemand zufrieden sein kann, wenn Gott es nicht gibt (Weis. 8.21). Denn es ist ein Zeichen von Weisheit zu wissen, woher diese Gunst kommt, und daß du glaubst, daß es dir persönlich gesagt wurde, und daß du verstehst, daß es für alle Aspekte der Tugend gilt.

Schmerz: Wie sehr ich mir auch wünsche, tugendhaft zu sein, ich bin es nicht.

Vernunft: Wie sehr du wünschst, tugendhaft zu sein, werden dich die Erfahrungen lehren. Ein gutes Indiz für einen entschlossenen Willen ist das Durchhaltevermögen. Ob nun die Tugend das freie Geschenk Gottes ist (obwohl der himmlische Wohltäter sie kaum jemandem schenkt, der sich nicht ständig nach Tugend sehnt und ernsthaft darum betet), oder ob der menschliche Geist seinen Anteil an einem so beträchtlichen Gut hat, die Tugend erfordert unermüdliche und ausdauernde Hingabe. Was sehnsüchtig gesucht wird, kommt nicht plötzlich, sondern erfordert, egal wie man es betrachtet, einen beharrlichen Geist. Darauf solltest du dich konzentrieren und alles andere ignorieren, um es desto eifriger zu tun, und immer im Hinterkopf behalten und vor deinen Augen sehen, daß du zu diesem und zu keinem anderen Zweck in diese irdische Behausung gekommen bist, so daß nur eines von dir erwartet wird, nämlich daß du auf den Stufen der Tugend zum Himmel aufsteigst, und daß alles, was du sonst tust, entweder nutzlos oder schädlich ist.

Petrarcameister - Vom Mangel an Tugend

Diese sinnbildliche Darstellung steht in engem Zusammenhang mit dem Bild im 10. Kapitel des 1. Buches vom guten Glück, wo die Tugend gerühmt wurde. Hier wie dort ist sie personifiziert als arbeitsame Frau mit dem Spinnrocken in der Hand. Der dornige Weg mit Disteln und Stachelbüschen, auf dem die Tugend wandeln muß, ist ebenfalls beiden Holzschnitten gemeinsam, wenn auch die Stimmung im ersten Bild viel dichter ist, weil weniger Symbole Verwendung fanden. Hier wird die Tugend noch von einem starken Engel geleitet, die Hand Gottes schützt sie auf ihrem Weg, die Narrheit hat sie hinter sich gelassen. Diese personifizierte Narrheit stellt wieder den durch Sebastian Brant gegebenen Zusammenhang mit dem „Narrenschiff“ her. Dort war im Bild zu dem Kapitel „Verhinderung des Guten“ vom jungen Dürer ein ähnlich bewegter Narr gezeichnet worden, der mit einem Stein statt mit der Peitsche den Tugendhaften verfolgt.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir hier sehen, wie der Narr die himmlische bzw. göttliche Tugend verfolgt, nämlich mit dem gegensätzlichen Kling-Klang seiner Narrenkappe des begrifflichen Verstandes, mit der zweifachen Peitsche des Hin und Her, mit der Geldtasche im Rücken und auf seinen Narrenschuhen, die ihn vor den Dornen der weltlichen Wege schützen sollen. Über die Tugend als ein weibliches Wesen, das die Schicksalsfäden in der Hand hält und so ausrichten kann, daß der Mensch durch die Dornen hindurch den göttlichen Weg zum Himmel gehen kann, haben wir bereits im Kapitel 1.10 gesprochen. Hier sehen wir nun: Wer dieses Verdienst wahrer Tugend im Leben mit seinem freien Willen ansammeln kann, wird vom himmlischen Engel bzw. heiligen Geist geführt, von Gott gesegnet, dessen Licht durch die Wolken der Unwissenheit bricht, und folgt dem Leitstern am Himmel, der oben im Zentrum des Bildes zu sehen ist und vermutlich auch den Weg zum Christusbewußtsein andeutet. Zumindest kann man unter diesem Stern auf der Erde eine Mariendistel erkennen, die an Maria und die Geburt von Christus erinnert, die auf diesem Weg in uns geschehen soll. Doch der Narr schaut nicht nach oben zu Gott bzw. dem Ganzheitlichen, sondern mit dem begrifflichen Verstand auf das weibliche Wesen der Tugend, auf bestimmte persönliche Qualitäten, die das Ichbewußtsein erlangen will. Das ist aber kein ganzheitlicher bzw. vernunftmäßiger Wille, sondern ein eigennütziger und verstandesmäßiger Wille, von dem Petrarca zu Recht meint, daß er zu schwach für das Verdienst wahrhafter Tugend ist. Damit wird dieses Bewußtsein in sich vernarrt bleiben und ewig der Tugend und Weisheit hinterherrennen, ohne sie jemals erreichen zu können, weil dieser Geist mit seiner Peitsche nur das Spiel der Gegensätze antreibt, aus denen die weltlichen Dornen wachsen.

2.105. Vom Geiz

Schmerz: Mich treiben die Stachel des Geizes.

Vernunft: Du sagst treffend „Stachel“, weil der gierige Wunsch nach Reichtümern wie ein Stachel ist, und die Reichtümer, die er sucht, sind wie Dornen. Doch nur wer nicht lügt, wird sie so nennen, wie sie sind, diese glorreichen Reichtümer, welche dich doppelt quälen, wenn du sie suchst und wenn du sie hast. Aber wenn du deinen eigenen elenden Körper, deine Natur und die Kürze des Lebens betrachtest, wirst du sehen, daß du dir umsonst Sorgen machst, weil du so viel wünschst, aber nur wenig brauchst. Und während du nach dem gierst, was du willst, vergißt du, was du bereits hast, und verlierst in gewisser Weise das, was du dir (an Tugend) hart erkämpft hast. Nichts könnte törichter sein.

Schmerz: Mich treibt aber ein gieriges Verlangen, viel zu bekommen!

Vernunft: Und du bemerkst nicht, daß dir während dieser gierigen Beschäftigung Zeit und Leben vergehen, was zu einer bemerkenswerten Zwickmühle führt: Während du reich an Leben bist, mangelt es an Reichtum, und wenn dieser Mangel (im Alter) langsam schwindet, kommt ein anderer, und reich an Reichtum, mangelt es dir an Leben. Das hat auch der Weise nicht übersehen, als er über den Sparsamen schrieb und sagte: „Ich habe meine Ruhe gefunden, und jetzt werde ich meine Güter allein essen. Und er erkennt nicht, daß die Zeit abläuft, und er alles anderen überlassen und sterben muß. (Sir. 11.19)“ Und derselbe Autor bemerkt an einer anderen Stelle: „Wer viel sammelt, indem er seiner eigenen Seele Unrecht tut, sammelt für andere, und andere werden es verprassen. (Sir. 14.4)“ Ein erschreckender Satz, und doch trifft es für viele zu, wie du mit eigenen Augen sehen kannst, auch wenn es nicht in die Herzen der Habsüchtigen dringt. Und weiter sagt er: „Aber nichts ist böser als der Habsüchtige… Es gibt nichts Schlimmeres, als Geld zu lieben. (Sir. 10.9 nach Vulgata)“ Und damit du erkennst, wie alles im Gleichgewicht ist, wie Aristoteles sagt, beachte, wie ein Heide dem weisen Sirach zustimmt: „Aber hüte dich auch vor dem Streben nach Reichtum“, sagt Cicero, „denn nichts ist so charakteristisch für die Engstirnigkeit und Kleinheit der Seele wie die Liebe zum Reichtum!“

Petrarcameister - Vom Geiz

Von den Dornen und Stacheln, die der Geiz dem besessenen Menschen bedeuten, spricht Petrarca: „Ich werde getrieben durch die Stachel des Geizes.“ Nach dem Hinweis von Sebastian Brant auf den Text zeichnet der Petrarca-Meister den Geizigen nackt auf einem Bündel von Dornen und Disteln sitzend. Die Sorge um sein Geld, um dessen Erhaltung und Mehrung, läßt ihn keine Ruhe im Bett finden. Jetzt schwört er auf das offene Buch, das seinen Besitz verzeichnet und wie die Bibel auf dem Altar vor ihm liegt. Trotz seiner Nacktheit ist der Geizige seinem Stand nach bezeichnet: Er hat eine breite Goldkette um die Schultern und trägt die Klappmütze, die oft bei den Bürgern und Patriziern zu sehen war. Die Schätze sind in Truhen und Säcken um ihn gehäuft. Kostbare Gefäße sind aufgestellt, um sein Auge zu erfreuen. Das Fenster ist dagegen verhängt, damit niemand von außen die Schätze erblicken kann. Die Menschenfeindlichkeit des Geizes, dazu das Selbstzerstörerische dieser Leidenschaft wird sehr nachdrücklich vorgeführt und ist ohne gelehrte Umwege zu erkennen.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir das Ego mit seinem begrifflichen Verstand und seiner nackten Seele in seinem Körperhaus sehen, wo sein Bett steht, in dem es schläft, und sein angesammelter Reichtum und Besitz lagert, den es persönlich be- bzw. ergriffen hat. Das ist der Narr aus dem vorhergehenden Bild, der nun als reicher Händler erscheint, sich die goldenen Ketten seines Amtes um den Hals gelegt hat und auf die Wahrheit seines Reichtums und seiner Bücher schwört, die ihm Sicherheit und Beständigkeit gewähren sollen, aber doch vergänglich sind. Und vor allem diese Vergänglichkeit sind die Dornen dieser Welt, wie sie auch im vorhergehenden Bild zu sehen waren, und auf diesen Dornen sitzt nun die nackte Seele bzw. das reine Bewußtsein und macht die Erfahrung des weltlichen Leidens. Und das ist keine Bösartigkeit der Natur, sondern die Möglichkeit, sich daraus zu befreien. Dazu ist unter den Dornen auch die Mariendistel wiederzufinden, die an die Geburt des Christusbewußtseins in uns erinnern soll, damit der heilsame bzw. Heilige Geist die Führung übernehmen kann.

2.106. Von Neid und Mißgunst

Schmerz: Ich bin neidisch.

Vernunft: Eine gern gehegte Neigung, wenn sie will, was dir nützt. Aber wenn sie Böses für andere begehrt, ist es Bosheit und schlimmer als der Geiz. Der weise Mann, den ich gerade zitiert habe, sagt es gut: „Das Auge der Neider ist böse… Das Auge des Habsüchtigen ist unersättlich. (Sir. 14.8)

Schmerz: Der Neid quält mich.

Vernunft: Horaz sagt: „Auch die sizilianischen Tyrannen konnten keine schlimmere Folter erfinden, als es der Neid kann.“ Und den hat ein verpestender Südwind auf die Tyrannen eurer Tage übertragen.

Schmerz: Der Neid martert mich.

Vernunft: So sündigst du und erleidest gleichzeitig verdiente Gerechtigkeit.

Schmerz: Das Glück des Nachbarn macht mich neidisch.

Vernunft: Bei Gott, ich glaube dir! Aber keiner von euch beneidet heute die Könige der Parther oder Perser, noch beneidet euch einer von ihnen. Doch es gab Zeiten, da habt ihr euch gegenseitig beneidet, weil die Größe eurer Reiche euch zu Nachbarn gemacht hat. Warum reicht es nicht aus, sich über seine eigenen Probleme zu ärgern, von denen du doch genug hast? Mußt du noch vom Glück eines anderen geplagt werden, um völlig elend und krank zu werden?

Schmerz: Ich bin aber neidisch auf meine Nachbarn.

Vernunft: Eine alte Geschichte! Neid hat trübe Augen und kann nicht weit sehen. So sind Nachbarschaft und Wohlstand die Eltern des Neides.

Schmerz: Ich bin neidisch auf den Besitz anderer Leute.

Vernunft: Wenn du neidisch bist, mußt du auch engstirnig und kleinmütig sein. Darum ist von allen Lastern keines erniedrigender als der Neid und kann auch nur niedere Geister erreichen. Und damit ist er auch qualvoller als die anderen Laster, denn alle anderen zielen auf etwas Gutes ab, auch wenn es ein trügerisches ist, aber der Neid lebt nur von Übeln, wird vom Guten gequält und leidet unter genau dem Leid, das er anderen wünscht. Daher gefällt mir der Spruch von Alexander von Mazedonien: „Neider sind nichts anderes als ihre eigene Qual oder ihre eigenen Peiniger.“ Wirklich ernste Worte von einem solchen Jüngling!

Petrarcameister - Von Neid und Mißgunst

Der Schmerz beschuldigt sich: „Ich bin neidisch.“ Zu dieser Klage schuf der Petrarca-Meister eine sehr eindrucksvolle Darstellung, die dieses Laster, das Petrarca als das größte verdammt, in Sinnbildern erklärt. Eine alte Frau mit starren Augen und wirrem Haar ist dargestellt, die gierig in ein Herz beißt, daß sie mit beiden Händen zum Mund führt. - „Neid mag nichts essen außer sein Herz.“ Dieses Sprichwort führt Fraenger zur Erklärung der Darstellung an. Das andere Symbol für das Selbstzerstörerische des Neides soll der Vulkan sein, der links im Bild im Ausbruch ist. Sebastian Brant hat schon in seinem „Narrenschiff“ in dem entsprechenden Kapitel „Von Neid und Haß“ das aus der antiken Literatur überlieferte Beispiel verwendet und hat gedichtet:

Neid lacht nur, wenn versinkt das Schiff,
Das er gesteuert selbst ans Riff;
Und nagt und beißt der Neid recht sehr,
Frißt er nur sich und sonst nichts mehr,
Wie Ätna sich verzehrt allein.

Also Neid verzehrt sich selbst, wie sich der Ätna selbst verzehrt in seinem vulkanischen Feuer.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir hier den Neid als ein weibliches Wesen der menschlichen Natur sehen, das aus dem trennenden Ichbewußtsein durch die Vorstellung von Mein und Dein entsteht. Dazu sieht man die aufgelösten wirren Haare der gegensätzlichen Gedanken vor dem Baum der Erkenntnis der Gegensätze und wie dieser Neid mit seinen gegensätzlichen Händen das Herz der ganzheitlichen bzw. göttlichen Liebe ergreift und verzehrt. Und wenn sich genügend Neid in einer Person angesammelt und aufgestaut hat, explodiert er in Form von leidenschaftlichem Haß wie ein feuerspeiender Vulkan und schlägt lieber alles in Trümmer, als anderen etwas Gutes zu gönnen.

2.107. Von Wut und Zorn

Schmerz: Ich bin wütend.

Vernunft: Ich habe dir Abhilfe in deiner Not versprochen, aber nicht gegen (selbstgewollte) Laster, denn diese werden nicht von der Schicksalsgöttin Fortuna zugefügt. Darin verwickelst du dich freiwillig und hast sie in deiner Macht. Wer zwingt dich, wütend zu sein?

Schmerz: Ich werde wütend, wenn ich beleidigt wurde.

Vernunft: Vielleicht beschwert sich derjenige, dem du vorwirfst, dich beleidigt zu haben, daß du ihn beleidigt hast! Oder vielleicht war seine Beleidigung geringer als deine Unverschämtheit.

Schmerz: Ich werde wütend im Feuer des Zorns.

Vernunft: Dann mußt du wahnsinnig sein, denn Horaz sagt: „Wut ist kurzlebiger Wahnsinn.“ Aber viele verwandeln ihn aufgrund schlechter Gewohnheiten und Ungeduld in einen langlebigen Wahnsinn. Auch Ennius sagte, daß Wut „der Anfang des Wahnsinns“ ist, und für jene, die sich zu sehr auf sie einlassen, wird sie dann auch das Ende sowohl ihres Wahnsinns als auch ihres Lebens. Obwohl sie oft auf andere Menschen überspringt, quält die Wut ähnlich wie die Pest, die wir zuvor besprochen haben, immer denjenigen, der sich von ihr anstecken läßt. Deshalb wundere ich mich auch sehr, daß einige Leute, aus welchem Grund auch immer, die Wut süßer als Honig finden. Die Rache könnte vielleicht eine wilde und grausame Süße bieten. Aber die Wut bedeutet sicherlich nichts als Bitterkeit.

Schmerz: Ich werde wütend, wenn ich verletzt werde.

Vernunft: Kaum jemand war so jähzornig, um ohne Grund wütend zu werden, es sei denn vielleicht Caelius, ein Senator, der einer der Jähzornigsten aller Sterblichen war. Als ein Mandant ihm in allem zustimmte und alle Punkte einräumte, rief er wütend: „Widersprich mir, damit wir zwei sind!“ In der Tat ein hartnäckiger Mann. Wie konnte er jemals Beleidigungen ertragen, wenn er nicht einmal Nachgiebigkeit ertragen konnte?

Schmerz: Ich werde aber wütend, wenn ich beleidigt werde.

Vernunft: Hierbei kommt es häufig zu Fehlern. Die Menschen suchen oft nach einem Grund, sich zu beleidigen, und erfinden sogar Beleidigungen, und wenn es berechtigte Gründe gibt, sich beleidigt zu fühlen, wird ihre Wut unermeßlich. Jede Sünde verbirgt sich hinter dem Schleier einer Entschuldigung, und diese Entschuldigung selbst ist eine weitere Sünde. Trotzdem ärgerst du dich, wenn dir nicht wie einem Gott gehorcht wird, obwohl Gott selbst jeden Tag in Wort und Tat beleidigt wird, aber nicht immer zornig und gleich gar nicht wütend wird. Aber ihr Menschen macht schon jedes kleine Wort, das euch zufällig herausrutscht, zu einem Kapitalverbrechen, weil ihr nichts ertragen könnt!

Schmerz: Ich werde wütend auf diejenigen, die es verdienen.

Vernunft: Wenn es sich um eine persönliche Angelegenheit handelt, dann handelst du falsch. Wenn es um das Gemeinwohl geht und du nicht von Wut, sondern von gerechtem Zorn bewegt wirst, wäre es in der Tat lobenswert. Kurz gesagt, du solltest unermüdlich daran denken, wie Cicero sagt, daß Ärger ferngehalten werden sollte, denn im Wüten kann nichts richtig gemacht und auch nichts richtig betrachtet werden. Daher werden mit Recht auch die Worte von Archytas von Tarent und die Tat seines Freundes Platon gelobt. Als ersterer ganz in sein Studium vertieft war und sah, wie sein Hab und Gut von einem unfähigen Hausverwalter verschleudert wurde, wandte er sich gegen ihn und sagte: „Ich würde dir die verdiente Strafe auferlegen, wenn ich nicht wütend auf dich wäre!“ Der andere ließ einen Sklaven, der ihn wütend gemacht hatte, nicht ungestraft, wie es Archytas tat, sondern übergab ihn einem Freund zur Bestrafung, weil er befürchtete, daß die Wut seines Zorns ihn dazu bringen könnte, das Vernünftige zu überschreiten. Diese und ähnliche Beispiele sollten die Menschen dazu bringen, ihre Wut zu zügeln, damit sie von ihr nicht überwältigt werden, und sie nicht in Schande und Ruin geraten, wie es so oft passiert.

Petrarcameister - Von Wut und Zorn

In der Reihe der Hauptlaster folgt nach Geiz und Neid der Zorn. Auch hier greift Sebastian Brant mit seinen Hinweisen für Illustration durch den Petrarca-Meister auf sein „Narrenschiff“ zurück, wo er in dem Kapitel „Von leichtem Zürnen“ das gleiche Laster behandelt hat. Daß seine Gedanken im „Narrenschiff“ ihrerseits wieder teilweise auf Petrarcas „de remediis utriusque fortunae“ zurückgehen, war in der Einleitung schon gesagt worden. Nur wird an dieser Stelle noch deutlich, daß der Petrarca-Meister nicht nur die Hinweise Brants benutzt hat, sondern daß er auch die teilweise von Dürer illustrierte Ausgabe des „Narrenschiffs“ in den Händen gehabt hat. Alle Elemente seines Bildes zum Thema „Zorn“ sind nämlich in dem Dürer-Holzschnitt zum „Narrenschiff“ enthalten. Da ist ein Narr, der auf dem Hals eines Esels reitet, eine Frau, die sich dem Esel an den Schwanz hängt, und ein Hündchen, das den Esel anbellt. Ein stilistischer Vergleich des Dürer-Holzschnittes mit dem des Petrarca-Meisters ist indes unstatthaft, weil rund 25 Jahre einer stürmischen Entwicklung künstlerischer Darstellungsgabe zwischen den beiden Werken liegen. Beim Petrarca-Meister ist die gesamte Darstellung dynamisch. Der Esel bockt, der Reiter rutscht ihm auf den Hals und muß sich an den Ohren festhalten, während seine Beine hoch in die Luft fliegen. Die Zornesfurie, als altes Weib mit aufgelöstem Haar gezeichnet, treibt den Esel noch mit ihrer Krücke an. Das Hündchen allein ist den Bewegungen entgegen, es zerrt die Furie am Rocksaum nach hinten. Eine Fülle von Sprichwörtern ist hier verarbeitet worden: „Zorn hat ihn überschnellt und auf den Esel gesetzt.“ - „Wer stets im Esel hat die Sporen, der juckt ihm dick bis auf die Ohren.“ So ist hier der Reiter wirklich dem Esel auf die Ohren gejuckt (=gerutscht). Das Hündchen in der Illustration des Petrarca-Meisters erklärt sich aus dem Sprichwort: „Der Hund Reul beißt oft die Leut.“ Die Reue folgt der übereilten Handlung nach. Im „Narrenschiff“ dagegen war das bellende antreibende Hündchen ein weiteres Sinnbild des Zornes, von dem ein Sprichwort sagt: „Der um sich schauet als ein Hund, kein gütig Wort hat aus seinem Mund.“ - Nicht nur äußerlich mit einer Übernahme aus der Narrenschiff-Illustration begegnet hier der Petrarca-Meister Albrecht Dürer. Beide eint auch das Bestreben, neue künstlerisch vollendete Bildinhalte zu schaffen, die geeignet waren, überlieferte religiöse Themen zu ergänzen oder zu ersetzen. Dürer hat, von Sebastian Brants Anregungen zum „Narrenschiff“ abgesehen, an die Bedürfnisse der bildenden Künstler und der Gelehrten gedacht, der Petrarca-Meister mehr an die humanistische Bildung suchenden Bürger und Handwerker.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht können wir hier den Verstand sehen, der in seinem gemauerten Körperhaus auf dem Tierwesen reitet, das im schnellen Lauf plötzlich bockt wie ein Esel, so daß sich der begriffliche Verstand in seiner Trägheit fast überschlägt und sich nur mit Mühe an den „Eselsohren“ bzw. der Sinneswelt des Tieres festhalten kann. Aber weder die Augen des Tieres noch des Verstandes können hier im Bild ein echtes Hindernis sehen. Damit ist wohl gemeint, daß das Problem, das die Abscheu und damit die zornige Wut erregt, nicht vor ihnen in der äußerlichen Welt liegt, sondern hinter ihnen bzw. in der innerlichen Welt. Und dort sehen wir die wütende Furie als eine häßliche Frau mit wehenden Haaren bzw. Gedanken, die mit einer Hand den Esel am Schwanz zieht und mit der anderen den Verstand wütend antreibt. Darin kann man das Wechselspiel von Begierde und Haß erkennen, das sich in der zornigen Wut auswirkt. Doch hinter diesem weiblichen Wesen der Natur ist eine weitere Ursache zu erkennen, warum der Esel bockt, nämlich ein beißender Hund als Symbol der Beleidigung, der den Haß und damit auch Zorn und Wut erregt. Diesen Hund hat Dürer in seinem Bild vor dem Esel als Hindernis gemalt, so daß dort ein kleiner Kreis von Ursache und Wirkung sichtbar wird. Der Petrarca-Meister hat diesen Kreis sozusagen noch zum „Teufelskreis“ erweitert, denn hinter dem Hund erscheinen zwei Fenster in die Natur mit weiteren Ursachen. Links kann man die Ego Burg des Ichbewußtseins sehen, die mit den haarigen Gedanken verbunden ist, und rechts den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, der wiederum am Schwanz des Hundes steht. In diesen beiden wurzelt das eigentliche Hindernis aus Begierde, Haß und Unwissenheit, so daß der Esel bockt und der Reiter sich überschlägt und in zornige Wut gerät.

2.108. Von der Völlerei

Schmerz: Ich leide an Völlerei.

Vernunft: Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß ich nur unfreiwillig auftretende Beschwerden behandle. Wer könnte freiwillig leidende Menschen behandeln?

Schmerz: Ich werde aber von Völlerei geplagt.

Vernunft: Gut gesprochen! Nichts ist abscheulicher, und nichts plagt dich mehr! Mit Staunen und Scham betrachtet man, wie tief der menschliche Geist sinken kann, der für Höheres geschaffen wurde, als die Ressourcen der Erde zu verschwenden und den Himmel und die Tiefen des Meeres zu plündern. Dafür hast du Netze, Haken, Vogelleim und Schlingen erfunden, sowie Raubvögel trainiert, deinen Befehlen zu gehorchen und für dich zu jagen. Alles zu keinem anderen Zweck, als deinen Bauch zu befriedigen, den du ermüdest, indem du ihn überfütterst und überfüllst. Du strapazierst deinen kleinen Magen mit allerlei Kunststücken, um ihn gierig zu erweitern, obwohl Hunger ihm besser und Enthaltsamkeit am besten bekäme. Es wäre wohl gut, deinem elend stinkenden Darm ein wenig Ruhe zu gönnen und damit auch den Wäldern, Wolken und Gewässern etwas Frieden. Aber so geschieht es, und das ist Mode, besonders unter den Adligen. Dies sind ihre Künste, die früher die freien waren, jetzt aber gewöhnlich geworden sind. Und wer einst Feldherr, Philosoph, Herrscher und Landesvater war, ist heute Jäger und Vogelfänger. Dies läßt dich verstehen, daß es kaum noch Hoffnung auf Genesung gibt. Adel definiert sich jetzt durch Völlerei und damit zweifellos auch durch überhebliche Eitelkeit.

Nichts wäre besser gegen dieses Übel als eine Art großmütige Entsagung, um das Problem umfassend anzugehen, und zwar allmählich, wie Cicero denkt, oder sofort, ein für alle Mal, wie Aristoteles rät. Viel Hilfe kann auch die Meditation über das Lebensende bringen, die gegen jedes Laster hilft, aber besonders gegen Völlerei und Zügellosigkeit.

Petrarcameister - Von der Völlerei

Entgegen der Klage des Schmerzes „Ich leide an Völlerei“ stellt der Petrarca-Meister die Unmäßigkeit beim Trinken dar. Er oder Sebastian Brant haben es für richtiger gehalten, dies Hauptlaster der Deutschen ihrer Zeit vor Augen zu führen. Mit der Dreiteilung seines Bildes sagt der Künstler, daß das Übel in allen Ständen anzutreffen ist. An der Herrentafel rechts in der Halle, wo Diener die silbernen Riesenhumpen füllen, geht es ebenso unmäßig zu wie an der Landsknechtstafel vor der Tür oder wie bei den Bauern, die links im Hintergrund mit einem Magister um die Wette zechen. Mit seiner Überlegung ist die Darstellung von Trinkgerät, Tischen und Bänken in den drei Gruppen abgestuft: Silber und Polsterbänke bei den Herren, Zinnbecher und Brettschemel bei den Landsknechten und Glashumpen und Schwartenbänke bei den Bauern.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht könnte man das Bewußtsein auf verschiedenen Ebenen von Körper, Verstand und Vernunft am Tisch der Natur sehen, wie es sich selbst gegenübersitzt und mit sich selbst diskutiert, trinkt und ißt, sozusagen geistige und körperliche Nahrung zu sich nimmt und auch wieder in die Natur zurückgibt. Der Verstand bekommt Speise und Trank von den Bauern des Körperbewußtseins, und die Vernunft wird vom Verstand bedient. Vorn im Bild sieht man eine große Wanne zum Kühlen des Weins mit einer Feldflasche, die ein adliges Wappen trägt. Dieser Wein könnte an das biblische Gleichnis zur Hochzeit von Kanaan erinnern: „Jedermann gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind, alsdann den geringeren. Du hast den guten Wein bisher behalten. (Joh. 2.10)“ Denn der weltliche Wein schränkt das Bewußtsein wie im Nebel ein, und der göttliche Wein, worunter auch das Blut Christi verstanden wird, erweitert das Bewußtsein, ähnlich dem griechischen Ambrosia oder indischen Amrit, dem Nektar der Unsterblichkeit. Damit könnte der Weg der Vernunft zum Christusbewußtsein angedeutet sein, der auch im Hintergrund durch das Fenster zur Natur sichtbar wird, wo man eine Art Hochzeitsgirlande sehen kann, die sich im Baum der Erkenntnis vereint, um die natürlichen Gegensätze wieder zu überwinden und das gegensätzliche Bewußtsein, das überall am Tisch der Natur sitzt, im Heiligen Geist wieder zu einem reinen ganzheitlichen bzw. göttlichen Bewußtsein zu vereinen. - Das wäre die Aufgabe der menschlichen Vernunft. Aber wie sich schon Petrarca beschwert, daß die Adligen auf die Ebene der Bauern herabsinken, so ist auch unsere Vernunft bis zum Körperbewußtsein gesunken und denkt nur noch an den eigenen Bauch. Und mittlerweile kann man sogar von einem Maschinenbewußtsein sprechen, das noch tiefer in die Materie gesunken ist.

2.109. Von geistiger Trägheit

Schmerz: Ich bin träge in meinen Taten.

Vernunft: Wen wundert es, daß dein Körper, vollgestopft und belastet durch Völlerei, auch von geistiger Trägheit befallen ist?

Schmerz: Die Trägheit überwältigt mich.

Vernunft: Diese Trägheit entsteht aus einem unvollkommenen Willen. Sobald du anfängst, Gutes (bzw. Vollkommenes) zu wollen, wird sich dein Wille in Eifer und Tatendrang verwandeln, der auf vielerlei Dinge gerichtet schädlich, aber auf die Tugend gerichtet ausgezeichnet ist.

Schmerz: Ich bin träge, und es fällt mir schwer, gute Werke zu tun.

Vernunft: In jedem (wirkenden) Geist steckt eine gewisse Trägheit, aber auch ein großer Teil an eifriger Begeisterung. Wenn dieser Eifer entfacht wird, vertreibt er die Trägheit, so daß du dir des schnellen Laufs der Zeit bewußt wirst, der so schnell ist, daß ihn dein Verstand niemals ermessen kann, wie schnell dieser auch sein mag. Dazu kommt noch die vorzügliche Schönheit der Tugend, zu der Plato sagt, wenn sie mit menschlichen Augen gesehen werden könnte, würde sie dich sogleich mit einer wunderbaren Liebe erfüllen. So laß dich einerseits von der Liebe (zur göttlichen Tugend) berühren und anderseits von der Furcht (vor Tod und Vergänglichkeit), denn beide werden dich aufwecken, weil weder der Liebende noch der Fürchtende jemals träge sein kann. Und wenn du nachts aufstehst, um das Stundengebet zu sprechen, dann bete auch, daß du nicht von Trägheit und schädlichem Schlaf überwältigt wirst. Es gibt keinen Platz für Schlaf und Trägheit, wenn dich auf einer Seite der Tod erschreckt und auf der anderen die Tugend winkt. Wer hat jemals inmitten großer Gefahren und großer Hoffnungen geschlafen? Wann immer du dich auf diese beiden konzentrierst, wird die geistige Kraft zurückkehren, und der Schlaf wird aus deinen Augen fliehen, wenn du bedenkst, wieviel Unvollkommenheit noch in dir wartet und wieviel Zeit durch Trägheit verlorengeht. Wenn das nicht geschieht, wirst du bald feststellen, wie lange Zeiträume ungenutzt vergehen, und du wirst schockierte und verwirrte alte Männer sagen hören: „Was haben wir nur all die Jahre getan? Wir haben gegessen, getrunken und geschlafen. Und wir sind viel zu spät aufgewacht!“ Die Hauptursache für all das ist die geistige Trägheit, über die du klagst. Sie sollte rechtzeitig mit den Sporen des Fleißes und dem Zügel der Voraussicht vertrieben werden, damit man nicht zu lange zögert und mit der Menge von einem unrühmlichen Ende überwältigt wird.

Petrarcameister - Von geistiger Trägheit

In der Übersetzung von 1532 stimmen die Überschrift des Kapitels und die Klage des Schmerzes nicht ganz überein, denn Trägheit des Gemütes ist doch etwas anderes als „Ich bin träge und faul, etwas zu arbeiten und zu tun“. Der Petrarca-Meister hat sinnbildlich die Faulheit, die Unlust zur Arbeit dargestellt. Auf dem Ruhebette liegt ein Mann, bekleidet, also nicht zu nächtlichem Schlaf. Eine furienhafte Frau, die dem „Zorn“ aus dem vorletzten Bild nicht unähnlich ist, eilt auf den Schlafenden zu und bläst ihm mit einem großen Blasebalg ins Gesicht. In Analogie zur Darstellung des „Zornes“ wird so zu deuten sein, daß sie ihm derart die Faulheit einflößt, nicht aber, daß sie ihn etwa mit dem Luftstrom zu erwecken sucht. Ob die Tiere, die auf der Brust des Schlafenden ungestört spielen, nur die Tiefe seines Schlafes deutlich machen oder die Verkörperung von Träumen sein sollen, wie es in den „Gesta Romanorum“ von weißen Wieseln erzählt wird, kann nicht entschieden werden. Ebensowenig läßt sich vorerst eine Deutung für den Delphin finden, der dem Schlafenden als Kopfkissen dient, weder der Text des „Glücksbuches“ noch das einschlägige Kapitel des „Narrenschiffes“ „Von Trägheit und Faulheit“, ebensowenig wie die Sprichwörter der Zeit zu den Themen „Faulheit - Schlaf - Traum“ geben einen Hinweis für die Deutung. Es werden auch in der fabelhaften Naturwissenschaft des Mittelalters, wie sie in Konrad von Megenbergs „Buch der Natur“ niedergelegt worden ist, dem Delphin keine Eigenschaften zugedacht, die im Zusammenhang mit der vorliegenden Darstellung einen Sinn ergäben.

Soweit schreibt Walther Scheidig. Aus geistiger Sicht kann man nun das Bewußtsein bzw. den wirkenden Geist auf seinem Karma-Bett im Körperhaus sehen, wie er vom weltlichen Wein benebelt schläft und träumt. Der Delphin erinnert uns an den Sänger Arion, der von einem Delphin wie in einem lebendigen Boot über das Wasser getragen wurde. Diese Geschichte wurde bereits in Kapitel 1.23 verwendet und auch gezeichnet. So könnte auch hier der Sänger im Kopf bzw. das Ichbewußtsein mit dem träumenden Verstand vom Boot des Lebens auf dem Meer der Ursachen oder Möglichkeiten getragen werden, das hier als Kopfkissen angedeutet erscheint. Und wie der Delphin lebendig ist, so lebt auch das tierhafte Körperbewußtsein des Schlafenden, was die „nachtaktiven Tiere“ auf seiner Brust im Spiel der Gegensätze andeuten könnten. Denn das Spiel der Gegensätze ist überall der Motor des Lebens, wie bereits im vorhergehenden Bild dargestellt wurde. Entsprechend findet auch die geistige Trägheit ihren natürlichen Gegensatz, der hier wieder als „wütende Furie“ erscheint, die mit ihrem Blasebalg der Gedanken das Feuer der Leidenschaft im Geist anfacht, so daß er wieder aus seinem Schlaf erwachen, seine „Schuhe anziehen“ und in der Welt tätig werden muß, um sein angesammeltes Karma bzw. Potential „auszuwirken“. Petrarca beschreibt dieses Spiel der Gegensätze als Eifer und Trägheit auf dem Weg der Tugend. Ähnlich finden wir in der indischen Yoga-Philosophie die drei Gunas von Rajas, Tamas und Sattwa als drei Grundqualitäten, die überall in der Natur wirken und zu finden sind. Und im Bild könnte man diese Tugend oder das Sattwa als Weg und Ziel in dem hellen Licht sehen, das von oben in das Körperhaus herabscheint und die rechte Kopfhälfte des träge Schlafenden erleuchtet. Und auch das eifernde Wesen der Natur erscheint in diesem hellen Licht und richtet sein Gesicht nach oben zum Göttlichen bzw. Ganzheitlichen, das diesem Spiel der Gegensätze einen höheren Sinn im Streben nach Harmonie und Ausgeglichenheit gibt.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter